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Kommt es bei den Thomaschristen Indiens zu einem Schisma?

11. Juni 2024

6 - Kirchenkrise

Das Photo zeigt einen Versammlungssaal, in dem zahlreiche an der weißen Soutane kenntliche Priester und Laien dem Vortrag eines Redners zuhören.

Protestversammlung gegen den Einheitsritus

Die syro-malabarische Kirche im west­indi­schen Bundesstaat Kerala steht vor einer neuen Runde in der Auseinandersetzung über die Zelebrationsrichtung, und einiges deutet darauf hin daß es die letzte Runde sein könnte: Danach bleibt nur noch das Schisma. (Quelle)

In einem ungewöhnlich scharf formulierten Schreiben haben Groß-Erzbischof Raphael Thattil als Haupt der Rituskirche und und Bischof Bosco Puthi, der Apostolische Admi­nistrator der Erzdiözese von Ernakulam-Angamaly, Klerus und Gläubigen der Diözese ein Ultimatum bis zum 3. Juli – dem Fest des. Hl. Thomas – gestellt, um den von einer Synode beschlossenen und vom Vatikan approbierten „Einheitsritus“ zu praktizieren. Nach diesem Termin sollen alle Priester und Laien, die dem nicht folgen, als „Außerhalb der Gemeinschaft der Kirche“ stehende Schismatiker angesehen und exkommuniziert sein. Priestern wird dann die Ausübung aller priesterlichen Funktionen untersagt und sie verlieren alle Ämter und Funktionen in der Kirche. Laien wird unter Strafe der Exkom­munikation verboten, an Liturgien teilzunehmen, die nicht dem „Einheitsritus“ folgen.

Soweit wir informiert sind (s. dazu unseren Beitrag vom Januar) besteht das einzige Spezifikum des „Einheitsritus“ gegenüber dem „Rebellenrititus“ darin, daß die „Rebellen“ die im Zug der allgemeinen Liturgiereform vor 60 Jahren eingeführte Zelebrationsrich­tung „ad populum“ während der ganzen Messe beibehalten wollen, während der „Einheitsritus“ für die „Opfermesse“ (also nach Lese- und Wortgottesdienst) die Rück­kehr zum vor Paul VI. auch bei den Thomaschristen üblichen Zelebration „ad Dominum“ vorsieht. In den Messtexten selbst und den eigentlichen Riten gibt es anscheinend keine Unterschiede.

Die hier zugänglichen Informationen geben wenig Auskunft darüber, warum dieser doch einigermaßen sekundär erscheinende Unterschied zu derartig langjährigen Auseinander­set­zungen geführt hat, die nun mit der Drohung von Schisma und Exkommunikation einem Höhepunkt zustreben. Als Begründung für die in der „Einheitsliturgie“ verordnete teilweise Rückkehr zur Tradition wird angeführt, daß im 20. Jahrhundert in vielen mit Rom verbundenen orientalischen Kirchen eine starke Tendenz zur Romanisierung herrschte, die nun entsrechend dem stärkeren kulturellen Selbstwertgefühl der früheren Kolonialvölker eine Rückwendung zur Tradition revidiert werden soll. Erklärungen dafür, warum ein großer Teil der Thomaschristen – im Schwerpunkt-Bistum Ernakulam-Angamaly ist es die überwiegende Mehrheit – diese Rückwendung nicht mitmachen will, werden nirgendwo explizit genannt. Einige eher spekulative Überlegungen dazu haben wir bereits im Januar vorgestellt. Das einzige, was wir von den „Rebellen“ selbst dazu gehört haben, war eine Klage über mangelnde Konsultation und Mitsprache der eigenkirchlichen Gremien – also lokaler synodaler Strukturen – vor der Einführung der doch recht begrenzten Neuerungen.

Letzten Endes müssen wir eingestehen, daß wir die Beweggründe beider hier aufeina­nder­stoßender Parteien nicht nachvollziehen können. In der Kirche von Rom war die Zelebration „ad Dominum“ oder zum „liturgischen Osten“ zwar eine uralte und bevorzugte Gewohnheit, von der jedoch aus vielerlei Gründen abgewichen werden konnte. In der Regel waren das praktische Gründe – Nutzung vorhandener Räume, Einschränkungen durch vorhandene Märtyrergräber usw. – denen aber selten größere Bedeutung zugemessen wurde. Die seit der Liturgiereform bevorzugte Zelebrations­richtung „ad populum“ stützte sich zwar auch auf eine theologisierende Begründung (die um den Mahltisch versammelte irdische Gemeinde galt und gilt als Gegenbild zu dem vom Priester angeführten Prozessionszug der Gläubigen in die ewige Heimat), diese wurde jedoch nie lehramtlich verfestigt und war für praktische Zwecke disponibel: Wo die räumlichen Bedingungen es verlangten, konnte auch der NO gen Osten „mit dem Rücken zur Gemeinde“ und die Alte Messe zu den Gläubigen hin gefeiert werden. Und das ist trotz der von Franziskus angefachten Zuspitzung der Auseinandersetzungen um die richtige Liturgie immer noch so: Was die Kirche im indieschen Orient zu zerreißen droht, hat – zumindest gegenwärtig, wie wir vorsichtshalber hinzufügen wollen – im Westen kein kirchentrennendes Potential.

