Kampffeld „Biritualismus“?
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- 03. Juli 2021
Das 40-minütige Video von Taylor Marshall enthält einige höchst wichtige Überlegungen zur anstehenden Neufassung von Summorum-Pontificum, die hier nur in geraffter Form referiert werden können. Jeder, dessen Englischkenntnisse auch nur halbwegs zureichen, sollte sich das Video unbedingt ganz anschauen – die automatische Transskription, die man in den „Einstellungen“ aktivieren kann, ist hilfreich zum Einhören. Eine der Aussagen betrifft den Inhalt der zu erwartenden Neuregelung. Dabei geht es „Rom“ – so Marshall – nicht darum, die alte Liturgie erneut „abzuschaffen“ – das würde Konflikte heraufbeschwören, die man dort aus vielerlei Gründen zumindest jetzt nicht will. Es geht auch nicht primär darum, den Zugang zur Liturgie, zumindest nicht für Laien, grundsätzlich einzuschränken. Erstrangiges Ziel wäre die „Domestizierung“ der überlieferten Liturgie, die sich wider Erwarten dem ihr vorausgesagten und verordneten Absterben verweigert. Dabei ginge es vor allem darum, den in letzter Zeit verstärkt sichtbar gewordenen Tendenzen zur Entstehung einer altrituellen „Parallelkirche“ einen starken Riegel vorzuschrieben. Marshall spricht hier von „exclusivity“ und „latin-mass only-ism“, die sich nach Ansicht der Kirchenführung in den „Gemeinden, vor allem aber den Gemeinschaften“ der überlieferten Form ausgebreitet hätten – emblematisch ausgedrückt in der Verweigerung von Konzelebration und „Biritualismus“.
Dieser Befund selbst ist schwerlich zu bestreiten. Die Frage allerdings welche Ursachen und Motive zu dieser Entwicklung geführt haben und ob es darunter nicht auch gute Gründe gibt, stellt Taylor zumindet in diesem Video nicht.
Daß solche Separierungstendenzen nicht nur eine Gefahr für den organisatorischen Zusammenhalt der Kirche darstellen, liegt auf der Hand. Es ist der Leib Christi selbst, der hier zerquält wird, und es stehen auch hier Seelen und ihr ewiges Heil auf dem Spiel. An einer Stelle spitzt Marshall zu: „Man kann auch in den Himmel kommen, wenn man eine Zeit lang an der Messe im Novus Ordo teilnimmt – wenn man sich gegen die Nächstenliebe versündigt und in Stolz und Hochmut verharrt, eher nicht.“
Das ist ein Punkt. Mit einigermaßem gutem Gewissen in die Spaltung einwilligen kann nur, wer die Kirche unter dem Papst bereits weitgehend verloren gegeben hat und ihren Repräsentanten den guten Willen oder zumindest die Fähigkeit abspricht, den Auftrag Christi an seine Jünger zu erfüllen: Weide meine Schafe, weide meine Herde. Auch hier wären wir dann wieder bei der Frage nach den Ursachen und Motiven hinter der Entwicklung, die bei vielen Altrituellen dazu geführt hat, Berührungen mit der „Konzilskirche“ ängstlich und mißtrauisch, manchmal aber auch überheblich, nach Möglichkeit zu vermeiden.
Die Feinde von Summorum Pontificum wollen den Krieg!
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- 29. Juni 2021
Paix Liturgique hat gestern seinen „Brief 805“ veröffentlicht, der weitere Informationen zur geplanten Einschränkung bzw. Abschaffung von Summorum-Pontificum enthält. Wir bringen eine teilweise geraffte Übersetzung.
In den kommenden Tagen oder Wochen wird es ein neues Motu Proprio geben“ erklärte der Erzbischof von Dijon, Minnerath, am 26. 6. einer Gruppe von Anhängern der überlieferten Liturgie, die dem Bischof ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen wollten. Aber bereits vor der Veröffentlichung dieses Dokuments – wenn es denn tatsächlich veröffentlicht wird – mehren sich die Informationen über die Absichten der Gegner des vorhergehenden Motu Proprio von Benedikt XVI.
