Schwierige Überarbeitung
Der Kanon Hippolyts und das zweite Hochgebet
11. 2. 2009
Der zweite Kanon ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Natürlich enthält er keine Irrlehren - aber enthält auch vieles nicht, was zur Liturgie der hl. Messe dazugehören sollte. Das wirkt sich insofern besonders nachteilig aus, als dieses Hochgebet wegen seiner Kürze in vielen Gemeinden fast ausschließlich verwandt wird - ganz entgegen den Absichten der Reform, die es als weniger geeignet für Sonn- und Feiertage betrachtete und vor allem für Werktagsmessen und ökumenische Anlässe gebraucht sehen wollte.
Kritik an diesem Hochgebet oder dessen fast ausschließlicher Verwendung wird sehr oft mit dem Hinweis abgewehrt, schließlich handele es sich dabei um das älteste erhaltene Hochgebet, gegen das nun wirklich niemand etwas haben könne. Dem ist mehrerlei entgegen zu halten:
- Erstens ist ungewiss, ob der Text tatsächlich in dieser Form in der Messfeier verwandt wurde, er ist nicht in einem Sacramentarium überliefert, sondern in einer „Kirchenordnung“ die möglichwerwise nur einen gekürzten Text oder eine Paraphrasierung überliefert.
- Dann ist Hippolyt selbst, der eine Zeit lang als Gegenpapst amtierte, als Gewährsmann nicht ganz unproblematisch, obwohl er sich später mit der Kirche aussöhnte und als Märtyrer starb.
- Schließlich - und nur damit befassen wir uns hier eingehender - wurde der überlieferte Text von den Architekten des Novus Ordo erheblich verändert, um ihn ihren theologischen Vorstellungen anzupassen.
Hier unsere Gegenüberstellung des sog. Kanons Hippolyts und des 2. Kanons nach dem Novus Ordo.
2. Kanon
P. Der Herr sei mit Euch.
A. Und mit deinem Geiste.
P. Erhebet die Herzen.
A. Wir haben Sie beim Herrn.
P.Lasset uns danken dem Herrn unserm Gott.
A. Das ist würdig und recht.
Hippolyt
Die Einleitung des Kanons bzw. der Präfation gehört zu den seit ältester Zeit belegten Wechselgebeten der hl. Messe. Wir können guten Gewissens unterstellen, daß auch bereits zu Hippolyts Zeiten ein sehr ähnlicher Gesang dem Kanon vorausging. Der etwas formlose Beginn des Hippolyt-Textes macht den Anschluß an eine solche Formel jedenfalls eher wahrscheinlich.
2. Kanon
In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, immer und überall zu danken durch deinen geliebten Sohn Jesus Christus. Er ist dein Wort, durch ihn hast du alles erschaffen. Ihn hast du gesandt als unseren Erlöser und Heiland: Er ist Mensch geworden durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Um deinen Ratschluß zu erfüllen und dir ein heiliges Volk zu erwerben, hat er sterbend die Arme ausgebreitet am Holze des Kreuzes. Er hat die Macht des Todes gebrochen und die Auferstehung kundgetan. Darum preisen wir dich mit allen Engeln und Heiligen und singen vereint mit ihnen das Lob deiner Herrlichkeit:
Heilig, heilig, heilig
Gott, Herr aller Mächte und Gewalten.
Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.
Hosanna in der Höhe.
Hochgelobt sei, der da kommt
im Namen des Herrn.
Ja, du bist heilig, großer Gott, du bist die Quelle aller Heiligkeit. (Darum bitten wir dich:) Send deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib + und Blut deine Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.
Hippolyt
Wir sagen dir Dank, Gott, durch deinen geliebten Knecht Jesus Christus, den du uns in diesen letzten Zeiten als Retter, Erlöser und Boten deines Willens (vgl. Jes 9,5 LXX) gesandt hast. Er ist dein von dir untrennbares Wort, durch ihn hast du alles geschaffen zu deinem Wohlgefallen, ihn hast du vom Himmel gesandt in den Schoß einer Jungfrau. Im Leib getragen, wurde er Mensch und offenbarte sich als dein Sohn, geboren aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau. Der deinen Willen erfüllen und dir ein heiliges Volk erwerben wollte, hat in seinem Leiden die Hände ausgebreitet, um die von Leiden zu befreien, die an dich geglaubt haben.
2. Kanon
Denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf, nahm er das Brot und sagte Dank, brach es, reichte es seinen Jüngern und sprach: NEHMET UND ESSET ALLE DAVON: DAS IST MEIN LEIB, DER FÜR EUCH HINGEGEBEN WIRD.
