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Das Regime der Neuerung und die Sünden der Zeit: Weshalb der Novus Ordo seinem Inhalt nach durch und durch modern ist.

26. September 2024

1 - Liturgie

Peter Kwasniewski als Vortragsredner

Peter Kwasniewski als Vortragsredner 2022

Unter dieser Überschrift hat Peter Kwasni­ewski im Sommer auf dem Roman Forum in Gardone einen Vortrag gehalten, den er im August auf Traditiom & Sanity veröffentlichte und dessen Hauptthesen wir hier zusammenfassend refe­rieren. Kwasniewski selbst schreibt, daß er diesen Text für einen der wichtigsten ansieht, die er bisher geschrieben hat, und daß er bei der Arbeit daran „mehrere neue Einsichten gewonnen hat, die entscheidend für seine zukünftige Arbeit und sein weiteres Leben“ sind.

Der auf Substack veröffentlichte Text besteht aus vier Teilen, die zusammen etwa 20 eng beschriebene Textseiten ausmachen. Wir greifen daraus zwei uns besonders wichtig erscheinende Gedankenstränge heraus, die wir hier in zwei Folgen vorstellen wollen.

Das erste Hauptthema ist eine Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Glaube und Liturgie auf der einen und dem gesamtgesellschaftlichen Umfeld und dessen geistiger Prägung auf der anderen Seite. Dieses geistige Umfeld war bis ins 19. Jahrhundert in allen Gesellschaften von Vorstellungen geprägt, die dem Wesen und dem Inhalt der Dinge höhere Bedeutung beimaßen als dem Material und der Menge. Das ermöglichte quasi naturgegeben eine Offenheit der Lebenswelt der Menschen gegenüber dem Über­natürlichen – und genau diese Offenheit ist bedroht bzw. schon weitgehend verschlossen durch die einseitige Betonung von Material und Menge – man könnte das auch in Pro­duk­tionszahlen ausdrücken – in der Moderne.

Die Kirche hat dieser Verschiebung der Perspektive lange widerstanden, bis sie diesen Widerstand in der Folge des 2. Vatikanums aufgab und von ihrer „gegenkulturellen“ Grundhaltung zu einer mehr affirmativen Position überging. Das verband sich ver­hängnisvollerweise mit der Vorstellung, in der so begrüßten Moderne verspätet ange­kommen zu seine und viel nachzuholen zu haben. Als Teil des nun einsetzenden Nachhol- und Aufholprozesses trennte sie sich von fast allen bisher hochgehaltenen kulturellen und theologischen Elementen, die quer zum Geist der Moderne standen – und in diesem Zusammenhang war (und ist es bis auf den heutigen Tag) die Liturgie­reform von zentraler Bedeutung. In der Liturgie, im öffentlichen Gottesdienst der Kirche, kommen ihr Weltbild und ihr Selbstverständlich am unmittelbarsten zum Ausdruck, hier entscheidet sich am sinnfälligsten, ob die Kirche einen Gegenentwurf zur Welt ihres gesellschaftlichen Umfeldes aufstellt – oder sich als Bestandteil dieser Welt versteht, deren Maßstäbe und Wertentscheidungen für sich mehr oder weniger weitgehend übernimmt und sich letzten Endes dann nur noch als eine von mehreren Kräften ver­steht, die an der Verbesserung dieser Welt „für die Menschen“ (wer auch immer sich hinter dieser Formel verberge) zusammen arbeiten.

In diesem Zusammenhang zitiert Kwasniewski eine Passage aus Ratzinges Interview-Buch „Das Salz der Erde“, die hier vollständig wiedergegeben werden soll:

Es begint ein Zitat

In unserer Liturgiereform gibt es eine Tendenz, die meiner Meinung nach falsch liegt, nämlich die vollkommene „Inkulturation“ der Liturgie in die moderne Welt hinein. Sie soll also noch kürzer werden; und es soll alles, was vermeintlich unverständlich ist, noch weiter daraus entfernt werden; es soll im Grunde auf eine noch „plattere“ Sprache heruntertransponiert werden. Damit aber ist das Wesen von Liturgie und liturgischer Feier ganz gründlich mißverstanden. Denn in der Liturgie begreift man ja nicht einfach auf rationale Art, so wie ich etwa einen Vortrag verstehe, sondern auf vielfältige Weise, mit allen Sinnen und mit dem Hineingenommenwerden in eine Feier, die nicht von irgendeiner Kommission erfunden, sondern die gleichsam aus der Tiefe der Jahrtausende und letztlich der Ewigkeit her zu mir kommt. (Deutsche Ausgabe S. 186)

Beim Aufsuchen dieses Zitats in der deutschen Ausgabe wurde einerseits auf bestürzende Weise erkennbar, wie präzise dieses inzwischen fast dreißig Jahre alte Buch (erschienen 1996) auch die deutsche und die gesamtkirchliche Gegenwart des Jahres 2024 beschreibt. Der Hauptgrund, es hier in voller Länge wieder zugeben, ist allerdings ein anderer: Im letzten Satz des Zitats von der Erfindung einer Kommission im Gegensatz zur Tiefe der Jahrtausende ist quasi die Keimform eines Gedankens enthalten, den Kwasniewski dann im Fortgang seines Vortrages (in der Internetversion ist das Teil 2) ausführlich entwickelt. Dabei wechselt die Perspektive von der des Zusammenhangs zwischen Lebenswelt und Glaubenswelt zu einer Betrachtung eher innerkirchlicher Entwicklungen – die freilich ihrerseits immer mehr aus der Lebenswelt beeinflusst werden.

