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Die Orationen der Fastenzeit

Bild: Wikimedia CommonsZu den Verlusten, die die überlieferte Liturgie bereits in den Jahren 1955 und 1960 hinnehmen mußte, gehören auch die besonderen Orationen für die Sonn- und Werktage der Fastenzeit, die dem Gebet der Kirche in diesen Wochen seit vielen Jahrhunderten eine besondere Prägung verliehen. Während jeder Tag an erster Stelle seine eigenen Orationen hatte, wurden als zweite und dritte Oration allltäglich die vom Aschermittwoch wiederholt - bis zu den Reformen der 50er Jahre.  Das Missale von 1962 enthält dann nur noch einen Bruchteil der Mehrfach-Orationen, die vordem einen besonderen Reichtum und eine besondere Flexibilität der Messordung ausmachten – auch und gerade in pastoraler Hinsicht.

Die Orationen, von denen hier zu sprechen ist, sind die einleitende Oratio, also das Tagesgebet, dann die Secreta vor dem Canon und schließlich die Postcommunio, das alte Schlußgebet vor der Entlassung der Gläubigen. Diese Orationen gehören zu den Säulen des Propriums für jeden Tag und jedes Fest, und dadurch, daß man ihre Zahl vermehrte, gewann man die Möglichkeit, Überschneidungen und Verdrängungen im liturgischen Kalender abzumildern. Ein Beispiel: Wenn ein Sonntag auf ein Datum fiel, an dem auch ein Heiligenfest zu begehen und die Vigil für einen kommenden Festtag zu halten war, „verdrängte“ der Sonntag diese beiden anderen Begängnisse nicht einfach, sondern nahm ihre Orationen als zusätzliche „Kommemorationen“ in sein Messformular auf. Andere Kommemorationen waren für bestimmte Zeiten des Kirchenjahres vorgeschrieben, wieder andere ermöglichten es dem Zelebranten, besondere Anliegen der Gemeinde oder auch seiner selbst in die Messfeier mit aufzunehmen.

Diese Möglichkeiten wurden in den „kleinen Liturgiereformen“ der 50er Jahre deutlich reduziert; im Novus Ordo von 1969 sind sie dann ganz verschwunden. Das erscheint einigermaßen inkonsistent, denn an anderen Stellen erweitert das Messbuchs Pauls VI. die Optionen von Priestern und Liturgieausschüssen ganz beträchtlich, wenn er etwa die Ersetzung von Gloria, Credo oder Sanctus durch „ein anderes geignetes Lied“ zuläßt bzw. sogar dazu ermutigt.

Hier geht es weiterDie „Mehrfach-Orationen“ der Fastenzeit gehören allerdings nicht zu der Art, die die Flexibilität in der Gottesdienstfeier vergrößerten, sondern sie dienten dem Ziel, allen Messen in der Fastenzeit zusätzlich eine einheitliche Färbung zu verleihen. Während die erste Oration im Formular für den jeweiligen Tag individuell festgelegt war, waren als zweite und dritte Oratio, Secreta und Communio jeweils die Wiederholung der entsprechenden Vorgabe vom Aschermittwoch vorgeschrieben, und das auch an den Sonntagen.

Für die Fastenzeit sind diese Orationen im Missaale Johannes XXIII. von 1962 nicht mehr enthalten, ob sie etwa an anderer Stelle Unterschlupf gefunden haben, konnten wir nicht überprüfen. Wie bieten hier in unserer Übersetzung den Text nach der Form des Messbuches, das vor 1955 in Gebrauch war.

Zweite Oration: Um die Fürbitte der Heiligen

Wir bitten Dich, O Herr, um Schutz vor allen Gefahren für Leib und Seele. Auf die Fürsprache der seligen, glorreichen und allzeit jungfräulichen Gottesgebärerin Maria sowie des hl. Joseph, Deiner heiligen Apostel Petrus und Paulus, des hl. (N) und aller Heiligen verleihe uns gnädig Heil und Frieden, damit die Kirche nach Überwindung aller Hindernisse und Irrtümer in Freiheit Dir dienen.

Dritte Oration: Für die Lebenden und Verstorbenen

Allmächtiger ewiger Gott, der Du über die Lebenden ebenso herschest wie über die Verstorbenen und Dich über alle erbarmst, von denen du bereits weist, daß sie durch Glaube und Werke zu den Deinen zählen. Dich bitten wir demütig, daß Du jene, denen unsere flehendlichen Gebete gelten - sowohl die, die diese Welt noch im Fleische zurückhält, wie auch jene, die die künftige bereits des Leibes entledigt aufgenomen hat – auf die Fürsprache aller Deiner Heiligen und Deine Milde die Verzeihung all ihrer Sünden erlangen mögen.

Zweite Sekret:

O Gott unser Heil, erhöre uns: Daß wir durch die Macht dieses Sakramentes vor allen Feinden des Leibes und der Seele geschützt seien. Gewähre uns in diesem Leben Deine Gnade und im zukünftigen Deine Herrlichkeit.

Dritte Sekret:

O Gott, Dir allein ist die Zahl der Auserwählten bekannt, die für das Leben der himmlischen Seligkeit bestimmt sind. Wir bitten Dich, daß durch die Fürsprache aller Deiner Heiligen die Namen aller, deren wir in unserem Gebet gedenken, und aller Gläubigen im Buch der seligen Vorbestimmung bewahrt bleiben mögen.

Zweite Postcommunio:

Wir bitten Dich, Herr, die dargebrachte Gabe des göttlichen Sakramentes möge uns reinigen beschützen und auf die Fürsprache der seligen, glorreichen und allzeit jungfräulichen Gottesmutter Maria sowie des hl. Joseph, Deiner heiligen Apostel Petrus und Paulus, des hl. (N) und aller Heiligen reinige uns von allen Verfehlungen und bewahre uns vor allen Hindernissen.

Dritte Postcommunio:

O Allmächtiger und barmherziger Gott, wir bitten Dich, daß das Sakrament, das wir empfangen haben, uns reinigen möge. Gewähre uns auf die Fürsprache all Deiner Heiligen, daß dieses Sakraments uns nicht zur Schuld und Bestrafung werde, sondern Mittel zu Heil und Vergebung. Es reinige uns von Sünden, bestärke unsere Schwachheit, befestige uns gegen alle Gefahren der Welt und gewähre den lebenden wie den verstorbenen Gläubigen die Vergebung aller Sünden.

Inhalt und Form dieser Texte lassen den Verdacht aufkommen, daß zumindest im Falle der Mehrfach-Orationen der Fastenzeit nicht nur das Bedürfnis nach Kürzung und Stromlinienförmigkeit der Liturgie Motiv der Streichung waren: Das hier zum Ausdruck gebrachte Sündenbewußtsein und die kursorische Erwähnung der schwierigen Prädestinationslehre lassen vermuten, daß man diese „harten Lehren“ dem modernen Menschen nicht mehr zumuten wollte.

Weitere Informationen zum Thema in einem Artikel von Peter Kwasniewski auf New Liturgical Movement.

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