Die Furcht vor dem Ritual
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- 04. Juni 2018
Vor einem Jahr erschien in der UNA VOCE Edition in deutscher Ausgabe Peter Kwasniewskis Buch: Neuanfang inmitten der Krise. Es ist insgesamt höchst lesens- und empfehlenswert; einige Abschnitte fassen bestimmte Problemfelder des aktuellen Standes der Liturgie äußerst prägnant zusammen. Solche Passagen wollen wir hier in lockerer Folge präsentieren.
Die Furcht vor dem Ritual
Einer der vielen Irrtümer, welche die Liturgiereform vergifteten, war die Ge¬ringschätzung des Rituals, die von der verbreiteten Ansicht herrührt, das Ritual halte die Menschen auf Abstand und hindere den Priester daran, mit den Gläubigen „in Fühlung" zu bleiben. Das neue Messbuch wurde „deritualisiert" oder erlaubt wenigstens und ermuntert gar den Priester, die Messe zu deritualisieren, indem er das gottesdienstliche Geschehen aus dem Stegreif kommentiert, sich in lässiger Weise bewegt und zahlreiche, nicht liturgisch gewandete Laien einlädt, den Altarraum zu betreten, was dem Geist des Rituals oder des göttlichen Cultus diametral zuwiderläuft. In Thomas Days Buch Why Catholics Can't Sing [Warum Katholiken nicht singen können] gibt es eine lustige (aber erschreckend zutreffende) Beschreibung der schizophrenen Liturgien, die aus den gängigen, spärlich eingeübten Rubriken im Zusammenspiel mit unbedarft angewandtem Brauch entstehen: eine offensichtlich rituelle Zeremonie, durchgeführt von Leuten, die so tun, als sei diese Zeremonie nicht rituell. Der mit liturgischen Gewändern angetane Priester schreitet in Prozession unter dem angestimmten Eingangslied durch den Mittelgang des Kirchenschiffs, begibt sich zum Altar, richtet sein Mikrofon und blickt in die Runde auf das versammelte Kirchenvolk, lächelt und gleitet dann in heillose Banalität ab: „Guten Morgen allerseits!" - um dann zum Ritual zurückzukehren: „Im Namen des Vaters ..." - und wieder in den Plauderton zu verfallen: „Heute wollen wir uns daran erinnern, dass wir unser Bestes geben wollten, aber dennoch immer wieder gefehlt haben, deshalb wollen wir nun den Herrn um sein Erbarmen bitten" - wieder beim Ritual angekommen: „Herr, erbarme dich!" Und so geht es weiter hin und her, bis er die versammelte Gemeinde mit den Worten entlässt: „Ihnen allen noch einen schönen Tag!"
Lange Zeit machte es mich betroffen und ich empfand es als grotesk, dass wirklich nur so wenige diesen völligen Bruch der Kontinuität im Hin und Her zwischen Ritual und alltäglichem Gerede und Gehabe verspüren sollten. Als ich jedoch das Chaos der Moderne besser abschätzen lernte, wurde mir immer klarer bewusst, wie ausgesprochen ritualfeindlich und antireligiös unsere Zeit geworden war. Alles außerhalb der Wohlfühlzone von Alltagsgeschwätz über Berufsleben und Freizeitspaß erscheint als fremdartig, gefährlich und bedrohlich und die Leute meiden diese Zone der Unangepasstheit soweit nur irgend möglich. Die katholische Liturgie, die ganz auf das Heilige, das Numinose, das Geheimnisvolle abzielt, steht zur westlichen Mentalität des religiösen „Marktes der Möglichkeiten" in diametralem Widerspruch; sie widerstrebt dem allgegenwärtigen modernen Lifestyle eines zügellosen Materialismus. Jede traditionelle Liturgie, bei der Augen und Herzen sich nach dem ausrichten, was droben und jenseits ist, stellt eine ernsthafte Bedrohung für jenen Triumph des Egoismus dar, den Regierung, Schulsystem und Privatwirtschaft überaus bemüht sind, in jede Stadt und jedes Haus zu tragen.
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Peter Kwasniewski: Neuanfang inmitten der Krise ist erhältlich im allgemeinen Buchhandel und bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!