Christi Himmelfahrt im Missale
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- 27. Mai 2022
Zum Fest Christi Himmelfahrt zeigt das Pustet-Missale von 1900 im Zentralbild der Illustration Max Schmalzls eine zunächst durchaus konventionell anmutende Darstellung, die dennoch einige Besonderheiten aufweist. Am auffälligsten vielleicht ist die starke Konzentration auf die irdische Perspektive: Der Himmel ist nur durch die in der mittelalterlichen Kunst gebräuchlichen Sphären-Bänder einer unvollständigen Mandorla angedeutet, die sonst so beliebten Engel und Wolken fehlen ganz. Von der Jüngerschar sind elf Personen vertreten – offenbar nur die Apostel, ein Nachfolger für Judas war noch nicht gewählt. Ganz selbstverständlich ist die Anwesenheit Mariens, die ihrem entschwindenden Sohn in anbetender Haltung mit den Blicken folgt.
Nicht exzeptionell, aber in der westlichen Kunst eher ungewöhnlich ist die Darstellung des Steins mit den Fußabdrücken des Auffahrenden. Über den Stein tief gebeugt eine Frauengestalt mit unter dem Schleier hervorwallenden langem Haar: Sie soll sicher an Maria Magdalena erinnern, die einst die Füße des Herrn mit den Tränen über ihre Sünden wusch und mit ihren Langen Haaren trocknete. An der Vorderseite trägt der Stein die Künstlersignatur FMS. Diese Gestalt der Maria Magdalena und das Monogramm waren in einer früheren wohl ebenfalls von Schmalz gezeichneten Version des Auferstehungs-Bildes (Pustet 1884) noch nicht enthalten
Die Gegenstände der typologischen Vignetten ergeben sich bei diesem Thema von selbst: Links der gottesfürchtige Henoch, der von einem Engel in den hier als vollständige Mandorla symbolisierten Himmel begleitet wird: „Er ward nicht mehr gesehen, denn Gott nahm ihn weg“ (Gen 5, 24). Rechts die Wegführung des Elias von seinem Schüler und Nachfolger Elisäus: Da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Pferden und trennte sie voneinander „(und Elias fuhr im Sturmwind auf zum Himmel)“ (4. Könige 2, 11). In den Eckvignetten kommen dann noch die im Mittelteil fehlenden Engel ins Bild; drei davon machen Musik, und der vierte hält ein Spruchband mit der Erläuterung: „Gott stieg empor unter Jubel, der Herr beim Schall der Hörner“. Das ist wörtlich zitiert aus Psalm 46 (Vulgata, Vers 6) und gibt dem ganzen seienen typologischen Rahmen.
Im übrigen ist Psalm 46, 6 ein schönes Beispiel für die typologische Lektüre des alten Testaments. Historisch geht der Psalm zurück auf eine möglicherweise liturgisch überformte Erinnerung an den Aufstieg der Bundeslande in den Tempel auf dem Zionsberg und von daher übertragen auf die Proklamation von Jahwes Weltherrschaft. In dieser Lesart wird er noch heute als Festpsalm zum jüdischen Neujahrsfest gesungen. Von diesem Verständnis her war es nur ein kleiner Schritt, diesen Aufstieg des Weltenkönigs zu seinem Wohnsitz als Vorgestalt, ja sogar als Prophezeiung der Himmelfahrt des Herrn Jesus Christus zu begreifen – und so haben es wohl auch die Kirchenlehrer seit der frühesten Zeit getan.
In der Fassung von 1884 haben die typologischen Seitenbilder die gleichen Objekte: Henoch und Elias. Aber in den Eckvignetten gibt es keine musizierenden Engel, sondern vier Propheten. Rechts oben David mit Verweis auf den gleichen Psalm-Vers 46,6 wie in der 90er-Fassung. Dann dem Uhrzeiger folgend Jeremias mit knappem Verweis auf Jer. 4,13: „Seht, wie Wettergewölk zieht er herauf, seine Wagen gleichen dem Sturm, seine Rosse sind schneller als Adler.“ Als nächstes Jes. 2,2: „Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker.“ und schließlich links oben ebenfalls nur als Verweis Michas 2, 13: „Ein Vorkämpfer bricht ihnen die Bahn, sie brechen durch das Tor in die Stadt ein; dann ziehen sie weiter. Ihr König geht vor ihnen her, der Herr schreitet an ihrer Spitze.“
Vielleicht reagierte Schmalzl (oder sein „theologischer Mentor“, falls es denn einen solchen gab) mit der Streichung dieser Typoi auf die seit Mitte des 19. Jh. zunehmende Kritik der weitgehend von Protestanten getragenen „historisch-kritischen AT-Forschung“, die der Typologie willkürliche Parallelisierungen aufgrund äußerlicher Ähnlichkeiten vorwarf. Diese Kritik ist in vielen Fällen nachvollziehbar, wenn auch nicht immer wirklich berechtigt. Gerade seitdem in der Postmoderne das „laterale Denken“ neue Wertschätzung gewonnen hat, kann man den Verzicht auf die drei letztgenanten Schriftverweise durchaus auch als Verlust betrachten. Das gilt ganz besonders für die letztzitierte Stelle bei Michas, die traditionell als Vorausschau auf die Rettung ganz Israels am Ende der Zeiten gelesen wird.