So bekräftigte Staatsekretär Kardinal Parolin vor einer Gruppe von Kardinälen: „Wir müssen mit dieser Messe für immer Schluß machen!“.
Und Msgr Roche, der neue Präfekt der Gottesdienstkongregation erklärte lachend vor einer Gruppe römischer Seminarverantwortlicher und englischsprachiger Kurienmitarbeiter: „Summorum Pontificum ist praktisch tot. Wir geben in dieser Sache die Autorität an die Bischöfe zurück – aber bestimmt nicht an die konservativen Bischöfe.“
Es sei darauf hingewiesen, daß Bischof Minnerath, der mit den Feindseligkeiten gegen die traditionelle Gemeinde von Dijon begann, auch Mitglied der Glaubenskongregation ist und sich von daher jeden Monat in Rom aufhält und bestens mit den Kreisen vertraut ist, die den Angriff auf Summorum-Pontificum vorbereiten.
Das Motu proprio Summorum-Pontificum von Benedikt XVI im Jahr 2007 war ein Kompromiss, der mit großem Geschick eine Koexistenz zwischen der neuen Messe Pauls VI. und der tridentinischen Messe – man könnte auch sagen zwischen Feuer und Wasser – herbeiführte. Es steht nach all unseren Umfragen fest, daß dieser Friedensschluß von der großen Mehrheit des christlichen Volkes weithin begrüßt wurde, und zwar unabhängig davon, ob sie an der überlieferten Liturgie teilnahmen oder nicht.
Wie wir seit dem Auftritt des Papstes bei der italienischen Bischofskonferenz am Pfingstmontag wissen, wird der neue Text die Möglichkeiten der Diözesanpriester zur Zelebration der überlieferten Liturgie einschränken. Zusätzlich sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Priester der Ecclesia Dei-Gemeinschaften dazu zu bringen, auch die neue Messe zu feiern und diese neue Messe und das konziliare Lehramt insgesamt in die Ausbildung der Seminare dieser Gemeinschaften einzubeziehen.
Ein zweiter Teil des „Briefs“ steht unter der Zwischenüberschrift: Die Verfechter der Liturgiereform sind sich der Bedeutung der traditionsorientierten Welt bewußt geworden. Im Zentrum dieses Abschnitts steht auch die hier schon mehrfach mitgeteilte Beobachtung, daß die traditionsorientierten Gemeinden einigen der wenigen Bereich der Kirche bilden, in dem es Wachstum gibt, während die „konziliaren“ Strukturen sich teilweise im freien Fall befinden. Bemerkenswert die Feststellung von Paix Liturgique, daß hier eine römische Gruppe führend sei, die sich offen zur Hermeneutik des Bruches bekennt und davon ausgeht, die alte und die neue Messe stünden für zwei unvereinbare Stadien der Lehre.
Der dritte Abschnitt „Tauben und Falken“ versucht einen Blick auf die innerrömischen Frontverläufe zu werfen, die längst nicht mehr so eindeutig sind, wie das vor einigen Jahren scheinen mochte. Auch unter den „Modernisten“ wächst die Gegnerschaft zur chaotischen Amtsführung des gegenwärtigen Pontifex, und auch unter denen, die sich der Reformliturgie verschrieben haben, gibt es Stimmen, die davor warnen, in der gegenwärtigen labilen Situationen im Kampf gegen die Traditionalisten eine neue Kampflinie zu eröffnen.
Den vierten und abschließenden Teil „Eine Front der Verweigerung bereitet sich vor“ übersetzen wir wieder vollständig:
Wie der Lärm erkennen läßt, der durch die Enthüllungen zur Änderung von Summorum Pontificum ausgelöst wurde, bereitet sich eine Front der Verweigerung vor. Geht es zurück in die Situation der 70er Jahre, als das neue Messbuch Pauls VI. eingeführt wurde? Nur mit dem Unterschied, daß die römischen Institutionen und die nationalen Episkopate heute weitaus schwächer sind.
