Der Kampf um das Konzil
Noch einmal Bischof Trelle:
Sentire cum Ecclesia?
23. 2. 2002

Bischof Trelle von
Hildesheim
Zunächst hielten wir Bischof Trelles Ansage, „theologisch“ stünde die Pius-Bruderschaft der katholischen Kirche zwar näher als die Protestanten, aber „gefühlt bin ich jedem Lutheraner näher als den Pius-Brüdern“ (Braunschweiger Zeitung), für eine treffende Beschreibung der Stimmungslage im deutschen Episkopat. Inzwischen sind wir ins Grübeln gekommen, und das nicht nur deswegen, weil der Bischof ja in seinem Interview mit der Braunschweiger Zeitung recht unmißverständlich ausspricht, daß für ihn die Gefühlsseite bei der Bestimmung des Verhältnisses zur Piusbruderschaft wichtiger ist als die theologische: „Ich sehe keine Möglichkeit einer Annäherung, weil ich sie so nicht will.“
Theologie und Kirche als „Wille und Vorstellung“? Zumindest in der Universitätstheologie deutet vieles darauf hin, daß dort auch theoretisch eine große Nähe zu den Protestanten gewollt ist. Dazu muß man nicht erst Gotthold Hasenhüttl bemühen, der die Ausbildung mehrerer Generationen von Theologen und Religionslehrern beeinflußte, bevor er 2003 wegen seiner praktizierten Nähe zum Protestantismus (Interkommunionsfeier auf dem Berliner Kirchentag) als Priester suspendiert wurde und endlich 2006 auch die kirchliche Lehrerlaubnis verlor.
Wie protestantisch in jedem Sinne des Wortes es in den angeblich katholischen theologischen Fakultäten zugeht, beleuchtete dieser Tage erst wieder das Schlaglicht der Auseinandersetzung zwischen Bischof Gerhard Müller von Regensburg und den Theologieprofessoren Heinz-Günther Schöttler, Burkard Porzelt und Sabine Demel. Und dabei ist die von den Regensburger Theologen unterzeichnete Petition, die das 2. Vatikanische Konzil gegen den Papst wenden will, wie die Süddeutsche Zeitung zu recht bemerkt hat, bei weitem nicht die schärfste Stellungnahme gegen die päpstliche Entscheidung, die in diesen Wochen von einer theologischen Fakultät veröffentlicht wurde. Außerdem ist diese Protestiererei gegen Rom alles ganz und gar nicht neu – gerade in diesen Tagen ist die seinerzeit von 220 Theologieprofessorinnen und -professoren überwiegend des deutschsprachigen Raumes unterzeichnete „Kölner Erklärung: Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität“ (Download) 20 Jahre alt geworden. Die Universitätstheologie ist von ihrem Auftreten her seit langem gut „protestantisch“, und was von ihren Inhalten zu sagen ist, hat der bekannte katholische Theologe Prof. Dr. Karl Lehmann schon vor Jahren auf die Formel gebracht, der feuerspeiende Antisemit Martin Luther sei der „gemeinsame Lehrer unserer Kirchen“. (Quelle)
Wenn Bischof Norbert Trelle nun also davon spricht, „theologisch“ stehe die Priesterbruderschaft der Kirche näher als die Protestanten, meint er schwerlich das, was an den meisten Lehrstühlen als „Theologie“ gelehrt wird. Vielleicht meint er ja das Lehramt der Kirche, von dem sich diese Universitätstheologie – unter wohlwollender Duldung der Bischöfe – auch inhaltlich immer weiter entfernt hat, und dem übergeordnet zu sein die in der Tat „protestantische“ Professorenschaft katholischer Fakultäten seit über 40 Jahren lautstark beansprucht. Und auch bei Bischof Trelle scheint dieses Lehramt da, wo es mit seinem „gefühlten Glauben“ kollidiert, kein sonderlich hohes Gewicht zu haben: „Ich sehe keine Möglichkeit einer Annäherung, weil ich sie so nicht will.“ Auch im theologischen Denken hat das protestierende und reformatorische Element das faktische Übergewicht.
Das Wort von der „gefühlten Nähe“ zu den Protestanten bietet darüberhinaus – und hier können wir ehrlich aufatmend wieder den Bogen zu unserem Thema Liturgie schlagen – einen Schlüssel zum Verständnis der Auseinandersetzungen um die Liturgie im Allgemeinen und um Summorum-Pontificum im besonderen. Häufig wird gegen die „erneuerte“ Liturgie – zumindest in ihrer praktizierten Form – der Vorwurf erhoben, sie sei „protestantisiert“ worden, ein Vorwurf, der dann stets empört zurückgewiesen wird. Das Bekenntnis des Bischof Trelle von der größeren gefühlten Nähe zu den Protestanten läßt die Sache in einem anderen Licht erscheinen.
