Das Gewissen als Richtmaß
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- 15. Februar 2018
Unter der Überschrift: „In einer Periode moralischer Verirrungen müssen wir uns die wirkliche Bedeutung von ‚Gewissen‘ klar machen“, hat Msgr. Charles Pope – einer der aktivsten amerikanischen ‚Medienpriester‘ - dieser Tage einen Artikel im National Catholic Register veröffentlicht. Zentrum des Beitrages sind stark gerafft die Begriffsbestimmungen und Kommentare zum Thema in der Tradition des hl. Thomas von Aquin. Wir übersetzen hier die Einleitung zum Artikel, und einen Abschnitt, der es uns erlauben soll, bis zum Kern der aktuellen Krisensituation vorzustoßen.
Gegenwärtig ist viel von „Gewissen“ die Rede. Einiges davon geht auf die jüngsten Debatten über Ehe, Scheidung und Kommunionempfang zurück. Nach einer verbreiteten Ansicht sollte die Kirche das Gewissen der Menschen respektieren, auch dann, wenn diese im Gegensatz oder fern von ihrer Lehre leben. Nun kann man darüber diskutieren, was hier genau mit „respektieren“ gemeint ist, aber allzu oft bedeutet es, die Betreffenden in ihren irrigen Vorstellungen zu bestätigen.
Seinszweck der Kirche ist es, die Wahrheit zu lehren und den Irrtum zu bekämpfen. Es ist nicht unsere Aufgabe, aktuelle oder populäre Vorstellungen zu bekräftigen. Sie besteht auch nicht darin, die Ansichten der Zeit widerzuspiegeln. Unsere Aufgabe ist es, die Lehre unseres Hauptes und Gründers Jesus Christus zu verkünden. Jesus selbst hat gesagt: Wen ich liebe, den weise ich zurecht und nehme ihn in Zucht. Mach also Ernst und kehr um! (Offb 3,19). Wir alle bedürfen der ständigen Belehrung und dauernder Korrektur, do daß wir durch die Erneuerung unseres Bewußtseins umgeformt werden (s. dazu Römer 12,2). Die Kirche erweist denen, deren Gewissen sie in die Irre führt, daduch Respekt, daß sie sie in Liebe und Geduld belehrt.
Problematischer als die Bedeutung von „respektieren“ sind das sehr unbestimmte Verständnis und der vage Gebrauch von „Gewissen“. Begriffe, die eine eindeutige theologische Bedeutung haben, werden in der Alltagssprache oft in einem weiteren und weniger präzisen Sinn gebraucht. So weit so gut. Aber wenn wir in der Kirche von „Gewissen“ sprechen, müssen wir uns klarer ausdrücken als gegenwärtig üblich.Viele Menschen sehen gegenwärtig im Gewissen nicht mehr als eine bloße „Empfindung“ für richtig oder falsch. Noch schlimmer: Einige glauben, daß alles, was sie denken oder fühlen, von ihrem Gewissen geleitet ist. So kann z.B. jemand sagen „Mein Gewissen sagt mir, daß das, was die Kirche feierlich zu einer bestimmten Sache lehrt, falsch oder überholt ist und nicht mehr anwendbar ist.“. Wer so etwas sagt, verhält sich so, als ob seinem Gewissen eine Autorität zukäme, die selbst über dem göttlichen Gesetz steht.
Nichts davon hat im Geringsten mit dem tatsächlichen christlichen und katholischen Verständnis von Gewissen zu tun. Ich möchte hier einige Ausführungen aus der scholastischen Tradition darlegen, die klar aussagen, worum es beim Gewissen geht. ...
Die dann folgenden Ausführungen sind durchaus lesenswert. Wir beschränken uns in dieser Übersetzung jedoch auf einen Kernsatz, weil der in die Mitte der aktuellen Probleme führt.
Es ist richtig, daß man dem Urteil seines Gewissens folgen muß, doch die Autorität des Gewissens ist nicht unbegrenzt. Das Gewissen ist keine letzte und unwandelbare Autorität, es ist eher Schüler als Lehrer. Jeder ist verpflichtet, sein Gewissen durch Studium und die Verarbeitung von Erfahrungen zu formen.
Das Gewissen ist nicht unabhängig vom göttlichen Gesetz oder von gerechten Gesetzen und rechtmäßiger Autorität. Es beruht nicht auf privater Eingebung oder Interpretation. Das Gewissen stellt keine Gesetze auf. Die Aufgabe des Gewissens besteht darin, dem zu folgen, was Gott durch das Naturrecht, die Offenbarung und die Kirche zu bestimmten Dingen lehrt. Aufgabe des Gewissens ist nicht, diesem Gesetz zu zu widerstehen, sondern es anzunehmen und zu erfüllen.
Der Knackpunkt hier ist natürlich, daß als ein wesentliches (und für viele Menschen einzig praktisch handhabbares) Richtmaß angegebene ist: „Was die Kirche lehrt“. Wenn hohe und höchste Repräsentanten durch opportunistisches Schweigen, beifallheischende Zweideutigkeit oder Duldung der Wiederholung längst verurteilter Irrtümer auf die Ausübung ihres Lehramtes faktisch verzichtet, dann fällt dieses Richtmaß weg.
Dann nähern wir uns einer historischen Situation, wie es sie vielleicht noch nie gegeben hat, seit Gott die Propheten und schließlich seinen eingeborenen Sohn zu den Menschen gesandt, um sie in seinem Gesetz zu unterrichten.