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Die Eiserne Faust des Säkularismus

An den Türen des Gotteshauses - Religionsfreiheit und neue Rechtgläubigkeit

Bischof Philip Tartaglia von Paisley, Schottland, zu den Versuchen, mit staatlicher Gewalt eine Säkularreligion durchzusetzen

Porträtphoto des BischofsLeicht gekürzte Übersetzung eines Artikels auf Public Discourse vom 27. Juni 2012

Als ich 2005 zum Bischof geweiht wurde, habe ich mir über die Religiöse Freiheit in Schottland und im Vereinigten Königreich keine Gedanken gemacht. Aber gerade einmal sechs und einhalb Jahre später stelle ich in beunruhigtem und von Befürchtungen bestimmtem Realismus fest, daß der Verlust der Freiheit in Religionsdingen derzeit vielleicht die größte Gefahr ist, die die Katholische Kirche und alle Gläubigen in diesem Land bedroht. Die weitere Entwicklung dieser Problematik ist entscheidend dafür, wie die Kirche sich in der voraussehbaren Zukunft gegenüber der Gesellschaft verhalten wird. Wird die Katholische Kirche – und andere religiöse Gruppen und Körperschaften ebenfalls – Raum haben, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu vertreten, auszudrücken und zu lehren? Oder wird ihr diese grundlegende religiöse Freiheit versagt, so daß die Kirche – und andere religiöse Körperschaften – an den Rand der Gesellschaft oder sogar in den Untergrund gedrängt wird.

Wie steht es um die Religionsfreiheit in diesem Land?

Die Frage der Religionsfreiheit hat sich im Vereinigten Königreich fast unbemerkt und schnell zum Problem entwickelt. Im Jahr 2007 warnte ich die Gläubigen meiner Diözese in einem Hirtenbrief vor Angriffen auf die Religionsfreiheit. Den Anstoß dafür gaben neue Regelungen, die darauf abzielten, „Diskriminierung“ hinsichtlich Gütern und Dienstleistungen aufgrund der „sexuellen Orientierung“ zu verbieten. Diese Regelungen beruhten auf dem Gleichstellungsgesetz von 2006. Es war offensichtlich, daß katholische Einrichtungen zur Vermittlung von Adoptionen gezwungen sein würden, entweder mit der Vermittlung von Kindern an gleichgeschlechtliche Paare gegen die Lehre der Kirche zu verstoßen oder das Gesetz zu brechen. Einige entsprechende Agenturen unterwarfen sich diesem Gesetz und legten ihren katholischen Charakter ab. Andere stellten die Arbeit ein. Einige wenige taten keines von beiden sondern haben eine trickreiche Argumentation entwickelt, wonach sie als katholische Einrichtungen geeignete Ehemänner und -frauen bei der Adoption von Kindern unterstützen.

Als nächstes fällten dann zwei Gerichte in England Grundsatzentscheidungen gegen die Inhaber von Übernachtungsbetrieben, die keine homosexuellen Paare beherbergen wollten, dann wurde einem christlichen Ehepaar verboten, Pflegekinder anzunehmen, weil sie nicht die Gewähr dafür boten, den Kindern Homosexualität als eine begrüßenswerte Wahlentscheidung darzustellen. Damit war klar, daß die Freiheit der Religion und des Gewissens mit Zustimmung von Justiz und Staatsmacht auf dem Altar der Homosexuellenagenda geopfert werden sollten.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung haben die schottischen Bischöfe keinen Zweifel, daß wir, falls die Regierung gleichgeschlechtliche Partnerschaften als „Ehe“ anerkennt, darum kämpfen werden müssen, die wahre Natur der Ehe in Predigt und Lehre von der Kanzel und in katholischen Schulen vertreten zu müssen, und befürchten müssen, daß katholische Männer und Frauen am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft Objekte der Dikriminierungen werden. Es besteht die Gefahr, daß den Katholiken vom aggressiven Säkularismus ein Paria-Status aufgezwungen wird.

