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Die Wurzel der Liturgiekriege:
Ein leichtfertiges Spiel

Aus New Liturgical Movement von Kevin Tierney

14. März 2024

5 - Liturgiereform

Papst Paul mit kleinem Gefolge am Alktar und 'ad populum' zelebriertend

Paul VI. bei der Zelebration „ad populum“.

Als Kardinal Robert Sarah noch Präfekt der Gottesdienstkongregation war, hat er sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Rolle die Liturgie für die Bil­dung eines katholischen Bewußtseins spielt. Dabei dachte er nicht nur über die Früchte einer rechten liturgischen Bildung nach, sondern auch darüber, wie ein falsches Verständnis von Liturgie Katholiken in einer unerwünschten Weise (ver)bilden kann. Auf einer Liturgischen Konferenz 2017 in Köln warnte der Präfekt vor einer Liturgie, „die Anlaß für erbitterte Spaltungen, ideologische Auseinandersetzungen und für die öffentliche Demütigung von Schwachen durch die Inhaber von Machtpositionen bietet, statt ein Ort der Einheit und unserer Gemeinschaft mit dem Herrn zu sein.“

Damit bezog sich Kardinal Sarah auf den schrecklichen „Liturgiekrieg“, der in unter­schiedlichen Intensitätsgraden im römischen Ritus seit der Promulgation des Novus Ordo durch Paul VI. 1969 stattfindet. Unter einigen der eifrigsten Katholiken wurde die Liturgie, statt ein Mittel des Gottesdienstes zu sein, ein Frontabschnitt in einem umfassenderen Kampf darüber, wie sich die Kirche gegenüber dem Heiligen verhalten solle. Und wie das bei vielen Grabenkämpfen so ist, kam dabei wenig mehr heraus als eine beträchtliche Zahl von Opfern. Niemand ist für den Liturgiekrieg. Doch trotz dieser endlosen Bitterkeit wird der Liturgiekrieg 2024 ebenso grausam geführt wie in den 1990er und 2000er Jahren. Woher kommt das?

In meinem Erklärungsversuch gehe ich von einem Ansatz aus, der dem einen oder ande­ren Traditionalisten nicht gefallen mag. Ich gehe nämlich davon aus, daß die meisten Personen, die an der Schaffung des Novus Ordo beteiligt waren, (mit einigen wenigen Ausnahmen) gutwillige, jedoch fehlgeleitete Leute waren. Ich bleibe (ebenfalls mit einigen Ausnahmen) dabei, daß die meisten Handlungen der Päpste seit dem Konzil aufrichtig gemeint waren, aber ganz entschieden verfehlt waren, weil sie von einer leichtfertigen Voraussetzung ausgingen, fast von einer Wette oder einem Glücksspiel. Sie mögen das anders sehen – nun ja.

Meine Theorie des Liturgiekrieges geht nicht von der Frage aus „welcher Ritus ist der bessere“, sondern hat einen definitiv nicht-Liturgischen Hintergrund. Paul VI. und seine Umgebung glaubten, daß die Früchte der neuen Liturgie sich von selbst rechtfertigen würden. Die Reform wäre ein so offensichtlicher Gewinn, daß ein jeder davon begeistert wäre – selbst wenn das ein paar Jahre brauchen würde. Und um diese Begeisterung zu fördern, befahl Paul VI. den Priestern, sobald sie ihren Fuß in die neue Welt gesetzt hätten, ihre Schiffe hinter sich zu verbrennen. Er verbot es faktisch allen Priestern des römischen Ritus, nach dem alten Missale zu zelebrieren. Es würde kein Zurück geben, keine selbstkritische Betrachtung und keine Erfolgskontrolle, ob die Reformen sich bewährten oder nicht. Schon alleine die Forderung, diese Reformen zu überprüfen, galt schon als Aufruf, die Vollmacht des Papstes in Zweifel zu ziehen, den Gottesdienst der Kirche zu bestimmen.

Der Papst schaffte die alte Messe nicht formell ab - warum nicht, bleibt offen. Ich denke, es ist ein kanonisch ausgesprochen schwieriges Vorhaben, etwas abzuschaffen, das die Kirche jahrhundertelang vorgeschrieben und hochgehalten hat. Sich darauf einzulassen, würde die Zielsetzung des Kirchenrechtes und der Kirchen­disziplin auf den Kopf stellen. Deshalb versuchte er andere Mittel, um die Hinnahme zu erreichen. Und soviel ist klar: Die Hinnahme erreichte er.