In Dijon können die Priester der Diözese und die Gläubigen, die überhaupt noch die Kirche besuchen, die ihnen unverständliche Politik des Erzbischofs nicht nachvollziehen. So wird wahrscheinlich auch die Reaktion des ganzen christlichen Volkes aussehen: Unverständnis. Warum die alten Wunden wieder aufreißen? Warum in der Ökumene nach Außen schwelgen, ihr aber im Innern eine Absage erteilen? Warum so wenig Barmherzigkeit zeigen?
Und das alles in einem Umfeld des dramatischen Niedergangs des Katholizismus. Andrea Riccardi, Hauptvertreter der Gemeinschaft Sant‘Egidio, der nun wirklich das Gegenteil eines Konservativen ist, hat in einem kürzlich erschienenen Buch den Brand von Notre Dame in Paris als ein Symbol für das bevorsehende Erlöschen der Kirche als gesellschaftliche Kraft beschrieben. La Chiesa bruccia, die Kirche brennt – Krise und Zukunft des Christentums. Land für Land in Europa ergibt seine Analyse den Zusammenbruch des Katholizismus. In seinen Schlußfolgerungen äußert er natürlich unvermeidlicherweise auch einige Hoffnungen der Art „Die Krise ist nicht das Ende“. Aber zuvor kommen einige ziemlich vergiftete Sätze: „Viele Katholiken sind aus der Begeisterung für Bergoglio in Desillusionierung übergegangen“ oder „Die Lösung wird nicht von (Struktur-)Reformen kommen und dabei stellt er auch fest: Der Traditionalismus stellt innerhalb der Kirche eine bedeutende Realität da, und das sowohl organisatorisch als auch den Inhalten nach“.
Man verspricht den Katholiken, die der überlieferten Form der hl. Messe anhängen, die Auslöschung - „Wir müssen mit dieser Messe für immer Schluß machen!“ (Kardinal Parolin), und „Summorum Pontificum ist praktisch tot.“ (Erzbischof Roche). Die traditionellen Katholiken stehen vor schweren Zeiten, falls ihnen die römische Duldung und mehr oder weniger auch die Duldung durch die Bischöfe entzogen würde. Aber glaubt irgend jemand, das würde sie zur Aufgabe bringen? Es könnte gut sein, daß in der sich nun vorbereitenden Machtprobe die Wächter der Konzilsliturgie am meisten zu verlieren haben.
Kommuniqué der FSSP zur Ausweisung aus Dijon
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- 22. Juni 2021
(Original veröffentlicht am 18. Juni, private Übersetzung)
Die Priesterbruderschaft vom hl. Petrus hat die Mitteilung zur Kenntnis genommen, die am 17. 6. auf der Website der Diözese Dijon veröffentlicht worden ist. Sie bedauert sehr, daß ein derartiger Kommunikationsmodus gewählt wurde, aber da ein direkter Austausch mit dem Erzbischof von Dijon nicht möglich ist, müssen wir nun zur gleichen Art der Kommunikation greifen, um einige Klärungen vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 17. Mai wurden wir, ohne daß dem irgendeine Beratung vorausgegangen wäre oder Gründe angegeben worden wären, darüber informiert, daß die Priester der Bruderschaft die Diözese Dijon verlassen müssen. Wir können nicht verstehen, warum Erzbischof Roland Minnerath sich weiterhin weigert, unsere Oberen zu einem Gespräch zu empfangen oder die Angelegenheit mit ihnen zu diskutieren.