Es geht hier um mindestens zwei Probleme: Den Begriff der Religionsfreiheit und den Begriff des Staates.

Der Begriff der Religionsfreiheit

Im Oktober 2011 schrieb ich an den Schottischen Premierminister Alex Salmond in Sachen politischer Regierungsvorhaben, die die Religionsfreiheit beeinträchtigen würden. Eines der dabei angesprochenen Probleme war die gleichgeschlechtliche „Ehe“. In einem folgenden Gespräch versicherte Salmond mir, daß ein Gesetz für die gleichgeschlechtliche „Ehe“ die Freiheit der Katholiken, ihren Glauben auszuüben, nicht beeinträchtigen würde. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm der Unterschied zwischen Religionsfreiheit und Freiheit der Religionsaussübung (Freedom of worship) bewußt ist - oder ob er ihn nur allzugut versteht und er seine wahren Absichten verbarg, da er wußte, daß für die laufende Legislaturperiode ein Gesetz zur Zulassung gleichgeschlechtlicher „Ehen“ in Planung war und die Eiferer Sanktionen gegen alle fordern würden, die öffentlich ihren Widerspruch zur neuen Rechtgläubigkeit zum Ausdruck brächten.

Besonders beunruhigt war ich wegen der katholischen Lehrer, die in den katholischen Primär- und Sekundärschulen einen Religionsunterricht zu erteilen haben, in dem die Ehe ausdrücklich als die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert ist. Wenn gleichgeschlechtliche Beziehungen als „Ehen“ anerkannt werden, müssen wir uns für Gesetze einsetzen, die uns die Religionsfreiheit sichern, der neuen Rechtgläubigkeit öffentlich und privat, im Gottesdienst, in der Predigt, in der Lehre und in der Kindererziehung zu widersprechen. So, wie die Dinge hier im Moment liegen, habe ich kein Vertrauen darauf, daß es solche Garantien geben wird. (…) Meine jüngsten Erfahrungen mit den Regierungen in Schottland wie in England sagen mir, daß sie vielleicht nicht die Freiheit der Glaubensausübung im Gottesdienst in Frage stellen, daß sie aber nicht bereit sind, explizit die Religionsfreiheit der Religion im vollen Sinne anzuerkennen.

Der Begriff des Staates

Im Februar dieses Jahres führte die Baroness Warsi, Stellvertretende Vorsitzende der konservativen Partei, eine Ministerialdelegation in den Vatikan an, die im Gegenzug zum Papstbesuch in England 2010 Angelegenheiten von beiderseitigem Interesse besprechen sollte. Die Baroness – selbst eine Muslima – wurde in der Presse dahingehend zitiert, sie habe Bedenken, daß die Religion in Großbritannien marginalisiert werden könne. Eine prominente Antwort erhielt sie vom Vorsitzenden der „Gleichheits- und Menschenrechtskommission“ Trevor Philips, der meinte, die Religion ende „an der Tür des Gotteshauses“.

Das war nun wirklich etwas ganz anderes als das [in einer bei der Übersetzung entfallenen Passage zitierte] Lob des Premierministers für die positive und wesentliche Rolle des Christentums im öffentlichen Leben. Und nun fragt man fragt sich: wie kann das Christentum eine positive Rolle im öffentlichen Leben spielen, wenn es an der Tür des Gotteshauses beginnt und endet? Und wenn die Religionsfreiheit auf das Innere des Gotteshauses begrenzt ist – wie unterscheidet sich England dann noch von Ländern wie Saudi Arabien, wo es Religionsfreiheit auch nur hinter verschlossenen Türen gibt?

