Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

40 Jahre Novus ordo missae

Von der Liturgiereform zur Eucharistiefeier der priesterlichen Gemeinde

3. 4. 2009

P. Joseph Gelineau, S.J.

Joseph Gelineau, im vergangenen August mit 88 gestorben, gehört zu den rätselhaften Gestalten der Liturgiereform. Vor dem Konzil hat er als Erklärer der Psalmen und Komponist volkstümlicher Psalmmelodien wichtige Arbeit geleistet. Mit Bischof Spülbeck hat er gemeinsam, daß er ebenfalls Mitarbeiter des Reformconsiliums war – wenn auch nur als „Consultor“. Aber da endet auch schon jede Gemeinsamkeit. Wo Bischof Spülbeck überaus optimistisch die Kontinuität betont und die einsetzenden Veränderungen – die ja nicht notwendig Brüche bedeuten mußten – übersieht oder unterschätzt, entwickelt sich Gelineau nach dem Konzil zu einem Radikalreformer, der sich völlig von der Vergangenheit „emanzipiert“ und in allem so tut, als dürfe er ganz persönlich die Kirche neu erfinden. Hier stellen wir Sein Buch „Die Liturgie von morgen“ vor. Die deutsche Ausgabe ist lange vergriffen, wir beziehen uns daher auf die englische Ausgabe von 1978.

Ausgangspunkt von Gelineaus Denken in der Nachkonzilszeit ist ein übersteigerter Gemeindebegriff – die Kirche als Institution, die Kirche als Leib Christi, der Priester als Spender der Sakramente im Auftrag der Kirche – all das verschwindet völlig hinter der konkreten Gemeinde, für die die liturgische Versammlung nur Ausdruck und Motor ihres Gemeindelebens darstellt. Diese Gemeinde ist der Akteuer, und Liturgie kann nur gelingen, wenn und soweit sie von der Gemeinde getragen wird. Liturgie ist nicht länger Gottesdienst, sondern Gemeindedienst.

Seinen Begriff vom idealen Gemeindeleben bezieht Gelineau aus Mutmaßungen über die frühchristliche Zeit, mehrfach zitiert er die Apostelgeschichte (2 44-46) „Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens.“ Dabei ist sich Gelineau durchaus bewußt, daß moderne Gemeinden vielfältige Defizite aufweisen. Er schreibt selbst: „Nach Meinungsumfragen sagen zwar 80% der französischen Katholiken, daß sie an Gott glauben, aber nur zwei Drittel glauben an die Gottheit Christi und nur ein Drittel an die Auferstehung.“

Gelineau geht nicht davon aus, diese Defizite auf dem Weg verbesserter Katechesen oder verbesserten Religionsunterrichtes beheben zu können – statt dessen plädiert er dafür, die Liturgie dementsprechend zu verändern, wenn er fortfährt: „Diese Leute kann man nicht als Katechumenen bezeichnen – schließlich sind sie getauft. Aber in Ihrem Glaubensverständnis sind sie noch in einer Phase der Initiation. Was ist die Taufe zu einem Glauben, der nicht an den auferstandenen Christus glaubt? Das Ergebnis ist, daß die Liturgie, die man ihnen anbietet – mit Lesungen aus der Bibel, keine Gelegenheit zu Erklärungen, Gebete für voll-ausgewachsene Gläubige – sie nicht einbezieht und ihnen keine Möglichkeit gibt, sich allmählich in den Glauben hineinzuentwickeln. Sie können das Brot des Wortes, das für sie gebrochen wird, nicht verdauen.“ (41)

Von solchen Überlegungen ausgehend kommt er zunächst einer völligen Atomisierung der Liturgie: Jede konkrete Gemeinde braucht ihre eigene, und nur sie selbst ist in der Lage, die für sie geeignete Form zu entwickeln. Daber löst sich allerdings der zunächst den Ausgang bildende Gemeindebegriff schnell auf:

Zitat: Die Versammlung könnte in Gruppen aufgeteilt werden. Eine Gruppe oder ein Teilnehmer könnte eine Lesung aus der Bibel oder ein Mysterium erläutern, eine andere Gruppe könnte die Bedeutung eines ausgewählten Textes diskutieren, wieder eine andere könnte die Lesungen des Tages hören, den Psalm singen und die Predigt anhören. Wenn man nicht die Mittel oder das Personal hat, um das im Rahmen eines Gottesdienstes zu erledigen, warum diese verschiedenen Ansätze nicht auf verschiedene Gottesdienste verteilen? An dem einen Sonntag Schwerpunkt Katechese und Schrifterklärung, ein anderer Diskussion und Meinungsaustausch, wieder ein anderer wäre der Feier des Wortes gewidmet“. (42)

Wer dabei den Verdacht bekommt, daß die hl. Messe selbst, die Feier der Eucharistie, ins Hintertreffen geraten könnte, findet dafür an anderer Stelle die explizite Bestätigung. Mehrfach teilt Gelineau mit, das christliche Leben sei zu sehr aufs Kultische reduziert (20), man feiere immer nur Messen und zu wenig Wortgottesdienste (21), ja, „die Messe an sich bedeutet, selbst wenn sie den Höhepunkt der Liturgie bildet, eine beträchtliche Verarmung der symbolischen und rituellen Formen, in denen wir den Geist willkommen heißen und näher zu Gott kommen können“.

