Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Zur Bedeutung des Motu Proprio „Summorum Pontificum“

Tradition und Glaubensbewußtsein in der Liturgie

14. 2. 2009

Der hier besprochene Artikel von Pfarrer Stefan Hartmann erschien in der Februar-Ausgabe des Vatican-Magazin. Er versteht sich als Antwort auf den Artikel von Pfarrer Guido Rodheudt, ebenfalls im Vatican-Magazin, den wir hier bereits online anbieten. Wir haben vom Verlag freundlicherweise die Genehmigung zur Nachveröffentlichung des Textes von Pfarrer Hartmann erhalten - hier ist er.

Nachdem das Vatican-Magazin im Dezember Pfarrer Guido Rodheudt Raum für ein fulminantes Plaidoyer für die „Alte Messe“ gegeben hatte, war es wohl unvermeidlich, nun auch eine Gegenstimme zu Wort kommen zu lassen: „Die erneuerte Messe kommt dem Wesen des Christentums näher, von Stefan Hartmann“. Beim Lesen haben wir uns einigermaßen gewundert: Ist das wirklich alles, was heute noch zur Verteidigung der Neuordnung der Liturgie zu sagen ist?

Hartmann wirft Rodheudt vor, primär über Geschmacksfragen gesprochen zu haben und stellt den Anspruch, den Disput um die Liturgie „auch vor das pastorale und theologische Gewissen zu tragen“. Ein hoher Anspruch, der leider an keiner Stelle eingelöst wird.

Zunächst bemüht er sich darum, die neue Form der Liturgie als ein „über lange Zeit aus der Überlieferung organisch gewachsenes liturgisches Gefüge“ darzustellen. Dazu zählt Hartmann zwar all die glanzvollen Namen der Träger der liturgischen Bewegung auf – von den Inhalten erwähnt er aber wenig mehr als die Schlagworte „Benediktinertum“ und „Mysterientheologie“. Daß diese Bewegung aber nach 1950 einen unheilvollen Bruch erlitt, erwähnt er mit keinem Wort. Statt die Gründungsmythen des deutschen Liturgischen Instituts weiterzuerzählen, sollte er vielleicht einmal einen Blick in neuere angelsächsische Fachliteratur werfen, empfohlene Autoren wären etwa Jonathan Robinson oder Alcuin Reid. Es hat in der liturgischen Bewegung und im liturgischen Denken einen tiefgehenden Bruch gegeben, und dieser Bruch reproduziert sich zunächst in der neuen Messordnung von 1969, vor allem aber in deren konkreter Umsetzung.

Wir können und wollen hier nicht Punkt für Punkt auf den Versuch Hartmanns eingehen, seinerseits Punkt für Punkt auf Rodheudt zu antworten. Wir greifen zunächst nur zwei im übrigen eng miteinander verbundene Hauptaspekte seines Denkens und seiner Argumentationsweise auf: Hartmanns vollständiges Unverhältnis zur Tradition und seine bemerkenswerte Fähigkeit, das, was sein sollte, als das auszugeben, was ist.

Tradition – was ist denn das?

Hartmanns liturgisches Bewußtsein reicht an keiner Stelle vor die Zeit der liturgischen Bewegung zurück; daß bestimmte Riten und liturgische Praktiken weit über 1000 Jahre lang Beten und Glauben der Kirche sowohl bestimmten als auch repräsentierten, spielt für ihn keine Rolle. Daß tiefgreifende Veränderungen in der äußeren Form (und ein „ordentlicher“ Gottesdienst nach der neuen Ordnung sieht nun einmal völlig anders aus und hört sich völlig anders an als eine hl. Messe vor 50 Jahren) nicht ohne Rückwirkungen auf den Inhalt denkbar sind und auch solche Änderungen voraussetzen, kommt ihm nicht in den Sinn.

