Die Mauern von Jericho oder: Rom, wir haben ein Problem
02. Februar 2024
Einsturz der Mauern von Jericho (Joshua 6:1–27)
Von Fr. John A. Perricone
Das war wie damals, als die Mauern von Jericho zusammenbrachen. Aber dieses Mal war es nicht jüdische Priester, die mit den Juden um die Stadt zogen und die Posaunen erschallen ließen, sondern es waren Katholiken in aller Welt, die den Himmel bestürmten. Oder um ein zeitlich näherliegendes Beispiel anzuführen, wie damals, als die Ostdeutschen die Berliner Mauer zu Fall brachten, doch jetzt waren es fromme Katholiken der Millenials-Generation, die nicht zulassen wollen, daß die seit unvordenklicher Zeit überlieferte Liturgie zu einem Fossil der Vergangenheit wird. Die Bedeutung dieses Ereignisses kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diese Messe der außerordentlichen Form wurde auf Einladung von Mike Johnson, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, in einer Erzdiözese gefeiert, in der fast alle Zelebrationen im alten Ritus verboten worden waren. (…)
Mr. Johnson hatte die Zelebration als ein Zeichen gesehen, um an den Jahrestag des Bekanntwerdens der skandalösen Bespitzelung traditionstreuer Katholiken durch den FBI zu erinnern. (…) Und prompt meldete sich ein Team junger katholischer Männer und Frauen aus den verschiedenen Büros von Senat und Repräsentantenhaus, um die Organisation des Ereignisses zu unterstützen. Aber von „Organisation“ zu sprechen ist eine Untertreibung – so groß war das Engagement der Helfer. Und zwar weniger wegen des politischen Datums, sondern deshalb, weil eine Messe in der außerordentlichen Form gefeiert werden sollte.Die Organisatoren fanden die Unterstützung eines Priesters „in good standing“, dessen Name allerdings nicht veröffentlicht wurde, um ihn vor Repressionen zu schützen. Und so konnte die ganze Veranstaltung mit detaillierter Planung in geradezu militärischer Präzision durchgeführt werden – und sie wurde weltweit beachtet.
Kaum war der provisorische Altar wieder abgebaut, traten die katholischen Medien in Aktion. Als erste die üblichen traditionsorientierten Online-Magazine, dann die anderen. Besonders faszinierend war die Reportage des Amerika-Magazins, des jesuitischen Sprachrohrs für die Vorhut der katholischen Linken. Dort schrie die Überschrift: „Verbotene Alte Messe im Kapitol abgehalten“. Das war schon stark. Daß ausgerechnet die „neu und verbessert herausgekommene“ Gesellschaft Jesu das Wort „verboten“ verwenden würden, nachdem ihre Theologen seit langem darauf bestehen, diesen Begriff aus der Sprache der Theologie auszumerzen. (…)
Das sind die Jesuiten, deren weit verbreitete Lehreinrichtung auf Hochtouren laufen, um antikatholischen Katholizismus zu produzieren und zu verbreiten. Schon vor langem hat diese ach so moderne Gesellschaft das Banner des „Laissez-faire-Kirche“ aufgerichtet. Doch nun treten sie auf mit der Wut von Puritanern, die ihrem Opfer den Bannbrief anhängen. Was läßt sich die immer mit der Mode gehende Gesellschaft wohl als nächstes einfallen? Vielleicht eine Neuauflage der Hexenprozesse von Salem?
Woher kommt diese Alarmstimmung in den Ordinariaten mancher Diözesen? Denn so hatten die Feinde der überlieferten Liturgie den Verlauf der Dinge nicht geplant. Nach 60 Jahren Verbreitung des so überaus gelungenen Novus Ordo, da waren sich seine Befürworter sicher, würde die überlieferte Liturgie längst vergessen sein. Sie waren davon überzeugt, daß ihre unermüdlichen Anstrengungen im letzten halben Jahrhundert ihr einen Platz auf dem Müllhaufen der Geschichte verschaffen würden – neben dem fleischlosen Freitag, der Verehrung des heiligsten Herzens Jesu, zusammen mit der Abhaltung von Novenen und dem Begriff der Todsünde. Was sie nicht in ihren Plänen hatten war ein Jugendrevolte, die die überlieferte Liturgie wieder voll ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken würde.
Zwei historische Zufälle begünstigten diese Revolution: Das eine war ein Pandemie-Virus, und das andere Traditionis Custodes. Als Covid zuschlug und die Kirchen zumachten, gingen Katholiken auf der Suche nach einer heiligen Messe ins Internet. Und als die Suchmaschinen anliefen, wurden Tausende, Zehntausende aufmerksam auf diese seltsame Messe im überlieferten Ritus, von der sie bis dahin nie etwas gehört hatten. Und siehe da: Die Wahrnehmung der Transzendenz, Schönheit und des spürbaren Geheimnisses dieser Liturgie erwies sich als überaus infektiös.
