Zum Festtag der Esel
16. Januar 2024
Mit Gruß an einen ganz besonderen Menschen
Am vergangenen Sonntag überraschte Fr. Zuhlsdorf die Leser seines Blogs mit Glückwünschen zum Festum Asinorum – zum Eselsfest. Dieser Festtag wurde im hohen Mittelalter am 14. Januar in weiten Teilen Frankreichs begangen und bildete einen ausgelassenen Ausklang zur Reihe der Feiertage von Weihnachten bis Erscheinung des Herrn. Den Ursprung des Feiertages vermutet man in einem Fest der Flucht nach Ägypten, von dessen Erinnerung sich in der römischen Kirche neben einem Gedenktag am 4. Februar wohl auch der Termin des Festes der hl. Familie zu Anfang Januar erhalten hat. Neben den zahlreichen Erwähnungen von Eseln in der hl. Schrift wurden auch heidnische Ursprünge dieses Festes gesucht und vielleicht auch gefunden: Als Reit- und Lasttier spielte der Esel während des größten Teils der Menschheitsgeschichte eine überaus wichtige Rolle. Er war – und ist das an vielen Orten heute noch – eines dankbaren Gedenkens wert. Und die Christen schätzen insbesondere das Kreuz, das er unübersehbar auf dem Rücken trägt…
Aus mehreren französischen Orten ist der Brauch überliefert, an diesem Tag unter großer öffentlicher Anteilnahme einen Esel, auf dem die schönste Jungfrau der Stadt mit einem Kleinkind im Arm saß, durch die Hauptstraße in die Kirche zu führen – Vorbild oder Nachahmung des Palmesels, der zur Feier des Palmsonntags seinen großen Auftritt hatte. Insoweit also alles im grünen Bereich.
Bedenklicher erscheint da schon, daß die Einbeziehung des Esels auch Auswirkungen auf die Liturgie der Messfeier hatte. Quasi als Sequenz wurde ein Lied auf den tüchtigen Esel in die Messe eingefügt, das – zumindest nach den überlieferten Melodien – weitaus mehr einem Tanzlied glich als liturgischer Gregorianik. Fr. Zuhlsdorf bietet die erste Strophe samt Refrain und einer Übersetzung:
Orientis partibus
Adventavit Asinus
Pulcher et fortissimus
Sarcinis aptissimus.
Hez, Sire Asnes, car chantez,
Belle bouche rechignez,
Vous aurez du foin assez
Et de l’avoine a plantez.
(Aus den Ländern des Ostens kommt der Esel, schön anzusehn und tapfer, gut geeignet, Lasten zu tragen.
Wohlan, Herr Esel, öffnet euren schönen Mund und erhebt eure Stimme Dann gibt es viel Heu und jede Menge Hafer!)
Den ganzen und mit vielen biblischen Bezügen geschmückten Text gibt es auf dieser Website mit mittelalterlichen Liedern; mehrere gesungene Fassungen findet man auf Youtube — diese gefiel uns am besten.
Entsprechend der Aufforderung des Refrains brachen die Messbesucher zumindest während dieser „Sequenz“ immer wieder in Eselsschreie aus, und auch das ‚Ite, missa est‘ samt ‚Deo gratias‘am Schluß der Messe wurde entsprechend modifiziert. Fr. Zuhlsorf zitiert eine entsprechende Rubrik:
In fine Missae sacerdos, versus ad populum, vice ‘Ite, Missa est’, ter hinhannabit: populus vero, vice ‘Deo Gratias’, ter respondebit, ‘Hinham, hinham, hinham.’
(Am Ende der Messe wendet sich der Priester dem Volk zu und an Stelle des ‚Ite missa est’ macht er dreimal den Eselsruf; das Volk antwortet entsprechend statt mit ‚Deo Gratias’ mit ‚Iaaa, Iaaa, Iaaa’)
Kein Zweifel – hier haben wir einen liturgischen Mißbrauch, wie er im Bilderbuch steht. So sieht es zumindest von heute her gesehen aus.
„Rite et recte“ war derlei auch im 10. Jahrhundert keinesfalls, und deshalb verlor sich der Brauch auch mit Anfang der Neuzeit. Aber der Blick auf die mittelalterliche Lebenswelt und Weltsicht führt doch zu einem milderen und verständnisvolleren Urteil. Der Alltag und das ganze Leben des Christenmenschen war untrennbar mit dem Religiösen verwoben; zwischen Natur und Übernatur lag oft nur ein kleiner Schritt. Die Tage hatten keine 24 gleich langen Stunden, sondern gingen vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang, eingeteilt duch das Glockenläuten am Morgen, zum Angelus und am Abend. Das Jahr folgte dem Festkreis des kirchlichen Kalenders – und der wiederum wurde nicht nur aus dem Martyrologium abgelesen, sondern war auf vielfache Weise mit dem Rhythmus der Natur und den wirtschaftlichen Kreisläufen verbunden. St. Martinstag war Zinstag (einer von mehreren), und die Gänse zu schlachten und als Zehnt einzuliefern (nicht ohne eine für den eigen Tisch zu behalten) machte allemal mehr Sinn, als die ganze Schar durch den Winter zu füttern. Und die Esel, diese unentbehrlichen Helfer in der armen Landwirtschaft und im kleinen Handel, schrien sowie das ganze Jahr rund um die Kirche – warum sollten sie nicht auch einmal im Jahr ihren Ehrentag in der Kirche haben?
Und ein Lachen in der Kirche konnte weit von einem Auslachen und jeder Lächerlichkeit entfernt sein; Ausdruck von nachgerade kindlicher Freude – zumindest im beseren Fall.
Das heutige Bewußtsein in Kirche und Gesellschaft hat sich weit von dieser integristischen Wahrnehmungsweise des Mittelalters fortentwickelt – ob immer zum Guten, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls findet die Welt außerhalb der Kirchen heutzutage quasi in einem anderen Universum statt als die innerhalb der einstweilen noch Gott zugestandenen kirchlichen Exklave. Und deshab kann der Versuch, Formen und Denkinhalte aus der „äußeren“ Lebenswelt in den sakralen Raum zu übertragen, auch zu viel gravierenderen Mißbräuchen führen als die heute so befremdlich erscheinenden Eselsschreie in der Messe am Eselsfest.
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