Hippolyt
Als er sich freiwillig dem Leiden auslieferte, um den Tod aufzuheben, die Fesseln des Teufels zu zerreißen, die Unterwelt niederzutreten, die Gerechten zu erleuchten, eine Grenze zu ziehen und die Auferstehung kundzutun, nahm er Brot, sagte dir Dank und sprach: „Nehmt, eßt, dies ist mein Leib, der für euch zerbrochen wird" (vgl. Lk 22,19, 1 Kor 11,24).
Die Verschiebung des Berichts über die Großtaten Christi in den vorhergehenden Absatz an sich ist wieder unproblematisch, aber es sind nicht alle Teile an der neuen Stelle angekommen: "die Fesseln des Teufels zu zerreißen, die Unterwelt niederzutreten, die Gerechten zu erleuchten, eine Grenze zu ziehen" wurden weggelassen. Offenbar scheut man sich, den Gegner, den Christus am Kreuz besiegt hat, und die Tatsache, daß es Gerechte und (nämlich auf der anderen Seite der Grenze) Ungerechte gibt, auszusprechen.
2. Kanon
Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch, dankte wiederum, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: NEHMET UND TRINKET ALLE DARAUS: DAS IST DER KELCH DES NEUEN UND EWIGEN BUNDES, MElN BLUT, DAS FÜR EUCH UND FÜR ALLE VERGOSSEN WIR ZUR VERGEBUNG DER SÜNDEN. TUT DIES ZU MEINEM GEDÄCHTNIS.
P. Geheimnis des Glaubens:
A. Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.
Hippolyt
Ebenso nahm er auch den Kelch und sprach: Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Wenn ihr dies tut, tut ihr es zu meinem Gedächtnis (vgl. Lk 22,20; 1 Kor 11,25).
Die Wandlungsworte bildeten im lateinischen Ritus einen „Querschnitt“ der in den Berichten der hl. Schrift leicht unterschiedlichen Formulierungen. Ihre aktuelle Formulierung, die in allen zugelassen Hochgebeten vereinheitlicht worden ist, stellt kein Problem dar. Allerdings bedeutet die Herausnahme des „Geheimnis des Glaubens“ aus den Wandlungsworten und die folgende Einfügung einer Akklamation ist für den lateinischen Ritus eine Neuerung des 20. Jahrhunderts – bei Hippolyt findet sie keine Stütze.
2. Kanon
Darum, gütiger Vater, feiern wir das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung deines Sohnes und bringen dir so das Brot des Lebens und den Kelch des Heiles dar. Wir danken dir, daß du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen. Wir bitten dich: Schenke uns Anteil an Christi Leib und Blut, und laß uns eins werden durch den Heiligen Geist. Gedenke deiner Kirche auf der ganzen Erde, und vollende dein Volk in der Liebe, vereint mit unserem Papst N., unserem Bischof N. und allen Bischöfen, unseren Priestern und Diakonen und mit allen, die zum Dienst in der Kirche bestellt sind.
Hippolyt
Seines Todes und seiner Auferstehung eingedenk bringen wir dir das Brot und den Kelch dar. Wir sagen dir Dank, daß du uns für würdig erachtet hast, vor dir zu stehen und dir als Priester zu dienen.
Auch bitten wir dich, deinen Heiligen Geist auf die Gabe der heiligen Kirche herabzusenden. Du versammelst sie zur Einheit, so gib allen Heiligen, die sie (sc. die Opfergabe) empfangen, Erfüllung mit Heiligem Geist zur Stärkung des Glaubens in der Wahrheit, ...
Schon bei Hippolyt – also in einer Zeit, in der von „Klerikalisierung“ nun wirklich nicht die Rede sein kann – wird der Priester als Darbringer des Opfers besonders hervorgehoben - das konnte in der modernen Form natürlich nicht übernommen werden.
Die Erwähnung des Heiligen Geistes zu Beginn des zweiten Absatzes hat bei Hippolyt jedenfalls nicht die Funktion einer Wandlungsepiklese. Die Wandlung ist geschehen und, die jetzige Anrufung des Hl. Geistes bittet um seine Gnade und sein Einigungswerk für die Gläubigen. In dieser Funktion wird sie auch in die Neufassung übernommen.
2. Kanon
Gedenke (aller) unserer Brüder und Schwestern, die entschlafen sind in der Hoffnung, daß sie auferstehen. Nimm sie und alle, die in deiner Gnade aus dieser Welt geschieden sind, in dein Reich auf, wo sie dich schauen von Angesicht zu Angesicht. Vater, erbarme dich über uns alle, damit uns das ewige Leben zuteil wird in der Gemeinschaft mit der seligen Jungfrau und Gottesmutter Maria, mit deinen Aposteln und mit allen, die bei dir Gnade gefunden haben von Anbeginn der Welt, daß wir dich loben und preisen durch deinen Sohn Jesus Christus.