Aber für Geschichte und Entwicklung hat Pfarrer Hartmann offenbar kein Sensorium. Im letzten Absatz seines Artikels, den er doch wohl mit besonderem Nachdruck ausgestattet sehen wollte, überrascht er den Leser mit der abenteuerlichen Behauptung, die erneuerte Liturgie sei „stärker missionarisch-zentrifugal und damit dem Wesen des Christentums entsprechender als eine mehr nach innen gerichtete traditionsgebunden-zentripetale Form“. In welcher Zeit und mit welcher Liturgie hat denn die Kirche die Welt missioniert und das Evangelium an die fernsten Enden der Erde getragen? Und ist es ein Zufall, daß Missionstätigkeit, die über „Brot für die Welt“ hinausgeht, etwa zeitgleich mit der Einführung der Neuen Liturgie praktisch zum Erliegen gekommen ist? Das einzig „zentrifugale“ an der erneuerten Liturgie besteht darin, daß sie heute an so ziemlich jedem Ort der Welt anders aussieht – selbst wenn diese Orte manchmal nur wenige Kilometer auseinander liegen. Verständnislosigkeit gegenüber Tradition und Geschichte gehen hier zusammen mit der Fähigkeit, die Realität zu verdrängen und durch Wunschbilder zu ersetzen.

Liturgie beginnt für Hartmann bei den heute tonangebenden Autoritäten; für die Begründung der – wir müssen daran erinnern – durch Ungehorsam ertrotzten und nur als Ausnahmegenehmigung erlaubten Handkommunion zitiert Hartman Balthasar Fischer, der immer davon gesprochen habe, „daß die Hand beim Empfang der Hostie einen Thron für den sich schenkenden König formt“. Mag ja sein, daß B. Fischer wie viele andere auch diese Rede aufgegriffen hat, aber geprägt hat diesen Vergleich Eusebius von Caesarea vor 1700 Jahren, und alles, was wir aus seiner Beschreibung des Kommunionempfanges wissen, deutet darauf hin, daß die Kommunikanten damals noch wußten, was ein Thron und was ein König ist. Bei vielen, die heute im Sonntagsgottesdienst gewohnheitsmäßig und in entspannter Haltung nach vorne gehen, um ihre Hostie abzuholen, muß man daran zweifeln.

Versus populum – versus Deum

Zur Zelebrationsrichtung schreibt Hartmann: „Wenn ein Priester am Volksaltar – meinetwegen „versus populum“ - die Eucharisitei feiert, dann schaut er, wenn die Augen nicht betend geschlossen sind, ins Messbuch, auf die eucharistischen Gestalten oder auf das auf dem Altar liegende Kreuz, aber doch nie in die Gesichter der in der Regel kniend betenden Gemeinde“. Wir kennen weder Hartmanns Zelebrationspraxis noch die Gewohnheiten seiner Gemeinde – aber wir kennen viele Zelebranten, die sichtbar um Augenkontakt und „einladende“ Mimik gegenüber der Gemeinde bemüht sind. Wir kennen Seminaristen, denen von Regens oder Ortsbischof bitter angekreidet wurde, daß sie keinen Augenkontakt suchten, und wir kennen weitaus mehr Kirchen, in denen es keine Kniebänke mehr gibt, als solche, in denen die Gemeinde „in der Regel kniend“ betet.

Vor allem aber kennen wir viele Gläubige, die die weder vom Konzil gewollte noch von der Liturgiereform vorgeschriebene Umkehrung der Altäre mit all ihren Begleiterscheinungen als einen scharfen Bruch nicht nur altehrwürdiger Tradition, sondern auch mit elementaren Glaubensinhalten verstanden haben, verstehen mußten, weil man es ihnen so präsentiert hat: An allzuvielen Orten ist in der liturgischen Realität nichts mehr vom Kreuzes- und Erlösungsopfer Christi zu spüren und nur noch vom Freundschaftsmahl zu hören. Die Absichten Papst Pauls VI. bei der Promulgation des „ordentlichen Form“ des Ritus der Kirche sind das eine – die Realität, die glaubenschwache Liturgiker daraus entstehen ließen, etwas anderes.

