„Sakramente in Zeiten von Corona“
- Details
- 19. Juni 2020
Die Theologin Marianne Schlosser (Universität Wien) hat unter dem hier übernommenen Titel auf CNA-Deutsch einen bemerkenswerten Beitrag zur Sakramententheologie veröffentlicht, der weit über die aktuelle Pandemiekrise hinaus von Bedeutung ist. Zurecht markiert die Autorin denn auch nicht einzelne bedenkliche Erscheinungen in der Krise als ihren Ausgangspunkt, sondern geht von der Tatsache aus, daß in der Kirche tiefgehende Verunsicherung zur Lehre und Praxis der Sakramente herrscht und das Verständnis für einzelne Sakramente wie auch das sakramentale Wesen der Kirche teilweise verlorengegangen ist. So sind am Leib der Kirche zahlreiche „wunde Stellen“ entstanden, die sich jetzt unter dem Einfluß der Krise quasi „entzündet“ haben und erst dadurch entgegen der allgemeinen Abstumpfung wieder schmerzhaft spürbar geworden sind.
Bevor wir auf die Ausführungen der Autorin zu einigen dieser „wunden Stellen“ näher eingehen, noch ein paar Worte zur Schreibweise und Methode ihres doch recht langen Textes, der von CNA Deutsch in zwei Folgen veröffentlicht worden ist. Der Artikel ist durchgängig in verständlicher Normalsprache abgefasst – an keiner Stelle begegnet man der pseudowissenschaftlichen Verbalakrobatik, mit der zahlreiche Theologen eine gedankliche Tiefe vortäuschen, die nicht vorhanden ist, oder sich unangreifbar machen wollen, wo sie vom Glauben abweichen, aber ihre Karrierechancen nicht aufs Spiel setzen wollen.
Zum zweiten argumentiert der Text unverkennbar katholisch. Seine Hermeneutik beginnt also nicht bei der Interpretation „des Konzils“ in den Werken des Hochschullehrers, dessen Schule man sich zugehörig fühlt, sondern bei den Aussagen der heiligen Schrift und deren Erläuterung durch die Kirchenväter und Kirchenlehrer. Dabei beschränkt sie sich nicht nur auf die von der Kirche feierlich zu Autoritäten erklärten Vorbilder des Glaubens. Immer wieder argumentiert sie mit Beispielen oder Aussagen aus dem Leben der Heiligen – und verwirft auch schon einmal eine Position mit der bemerkenswerten Wendung: „Ich gestehe, mir fällt kein einziger Heiliger ein, der oder die eine solche Auffassung vertreten hätte.“ In einem anderen Fall unterstützt sie ihre Meinung mit der Wendung: „Nicht wenige Heilige haben erfahren und bezeugt, dass der Empfang der heiligen Kommunion durchaus Auswirkungen auf die leibliche Verfassung des Empfängers haben kann.“
Den ganzen poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Pausenclowns an ehemals katholischen Fakultäten ins Stammbuch geschrieben: So geht katholisch! Auch und gerade mit Gegenwartsbezug.
Schlossers Artikel behandelt in 12 Abschnitten die Themen oder Stichworte:
- Mut zur Seel-Sorge… - oder "Systemrelevanz"?
- Kann der Kommunionempfang "krank machen"?
- Sakramentale Kommunion und geistliche Kommunion
- Messfeier und Sakrament
- Stellvertretende Kommunion?
- …oder Verzicht aus Solidarität?
- Häufige Kommunion – zu häufig?
- Würdiger Empfang
- Eucharistie-Feier und andere Gottesdienste
- Wort Gottes und Eucharistie
- „Hauskirche“
- Mystagogische Katechese und Hinführung zum Gebet, persönlich und in Gemeinschaft
Dieser Katalog wäre auch in mehreren Büchern nicht erschöpfend abzuarbeiten, aber es gelingt der Autorin, vor dem Hintergrund der aktuellen Situation jeweils Grundgedanken und Grundlinien sichtbar werden zu lassen, die erkennbar machen, worum es jeweils geht und wo Defizite der aktuellen Glaubenslehre und -praxis liegen. Davon können auch Anhänger der überlieferten Liturgie profitieren, denen manchmal die berechtigte Empörung und verständliche Verstörung über aktuelle Irrwege den Zugang zum Wesen der Sache erschwert.
