Wer will den neuen Ritus wirklich?
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- 02. März 2021
Mit dieser Klage befasst sich Fr. Hunwicke am zweiten Fastensonntag in einem Beitrag auf seinem Blog, der auf Deutsch nachzulesen ist beim Beiboot Petri. Daß die Tradis ihn nicht wollen, liegt auf der Hand - ja, sie stehen sogar in der Gefahr, die Ablehnung dieser liturgischen Form zum Dreh- und Angelpunkt ihres religiösen Fühlens, und sogar ihres ganzen Glaubens zu machen. Aber auch die Modernisten, Kleriker ebenso wie Laien, scheinen ihn nicht wirklich zu wollen – warum würden sie ihn dann nicht so oft ohne oder gar gegen das doch schon von Optionitis aufgeweichte Messbuch Pauls VI. feiern? Das geht von der in Deutschland schon nahezu Standard gewordenen Abkürzung der Schlußformel vieler Meßgebete „Durch unseren Herrn Jesus Christus Deinen Sohn...“ durch das vermeintlich gleichwertige „Durch Christus unseren Bruder und Herrn“ über die zahllosen durch die Klausel „oder ein anderes angemessenes Lied“ ermöglichten Alternativen für Gloria und Credo bis zu den phantastischen selbst gedichteten Hochgebeten.
Die mit Gesetzeskraft versehene Päpstliche Instruktion „Redemptionis Sacramentum“ von 2004, die zur Korrektur solcher Auswüchse erlassen worden war, wird generell stillschweigend übergangen oder vielfach sogar offen zurückgewiesen. Die Bischöfe und letztlich auch der Bischof von Rom schweigen dazu – sofern sie den Widerstand nicht sogar aktiv fördern.
Es kann also kein Zweifel bestehen: Der Novus Ordo ist auch und gerade in modernen Augen so mißlungen, daß jede Vorsitzende des örtlichen Liturgieausschusses berufen und befähigt ist, es besser zu machen, spätestens nachdem sie an einem zweitägigen Kurs „Für einen menschengerechten Gottesdienst“ (s. dazu etwa hier) im diözesanen Bildungshaus teilgenommen hat. Wer will den neuen Ritus wirklich?
Konkreter Ausgangspunkt der Frage von Fr. Hunwicke war übrigens eine der dort regelmäßig veranstalteten „LGBT-Messen“ in der Kirche des hl. Nicolas von Tolentino in der britischen Diözese Clifton im letzten Oktober (Video hier), die vom Vorsteher mit einem durch und durch nicht-katholischen „Glaubensbekenntnis“ angereichert worden war – als Transskript (englisch) nachzulesen hier. Daß denen, die sich diesen oder einen ähnlichen Glauben zurechtgezimmert haben, der Novus Ordo nicht genügen kann, liegt auf der Hand. Sie werden wohl, wenn wir die vom synodalen Irrweg gesetzten Wegzeichen richtig deuten, bald ihren Aufbruch und Ausgang aus der Kirche vollenden.
Aber was ist mit den Katholiken, die in der Einheit der Kirche und mit ihrer seit 2000 Jahren verkündeten Lehre bleiben wollen? Wie stehen sie zu der seit nunmehr über 50 Jahren offiziellen Form der hl. Messe, deren Praxis – wie oben angedeutet und in zahllosen Beispielen belegbar – dem Niedergang des Glaubens unter den Attacken von Modernismus und Säkularismus kaum Widerstand entgegensetzen konnte und ihn vielerorts sogar begünstigt hat? Die oben eingeführte Unterscheidung von Form und Praxis gibt einen ersten Anhaltspunkt, der freilich noch der Ergänzung durch den Begriff des Inhalts bedarf. Im Idealfall sollten in der Liturgie Inhalt, Form und Praxis in einem ausgewogenen und jedenfalls widerspruchsfreien Verhältnis zueinander stehen – das war bei der Neuen Meßordnung jedoch nie der Fall. Die dahin gehenden Aussagen von Papst Paul VI, der dieses Missale erarbeiten ließ und trotz Bedenken auch promulgierte, haben sich als Fehleinschätzung erwiesen.
In seiner ersten großen Ansprache zur Promulgation des Novus Ordo scheint Paul VI. bereits geahnt zu haben, daß sich die Dinge in dieser Richtung entwickeln könnten, wenn er (in Abschnitt 10) ausführt:
Nichts an der Substanz der traditionellen hl. Messe ist verändert worden. Vielleicht lassen sich Einige von dem Eindruck, den manche besondere Zeremonien oder Rubriken auf sie machen, zu der Annahme verleiten, daß darin eine Veränderung oder Verkleinerung von unveränderlichen Glaubenswahrheiten liegt und bekräftigt wird. Sie könnten zu der Ansicht kommen, daß der Gleichklang zwischen der Weise des Gebetes, der lex orandi, und der Weise des Glaubens, der lex credendi, dadurch beeinträchtigt worden ist. Das ist definitiv nicht der Fall.