Das Mitteilung der Diözese behauptet, daß die Bruderschaft ihre Priester ohne Konsultation in die Diözese versetzt hätte und daß ein zweiter Priester gegen den Willen des Erzbischofs eingesetzt worden wäre. Die Bruderschaft möchte daran erinnern, daß sämtliche Priester, die sie seit 1998 in die Diözese entsandt hat, jedes mal und ohne Ausnahme zuvor dem Erzbischof vorgeschlagen und von ihm akzeptiert worden sind. In seinem Brief vom 22. 3. 2017 hat Erzbischof Minnerath an den Oberen der Petrusbruderschaft in Frankreich geschrieben: Sie wünschen einen Priester der Bruderschaft zur Unterstützung von P. Bruno Stemler bei seiner Tätigkeit zu entsenden, der mit ihm entsprechend ihren Regeln ein Leben in brüderlicher Gemeinschaft führen soll. Ich kann ihrer Entscheidung nur beipflichten und bin erfreut, daß mit Beginn des neuen Schuljahres im September 2017 ein weiter Priester zur Verstärkung in unsere Diözese kommt.
Jedes mal, wenn ein Priester der Gemeinschaft in die Diözese entsandt worden ist, hat Bischof Minnerath sich zuvor mit ihm getroffen und über die Frage der Konzelebration gesprochen. Wenn er einen Priester der FSSP in seine Diözese ko9mmen ließ, war der Erzbischof voll über dessen Position zur Konzelebration informiert und hatte sie akzeptiert. Daher hat die FSSP in keinem Fall „ihren Priestern die Zelebration im regulären Ritus verwehrt“, sondern sie respektiert in dieser Angelegenheit den Willen ihrer Mitglieder und will damit in Sachen Konzelebration dem Gesetz der Kirche entsprechen, das anerkennt, daß die „Priester völlig frei sind, die Eucharistie individuell zu feiern“ (can. 902 CIC).
Die Frage der Konzelebration, die als ein unverzichtbares Zeichen der Einheit dargestellt wird, erforderte eine ausführlichere Behandlung als sie im Rahmen dieses Kommuniqués möglich ist. Die Bruderschaft des hl. Petrus ist zutiefst bekümmert darüber, daß die Feier eines Sakramentes (in diesem Fall der Eucharistie) als Bedingung für die Übernahme des Dienstes in einer Diözese instrumentalisiert wird.
Die Diözese behauptet außerdem, die Bruderschaft habe sich nicht an eine „Liste von Bedingungen“ gehalten. Unglücklicherweise liegt der Bruderschaft kein derartiges Dokument vor, es gibt nur einige Briefwechsel mit Bischof Minnerath. In einem davon, datiert auf den Mai 2019, spricht der Bischof sogar von den „umfassenden pastoralen Dienstleistungen der Ecclesia-Dei-Gemeinschaft“, die die Priester der FSSP erbringen sollen.
Schließlich betont die Mitteilung (der Diözese) noch die Anhänglichkeit der Gläubigen gegenüber den Priestern der Bruderschaft, die durchaus verständlich und sogar wünschenswert ist. (Die Diözese) kritisiert den Umstand, daß einige Gläubige ihren Platz angeblich außerhalb der diözesanen Kirche sehen. Die FSSP richtet ihre Arbeit am Wohl der Seelen in der einen Kirche Christi aus. Sie möchte daran erinnern, daß sie sich immer auf den Dienst an der Einheit der Kirche in ihrer legitimen Vielfalt verpflichtet sieht und so seit ihrer Gründung durch Papst Johannes Paul II. im Jahr 1988 für die Gemeinschaft der Gläubigen, die den alten liturgischen Formen verbunden sind, wirkt. Bis zu dieser Mitteilung vom 17. Juni 2021 hat die Diözese Lyon in keiner Weise den Dienst an der Einheit in Frage gestellt, den die örtlich tätigen Priester der FSSP leisten.
Die Bruderschaft möchte den verschiedenen Priestern, die über 20 Jahre lang für das Tätig waren, was ihnen nun zum Vorwurf gemacht wird, öffentlich danken. Sie haben stets Wert darauf gelegt, ein gutes Verhältnis zu den Diözesanpriestern zu haben, und haben insbesondere auch an den ihnen vorgeschlagenen gemeinsamen Treffen teilgenommen. Wie anderswo auch haben sie von ganzem Herzen für die Gläubigen, deren Fürsorge der Bischof ihnen anvertraut hatte, nicht nur die hl. Messe gefeiert, sondern auch all das angeboten, was daraus folgt oder die Gläubigen zur fruchtbringenden Teilnahme daran befähigt. Wie in den 146 anderen Diözesen weltweit, in denen die Priester der FSSP ihren Dienst verrichten, waren diese Priester immer um die Treue zu dem besonderen Charisma der Gesellschaft bemüht, das von der Kirche offiziell gutgeheißen worden ist.
