Palmsonntag: Evangelium und Prozession
zur Palmsweihe
23. März 2024
Das Evangelium zur Palmweihe mit der Perikope aus Markus 11 über den Einzug Jesu in Jerusalem entfaltet seinen ganzen Reichtum erst vor dem Hintergrund der vielfältigen jüdischen Traditionen und Assoziationen, die Markus in diesen Bericht eingearbeitet hat. Augenfällig – und daher hat der Sonntag schließlich auch seinen Namen – ist die Erwähnung der Palmzweige, mit denen Bewohner Jerusalems den auf dem Eselsfüllen einziehenden Wundertäter aus Galiläa begrüßten. Hier von „die Bewohner Jerusalems“ zu sprechen und dann anläßlich des wenige Tage später erschallenden Rufes „Kreuzige ihn“ den Wankelmut der Menge zu beklagen, ist sicher nicht unberechtigt – trifft aber die Historie wohl nur zum Teil: Nirgendwo sagt die Schrift, daß es die Selben gewesen sein. Die Bewohner Jerusalems waren tief gespalten in solche, die inbrünstig einen Messias als Retter aus der Not erwarteten, und andere, die sich mit den herrschenden Verhältnissen arrangiert hatten, davon profitierten und jede Veränderung der Situation fürchteten.
Beim Empfang Jesu traten vor allem die Ersteren auf. Sie erkannten in Jesus den von Sacharija (9, 9) angekündigten Friedenskönig:
Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.
Und sie begrüßten ihn so, wie es nach alter Sitte wohl bei der Krönung eines Königs zuging, indem sie ihm ihre Kleider zu Füßen legten:
Sogleich nahmen alle ihre Kleider, legten sie ihm zu Füßen auf die bloßen Stufen, stießen in das Horn und riefen: Jehu ist König. (2. Könige, 9, 9)
Nun ist diese Stelle mit Vorsicht zu genießen: Jehu war eine Art Gegenkönig, und die Schrift beschreibt diese Zeremonie hier wohl nicht deshalb, um Jehu zu unterstützen, sondern um den Grad seiner Anmaßung zu verdeutlichen. Deshalb war bei anderen Königsberichten die Erähnung dieses Ritus wohl entbehrlich. Der dann folgende Jubelruf greift die Verse 26 und 27 von Psalm 117 (118) auf :
Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn.
Wir segnen euch vom Haus des Herrn her.
Gott, der Herr, erleuchte uns. Mit Zweigen in den Händen
schließt euch zusammen zum Reigen bis zu den Hörnern des Altars!
Mit der Erwähnung der „Hörner des Altares“ wechseln Schauplatz und Bezüge. Gemeint ist natürlich der große Brandopferalter des Tempels, der von den Frommen zur Feier des Laubhüttenfestes mit grünen Zweigen in den Händen in Prozession umschritten wurde. Die Übersetzung „Reigentanz“ verniedlicht die Sache wohl einigermaßen, und auch das „Umschreiten“ trifft es nicht ganz. Eher muß man wohl an ein ähnliches Bild wie das rechts wiedergegebene denken.
Aber zurück zum Laubhüttenfest im wahren Tempel auf dem Zionsberg. Ob auch zu anderen Festen „Palmprozessionen“ stattfanden, kann spekuliert werden. Für Sukkot ist die Tradition, daß bei der Prozession um den Altar des Tempels frische Zweige getragen wurden, jedenfalls eindeutig belegt. Diese Zeige, deren Art genau vorgeschrieben waren, stammten von verschiedenen Bäumen und Sträuchern und erinnern vermutlich daran, daß das Laubhüttenfest ursprünglich ein Erntedankfest war, wie es im Gesetz geschrieben steht: „Das Laubhüttenfest sollst du sieben Tage lang feiern, nachdem du das Korn von der Tenne und den Wein aus der Kelter eingelagert hast.“ (Dtn 16, 13).
Später nahm das Fest dann noch andere Bedeutungen an. Ganz zentral natürlich die Erinnerung an den Auszug Israels aus Ägypten und die anschließende Nomadenwanderung durch die Wüste; dann aber auch – vielleicht wegen seiner Platzierung am Ende des Jahreskreises – einen messianischen und eschatologischen Beiklang: Die prophetischer Perspektive auf das Ende der Zeiten und die Erscheinung des Messias. Dieses Motiv erscheint, wenn auch einigermaßen verschlüsselt im Evangelium, wenn es heißt, daß Jesus „aus Bethanien am Ölberg“ nach Jerusalme zog. Der Ölberg ist nach Sacharja 14, 4 der Ort, an dem der Herr zum Endkampf gegen das (vom Glauben abgefallene) Jerusalem erscheinen wird, und der Historienschreiber Josephus berichtet von einem „Ägyptischen Propheten“, der den Weltenherr zum Ende der Zeit ebenfalls vom Ölberg her kommen sieht.
Interessante Auslegungsmöglichkeiten bietet auch der vom Volk angestimmte Segensruf „Gesegnet der da kommt im Namen des Herrn.“ Wir haben von den Evangelien natürlich nur einen griechischen Urtext – aber da hier Verse aus Psalm 117 zitiert sind, darf man auch einmal in die hebräische Vorlage schauen. Demnach steht „Herr“ hier eindeutig als Umschreibung des Gottesnamens „Jahweh“, der in den entsprechenden Versen 25 und 26 des Psalms vier mal angerufen wird – eine höchst ungewöhnliche Häufung. Alles ist hier somit auf den Hern hin ausgerichtet, die Menge ruft Seinen Namen an und bestätigt gleichzeitig, daß das, was geschieht, sich in Seinem Namen vollzieht: Der, der da kommt, kommt im Namen des Herrn.
Ganz und gar wörtlich „im Namen des Herrn“ trat der Hohe Priester vor das Volk der Frommen, wenn er einmal im Jahr das Allerheiligste betreten hatte und den priesterköniglichen goldenen Stirnreif trug , auf dem die Buchstaben des unaussprechlichen Namens J-H-W-H eingraviert waren. „Im Namen des Herrn“ sprach er den Segen, und „im Namen des Herrn“ antwortete ihm die Menge. Das war ein einziges Mal im Jahr – aber beim Einzug Jesu nach Jerusalem wiederholte sich die Szene quasi außerhalb der Ordnung, und diesmal nicht als Ritus in einer Liturgie des Tempels, sondern in der Realität von Stadt und Erdkreis.
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