Mit Genugtuung stellt er fest, daß die Liturgiereform, insbesondere der Abschied vom Latein als Kultsprache, die Kirche nicht nur in der Form, sondern im Inhalt tiefgreifend verändert habe:

Zitat: Liturgie ist nicht nur Information oder Lehre, bei der es nur auf den Inhalt ankommt. Liturgie ist symbolische Handlung in Formen, die etwas bedeuten. Werden die Formen verändert, verändert sich der Ritus – und wenn sich ein Element verändert, verändert sich die gesamte Bedeutung. Denken Sie doch nur, wenn sie das überhaupt noch können, einmal zurück an das gesungene Lateinische Hochamt mit Gregorianischem Choral, und vergleichen Sie das mit der Modernen Messe nach dem Konzil. Nicht nur die Worte, auch die Melodien und sogar bestimmte Handlungen sind jetzt ganz anders. Tatsächlich ist es eine andere Liturgie. Wir müssen ganz klar feststellen: Der römische Ritus, wie wir ihn kennen, existiert nicht mehr, er ist verschwunden. Einige Mauern des Gebäudes sind eingestürzt, andere wurden versetzt, wir können das als eine Ruine ansehen, oder auch als die Teile des Fundamentes für ein neues Gebäude.“ (S. 11)

Von dieser Neubauphilosophie aus rückt für Gelineau eine völlige Abschaffung jeder geordneten Liturgie und sogar jeder geordneten Kirchlichkeit in den Bereich des Denkbaren und sogar des Erstrebenswerten. Zunächst nimmt Gelineau dazu nach der äußeren Form der Liturgie ihr materielles Gehäuse, also den Bau der Kirche, in den Blick. Denn daran gibt es für ihn keinen Zweifel: „Allzu offensichtlich sind die Probleme, die daraus entstehen, wenn man eine nachkonziliare Liturgie in Gebäuden feiern will, deren Größe und Zuschnitt für eine ganz andere Art von Liturgie bestimmt waren“. (25) Um seine Probleme kurz zu skizzieren: Man sieht nicht genug, hört – trotz Lautsprecheranlagen – nicht genug und man bekommt, da man immer nur den Rücken der vor einem Stehenden und nie deren Gesichter sehen kann, kein lebendiges Gemeindegefühl, alles bleibt ohne Dialog, wenig einladend und kalt. Die neue Gemeinde benötigt neue, intimere Räume, in denen sie sich wohl fühlen kann – mehr als 100 – 150 Teilnehmer an einem Sonntagsgottesdienst mag Gelineau sich nicht vorstellen. Da ist er auch radikalen Lösungen nicht abgeneigt:

Zitat: Ich möchte hier nicht noch einmal die heiße Diskussion über den Vorschlag meines Freundes Fr. Antoine auslösen, daß die Kirche sich von den Kirchengebäuden mit historische Bedeutung verabschieden und sie dem Staat und der Gesellschaft als Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes übergeben sollte, während sie ihre Liturgie an Orten feiert, die dafür besser geeignet sind. Aber ich gebe zu, das wäre nicht immer die schlechteste Lösung. Wir haben zu viele Kirchen, zu viele unbrauchbare Kirchen, und nicht genügend Orte für eine angemessene christliche Versammlung“. (32/33)

Die Entwicklung des Kirchenbaus in den letzten Jahrzehnten – sofern denn überhaupt noch Kirchen gebaut wurden – zeigt in greifbarer Form, daß Gelineau hier nicht als Außenseiter spricht: Seine Vorstellungen von Gemeindeliturgie sind in den Mainstream des liturgischen Denkens eingegangen und vielerorts bestimmendes Element. Nicht Spülbecks überoptimistische Beschwörung der Kontinuität, sondern Gelineaus Wille zum Bruch mit der gesamten liturgischen Tradition hat in Frankreich, Deutschland und vielen anderen Ländern die Umsetzung der Liturgiereform geleitet und damit alles verfälscht, was die Texte des Konzils und die Beschwörungen des Papstes über die Liturgiereform ausgesagt haben.