Jahrzehntelang hat man sich bemüht, die „lex orandi“, die Weise der heiligen Feier, mehr an reformatorischen Vorbildern als an denen der abgestoßenen katholischen Tradition auszurichten. Das begann schon vor dem letzten Konzil mit dem Übertünchen der Heiligenbilder, die ehedem als Abglanz des himmlischen Jerusalem den Altar umgaben und setzte sich dann fort mit dem Übergang vom festlichen Opferaltar zum nüchternen Mahltisch, dem alle Attribute genommen wurden, die zuvor als ausdrucksstarke Zeichen des Glaubens dienten: Der Tabernakel, das beherrschende Kruzifix, die aufgereihten Kerzen und oft genug sogar die Altartücher; stattdessen: der Vorsteher in Mantelalbe und Überstola. Begleitet wurde der Vorgang von der „demokratischen Öffnung“ des Allerheiligsten: Entfernung von Chorschranken und Kommunionbänken, Einebnung der Golgotha-Stufen, Gleichordnung des Altares mit möglichst vielen anderen Plätzen wie Ambo, Priestersitz, Taufstein, Bevölkerung des früheren Allerheiligsten mit möglichst vielen Aktivisten, vorzugsweise Frauen, die dem Geschehen um den Altar die Anmutung einer Team-Leistung verliehen.
Selbst wo die Gebete unverändert blieben – was oft genug auch nicht der Fall war – vermittelten die Sinne allen Teilnehmern der so gestalteten Eucharistiefeier viel mehr den Eindruck der Übereinstimmung mit dem, was in einer protestantischen Abendmahlsfeier vor sich geht, als mit dem heiligen Messopfer, in dem die katholische Kirche seit anderthalb Jahrtausenden das Erlösungsopfer Christi vergegenwärtigte. Und machen wir uns nichts vor: Diese Übereinstimmung war oft ausdrücklich gewollt, sie wurde in vielen Fällen durch weitere Zeichen vom Kanzeltausch bis zur Vorspiegelung einer konfessionsübergreifenden Konzelebration oder Interkommunion nachdrücklich unterstrichen.
Das Geheimnis der Riten besteht darin, daß sie wirken. Lex orandi – lex credendi ist eine uralte Weisheit der Kirche, die sie übrigens mit zahlreichen anderen Religionen gemeinsamen hat. Nicht nur was wir beten, ist Ausdruck unseres Glaubens, auch wie wir beten, spielt bei der Ausprägung des Glaubens eine gewaltige Rolle. Die verbale Bekräftigung des Glaubens an die wirkliche Präsenz Christi in den gewandelten Gaben verblaßt neben einer körperlich erfahrenen Wirklichkeit, in der der Tabernakel keine Rolle mehr spielt, Kniebeugen als „unemanzipiert“ gelten und die Akteure bei ihren Geschäften im Altarraum gar nicht mehr bemerken, daß es der HERR ist, dem sie da den Rücken zuwenden.
Das in der körperlichen Realität gelebte Bild des unter Leitung des Priesters im Prozessionszug zu Kreuz und Auferstehung pilgernden Gottesvolkes wird abgelöst vom geschlossenen Kreis, in dem sich Gemeinde und Vorsteher immer stärker aufeinander beziehen, einander berühren und miteinander dialogisieren. Wo die Gäste des himmlischen Gastmahls nicht mehr im Bild sichtbar sind und den leidenden Seelen im Zustand der Läuterung keine Gebete und Kerzen gewidmet werden, reduziert sich das Bewußtsein von der Gemeinschaft der Heiligen auf die Versammlung der Anwesenden. Das ist keine Theologie sondern simple Psychologie – mit der allerdings Theologie, oder muß man sagen: „Theologiepolitik“, gemacht wird. Und all das nicht nur ohne Grundlegung in den Dokumenten wie ein Fetisch angerufenen 2. vatikanischen Konzils, sondern teilweise in offenem Widerspruch dazu.
Die Folgen dieser Theologiepolitik zeigen sich in einem Episkopat, in dem Bischof Trelle ja bei weitem nicht der einzige ist, der vom Gefühl her den Protestanten zuneigt, während er sich von der „vorkonziliaren“ Kirche, wie sie ihm in der Gestalt der Piusbruderschaft zwar nicht in ihrer besten, aber einer doch authentischen Form entgegentritt, zutiefst abgestoßen fühlt. Und natürlich bleibt diese Abwendung vom Katholischen nicht auf die Emotionalia begrenzt. Lektüre und Umsetzung des Konzils in der Hermeneutik des Bruches haben ihre volle Wirkung getan, die katholische Identität und das „sentire cum ecclesia“ sind vielerorts in einer „gefühlten Ökumene“ (mit transreligiöser Tendenz) verschwunden – und die akademische katholische Theologie, die Katechese und der Glaubenssinn der Menschen zu großen Teilen ebenfalls. Als wirksam erfahren wird das neue, eine neue Kirche konstituierende Gefühl hauptsächlich auf der Ebene der Gemeinde der Ortskirche.
Der Papst und das von ihm verantwortete Lehramt erscheinen da nur noch als störende Fremdkörper, die Abstoßungsreaktionen haben bereits eingesetzt.