Ausgehend von einem Gedankenexperiment, nämlich der Frage, ob ein „Dreamteam“ frommer und kontemplativer Mönche vielleicht eine „bessere“ Liturgiereform zustande gebracht hätte als die durch tausenderlei Rücksichten und Interessen mit der nicht nur akademischen Zeitgenossenschaft verbundenen Experten des Consilium, kommt Kwas­niewski zu einem ganz eindeutig „Nein!“. Denn: Die Liturgie entsteht nach Kwasniewskis Ansicht in der Verbindung einer zu voller Höhe entwickelten Zivilisation mit dem Gottesdienst der in dieser Zivilisation verwurzelten Gläubigen – und dieser nachgerade symbiotische Vorgang ist auch durch die qualifizierteste und frömmste Gelehrtenrunde nicht zu ersetzen.

Es begint ein Zitat

Eine voll entwickelte Zivilisation“ so schreibt er, „besitzt sowohl eine Religion als auch eine Philosophie, das eine bringt das (emotionale und praktische) Verständnis der Menschen gegenüber dem Kosmos und dessen Schöpfer zum Ausdruck, das zweite zielt ab auf ein rationales Verständnis, auf die Erklärung des Mensch-Seins, des Kosmos und des Platzes, den der Mensch darin einnimmt.“

Hier ist eine Anmerkung des Übersetzers angebracht. Im Deutschen verbindet sich mit dem Begriff „Zivilisation“ oft die Vorstellung eines Gegensatzes oder zumindest Span­nungsverhältnisses zum Begriff der „Kultur“. Kultur ist dann Bildung, Bücher und schöne Musik, Zivilisation demgegenüber Effektivität, Maschinen und Massenkonsum. Im Ame­rikanischen ist diese Gegenüberstellung weniger verbreitet, und wenn Kwasniewski in seinem Aufsatz von „Civilisation“ spricht, faßt er Elemente von beidem ohne Wider­sprüchlichkeit zusammen.

In einer so verstandenen Zivilisation des Christentums mit seinem Glauben an den Schöpfergott und dessen schließlich in die Welt inkarnierten Schöpfungswortes können diese beiden Komponenten ihren idealen Ausdruck finden – aber nicht auf Kommando und im Augenblick, sondern im Zuge eines viele Komponenten einschließenden und einen größeren Zeitraum umfassenden Prozesses. Kwasniewski verwendet hier nicht den Ausdruck von der „organischen Entwicklung“, weil der im Amerikanischen, wo mehr oder weniger natürlich erzeugte Lebensmittel nicht als „bio“, sondern als „organic“ ver­marktet werden, oft mißverstanden wird. Aber eben das scheint er zu meinen – und somit ergibt sich im Folgenden auch eine inhaltliche Füllung der gelegentlich zur inhalts­armen Begriffshülse herabgesunkenen Formel von der „organischen Entwicklung“:

Es begint ein Zitat

„Die Zivilisation, in der das Christentum Gestalt annahm, ist hellenistisch mit lateinischen und syriakischen (aramäischen) und natürlich griechischen Zweigen. (…) Die Werke der Kirchenväter und die Lehren der ökumenischen Konzilien waren Produkte und Bestandteile einer Zivilisation. Die Konzilien verwenden philosophische Konzepte, die von der griechischen Philosophie entwickelt wurden.

Der Charakter des Christentums als einer zivilisierten Religion schließt auch seine Liturgie mit ein. Die Entwicklung der christlichen Liturgie als Zivili­sa­tionsform wurde durch die Christenverfolgungen des Römischen Reiches in den ersten drei Jahrhunderten behindert, aber nach der Legalisierung des Christentums durch Kaiser Konstantin im Jahr 313 nahm dieser Prozess enorm Fahrt auf. Die überlieferte Lateinische Liturgie ist die zivilisierte Liturgie aus der Zivilisation des lateinischen Christentums – so wie der byzan­tinische Ritus die zivilisierte Liturgie aus der Zivilisation des grie­chi­schen Christentums ist. Die überlieferte Messliturgie zusammen mit ihrer Musik und Architektur, die mit ihr entstanden, ist das Herzstück der latei­nischen Christlichen Zivilisation, die nicht bestehen könnte, wenn man diese Dinge wegnimmt.“