Der Bruch soll nach dem Willen Gelineaus und seiner Geistesverwandten tatsächlich aber noch viel weiter gehen. Er beklagt die Klerikalisierung des Priesterberufes, die dazu geführt habe, daß der Priester heute „die Funktionen des Missionars, Lehrers, Liturgen, Vorsteher der Eucharisitie , Haupt der Gemeinde und Verwalter von deren Vermögen und karitativen Werken“ in seiner Hand vereinige. „Das ist nicht länger angemessen. Viele junge Leute, die sich dem Dienste am Reich Gottes weihen wollen, fühlen sich nicht dazu berufen, all diese Rollen auf einmal auszufüllen, und sie sind unwillig, in ein Seminar zu gehen, welches zu dieser Art „klerikalen Priestertums“ führt.

Zitat: Glücklicherweise gibt es Alternativen. Damit jede örtliche Gemeinde die Dienste erhält, die sie benötigt, sollte man Leute, die sie ausfüllen können, aus den eigenen Reihen aussuchen. In unserer modernen westlichen Gesellschaft gibt es viele fähige Christen, deren Talente nicht genutzt werden. Große Anstrengungen wurden bereits unternommen, um Teile des Dienstes („ministry“) der Katechese Laien zu übertragen, den Müttern und Vätern der Kinder und Heranwachsenden. Es gibt heute auch einige Laien mit genügend Kenntnis der hl. Schrift, daß sie sie der Gemeinde erklären können. Noch einfacher wäre es, Laien zu finden, Männer und Frauen gleicherweise, die die Verwaltung der Liturgischen Feiern, der Gemeinde, von Betgruppen usw. übernehmen könnten. Schließlich könnte der Bischof als Vorsteher der Eucharistie in den örtlichen „Unter-Gemeinden“ und den Sonntäglichen Versammlungen, über die wir gesprochen haben, einen Familienvater einsetzen, der seine Kinder wohl erzogen hat und nach den Worten des hl. Paulus von allen geachtet und geeignet ist, durch die Weihe zum Priester das Zeichen der Einheit zu werden. Darüberhinaus steht ja die Frage der Weihe von Frauen zu Ämtern, die bis jetzt ausschließlich Männern vorbehalten sind, glücklicherweise in der Kirche noch zur Diskussion offen.“ (71)

Mit Genugtuung stellt Gelineau einerseits fest, daß der Priestermangel vielerorts schon zur Einführung neuer priesterloser Liturgien geführt habe, in denen Laien aus der Gemeinde die Liturgischen Dienste der Wortverkündigung, des Gebetes und des Gesanges sowie der Kommunionausteilung übernehmen, allerdings schränkt er ein: „Wir haben immer noch ziemlich viele Priester. Vielleicht sind es zu viele, als daß sich die Dinge schnell ändern könnten.“ Von daher ist die Einstellung Gelineaus zu dem so erreichten Stand der Dinge zwiespältig. Einerseits notiert er befriedigt, diese liturgischen Versammlungen „lassen ein völlig neues Bild einer kirchlichen Versammlung entstehen, weil sie wahrhaft selbst-verwaltende Einheiten sind. Sie können viel dafür tun, um den Weg für zukünftige Weiterentwicklungen zu bahnen.“ Andererseits glaubt er, daß sie keine wirkliche Lösung bieten, sondern die realen Probleme eher überdecken. Und das eigentliche Ziel sieht so aus:

Zitat: „In vielen unserer Gemeinden könnte man leicht Christen (im Englischen „Christians“, geschlechtsneutral) finden, die für die Weihe zum Priestertum oder zum Diakonat geeignet sind. Das wäre die für das Leben der Kirche geeignetere Lösung.“ (73)

Gelineau schließt diesen Abschnitt seines Buches mit einer Bemerkung, die auch für den Schluß dieser Betrachtung eines der wirkungsmächtigen „Hermeneutikers des Bruches“ geeignet erscheint:

Zitat: Es könnte so aussehen, als ob wir uns weit von unserem Ausgangspunkt der Liturgie entfernt hätten, aber das ist nicht so. Die Liturgie ist das Herzstück des Lebens der versammelten Gemeinde. Aber die Entwicklung dieser Gemeinden wird dadurch behindert, daß Aufgaben, die von Gemeindemitgliedern übernommen werden könnten und übernommen werden sollten, nicht ihnen übertragen werden. Viele unserer Wünsche für die versammelte Gemeinde und ihre Feiern werden unerfüllt bleiben, wenn das Volk Gottes und seine Hirten die prophetischen Zeichen der Dienste und Charismen in der Kirche nicht aufnehmen.“ (74)