Es erscheint anachronistisch, in einer Zeit, in der die Priesterzahl unaufhörlich zurückgeht, auf den Dienst von Zweien davon zu verzichten, weil sie angeblich nicht vielfältig genug einsetzbar sind (da sie nur eine Form der Liturgie feiern) und somit die Last für die Diözesanpriester noch weiter zu erhöhen.
Die Bruderschaft hofft, daß in den nächsten Wochen Gelegenheit zu Gesprächen mit der Diözese Dijon besteht, um eine gedeihliche Situation herbeizuführen.
„Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn.“ (1 Kor. 12, 4-5)
Das Problem Konzelebration
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- 19. Juni 2021
Kristallisationspunkt – nicht tiefere Ursache – der Unstimmigkeiten zwischen dem Erzbischof von Dijon und der Petrusbruderschaft, deren Präsenz im Bistum Bischof Minnerath von seinem Vorgänger geerbt hatte, war die Frage der Konzelebration. Offenbar hatte die Bistumsführung schon 1998 die Tätigkeit von Priestern der Bruderschaft davon abhängig gemacht, daß diese zumindest zur Chrisammesse des Gründonnerstags mit dem Erzbischof konzelebrierten, und die damaligen Oberen hatten dem in Art eines „Gentlemans Agreement“ zugestimmt. Von dieser Übereinkunft waren die Priester der Bruderschaft vor einigen Jahren abgerückt – unklar ist, ob sie sich wegen eines Führungswechsels in der eigenen Gemeinschaft daran nicht mehr gebunden fühlten, oder ob das Bistum die Anzahl der Konzelebrationsanforderungen erhöht hatte. (Quellen zu Dijon hier und hier)
Die Konzelebration gilt gemeinhin als eines der Markenzeichen der Liturgie nach dem Novus Ordo. Das ist nur bedingt richtig, denn die Möglichkeit zu häufiger Konzelebration, wie sie vom Konzilsdokument Sacrosanctum Concilium (Abs. 57) gefordert worden war, erfolgte bereits 1967 mit der Instruktion Eucharisticum Mysterium. Diese Instruktion bildete einen der vielen kleinen Schritte, in denen die im Konzept längst fertige reformierte Liturgie nach Verabschiedung von Sacrosanctum Concilium im Jahr 1963 quasi „schleichend“ umgesetzt wurde. Ein anderer dieser Schritte im gleichen Dokument war die Erlaubnis, das Sprechen von Teilen des Canons auf mehrere Konzelebranten zu verteilen und den damit notwendigerweise verbundenen lauten Vortrag dann auch auf Einzelmessen auszuweiten – damit war die tausendjährige Tradition der Kanonstille quasi im Nebensatz abgeschafft.
Für die Feier der heiligen Liturgie im überlieferten Ritus, als deren Standard die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt die Bücher von 1962 festgesetzt hatten, sind die Regelungen von Eucharisticum Mysterium nicht anwendbar.
Aber Rom schweigt
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- 17. Juni 2021
Zu der erwarteten „Neuinterpretation“ von Summorum Pontificum gibt es derzeit weder neue Informationen noch neue Gerüchte. Auch die Kommentierung (zusammengefasst verlinkt bei New Liturgical Movement) hat inzwischen wohl alle wesentlichen Gesichtspunkte und Einschätzungen vorgetragen. Gelegenheit also, gedanklich einen Schritt zurückzutreten und das Thema im größeren Zusammenhang zu betrachten. Ausgangspunkt dabei muß natürlich sein, daß wir es bisher nur mit Gerüchten zu tun haben – es kann auch ganz anders kommen, oder vielleicht auch gar nicht. Daß es sich bei alledem nur um einen Testballon oder eine „false flag operation“ handelt, wie sie von Fr. Zuhlsdorf (z.B. hier) ins Gespräch gebracht werden, halten wir für eher unwahrscheinlich.