Durch ihn und mit ihm und in ihm ist Dir, Gott allmächtiger Vater, in der Einheit des heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit.
Amen.
Hippolyt
... daß wir dich loben und verherrlichen durch deinen Knecht Jesus Christus, durch den Herrlichkeit und Ehre ist dem Vater und dem Sohn mit dem Heiligen Geist in deiner heiligen Kirche jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.
Während Hippolyt hier sofort zum Schluß kommt, bringt die moderne Fassung hier zuerst noch das Totengedenken. Diese vorher an anderer Stelle plazierte Fürbitte ist erst im Lauf des frühen Mittelalters in den Kanon „eingewandert“, weil man sie möglichst nahe an dem Moment der Messe haben wollte, der als der gnadenreichste angesehen wurde. Das Totengedenken auch im neuen 2. Hochgebet hier zu belassen, ist ein erfreulicher Anschluss an eine organisch gewachsene Tradition - dem Kanon des Hippolyt entspricht diese Praxis aber nicht.
So ist der sogenannte Kanon des Hippolyt also ein gutes Beispiel für die Problematik, die unweigerlich auftritt, wenn man über weitaus mehr als 1000 Jahre in der Tradition zurückgehen will. Das archäologische Fundstück enthält einige Dinge, die man – unseres Erachtens unberechtigterweise – für überholt oder unzumutbar hält, und die deshalb weggelassen werden. Auf der anderen Seite fehlen ihm aber auch (noch) Elemente wie Sanctus oder Memento mori, die so tief in der seitdem entstandenen Tradition verwurzelt sind, daß man bei aller Liebe zur Archäologie darauf denn doch nicht verzichten wollte.
Einen Sonderfall stellt die Einfügung einer expliziten Epiklese zum „Einsetzungsbericht“ dar. Der Römische Kanon findet ganz im Dialog zwischen dem Sohn und dem Vater statt - und gerade darin läßt er den Heiligen Geist wirken und erscheinen, ohne ihn explizit anzusprechen. Orthodoxe und einige Gemeinschaften der Reformation haben das heftig kritisiert und aus dem Fehlen einer expliziten Herabrufung des Hl. Geistes sogar die Unwirksamkeit der Konsekration gefolgert. Dem kommt der 2. Kanon, der ausdrücklich nicht als Sonn- und Feiertagsform, sondern für kurze Werktagsgottesdienste und ökumenische Anlässe konzipiert war, mit eiligen Schritten entgegen. die Tatsache, daß er in vielen Gemeinden ausschließlich verwandt wird, ist ein klarer Verstoß gegen den ausgesprochenen Willen der Reform.
Eine ausführliche historische und sprachliche Auseinandersetzung mit dem „Kanon Hippolyts“ hat Heinz Lothar Bart verfasst, dem wir auch die hier verwandte deutsche Fassung verdanken. „Die Mär vom antiken Kanon des Hippolytos“, Stuttgart 2008.
Die Hinzufügungen sind sind unproblematisch, aber doch vielsagend:. Sanctus und Benedictus sind erst nach Hippolyt in den Kanon des lateinischen Ritus eingewandert, zu dessen Kernbestand sie auch nach der Liturgiereform noch gehören - obwohl einige Reformer sie abschaffen wollten. Theologisch wenig kritisch ist auch die explizite Epiklese, die dem lateinischen Ritus allerdings fremd ist und hier nach dem Vorbild der Ostkirche und des Gebrauchs der Lutheraner unmittelbar beim „Einsetzungsbericht“ eingefügt worden ist.
Problematisch sind die auf den ersten Blick kaum auffallenden Auslassungen. Die erste betrifft die Wendung „dein von dir untrennbares Wort“ – das schrumpft in der modernen Version auf „dein Wort“ zusammen. Damit verschwindet ein vorarianisches Glaubenszeugnis für die Wesensgleichheit von Vater und Sohn. Noch verhängnisvoller ist die kleine Auslassung: „um die von Leiden zu befreien, die an dich geglaubt haben.“ Hippolyt unterstreicht, daß die allen zugedachte Erlösung tatsächlich jenen zugute kommt, die an Christus glauben - die neue Fassung will diese Einschränkung nicht thematisieren. Eine Vorahnung der aktuellen Auseinandersetzung um das „für alle“.