Vom Paradies nach Golgatha – die Geschichte vom Baum des Lebens
14. September 2024
In hoc signo vinces
Das Fest Kreuzerhöhung am 14. September gedenkt der ersten öffentlichen Präsentation des durch die Bemühungen der Kaiserin Helena wiedergefundenen wahren Kreuzes der Erlösungstat Christi im Jahre 335. Nach der zweiten Zerstörungen Jerusalems in der Folge des Bar Kochba-Aufstands der 130er Jahre war Juden – und das betraf naturgemäß auch die palästinensischen Christen – das Betreten der Stadt strikt verboten. Kaiser Hadrian ließ auf den Trümmern die Colonia Aelia Capitolina errichten; auf dem Tempelberg stand ein Jupiter-Tempel, und die Erinnerung an den genauen Ort der heiligen Stätten verblaßte in dem Maß, in dem die Bauwerke und teilweise sogar die Straßen aus der Zeit Christi verschwanden. Es gab zwar eine schleichende Wiederbesiedlung der Stadt durch Juden und auch Christen, aber erst Anfang des 4. Jahrhunderts konnte unter Konstantin wieder ein Bischof in der Stadt installiert werden. Dieser Bischof Makarios veranlasste in den 20er Jahren des 4. Jh. Ausgrabungen mit dem Ziel, die geheiligten Orte wieder aufzufinden und zugänglich zu machen.
Es waren seine von Kaiserinmutter Helena nachdrücklich unterstützten Anstrengungen, die schließlich zu der allgemein mit dem Namen von Kaiserin Helena verbundenen Wiederauffindung des Kreuzes führten. Am Ort des Grabes und der Auferstehung Christi wurde eine Kirche gebaut, deren Mauern heute noch zu einem Teil in der Kirche erhalten sind, die im Osten „Auferstehungskirche“ und im Westen „Grabeskirche“ genannt wird. Diese Kirche wurde am 14. September 335 eingeweiht, und an diesem Tag wurde das Kreuz dem Volk der Stadt auch erstmals feierlich ausgestellt (erhöht) – das ist der Ursprung für das Dartum des heutigen Festes, dessen Inhalt sich im Lauf der Jahrhunderte veränderte und erweiterte. Insbesondere gedenkt es auch der Wiedergewinnung des Kreuzes von den Persern im 7. Jahrhundert.
Die Reliquien des Kreuzes in Jerusalem und Konstantinopel gingen nach der Eroberung und Plünderung dieser Orte durch die Mohammedaner verloren, der römische Teil ist durch die zahlreichen davon genommenen Teilreliquien im Lauf der Zeit wesentlich kleiner geworden. Die Behauptung aufgeklärter Spötter, die Masse der Kreuzreliquien reiche aus, um daraus eine ganze Schiffsflotte zu bauen, ist freilich Fake-Science: Schon im 19. Jahrhundert stellte der Architekt Charles Rohaust de Fleury eine Liste aller größeren Kreuzfragmente in Europa zusammen und berechnete deren Volumen auf etwa 4 Liter, spätere Forschungen haben diesen Wert auf 4,5 Liter erweitert. Nach allem, was wir über die Beschaffenheit römischer Kreuze wissen, war das etwa 1 Viertel des Volumens, das für ein solches Kreuz anzunehmen ist. So leicht lassen sich also die Kreuzreliquien nicht weg-aufklären.
Historischen Boden verlassen müssen wir dagegen dann, wenn wir uns den Erzählungen zuwenden, mit denen der fromme Sinn frühchristlicher Schriftsteller das Holz des Kreuzes Christi seit ältester Zeit umgeben hat. Die Auffindung durch Helena war, wenn wir der Zusammenfassung dieser Legenden bei Jacopo von Voragine folgen wollen, bereits die fünfte Station in der durch das Kreuzesholz verkörperten Heilsgeschichte. Jacob schreibt: „vor dieser (Helenas) Zeit ward es gefunden von Seth, dem Sohne Adams im irdischen Paradies, danach ward es gefunden von Salomon auf dem Libananon, danach von der Königin von Saba im Tempel Salomonis, danach fanden es die Juden in dem Fischteich.“ Diese Stationen verdienen eine kurze Betrachtung im Einzelnen.
Als Adam zum Sterben lag, so weiß es das apokryphe Nikodemus-Evangelium, pilgerte sein Sohn Seth zum Paradies, um heilsames Öl vom Baum des Lebens zu erbitten. Doch das wurde ihm vom Erzengel Michael, der das Tor bewachte, verweigert. Statt dessen gab dieser ihm ein Zweiglein vom Baum, an dem die Stammeltern gesündigt hatten, mit den Worten: Wann dieser Zweig Frucht bringt, wird dein Vater gesund werden. Als Seth zurückkam, war Vater Adam gestorben, und der Sohn pflanzte den Zweig auf sein Grab.
Dieser Zweig war bis zur Zeit Salomonis zu einem prächtigen Baum herangewachsen, so daß der König ihn für den Bau seines Palastes, der auch den Tempel enthielt – oder des Tempels, der auch den Palast enthielt – aussuchte und fällen ließ. Doch der Stamm entzog sich jeder Verwendung – wie man ihn auch zurichtete, stets war er zu kurz oder zu lang für die vorgesehene Stelle. Schließlich verwarfen ihn die Bauleute und legten ihn als Steg über einen Teich. Als die Königin von Saba Salomon besuchte und diese Steg überschritt, wurde ihr die zukünftige Stellung dieses Holzes offenbart und sie ließ den König wissen, daß daran eines Tages derjenige hängen werde, der dem Reich der Juden sein Ende bereiten würde. Daraufhin ließ Salomon, der und dessen Vater David das Reich doch gerade erst begründet hatten, den Stamm so tief er konnte in der Erde vergraben; er wurde vergessen.
Spätere Generation legten an dieser Stelle ein Wasserbecken an, in dem die Leviten des ersten Tempels die Schafe zum Opfer im täglichen Gottesdienst wuschen. Jene Schafe, die den Opferpriestern von der Schafweide bei Bethlehem alltäglich zugeliefert wurden. So wurde das Wasserbecken zum heilkräftigen Teich von Siloah. „Und also“ - schreibt Jacopo - „geschah die Bewegung des Wassers und die Heilung der Kranken nicht allein durch die Berührung des Engels, sondern auch durch die Kraft des Holzes“. (vergl. dazu Joh. 9,7) Und weiter: „Da nun das Leiden Christi herannahte, schwamm das Holz empor, die Juden sahen es und bereiteten daraus das Kreuz des Herrn“.
Und so brachte der Zweig vom Baum des Lebens endlich die dem Adam und seinen Söhnen versprochene Frucht.
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