Ein merkwürdiges Schisma in einem merkwürdigen Pontifikat
27. Juni 2024
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Die beiden vergangenen Tage boten gleich zweifache Gelegenheit, der Gegenwart des Alten Testaments im neuen und der Liturgie des neuen Bundes nachzugehen. Der 24. Juni ist der Festtag der Geburt des hl. Johannes des Täufers und Vorläufers Christi, der bereits in seiner ganzen Person für die Verbindung und den Zusammenhang zwischen beiden Testamenten steht. Liturgisch manifestiert sich dieser Zusammenhang darin, daß das im Lukasevangelium (1, 68-79) überlieferte Dankgebet des Zacharias zur Geburt seines Sohnes an prominenter Stelle in das Stundengebet der Kirche aufgenommen worden ist, wo es jeden Morgen gleichrangig mit den Psalmen des Tages gesungen wird.
Wie die Psalmen ist das „Benedictus Dominus Deus Israel“ Zeugnis vorchristlicher jüdischer Frömmigkeit – nur daß es nicht in einem Buch des Alten, sondern des Neuen Testaments überliefert ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Text tatsächlich auf Zacharias selbst zurückgeht oder vom Evangelisten auf Grundlage von Berichten „nachempfunden“ worden ist. In keinem Fall konnte er den jüdischen Lesern oder Hörern seines Evangeliums etwas zumuten, das sie als „Fremdkörper“ in ihrem ererbten Glauben wahrgenommen hätten. Keine Zeile in diesem Lied geht über den Erfahrungs- und Glaubenshorizont des Alten Testaments hinaus. Dieser Canticum Zachariae wird oft in dem Sinn gelesen, daß er aus zwei Teilen bestehe, deren erster in der Vorausschau, quasi als vorweggenommener Dank für die mit Johannes angekündigte Geburt des Erlösers, auf Christus ausgerichtet ist, während der Dank des greisen Priesters für die seit vielen Jahren vergeblich erhoffte Geburt eines Sohnes erst im zweiten und wesentlich kürzeren Teil zum Ausdruck komme. Das heißt aber, zwei Aspekte auseinanderzureißen, die im Glaubensverständnis eines frommen Juden der vorchristlichen Zeit unmöglich auseinandergerissen werden konnten.
Auch der erste Teil ist Dankgebet für die Geburt des Sohnes, aber dieser Dank wird in dem Bewußtsein ausgesprochen, daß alles, was dem Volk Israel und einem seiner Frommen an Gutem widerfahrt, aus der Gabe und Gnade der Hand des Herrn hervorgeht. Und das gilt ganz besonders für die Geburt eines Sohnes, jedes Sohnes in jeder Familie des Bundesvolkes, denn er könnte eben nicht nur der ersehnte „Stammhalter“ für die Sippe sein, sondern der seit Vorväterzeiten versprochene Messias.
Die deutschen Übersetzungen geben die Eingangsverse meistens mit einer Vergangenheitsform wieder, die Leser und Beter an ein eher punktuelles Geschehen denken läßt und so das Blickfeld unangemessen einschränkt: Entweder auf die Geburt des Johannes oder die versprochene Ankunft Christi. Aber das kann auseinanderreißen, was zusammengehört: Immer wieder hat der Herr sich seinem Volk zugewandt und ihm Erlösung geschaffen, und er tut das auch in der Gegenwart und wird es weiterhin tun, bis die Fülle der Zeit gekommen ist. Die Freude über die Geburt des Sohnes und der dafür geschuldete Dank sind eines mit der Gewissheit zukünftig versprochenen – und in den Wundern um die Geburt des Johannes bekräftigten – messianischen Heils.
Eine andere Art des Zusammenhanges wird in der Liturgie des 5. Sonntags nach Pfingsten erkennbar, wo in der Epistel seit alters her eine Perikope aus dem Petrusbrief (1, 3; 8-15) gelesen wird. Der ganze Mittelteil der Perikope (Verse 10-12) ist nichts anderes als ein weitgehend wörtliches Zitat aus Psalm 33 (13-17) – mit einer charakteristischen Abweichung: Die hebräische Fassung und in ihrem Gefolge auch Septuaginta, Vulgata und auch die aktuelle Einheitsübersetzung leiten den zitierten Vers mit einer etwas geschraubt klingenden Wendung ein, die offenbar auf ein hebräisches Idiom der Entstehungszeit zurückgeht: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt, der Tage ersehnt, um Gutes zu sehen?“ – dem folgt eher unvermittelt eine Reihe von Lebensregeln und Ermahnungen. Der hl. Petrus, der kein Schriftgelehrter war, sondern Fischer mit einer Neigung zu deutlicher Aussprache, und der die Psalmen auch wohl nur aus einer aramäischen Übersetzung für das gemeine Volk kannte, übersetzt von Anfang an, was gemeint ist: „Denn wer das Leben lieb hat und gute Tage sehen will, der soll“ – folgt die gleiche Reihe von Regeln, aber nun klar als Ermahnung&dhy;gen kenntlich
Die Bedeutung des Zitats aus Psalm 33 geht aber über diesen beherzigenswerten Hinweis für Übersetzer hinaus. Von der Einleitung des Zitates „Wer gute Tage sehen will“ bis zum Schluß „die Augen des Herrn blicken (gnädig) auf die Gerechten, aber sein Zornesblick trifft die Übeltäter“ entspricht das Psalmzitat (und letztlich auch große Teile des Petrusbriefes) ganz der das Alte Testament beherrschenden Vorstellung vom Lohn für die Guten und der Strafe für die Bösen. Auch der „Zorn Gottes“ bleibt nicht unerwähnt – den „modernen Theologen“, dessen (und deren natürlich auch) bevorzugtes Stilmittel die „undeutliche Aussprache“ ist, schaudert’s.
Und es ist ja auch nicht ganz trivial, den Unterschied zwischen dem manchmal sehr linear dargestellten „Tun-Ergehens-Zusammenhang“ im alten Testament und dem weitergeltenden Prinzip der Gerechtigkeit Gottes aus der Perspektive der „im Prinzip“„für alle“, aber in der vom Sündenfall beeinträchtigten Realität „für viele“ durch das Kreuzesopfer erwirkten Erlösung zu erklären. Leichter ist es da allemal, eine Perikope mit dem irritierenden Psalmzitat ganz aus der Messliturgie Lektionar der Kirche zu streichen – und genau das haben die Meistertheologen der Liturgiereform den auch getan. Peter 1, 3; 8-15 kommt nach den Ermittlungen von Matthew Hazell im ganzen reformierten Lektionar nicht mehr vor.
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