Die Folgerung daraus liegt für den Autor auf der Hand:

Es begint ein Zitat

„Die Idee, daß ein Papst die überlieferte Liturgie durch einen neuen Ritus von noch überzeugenderer Rechtgläubigkeit und ergreifenderer Schönheit ersetzen könnte, ist absurd. Der Reichtum der überlieferten Liturgie ist das Produkt einer ganzen Zivilisation und es erforderte eine ganze Zivilisation, ihn hervorzubringen.“

Diese Feststellung untermauert Kwasniewski dann zum Abschluß dieses Gedanken­ganges in drei Grundsätzen:

Erstes Erfordernis ist in seinen Augen die Treue zur Überlieferung der Vorfahren. Die überlieferte Liturgie geht auf große Heilige wie die Päpste Damasus und Gregor zurück – ihnen sind wir auch durch das 4. Gebot ebenso zur Pietas, zur treuen Folgsamkeit, verpflichtet, wie den leiblichen Vorfahren.

Zweiter Grund ist der Umstand, daß die ungebrochene Tradition der Liturgie auch durch die lateinische Sprache bis in die Zeit Christi und der Apostel zurückreicht. Sie stellt, wie die alten Sprachen der anderen traditionellen Riten auch, eine direkte Verbindung zum Erdenleben des Erlösers her.

Als dritten Punkt nennt Kwasniewski, daß wegen der oben beschriebenen Entwicklungs­geschichte Form und Gestalt der Liturgie nicht nur auf menschliche Akteure und der Aktionen zurückgeführt werden können, sondern daß einzelne Elemente auch göttlichen Ursprunges durch das Wirken der göttlichen Vorsehen und den Einfluß des Heiligen Geistes sind. Doch wie sollen wir diese mit Sicherheit erkennen und bei menschlichen Reformbemühen von dem unterschieden, was menschliche Zutat ist und von daher auch menschlichem Zugriff unterliegen könnte? Doch selbst zu deren Verbesserung oder Ver­vollkommnung – dahingehend zitiert Kwasniewski eine Artikelserie des australischen Theologen John R.T. Lamont in Rorate Caeli, in einem Stück als PDF hier – fehlt uns nach den Kultur- und Zivilisationsbrüchen der letzten beiden Jahrhunderte die Kompe­tenz.

Diesen Abschnitt seines Vortrags schließt Kwasniewski dann mit dem Referat weiterer Thesen und Befunde Lamonts, die wir hier in gekürzter Form zusammenfassen, um Im zweiten Teil unseres Referats daran anzuknüpfen.

Demnach wurde während des 20. Jahrhunderts in den westlichen Industriegesellschaften die Vorstellung von einer idealen Zivilisation durch das Ideal einer „fortgeschrittenen“ Gesellschaft ersetzt – worunter man eine Gesellschaft mit hochentwickelter Naturwis­sen­schaft und Technik und dementsprechend großem Reichtum verstand. Diese neue Gesellschaft erforderte jedoch die Überwindung und Zurückweisung der alten. Die zivilisatorischen (auf Deutsch eher: „kulturellen“) Elemente in den westlichen Gesell­schaften – Bildung in den klassischen Sprachen, Kunst und Architektur nach klassischem Vorbild, literarische Kultur auf hohem Niveau – verkümmerten oder wurden absichtlich angegriffen und zerstört.

Die Entwicklungen in der Kirche seit den 50er Jahren haben diese Zerstörung der Zivi­lisation nachdrücklich aufgenommen, um sich dem neuen, vermeintlich fortschrittlichen Modell anzuschließen: Für traditionelle religiöse Kunst und Architektur gab es keine Aufträge mehr, ihre Zeugnisse wurden wo möglich zerstört, und dabei waren es oft staatliche Stellen (Denkmalschutz!), die eine völlige Zerstörung verhinderten. Die über­lieferte Liturgie wurde völlig unterdrückt, und die für sie geschriebene Musik wurde – zumindest im gottesdienstlichen Zusammenhang – nicht mehr aufgeführt. Die latei­nische Sprache und die Philosophie Thomas von Aquins wurden aus der Priesteraus­bil­dung verdrängt – ein doppelter Zivilisationsbruch. Der Zusammenbruch der Ordens­ge­meinschaften und die weitergehende Unterdrückung der Tradition lateinischer Gelehr­samkeit und Liturgie in den wenigen noch verbliebenen Rückzugsgebieten führten zum Kollaps der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der überlieferten christlichen Philo­sophie und Theologie.

Das fortschrittliche Modell – so das Fazit – ist in Wirklichkeit ein antizivilisatorisches Projekt – und der Novus Ordo ist dessen Bestandteil.

(Soweit unser Referat des ersten Teils des Kwasniewski-Vortrages. Der zweite Teil ist für nächste Woche geplant.)

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