Die moderne Theorie der Religionsfreiheit, wie sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt wurde, vertritt die Vereinbarkeit von jüdisch-christlicher Tradition mit der Demokratie. Diese Lehre bekräftigt einerseits die Oberhoheit Gottes, spricht sich andererseits jedoch dafür aus, dem Kaiser zu geben, was zu Recht des Kaisers ist, und strebt nicht danach, die Gesetze des Staates durch Gesetze der Religion zu ersetzen und weltliches und überweltliches in eins zu setzen. Die säkulare Eigenständigkeit des Staates bleibt bei dieser christlichen und katholischen Sicht einer rechtmäßigen Trennung von Kirche und Staat unbestritten, dabei unterstützen und fördern die Tugenden, die aus der Religionsfreiheit hervorgehen, die Demokratie, während das demokratische System die Religionsfreiheit schützt und unterstützt.

Die Ansicht von Trevor Phillips, wonach der religiöse Glaube im öffentlichen Raum nichts zu suchen hat, wirft schwerwiegende Fragen zum Wesen des Staates auf. Philipps scheint den Begriff eines Staates zu propagieren, der den gesamten gesellschaftlichen Raum ausfüllt und darangeht, sämtliche anderen Institutionen innerhalb des Staates zu kontrollieren. Dieser Staatsbegriff hat eine ziemlich beschränkte Vorstellung von Subsidiarität - „Big Government“ von der schlimmsten Sorte. Er scheint auch keinen Respekt vor Institutionen wie der Kirche oder der Familie zu haben, die dem Staat vorausgehen, den ganzen privaten und öffentlichen Raum überspannen und die ihre eigene innere Verfassung haben. Dieser Staat bewegt sich in Richtung einer Art „weichen Totalitarismus“.

Tatsächlich hat der moderne Liberalismus, wie Kardinal Georg Pell von Sydney 2009 in einem Vortrag in Oxford feststellte, starke totalitäre Tendenzen. Er neigt zu der Vorstellung, daß Institutionen wie die Familie, die Kirche und andere nur mit seiner Genehmigung bestehen und nur insoweit rechtmäßig sind, wie sie die Vorschriften und Normen des Staates einhalten. Dieser totalitäre Liberalismus unterscheidet sich wesentlich vom traditionellen Liberalismus, der das Individuum, die Familie und die Gesellschaft als dem Staat vorausgehend betrachtet und dem Staat nur die Aufgaben zuweist, die die Fähigkeiten des Einzelnen oder der Familien überschreiten. (…)

Danach ist es nicht Sache des Staates, das Wesen der Ehe umzudefinieren, um gleichgeschlechtliche Beziehungen zu begünstigen oder sich in die Gewissensentscheidung katholischer Adoptionseinrichtungen einzumischen.

Papst Benedikt hat dieses grundlegende Verständnis im Januar gegenüber einer Gruppe amerikanischer Bischöfe so ausgedrückt:

Das Zeugnis der Kirche ist seiner Natur nach öffentlich. Sie sucht zu überzeugen, indem sie rationale Argumente in den öffentlichen Diskurs einbringt. Die legitime Trennung von Kirche und Staat kann nicht bedeuten, daß die Kirche zu bestimmten Problemen zu schweigen habe, oder daß der Staat die Vollmacht habe, die Stimmen engagierter Gläubiger unbeachtet zu lassen, wo es um die Bestimmung der Werte geht, die die Zukunft der Nation bestimmen.

Wie kann diese Vorstellung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat verwirklicht oder auch nur respektiert werden, wenn die herrschende Ideologie verlangt, daß Glaube und Prinzipien der Kirche „an der Schwelle des Gotteshauses“ zurückzulassen sind? Diese beunruhigende Frage wird sich nicht durch die überaus hilfreichen britischen Tugenden von Anstand, Fairness und pragmatischen Ausgleich erledigen lassen. Ich stelle fest, daß die christlichen Wurzeln dieser „nationalen Tugenden“ ausgerissen worden sind. Die Programmatik der Antireligiösen zeigt ihre eiserne Faust und ist nicht zu Kompromissen geneigt.