Da ist es schon wahrscheinlicher, daß die seit Jahren andauernde Lobby-Arbeit der Gegner des Alten Ritus in Sant'Anselmo um Andrea Grillo schließlich gefruchtet hat und die Gottesdienstkongregation, vielleicht gemeinsam mit der Ordenskongregation, beim Papst den Auftrag zum Entwurf eines entsprechenden Dokumentes erwirkt hat. Beide Kongregationen achten mit Argusaugen darauf, daß die überlieferte Liturgie eine „Randerscheinung“ bleibt, und als die erst unter Papst Johannes Paul II gegründeten Franziskaner der Immakulata von der so vorgegebenen „Parteilinie“ abwichen und sich der überlieferten Liturgie (genauer gesagt war es eine Art Biritualismus) zuwandten, hatten sie keine Skrupel, diese schnell wachsende und in der Pastoral überaus erfolgreiche Gemeinschaft zu zerschlagen. Keinesfalls durfte sich hier ein häßlicher Präzedenzfall entwickeln. Eines der wenigen Dogmen, die niemand in der Kirche des 21. Jahrhunderts ungestraft leugnen darf, ist, daß es in der Liturgie keinen Weg zurück in die Zeit vor dem Konzil geben kann. Auch nicht als „Reform der Reform“ oder „gegenseitige Befruchtung“. Wie es Erich Honecker einige Jahre vor seinem Sturz so schön formulierte: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“.
Schon im Fall der Franziskaner der Immakulata war nicht nur die partielle Übernahme der überlieferten Liturgie durch die Bruderschaft Motiv für die scharfe Reaktion der Konzils-Wächter. Vielleicht noch mehr Anstoß erregte die Hinwendung beider Zweige des Ordens – die Schwestern nämlich ebenso – zur unverfälschten Lehre und Spiritualität der Tradition. Mehr noch als in der Liturgie, die von vielen Modernisten als etwas Zweitrangiges oder Äußerliches betrachtet wird, fürchtet der Modernismus die Tradition in der Spiritualität, in der Ekklesiologie und im Priesterbild (das freilich in der Liturgie seinen deutlichsten Ausdruck findet). Wie tief diese Abneigung geht – und wie stark die Kräfte sind, die sich darin einig sind – wurde im Jahr 2009 sichtbar, für das der damalige Papst Benedikt ein „Jahr des Priesters“ ausgerufen hatte. Als Beginn dieses Jahres hatte Benedikt die 150. Wiederkehr des irdischen Todestages und himmlischen „dies natalis“ des Pfarrers von Ars Jean Marie Vianney ausgewählt, und sein Schreiben zur Eröffnung des Priesterjahres kreiste ganz um das Lob und das Vorbild dieses in jeder Hinsicht „traditionellen“ Priesters. Damit stieß Benedikt in der Kurie und wohl auch im größeren Teil der Priesterschaft auf derartige Ablehnung, daß es ihm nicht möglich war, die geplante offizielle Ernennung des Heiligen zum Patron des Priesterjahres zu verkünden. Als die Franziskaner d. I. (FFI) sich in eine ähnliche Richtung zu entwickeln begannen, war ihre Vernichtung beschlossene Sache.
Der Umweg über die FFI und den verhinderten Patron des Priesterjahres führt zurück zu der auch von einigen Kommentatoren (z.B. Eric Sammons, teilübersetzt hier) angesprochenen Vermutung, daß die „Neuinterpretation“ von Summorum Pontificum vielleicht weniger darauf abzielt, den Zugang der Gläubigen zur überlieferten Liturgie einzuschränken, als darauf, die Bildung von Gemeinden und (Priester-)Gemeinschaften mit dezidiert traditioneller Orientierung in Lehre, Frömmigkeit und Spiritualität überhaupt zu verhindern.