Unverkennbar ist der erklärte Wille des Papstes, die Ritusreform voll in die Tradition der Kirche und ihrer Lehre einzubinden. Während er einräumt und sogar bekräftigt, daß die formalen Unterschiede sehr weit gehen (1, 10), besteht er darauf, daß es in der Substanz der Lehre keinerlei Veränderung (10) gegeben habe. Er weist sogar ausdrücklich darauf hin (11), daß der Ordo und die Rubriken keine dogmatische Definition darstellen - die Lehre bleibt unverändert. Das bezieht sich natürlich auch auf die Opfertheologie (12). Damit setzt Paul VI. alle Theologen und Liturgiker ins Unrecht, die aus dem Neuen Ordo bzw. dessen Institutio Generalis eine Veränderung der Lehre herauslesen wollen und nicht müde werden, von „tiefgehenden ekklesiologischen Unterschieden“ zu reden, die es angeblich verbieten, heute noch die Messe nach dem alten Ritus zu feiern.
Paul VI. wußte sehr wohl, daß zahlreiche Theologen auf eine Umdeutung der Theologie des Meßopfers hinarbeiteten und hatte diesen Bestrebungen bereits in der Schlussphase des 2. Vatikanischen Konzils mit seiner Enzyklika Mysterium Fidei klaren Widerspruch entgegengestellt.
Leider haben er selbst und dann auch seine Nachfolger nie die Kraft gefunden, sich der von großen Teilen der Theologie betriebenen Indienstnahme des Novus Ordo für die von ihnen beabsichtigte Umdeutung der Lehre wirkungsvoll entgegen zu stellen. Es blieb bei – zuletzt von Benedikt XIV. in durchaus grundsätzlichem Ton vorgetragenen - verbalen Einreden. Im faktischen Bereich ließen die Päpste insbesondere durch ihre Bischofsernennungen der Ausbreitung der von den modernistischen Theologen betriebenen Umdeutung freien Raum. Sie nutzten die in der Form und der darauf beruhenden Praxis des NO angelegten Möglichkeiten zu Veränderungen der Inhalte, so wie sie sich schließlich heute im Glaubensbewußtsein vieler Menschen darstellen. Quasi „unter den Augen“ des Lehramtes hat der Modernismus unter Nutzung der von Anfang an erkennbaren Schwächen der reformierten Liturgie das Gleubensbewußtsein vieler Menschen der Tradition entfremdet und mit neuen Inhalten geformt, die den Boden des Katholischen längst verlassen und in vielen Bereichen bereits signalisieren, daß nun auch der Christusglaube selbst zur Disposition steht.
Diese niederschmetternde Bilanz von 50 Jahren Novus Ordo ändert jedoch nichts daran, daß die Eucharistie in der reformierten Form würdig und gültig gefeiert werden kann – auch wenn diese Feststellung angesichts der vielen Mißbräuche und Verirrungen oft als schwer erträgliche Beschönigung zurückgewiesen wird. Der Wille des kirchlichen Gesetzgebers, mit der neuen Form nicht auf inhaltliche Veränderung abzuzielen, ist klar erkennbar ausgedrückt – nicht nur in den Reden Pauls VI., sondern auch in der Institutio Generalis der neuen Meßordnung, auch in deren deutscher Version, wo es in Art. 2 heißt:
So entspricht die Gebetsweise der Kirche im neuen Meßbuch dem beständigen Glauben, der uns wie folgt lehrt: Das Kreuzesopfer ist ein und dasselbe wie seine sakramentale Vergegenwärtigung in der Messe, abgesehen von der verschiedenen Art und Weise der Darbringung. (S. dazu hier)
Und von da aus kommen wir endlich zu einer Antwort auf die von Fr. Hunwicke aufgeworfene Eingangsfrage: Ja, es gibt Gläubige, ganze Gemeinden und Gemeinschaften, die den überlieferten Glauben bewahrt haben, den neuen Ritus im unverfälschten Glauben der Tradition feiern und ihn von daher so, „wie er im Buche steht“ auch wirklich wollen. Man mag beklagen, daß es ihnen an Sensibilität für die anderswo im Zeichen des NO angerichteten Verheerungen fehlt – aber es ist schwer, das zu fühlen, was man nicht selbst erlebt. Man mag mit mehr oder weniger großem Recht auf Unterschiede in der Spiritualität hinweisen, die z.B. zu einer Hochschätzung der Zelebrationsform „ad Populum“ geführt haben – aber fragwürdige Spiritualitätsformen gibt es im Bereich der Tradition auch. Die Kirche war in dieser Hinsicht immer großzügig und tolerant – und konnte sich das auch leisten, so lange die Kongregation des hl Offiziums mit Entschiedenheit darüber wachte, daß die Grundlagen des Glaubens nicht angetastet wurden.
Fr. Zuhlsdorf hat auf seinem Blog die von uns zitierte Eingangsfrage aus dem Artikel von Fr. Hunwicke aufgegriffen und damit eine umfangreiche Diskussion ausgelöst, in der sich (Stand 2. März) 41 Wortmeldungen finden, darunter auch erfreulich viele von Gläubigen, die die moderne Liturgie schätzen oder zumindest ihren Frieden damit gemacht haben. Ihre Stimmen und ihre Gefühle sind ernst zu nehmen. Man kann daraus auch dann etwas lernen, wenn man die dort geäußerten Positionen nicht teilt. „Katholisch“ war nie gleichbedeutend mit „uniform“ - das anzunehmen war einer der Irrtümer der Reformer des vergangenen Jahrhunderts, die durch ihre Abschaffungsorgien und die Einführung der „cancel culture“ ante verbum für die heutige Misere ganz wesentlich Verantwortung tragen. Und – fest eingemauert in ihren superklerikalistischen Machtpositionen – sich erbittert dagegen wehren, ihren (nicht nur) spirituellen Bankrott anzuerkennen.