Sie begannen, sich über den Ursprung dieser Liturgie zu informieren – das eröffnete ihnen neue Horizonten, verursachte eine Unmenge von Fragen und erzeugte einen unwiderstehlichen Hunger. Und natürlich entging ihnen auch nicht Papst Benedikts Summorum-Pontificum, in dem er die Grundlagen der liturgischen Banalitäten erschütterte, die die liturgische Praxis länger als ein halbes Jahrhundert bestimmt hatten:
Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben.
Als die Pandemie abebbte und die Kirchen ihre Türen wieder öffneten, ging die Zahl der Messen im alten Ritus steil in die Höhe. Endlich eine Religion für Erwachsene!
Ganz ähnlich wirkte der Erlass von Traditionis Custodes. So mancher neugierige Katholik fragte sich, was es denn mit diese verbotenen Ritus der Messfeier auf sich habe. Welche schlimmen Dinge wären wohl damit verbunden, um eine so umfassende Verurteilung zu rechtfertigen? Das müßte wirklich ein unerhörtes Übel sein. Diese verbotene Messe würde wohl eine schreckliche Gefahr für die Seelen bedeuten, wenn man sie so bekämpfen musste – quasi ein Krebsgeschwür, das sich am Mystischen Leib Christi ausbreitete. Denn wie könnte man das sonst verstehen? Schließlich war das Pontifikat, das hier seine schärften Instrumente in Stellung brachte, doch überaus stolz auf seine „Vorurteilsfreiheit“, ging hinaus an die „Ränder“, tolerierte zum Wohle der „Begleitung“ Praktiken, die nie zuvor in der Kirche geduldet worden waren und hatte darüber hinaus noch eine starke Neigung zum Anrichten von Chaos. Dieses Pontifikat entwickelte neue Erklärungsmuster (wie etwa die „kontextuelle Theologie“), die jede Verurteilung als ein peinliches Überbleibsel mittelalterlicher Vergangenheit erscheinen ließe. Sollten nicht tausend Blumen blühen? Wenn ein solches Pontifikat sich so untypisch verhielte, bedeutete doch wohl, daß es sich einer geradezu unbeschreiblichen Schlechtigkeit konfrontiert sähe. Fast könnte man Voltaire jammern hören „écrasez l’infâme!“.
Denn warum sonst so drakonische Maßnahmen? Um was für eine quälende und beispiellose neue Schlechtigkeit geht es da eigentlich?
Die Neugier war geweckt – und ab ins Internet, um mehr zu erfahren. Und als der Blick der Millenials auf diese verbotene Praxis fiel, waren sie überwältigt. Diese verbotene Messe, so erschien es ihnen, kündete von Gott, von Seinen Geheimnissen und von Seiner Liebe. Sie beschwor eine Feierlichkeit, die ihre darbenden Herzen nährte. Sie zeigte ihnen ein wohlgeordnete System von Wahrheiten, dessen Macht sie nicht widerstehen konnten. Das sollte schlecht sein? Das verdient das Urteil „verboten“? Die jungen Geister nahmen sich vor, noch mehr zu erfahren. Sie fühlten sich wie Columbusse des 21. Jahrhunderts auf der Suche nach einer neuen Welt. Selbst in den klaustrophobischen Beschränkungen von Traditionis Custodes entdeckten sie noch den verborgenen Schatz und erfuhren eine innere Umwandlung. Das war keine Bosheit – das war der Himmel.
Offizielle Stellen schnitten Grimassen. Theologen schrieben Schmähschriften. Liturgiker knurrten. Rom – wir haben ein Problem.
Man konnte die verängstigten Apparatschiks der Ordinariate und der Klasse bevollmächtigter Wahrheitsverwalter nachgerade stöhnen hören: Da kommt etwas auf uns zu, das niemals hätte passieren dürfen. Jahrzehnte festgezurrter Reformliturgie standen plötzlich auf dem Spiel. Der gesicherte liturgische Boden wankte unter ihren Füßen. Ein halbes Jahrhundert liturgischer Universitätswissenschaft entglitt ihren Händen.
Doch keine Sorge. Schließlich war es im Vergleich zur allgemeinen katholischen Bevölkerung nur eine kleine Zahl, die sich bei diesen Messen drängte. Doch das war nur ein geringer Trost. Denn bei der anscheinend unbedeutenden Zahl dieser Messen spürte man eine unerklärliche Leidenschaft, Frömmigkeit und Hingabe. Und ebenso irritierend war ihr Respekt vor der Autorität der Kirche, ihre Bescheidenheit, ihre Friedfertigkeit und ihr Wille – sagen wir es einmal so – einfach nur gute Katholiken zu sein. Rom, wir haben ein Problem.
Graham Greene hat das in Brighton Rock (deutsch: Am Abgrund des Lebens) im perfekten Ton katholischer Rechtgläubigkeit so ausgedrückt: „Ich kann die erschreckende Fremdartigkeit des Göttlichen Erbarmens nicht verstehen – und Sie können es auch nicht.“
Über die „Alte Messe“ im Kapitol hatten wir bereits am 25. Januar berichtet. Den Artikel von Fr. Perricone fanden wir im Crisis-Magazine. Der Autor ist Professor für Philosophie am Iona-College im Staat New York und publiziert neben dem Crisis Magazine auch in zahlreichen anderen glaubenstreuen Medien der USA.
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