In unserer Vorstellung des Schlosserschen Artikels sollen hier und in einem weiteren Beitrag die oben aufgelisteten Unterthemen einzeln oder zusammengefasst näher beleuchtet werden.
1) Mut zur Seel-Sorge… - oder "Systemrelevanz"?
Logischer Ausgangspunkt dieses Abschnittes ist die oft gestellte Frage nach der Verhälnismäßigkeit der von staatlicher und kirchlicher Autorität in trauter Eintracht angeordneten Maßnehmen:
Ist derzeit das Risiko einer Infektion anlässlich der Sakramentenspendung größer als beim Kauf einer belegten Semmel in der Bäckerei (samt Dialog mit der Verkäuferin, mit MNS natürlich), oder eines Gelato am Eisstand? Ist das Risiko einer Dreiviertelstunde Verweildauer in einer Kirche (bei Mindestabstand von zwei Metern) größer als fünf Stunden in einem Mehr-Personen-Büro zu sitzen (Mindestabstand ein Meter)? Ist es ein verhältnismäßig zu großes Risiko, einen Menschen im Altenheim zu besuchen und die Krankenkommunion zu bringen, als ihm monatelange Isolation zuzumuten? Ist es angemessen, die Kranken-Sakramente auf die Sterbe-Situation zu beschränken – wenn die Krankensalbung doch idealerweise "beizeiten" gespendet werden soll, solange der Kranke bei Bewusstsein ist, und dasselbe für die Krankenkommunion gilt (CIC c.922)?
Schlossers Antwort impliziert als Ausgangsposition die Feststellung, daß diese Fragen jedenfalls nicht von der Position einer behaupteten oder tatsächlichen Systemrelevanz aus beantwortet werden können. Soziologisch und dann auch politisch gesehen ist die Systemrelevanz der Kirchen äußerst bescheiden – und von der Kirche aus gesehen ist die Frage der Systemrelevanz nicht wirklich relevant:
Seelsorge hat die menschliche Person im Blick, deren Wert und Bestimmung nicht mit dem irdischen Leben endet. Seelsorge ist nicht nur Unterstützung zu einem gelingenden Leben hier auf Erden. Sie trägt zur Bewältigung von Krisen bei, ja, aber das ist nicht ihr einziger "Nutzen" und nicht einmal der erste.
Erste Konsequenz daraus ist, daß für die Kirche, die doch das Grundsakrament des Wirkens Gottes in der Welt ist, vor allem dieser sakramentale Charakter von Relevanz ist – alles andere ist zweitrangig. Diese Rangordnung, so argwöhnt Schlosser nicht ohne Grund, ist inzwischen sogar innerhalb der Kirche aus dem Blick geraten. Die Konsequenz liegt auf der Hand:
Diese Situation erfordert eine Erneuerung der Sakramentenkatechese: die Nähe des Guten Hirten, der sich seinen Gläubigen durch den Dienst der Kirche zuwenden will, soll wieder ins Bewusstsein gerufen werden. Ob seelsorgliche und katechetische Bemühungen dann Frucht bringen, liegt nicht nur in unserer Hand. Aber wenn wir den Eindruck erwecken, als sei uns selber nicht so wichtig, was wir doch als wesentlich glauben, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir nicht ernst genommen werden.
Von hier aus wendet sich die Autorin dann den oben ab 2) aufgelisteten Punkten im Einzelnen zu. Darauf wollen wir in einem weiteren Beitrag ebenfalls eingehen. Wer nicht auf unsere zusammenfassende Darstellung warten will, ist herzlichst aufgefordert, den ersten und den zweiten Teil des Originals auf CNA-Deutsch selbst zu lesen.