„Pastoral“ als inhaltsarmes Schlagwort
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- 05. Juni 2015
Ende Januar hatten wir den äußerst lesenswerten 1. Teil eines Artikels von Pavel Milcarek zu Entwicklungslinien der Liturgiereform im vergangenen Jahrhundert referiert – und die Sache anschließend aus dem Auge verloren. Das ist schade, denn der wenig später erschienene 2. Teil hat das Thema noch einmal konkretisiert und vertieft.
Als Gründe für eine Reformbedürftigkeit des römischen Ritus benennt Milcarek mehrere Motive: zunächst eine weitgehende Privatisierung der Frömmigkeit seit dem Spätmittelalter. Dies habe nicht nur die Teilnahme an der eigentlichen Liturgie negativ beeinflusst, sondern auch dazu beigetragen, die soziale Dimension des Lebens von der Religion abzuspalten und damit den Einflüssen der Modernisierung zu öffnen. Daher also der überragende Stellenwert der Forderung nach „participatio actuosa“. Ein weiteres Motive sieht er in der starken Romanisierung, genauer gesagt, Papalisierung der lateinischen Liturgie im Gefolge von Trient, die die liturgische Entwicklung zentralisierte und von traditionellen örtlichen Quellen abtrennte. Kritisch betrachtet er auch die von Papts Pius V. In quo primum vorgenommene kennzeichnung der römischen Liturgie als die „pristinie“. d.h. reine und unverfälschte Form der Liturgie – darin sieht er im Rückblick bereits eine „Zeitbombe“, die mitgewirkt habe, später das Feuerwerk von Archäologismus und Rationalismus zu zünden.
In der Bewegung zur Liturgiereform nimmt Milcarek in seinem zweiten Beitrag nun vier Hauptrichtungen wahr, die er am Beispiel von vier Personen identifiziert:
Abt Bernard Capelle (1848 – 1961) von Mont-Cesar, der bei aller Anerkennung von Reformbedarf strikt darauf bestehen wollte, daß Änderungen nur da erfolgen dürften, wo ihr Nutzen unmittelbar erkennbar sei – und auch da nur in Übereinstimmung mit der Tradition und auf schonendste Weise.
P. Josef A. Jungmann S.J. (1889 – 1975) als Vertreter einer pseudo-antiquarischen Linie. Jungmann habe einerseits alles, was nach der Zeit der Karolinger entstanden sei, als abzuschaffende Fehlentwicklung gegenüber einem früheren „goldenen Zeitalter“ abgewertet, sei jedoch überaus bereitwillig gewesen, den „Bedürfnissen des modernen Menschen“ entgegenzukommen.
P. Ferdinando Antonelli OFM (1896 – 1993), dessen Interesse weniger darauf gerichtet gewesen sei, die Formen und Riten zu verändern, sondern der eine „Umerziehung der Gläubigen“ hin zu einem tieferen Verständnis des liturgischen Geschehens befürwortete. Dieser Prozess könne Generationen dauern, er sei von Reformen in Riten und Texten zu begleiten, könne dadurch jedoch nicht wesentlich vorangebracht und auf gar keinen Fall ersetzt werden.
P. Annibale Bugnini C.M. (1912 – 1982) sei umgekehrt davon ausgegangen, daß eine tiefgreifende Veränderung der Gestalt der Liturgie entsprechend den „pastoralen Erfordernissen“ der Gegenwart erforderlich sei, um die Verkrustungen der Vergangenheit abzuwerfen und die Gläubigen wieder zu erreichen.
Solange diese vier Strömungen in einem gewissen Gleichgewicht gewesen wären, sei die Liturgiereform auf gutem Wege gewesen. Als die Balance verloren ging, hätten sich die Tendenzen zur Einseitigkeit und Verabsolutierung durchgesetzt – mit den bekannten Ergebnissen.
Dieses Fazit von Milcarek und seine abschließende Empfehlung, nicht auf ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern auf ein harmonisches Zusammenwirken zu setzen, erscheinen theoretisch etwas unbefriedigend und praktisch lebensfremd: Nichts ist intoleranter als eine siegreiche Revolution. Trotzdem gibt sein Artikel zumindest einige Anhaltspunkte, sich einer Beantwortung der großen Frage zu nähern: Wieso das nach Trient auf einem tausendjährigen Fundament befestigte Gebäude des römischen Ritus unter dem Zugriff des Modernismus so schnell zerfiel und sein Zusammenbruch inzwischen über die Liturgie hinaus das gesamte Lehrgebäude zum Einsturz zu bringen droht. Die Fixierung auf eine inhaltsarm verstandene „Pastoral“ spielt dabei offenbar die ausschlaggebende Rolle.