Genau diesen Unterschied vermag Hartmann, der ansonsten doch sensibler gegen anti-orthodoxen Strömungen ist, im liturgischen Bereich anscheinend nicht zu erkennen. Mit erstaunlicher Buchstabengläubigkeit hält er Wünsche und Hoffnungen der Kirchenväter der Liturgischen Bewegung für Ausweis der Realität. Ziemlich unvermittelt holt er ein Zitat Josef Jungmanns aus dem Zettelkasten: „Die lebendig gefeierte Liturgie ist durch Jahrhunderte die wichtigste Form der Seelsorge gewesen“, um dann fortzufahren: „Wie kann dann ein Satz fallen, daß am Volksaltar 'Zelebranten in ihr Publikum grinsen', und wie kann die Forderung erhoben werden, dass sich andächtige Kinder etwa beim Vater-Unser-Gebet nicht um den Altar stellen dürfen? Wenn ein einzelner Zelebrant sich als „Kasper“ aufführt, kann dies doch nicht den Ritus insgesamt in Frage stellen.“

Was hat bitteschön das eine mit dem anderen zu tun? Wo sind denn die „andächtigen Kinder“, wenn bei diesem Ringelpietz im Altarraum meistens hilfloses Gestolpere ausbricht, und im Publikum begeistert getuschelt wird: „Da, rechts, unsere Vanessa-Amelie!“ Vor allem aber: Was hat dieser theatralische Auftritt mit dem „Ritus“ zu tun? In keinem der offiziellen liturgischen Bücher, auch nicht den allermodernsten, ist davon die Rede – nach wie vor gilt der Grundsatz, daß alle Gläubigen das, und nur das tun sollen, was ihnen nach ihrer Position und Aufgabe im Volk Gottes zukommt.

Gottesdienst oder Pastoralliturgie?

An solchen Stellen wird erkennbar, was den Ritus Modernus tatsächlich in Frage stellt: Die oft geradezu bedingungslose Bereitschaft, zu tun, was gefällt – bei Hartmann vornehm ausgedrückt als „Berücksichtigung von Seelsorge und Kerygma“. Liturgie nicht mehr als von der Kirche Jesu Christi geregelter Gottes-Dienst, sondern als letzte verbliebene Schrumpfform pastoralen Bemühens nach Fassungskraft und Aufnahmebereitschaft der Gemeinde. Nicht, daß die Liturgiereform mit Ausnahme einiger ihrer Proponenten das so gewollt hätte, aber die tatsächliche Entwicklung hat – Pfarrer Hartmann bezeugt es in seinem Artikel an vielen Stellen – an vielen Orten genau dahin geführt. Sie ist als Fehlentwicklung zu erkennen und entsprechend zu korrigieren.

Zum Schluß noch zwei Einzelpunkte, die uns bei der Lektüre besonders irritiert haben und unsere Zweifel an der Sachkunde des Verfassers erheblich verstärkt haben. Einmal behauptet Hartmann, mit Summorum Pontificum sei „ein zu früh ausgegrenzter 'alter Strom' probeweise wieder eingeführt“ worden. Das ist – von dem in der Tat beklagenswerten Faktum der Ausgrenzung abgesehen – sachlich unzutreffend. Summorum Pontificum hat klar gestellt, daß der alte Ritus nie „abgeschafft“ worden ist und auch nicht „abgeschafft“ werden kann. Summorum Pontificum erteilt die von den Ortsbischöfen unabhängige Freigabe des Ritus für alle Priester der römischen Kirche nicht „ad experimentum“, sondern auf Dauer. Im kommenden Jahr steht lediglich eine Würdigung der bis dahin mit der Umsetzung des Motu Proprio gemachten Erfahrungen an – da werden Bischöfe, die sich dem Gesetz der Kirche widersetzt haben, einiges zu erklären haben.

Dann eine bemerkenswerte Aussage ganz am Schluß des Artikels. Wir haben aus dem letzten Absatz von Hartmanns Artikel bereits die Beschreibung der alten Liturgie als eine „mehr nach innen gerichtete traditionsgebunden-zentripetale Form“ zitiert und dann das Zitat abgebrochen. Der Satz geht aber weiter: „eine ... Form, die eher dem jüdischen Religionsverständnis korrespondiert.“ Das überrascht zunächst: Halten wir uns „seit dem Konzil“ nicht soviel darauf zugute, daß die Juden „unsere älteren Brüder“ seien, verbunden im gemeinsamen Glauben an den Gott Abrahams? Wie kann man da etwas abstoßen wollen, was diese Verbundenheit ausdrückt?

