Einspruch, Herr Professor de Mattei!
23. November 2023
Roberto de Mattei
Roberto de Mattei hat unter Datum vom 22. 11. bei Corrispondenza Romana einen Artikel veröffentlicht, der sich mit den vielerlei Widersprüchen gegen die von Willkür geprägten Personalentscheidungen von Papst Franziskus gegen Bischöfe wie Strickland von Tyler oder ganz aktuell gegen Bischof Rey von Frejus-Toulon beschäftigt. Prof. Mattei fährt dabei gegen diejenige, die zum Widerstand gegen solche Entscheidungen aufrufen, das denkbar schwerste Geschütz auf:
Diese schlechten Berater zeigen, dass sie den Glaubensartikel des Ersten Vatikanischen Konzils ignorieren, wonach „ das Primat des römischen Papstes, des einzigen legitimen Nachfolgers des Heiligen Petrus, in der vollen Macht besteht, die gesamte Kirche zu leiten, zu leiten und zu regieren.“ , das heißt in der obersten Gerichtsbarkeit, ordentlich, unmittelbar, allgemein und unabhängig von jeder Autorität, auch der Zivilgewalt (...) sowohl in Fragen des Glaubens und der Moral als auch in denen der kirchlichen Disziplin und des Regimes“.
Wären diese Berater also Glaubensleugner die sich durch ihren Verstoß gegen das Dogma des 1. Vatikanums selbst aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen hätten? Das scheint uns zu kurz gegriffen. Die oben zitierte dogmatische Aussage „unabhängig von jeder Autorität“ enthält selbstverständlich die Einschränkung, daß der Papst bei seinen Entscheidungen an die Autorität Christi und die apostolische Überlieferung gebunden ist. Diese Einschränkung mußte 1870 nicht explizit ausgesagt werden, weil es damals für die Mehrheit der Konzilsväter und der Gläubigen schlichtweg undenkbar war, daß ein Papst die ihm von Christus verliehene Autorität gegen die Lehre Christi und damit Christi einsetzen könnte. Bei Fragen der Disziplin und der Regierungsklugheit wird sich ein solcher Widerspruch auch nur schwer nachweisen lassen – das von de Mattei angeführte Beispiel Mindszenty ist durchaus überzeugend.
In letzter Zeit hat Franziskus jedoch zunehmend disziplinäre und organisatorische Entscheidungen getroffen, bei denen fast mit Gewissheit zu sagen ist, daß sie ganz wesentlich darauf abzielen, die Verkünder und Verteidiger der Lehre Christi und der Kirche zu schwächen und ihre Feinde zu stärken. Auch disziplinarische Akte des Papstes sind nicht zwangsläufig „wertneutral“, sondern sie finden in einem Umfeld statt, das ihnen mehr oder weniger unübersehbar den Rang und die Wirkung theologischer Aussagen verleiht. Bei einer aus begründbaren politischen Überlegungen getroffenen Entscheidung wie der Absetzung von Kardinal Mindszenty ist ein solcher Zusammenhang kaum zu konstruieren – bei der Absetzung von Bischof Strickland liegt er offen vor Augen.
Joseph Ratzinger hat diese Zusammenhänge klar ausgesprochen: „Tatsächlich hat aber das I. Vatikanum den Papst keineswegs als absoluten Monarchen definiert, sondern ganz im Gegenteil als Garanten des Gehorsams gegenüber dem ergangenen Wort.“ (Geist der Liturgie, S. 143). Daran müssen sich auch „disziplinarische“ Entscheidungen messen lassen.
Damit soll aber unsererseits nicht gesagt sein, daß Betroffene oder einfache Gläubige in solchen Fällen automatisch ein Widerstandsrecht in Anspruch nehmen können. Die Ausübung von tatsächlichem Widerstand und praktischer Gehorsamsverweigerung ist ihrerseits an vielfältige Voraussetzungen gebunden, die man pauschal unter dem Gedanken zusammenfassen kann, daß dieser praktische Widerspruch nicht mehr Schaden für die Kirche, nicht mehr Ärgernis für die Gläubigen verursachen soll, als die demütige Hinnahme erlittenen Unrechts. Im Fall Strickland wäre dieser Nachweis kaum zu führen – im Falle des Ungehorsams von Erzbischof Lefebvre gegenüber dem von Papst Johannes Paul II. ausgesprochenen Verbotes von Bischofsweihen dagegen schon eher.
Der Verweis auf das Beispiel Lefebvre deutet daraufhin, daß de Mattei seine Beispiele Bischof Strickland, Weihbischof Schneider und Ex-Nuntius Vigano schlecht gewählt hat. Weihbischof Schneider ist nach wie vor im Amt, Erzbischof Vigano ist erst nach Ablauf seiner Amtszeit lautstark als Kritiker in Erscheinung getreten. Da hätten wohl der panamaische Bischof Livieres oder der Norditaliener Oliveri bessere Beispiele geboten. Hier muß man jeden Fall genau daraufhin betrachten, wie der Papst bei seinen „disziplinären“ Entscheidung den (weiten) ihm zur Verfügung stehenden Ermessensraum nutzt und wo er damit Glauben und Lehre selbst beschädigt. In dieser Hinsicht sind auch jüngste Personalentscheidungen wie die von Manuel Fernández zum Glaubensverwalter überaus bedenklich. Sie verdienen aus inhaltlichen Gründen härteste Kritik, praktischer Widerstand dagegen ist freilich kaum vorstellbar - außer auf individueller Ebene.
Weil das Kirchenrecht es bis jetzt für unvorstellbar hielt, daß ein Papst mit seinen „Regierungsentscheidungen“ bewußt darauf abzielt oder es billigend in Kauf nimmt, die Lehre der Kirche zu beschädigen und zu verfälschen, stehen bis jetzt keine „Rechtsmittel“ zur Verfügung, um daraus irgendwelche Konsequenzen für das Papstamt und seinen Träger abzuleiten. Erzbischof Vigano scheint uns diesen hier angedeuteten Rahmen gelegentlich zu überschreiten. Das mag ein unbefriedigender Zustand sein, ist aber so einfach nicht zu ändern.
Anders steht es um die Gewissensentscheidung des Einzelnen: Auch die Dogmen von 1870 können niemanden darauf verpflichten, gutzuheißen oder durchzuführen, was im Widerspruch zu beständigen Lehre der Kirche steht. Öffentlicher Widerspruch ist in jedem Fall zulässig, ja sogar gefordert. In welchen Formen dieser „Ungehorsam“ dann praktiziert wird, muß sich dann ebenfalls an dieser Lehre orientieren. Hier sind die Spielräume enger als beim Widerspruch – aber wohl kaum so eng, wie die Argumentation de Matteis es darstellt.
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