Die überwältigende Mehrheit der Katholiken nahm die neue Messe hin. Es war ihnen klar, daß sie nun jeden Sonntag an dieser Messe teilnehmen würden. Aber sie machten sie sich nie zu eigen. Die Liturgiereform führte zu keinem tieferen Verständnis. Sie führte zu keiner größeren Inbrunst. Kurz gesagt: Im Wesentlichen ist nichts von dem, was besser als in der alten Messe sein sollte, eingetreten. Was blieb, waren persönliche Vorlieben. Die Reformen erzielten ihre Wirkung nicht durch das, was sie bewirkten, sondern durch das, was sie ermöglichten: Mehr Freiheit im persönlichen Ausdruck, eine „ Gestaltung“ der Messe entsprechend den Wünschen der Gläubigen. Mit den „Wünschen der Gläubigen“ meine ich die Wünsche einer Liturgiebürokratie, die glaubte, sie seien die frömmsten Katholiken aller Zeiten und die ganze Welt müsse an ihrer Vortrefflichkeit teilhaben. Ob sie das wollte, oder nicht

Die neue Messe überlebte alleine durch das päpstliche Machtwort. Für die Revolutionäre, die mehr Veränderung wollten, bedeutete dieses Machtwort wenig. Für viele Katholiken, die einfach nur einen Moment von Ruhe und Frieden suchten, um Gott am Sonntag näher zu sein, bedeutete dieses päpstliche Machtwort auch nicht viel. Die neue Messe war nun mal da, und sie würde auch nicht verschwinden. Aber sie wurde nie geliebt. Und da sie nie geliebt wurde, hieß das, daß auch die alte Messe niemals verschwinden würde.

Als diese Realität in dem Jahrzehnt nach 1969 unübersehbar wurde, mußte die Kirche sich mühsam mit dem Faktum auseinandersetzen, daß eine Vorhersage des päpstlichen Amtes, die dieses mit dem vollen Gewicht seiner kanonischen Autorität getroffen hatte, nicht eingetreten war. Zu diesem Zeitpunkt begann sie auf Zeit zu spielen. Sie gewährte einer kleinen Zahl von Gläubigen in England und Wales ein Indult. Es gab Vereinba­rungen im Einzelfall. Wenn Priester sich auf kanonisch zweifelhafte Weise betätigten, wurde das zwar mißbilligt – aber meistens ließ man sie in Ruhe. 1984 erließ Rom eine Grundordnung für solche Indulte, die auf der festen Überzeugung beruhte, daß diejenigen, die weiterhin die alte Liturgie haben wollten, innerhalb einer Generation ausgestorben sein würden. Doch 1988 mit der Exkommunikation von Erzbischof Lefebvre wurde diese Position unhaltbar. Ab dieser Zeit war der Status der alten Messe nicht mehr unter der Kontrolle der Kirche und ihrer Bischöfe. Aber die Kirche konnte auch nicht zugeben, daß die leichtfertigen Voraussetzungen, von denen sie 1969 ausgegangen war, unzutreffend waren. Denn wenn sie unzutreffend gewesen wären, hätte man die Liturgiereform insgesamt auf ganz grundsätzliche Weise in Frage stellen können.

Dann versuchten sie, der ästhetischen Kritik mit einer „Reform der Reform“ zu begegnen, die eine Menge von den dingen zurückbringen sollte, die Papst, Bischöfe und liturgische Berater jahrzehntelang als etwas verteufelt hatten, das ins Museum oder auf den Fried­hof gehöre. Das einzige, was die Reform der Reform tatsächlich brachte, war die Grund­frage: Wenn wir Latein haben können, die Feier nach Osten und Kommunion im Knien an der Kommunionbank – warum dann nicht einfach die Messe in der überlieferten Liturgie?