Damit stellt sich eine Frage, die das Problem des fernen und exotischen Kerala plötzlich bedrohlich nahe zu bringen scheint. Westkirche und „katholische“ Ostkirchen sind vereint unter dem Stuhl Petri, und der gegenwärtige Inhaber des Petrusamtes hat nicht nur die derzeit in Ernakulam-Angamaly amtierenden Bischöfe und Administratoren ernannt, sondern ihren Kurs auch mehrfache ausdrücklich gutgeheißen. Wie kann das, was im Westen keine Ader heiß werden läßt – hat nicht auch Franziskus in seinen ersten Amtsjahren in der Sixtina am traditionellen Altar „ad Dominum zelebriert? – wie kann das im Osten Grund für die Feststellung eines Schismas und die Verhängung eines Interdikts sein?

Einige Anzeichen sprechen dafür, daß es in Kerala längst nicht mehr um eine Sache minderer Bedeutung, sondern ums Prinzip geht – und daß Rom sich unter Franziskus dazu entschlossen hat, diese Sicht zu übernehmen. In ihrer Bann-Androhung geben die beiden von Rom ernannten Prälaten Thattil und Puthi dazu bemerkenswerte Einblicke, wenn sie schreiben: „Das väterliche Herz des Heiligen Vaters ist tief verletzt durch die Tatsache, daß die zweimal in Schriftform und einmal per Video erteilten klaren Anord­nungen zur Einführung der Einheitsliturgie nicht befolgt worden sind. In der Zusam­men­kunft mit den Bischöfen und seiner anschließenden Ansprache hat der Heilige Vater klar ausgedrückt, daß die Ungehorsamen sich mit ihrer Haltung außerhalb der Kirche stellen. Wie fordern in Liebe alle Priester, Ordensleute und Laien der Erzeparchy dazu auf, die Worte des Papstes, des Oberhaupts der katholischen Kirche aufrichtig und ernsthaft anzunehmen und zu befolgen.“

Es geht also weniger um die Liturgie, sondern um den Gehorsam – und damit ist ein weiteres Mal die Frage berührt, wie weit die Priester und Laien dem Papst gegenüber zum Gehorsam verpflichtet sind und wo diese Pflicht endet. Daß es keine Gehorsams­pflicht gibt, wenn ein Papst etwas anordnet, das gegen die Gesetze Gottes und die apostolische Lehre geht, bedarf keiner Diskussion. Ebenso klar ist auf der anderen Seite, daß er die Vollmacht besitzt, Regelungen bezüglich der Liturgie zu treffen. Die Frage, die sich seit Paul VI. Immer wieder stellt, ist. wie weitgehend der Papst bei der Regelung der Liturgie an die Tradition gebunden ist und ab wann traditionswidrige Eingriffe als willkürlich und letzten Endes so schädlich gelten müssen, daß ihre Umsetzung nicht mehr im Gehorsam verlangt werden kann.

Beim Despoten Franziskus stellt sich die Frage verschärft unter dem Aspekt, ob das bloße Wollen des Papstes in einer Angelegenheit, die von der Sache her keiner uniformen Regelung bedarf, schon ausreichender Grund ist, den Willen des Papstes zum absoluten Gesetz zu erheben – selbst wenn das für eine große Zahl von Gläubigen zu einer Gefahr für das Heil ihrer Seelen führen kann. Entweder weil es ihnen Gelegenheit zur Sünde – hier also zur Widersetzlichkeit gegen den Papst – bietet, oder weil sie durch die Neu­erungen in ihrer Frömmigkeit und ihrem Gebetsleben, verletzt werden. Als Paul VI. mit seinem Novus Ordo unzählige Gläubige aus dem Gehäuse ihres Gottesdienstes und ihrer spirituellen Heimat verstieß, konnte er dafür zumindest die Ansichten der damals herrschenden theologischen Mode als Begründung heranziehen. Für die Situation in Kerala scheint es derartige Begründungen nicht zu geben – jedenfalls ist uns nicht anderes bekannt geworden als die Schlagwarte von „Einheitlichkeit“ und „Gehorsam“.

Vom „salus animarum“, von dem, was den Glübigen am dienlichsten ist, ihren Weg auf das ewige Heil hin auszurichten, war bei alledem anscheinend nie die Rede. Und das weder vor Ort in Ernakulam-Angamaly, noch in Rom im Palast von Santa. Marta. Aber sollen bloßer Wille und Meinung des Papstes wirklich das höchste Gesetz der Kirche sein?

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Unsere einzige Quelle für die Entwicklungen in Ernakulam-Angamaly sind die regel­mäßigen Beiträge in der auf krisenhafte Entwicklungen in der Kirche konzentrierten amerikanischen WebpublikationThe Pillar, die allerdings alle auf einen einzigen anscheinend vor Ort lebenden Autor zurückgehen. Da „The Pillar“ generell sehr um Objektivität und Korrektheit bemüht ist, gehen wir davon aus, daß diese Beiträge in ihrer Gesamtheit ein zutreffendes Bild der Vorgänge in der syro-malabarischen Kirche bieten.

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