Was uns mit den Juden verbindet

Hartmann berührt hier einen ganz wesentlichen Punkt. Es gab in der Geschichte Elemente eines christlichen Antijudaismus, und der hat zu manchen Zeiten und an manchen Orten tatsächlich dazu geführt, daß Juden am Karfreitag besser nicht auf die Straße gingen; er kommt insoweit auch als eine von vielen Quellen des modernen Antisemitismus infrage. Es gab jedoch auch ein lebendiges Bewußtsein von Kontinuität über die Ablösung („et antiquum documentum novo cedat ritui“, Thomas von Aquin) des Alten durch den Neuen Bund hinaus, und nirgendwo kam dieses Kontinuitätsbewußtsein so deutlich zum Ausdruck wie in der alten Liturgie, die in Gesang, Gebeten und auch manchen äußeren Formen bis auf den Kult im Tempel zu Jerusalem zurückreicht. Unüberbietbar ausgedrückt ist diese Kontinuität im supra quae des Canon Romanus:

ZitatSchaue huldvoll darauf nieder mit gnädigem und mildem Angesichte, und nimm es wohlgefällig an, wie Du einst mit Wohlgefallen angenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners, das Opfer unseres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die Makellose Gabe, die Dein Hoherpriester Melchisedech Dir dargebracht hat."

Der Canon Romanus, der nach dem Willen der Liturgiereformer ganz aus der Messe gestrichen werden sollte, ist zwar auf ausdrückliche Anordnung von Papst Paul VI. erhalten geblieben, spielt jedoch in der liturgischen Realität und im „Glaubensbewußtsein“ zumindest in Deutschland heute keine Rolle mehr. Offiziell getilgt wurden die beiden in der alten Messe enthaltenen Psalmen 42 und 25 sowie zahlreiche weitere Gebetsfragmente alttestamentarischen Ursprungs. Vom jüdischen Religionsverständnis hat sich der Novus Ordo in der Tat weitestgehend emanzipiert: Vor das Opfer tritt die Versammlung der Gemeinde. Stellt sich die Frage, welchem Religionsverständnis die neue Liturgie nach der Ansicht von Interpreten wie Hartmann denn dann folgt und folgen sollte.


Herr Pfarrer Hartmann hat uns eine kurze Replik zukommen lassen, die wir gerne weitergeben:

Soeben habe ich Ihre Kritik an meinem Artikel lesen können. An keiner Stelle erwähnen Sie (ohne sich namentlich zu offenbaren), was ich alles Positives zum Geltenlassen des außerordentlichen Ritus geschrieben habe. Sie betreiben wie der Autor Rodheuth das spaltende "entweder-oder", das der Heilige Vater gerade nicht will. Sie wollen aus einem außerordentlichen Ritus einen ordentlichen machen, auch das widerspricht eindeutigen Worten des Papstes.

Die Frage der Tradition im allgemeinen habe ich nicht behandelt, Ihre Kritik ist daher eben nur als "traditionalistisch" zu bezeichnen. In der Tat ist das Judentum aufgrund seines Traditionalismus nicht missionarisch. Das Christentum ist es - aber aus dem Judentum, aus Israel heraus in die Welt der Völker, der Heiden (selbstverständlich kann und darf es keine christliche Judenmissionierung geben!). Heute ist der Gedenktag der Europapatrone Cyrill und Method, die das Latein durch die slawische Liturgiesprache ersetzten. Die Zurückdrängung des Latein zugunsten der Volkssprachen hat missionarische (und pastoral-katechetische) Gründe!

Wo ich von "altem Strom" rede, berufe ich mich auf Kardinal Ratzingers Trierer Rede vom Dezember 2003. Diese sollte Ihnen bekannt sein!

Über Ihre sonstigen verbalen Rempeleien will ich hinwegsehen

Seien Sie nach Berlin gegrüsst von einem Landpfarrer "normaler Katholiken":

Dr. Stefan Hartmann