Als Benedikt XVI. den Thron bestieg, war ihm klar, daß die Kirche diese Fragen nicht würde beantworten können, daß die alte Messe nicht verschwinden würde, und daß die Zahl der Gläubigen die sich ihr zuwandten, größer wurde. Und im gleichen Maße verflüchtigte sich inzwischen der Wunsch, die alte Messe zu verbieten. Wie damit umgehen, ohne einen Fehler einzugestehen? In dieser Situation stieß der brillante Theologe auf ein riesengroßes Schlupfloch. Da Paul VI. die überlieferte Liturgie einfach unberücksichtigt gelassen hatte, würde er sie wieder berücksichtigen. Sie würde neben der „Forma ordinaria“ bestehen, und die Priester und Gläubigen könnten sich selbst für die eine oder die andere entscheiden. Er wollte die Diskussion lösen, indem er sich ganz davon abwandte. Er erklärte nicht die eine oder die andere Form zum Sieger des Litur­gie­krieges, sondern die liturgische Vielfalt – und ging nach Hause.

Sollte das etwas unernst klingen, ist das nicht meine Absicht. Es erfordert schon einen erstaunlichen Menschen, zuzugeben, daß frühere päpstliche Versuche zur Lösung dieser Frage alles nur noch schlimmer gemacht hatten. Joseph Ratzinger war sicher der fähigste Theologe des 20. Jahrhunderts, und dieses Wissen ließ ihn die Grenzen der Kirche und seiner eigenen Person einsehen. Seine Entscheidung war nicht perfekt – aber sie führte zur Feuereinstellung im Liturgiekrieg und einem zumindest zeitweiligen Frieden. Soll die Welt erst mal wieder zu Atem kommen, und dann verhandeln wir über einen länger dauernden Frieden.

Das Problem bei diesem Ansatz besteht darin, daß es eine Richtung innerhalb der Kirche gab, die die Offensive fortsetzen wollte. Für sie war all dieses Gerede vom Frieden verfehlt: Wenn man Frieden mit der Vergangenheit schließt, wird diese Vergangenheit zurückkehren. Wenn man die Vergangenheit als denkbare Möglichkeit zuläßt, wird sie immer präsent sein, um als Alternative zu dem, was der Gegenwart gerade gefällt, an die moderne Zeit angepasst zu werden. Wir wissen zwar nicht, ob Jorge Bergoglio schon immer dieser Richtung angehörte, wurde doch spätestens 2019 deutlich, daß er nun als Papst Franziskus diese Weltsicht angenommen hatte. Seine Generation lag im Sterben. ER selbst lag im Sterben, Ihr Stern war im Sinken. Was würde geschehen, wenn sie tatsächlich stürben und die Vergangenheit, von der Paul VI. die Leute mit Gewalt vertreiben wollte, immer noch präsent wäre?

Als Franziskus die Bischöfe der Welt fragte, ob ihnen klar wäre, welche Bedrohung die Alte Messe für die Einheit der Kirche bedeute, zuckte die Mehrheit nur mit den Schultern. Deshalb erließ er Traditionis Custodes, um sie dazu zu zwingen, diese Bedrohung wahrzunehmen. Als das immer noch nicht half, versuchte er es mit weiteren Zwangsmaßnahmen, um Bischöfe und Gläubige dazu zu bringen. Doch das grundsätzliche Problem blieb bestehen: Niemand liebt die Alternative. Sie nehmen sie hin. Sie richten ihr Leben entsprechend ein. Die neue Messe ist Teil des grauen katholischen Alltags. Aber sie lieben sie nicht.

Das ist die eigentliche Wurzel der Liturgiekriege. Eine ganze Generation von Kirchen­füh­rern vom Papst an abwärts agierte auf Grund leichtfertiger Voraussetzungen, eines Glücksspiels. Sie haben den Einsatz immer weiter erhöht und gingen schließlich aufs Ganze. Sie haben verloren, und nun müssen sie nach Hause gehen und der Familie erklären, warum sie kein Auto oder kein Haus mehr besitzen und sich darauf einstellen müssen, daß das letzte Hemd weg ist. Aber macht euch nichts draus: Ihr werdet schon lernen, es gut zu finden. Oder wie ein berühmter katholischer Autor einmal sagte: „Wir Sünder verdienen eine hässliche Liturgie“.

Fällt ihnen dazu etwas ein?

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Wir haben diesen Artikel aus New Liturgical Movement übersetzt, wo er unter dem Datum vom 13. 3. erschienen ist. Und da uns nach der abschließenden Frage schon einiges dazu eingefallen ist, werden wir in den nächsten Tagen noch einmal darauf zurückkommen. Nicht um ihm zu widersprechen, sondern um den einen oder anderen Denkansatz noch etwas weiter zu verfolgen.

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