Das rechte Verständnis menschlicher Autonomie

Religionsfreiheit ist mehr als Freiheit zum Gottesdienst, sie enthält auch die Freiheit, die Wahrheiten der Religion auszudrücken und zu lehren. Sie muß auch die Freiheit einschließen, das Evangelium zu verkünden, nach ihren Lehren zu unterrichten und den Bedürftigen nach ihren eigenen Maßstäben zu dienen.Religionsfreiheit ist damit untrennbar verbinden mit der Redefreiheit, der Gedankenfreiheit und der Gewissensfreiheit. Gläubige dürfen von der Regierung und den Gerichten nicht als eine geduldete störende Minderheit behandelt werden, deren Rechte stets den säkularen Ansprüchen untergeordnet sind.

Wie wir bei der Dasrstellung der Bedrohung für die Religionsfreiheit in Großbritannien sehen konnten, ist die große Frage, die die moderne Kultur umtreibt, die nach der menschlichen Autonomie und speziell die nach der sexuellen Freiheit. Kardinal Pell hat dazu einsichtsvoll bemerkt, daß es bei dieser Auseinandersetzung im Grundsatz um eine religiöse Frage geht, nämlich um die Realität einer transzendenten Ordnung. Oder anders ausgedrückt: „Hat Gott uns erschaffen oder wir Gott?“. Der enge Spielraum, den der Säkularismus dem religiösen Glauben einzuräumen bereit ist, beruht auf der Annahme, daß wir Gott geschaffen hätten. Solange die Oberhoheit prinzipiell beim Menschen bleibt, wird der religiöse Glaube als eine private therapeutische Maßnahme aufgefasst und geduldet. Aber wenn Menschen darauf bestehen, daß der Glaube mehr bedeutet und wir nicht die Oberherrschaft haben, setzt der Säkularismus der Religion Widerstand entgegen und greift dazu immer öfter zu gesetzlichen Maßnahmen. (…) Kardinal Pell traf den Nagel auf den Kopf, als er beobachtete, daß seit den frühesten Tagen der „sexuellen Revolution“ hinter all dem Gerede von „freier Liebe“, „leben und leben lassen“, Schaffung von Freiräumen für „verschiedene Formen der Liebe“ usw. immer nur eine kaum verhüllte Botschaft stand: daß Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung nicht hingenommen werden. Daraus entsteht der Druck auf die Religion im öffentlichen Leben.

Es ist für Christen nicht leicht, eine Antwort auf diese Situation zu finden. Wir stehen mitten in einer Kulturrevolution, die kompromisslos und brutal sein kann. Christen haben die gehaltvollere Vision und überzeugendere Argumente als die Säkularisten zur Natur des Menschen in seiner Gottesbedürftigkeit, zum Wesen der Familie, über den Platz des Glaubens im öffentlichen Raum und über das Verhältnis von Glaube zu Wissenschaft und Fortschritt. Aber die kulturelle Stimmungslage ist so, daß diese Argumente und Einsichten pauschal zurückgewiesen werden. Die Christen heute reiten auf einem Tiger, und wenn die gegenwärtige kulturelle Tendenz sich unkorrigiert fortsetzt, muß ich damit rechnen, in den kommenden Jahren vor Gericht zu landen. Aber Christen müssen geduldig und standhaft sein und immer bereit, sich einzumischen. Das Böse mag seine Zeit haben, aber früher oder später zehrt es sich selbst auf – das letzte Wort hat es nicht. Dann werden wir die Bruchstücke einer zerstörten Zivilisation auflesen müssen, die an ihrem Abenteuer radikaler Gottlosigkeit gescheitert und zerbrochen ist.

Was auch immer in den nächsten Jahren geschieht, die katholische Kirche hat nur eine Wahl: In der Treue zu Jesus Christus sie selbst zu sein, koste es was es wolle. Was für eine Nation wir dann sind und welche Art von Demokratie wir dann haben werden, ist eine andere Frage.

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