Der „Ritenstreit“ bei den indischen Thomaschristen hält an
15. November 2024
Bischof Bosco Putho und die von ihm soeben neugeweihten Priester
Wie in Fréjus-Toulon (dort waren es allerdings Subdiakone) mußte auch in der indischen Erzdiözese Ernakulam ein ganzer Jahrgang von von Diakonen ein zusätzliches Jahr lang auf die Weihe warten, bevor Rom die erforderliche Erlaubnis erteilte. Am 4. November dieses Jahres konnten dann die Weihen endlich stattfinden. Über das enegere Umfeld des Bischofs hinaus scheint diese Vorgang jedoch noch nicht zu einer Entspannung der Situation geführt zu haben, wie der National Catholic Reporter beschreibt.
Ernakulam ist das größte Bistum der syro-malabarischen Kirche, die mit um die 5 Millionen Gläubigen die zweitgrößte Kirche des Ostens in voller Einheit mit dem Päpstlichen Stuhl ist. Und wie in der Westkirche geht es auch im Osten der Streit um die Liturgie: In beiden Fällen konnten die Weihen erst vollzogen werden, nachdem die Kandidaten sich schriftlich dazu verpflichtet hatten, die Liturgie nach den aktuellen Reformvorgaben zu feiern und nicht in alte vermeintlich überholte Formen zurückzufallen. Die Verweigerung der Weiheerlaubis scheint zu einem wirkungsvollen Instrument der Dauerreformer in der Kirche des Dialogs und der Barmherzigkeit zu werden, widerstrebende Kräfte auf Linie zu bringen.
Im Übrigen gibt es jedoch zwischen der hier schon mehrfach thematisierten Situation in der lateinischen Kirche und der Lage in Indien mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Während es im Westen um Unterschiede in Erlösungstheologie und Ekklesiologie zwischen der Kirche vor und nach DEM KONZIL geht, streitet man sich – mit gelegentlich sehr rabiaten Mitteln – um einen Gegenstand, der aus hiesiger Sicht bestenfalls eine Randfrage darstellt: Um die Zelebrationsrichtung. Während die Syro-Malabarer wie zweitausend Jahre lang alle sakramentalen Kirchen ihre Gottesdienste „zum Herrn hin“ vollzogen, schlossen sie sich 1970 unter dem Einfluß der damals starken „Romanisierungswelle“ dem Vorbild der Westkirche an und zelebrierten von da an „zum Volke hin“. Beim nächsten – wie stets wissenschaftlich zwingend begründeten – Wechsel der liturgischen Mode etwa um das Jahr 2000 rückten die „authentischen Elemente“ der eigenen Tradition wieder stärker in den Vordergrund, und die Mehrheit der Syro-Malabarer wandte sich wieder „ad Dominum“. Mit Ausnahme der Diözese Ernakulam, wo die große Mehrheit der Priester und Gläubigen bei der nun zu ihrer Tradition erklärten Westwendung der Liturgie blieb.
Warum es zu dieser Differenzierung kam und weshalb diese sich im Lauf der Jahre emotional verschärfte, ist von hier aus schwer zu erkennen. Große theologische Unterschiede können sich damit nicht verbinden, dann es geht nur um die Zelebrationsrichtung, das Missale ist nach wie vor einheitlich. Dabei könnte es dort durchaus Ansatzpunkte für eine theologische Ausdifferenzierung geben: Die sich auf die Thomaschristen zurückführenden Syro-Malabarer sind die einzige sakramentale Kirche, in deren Liturgie der „Anaphora von Addai und Mari“ die Wandlungsworte nicht eng dem Wortlaut der Einsetzungsberichte der Evangelien folgt, sondern einen eigenen Text bietet – der freilich alle entscheidenden Aussagen und Worte des Einsetzungsberichtes ebenfalls enthält. Die endgültige kirchliche Anerkennung der Gültigkeit der Messfeier mit dieser Anaphora erfolgte erst 2001 und ist sowohl im Osten als auch im Westen nicht unumstritten. Deshalb gibt es im Bereich der Thomaschristen sowohl Gemeinden, die eine traditionelle Fassung der Anaphora (also ohne den Wortlaut des Einsetzungeberichtes) verwenden, als auch solche, die diese Anaphora quasi „zur Sicherheit“ noch einmal um die Wandlungsworte aus den Evangelien ergänzt oder erweitert haben.
Von diesem nach westlichem Empfinden doch sehr zentralen und daher konfliktträchtigen Unterschied ist jedoch in den hierzulande zugänglichen Berichten über den Liturgiestreit in Indien nie etwas zu erfahren – es geht dort seit Jahren immer wieder nur um die eher sekundäre Frage der Zelebrationsrichtung. In 34 Diözesen Diözesen der Syro-Malabarer scheint die Lösung dieser Frage durch einen langsamer Übergang zu einem neuen „Einheitsritus“ relativ geräuschlos zu gelingen. Dabei soll der etwa unsere „Vormesse“ entsprechende Teil der Liturgie in genereller Richtung „zum Volk hin“ erfolgen; die dem Kanon entsprechende Anaphora wird dann am Altar und „zum Herrn hin“ gefeiert.
Wo einzelne Priester und Gemeinden dabei nicht oder nur verzögert mitmachten, entstand daraus kein großer Konflikt: Die Zeit oder der nächste Pfarrer wird’s schon richten. Eine Ausnahme bildete allein die Diözese Ernakulam, wo die große Mehrzahl der Priester und Gemeinden an ihrer (nachkonziliaren) Tradition festhält und sich allen Versuchen zur Durchsetzung eines „Einheitsritus“ (uniform rite) widersetzt. Besondere Argumente oder Gründe dafür werden nicht angegeben, so daß man vermuten kann, dass nur in diesem Bistum stark wirkende kirchliche oder gesamtgesellschaftliche Faktoren hinter dem Konflikt stehen. Die nach Sippen, Sprachen, Ethnien, Entwicklungsstadien usw.. vielfach segmentierte indische Gesellschaft bietet dafür einen fruchtbaren Nährboden.
Die kirchliche Hierarchie von der Bistumsebene bis hinauf nach Rom hat solchen Faktoren anscheinend nie Beachtung geschenkt und versäumt, auch in diesem Bereich ernsthafte Ursachenforschung zu betrieben. Stattdessen versucht sie – ebenso wie sie das in der lateinischen Kirche ja seit über 50 Jahren versucht – Unruhe oder berechtigtes Unverständnis „an der Basis“ durch Autorität und autoritäre Maßnahmen mehr zu unterdrücken als zu befrieden. Seit zwei oder drei Jahren gehören Exkommunikationsdrohungen, „Kirchensteuer“Verweigerung, unglückliche Personalentscheidungen und und durch Straßendemonstrationen untermauerte schismatische Ansprüche zum Alltag des kirchlichen Lebens in Ernakulam. Und hier Entlastung zu schaffen, trat im vergangenen Herbst eine Bischofssynode aller syro-malabarischen Diözesen zusammen, die einen dem ersten Anschein nach auch durchaus tragfähigen Kompromiß erzielte. Sie bekräftigte zwar die Vorrangstellung des „Einheitsritus“, ließ den diesen Ritus ablehnenden Gemeinden jedoch die Freiheit, ihre bisherige Praxis beizubehalten und lediglich eine ihrer Sonntagsmessen nach diesem Einheitsritus – d.h. mit der Anaphora „ad Deum“ – zu zelebrieren.
Falls diese Darstellung des Synodenkompromisses korrekt ist, bewiesen die Bischöfe damit eine Weitsicht, die man sich auch für die vorhergehende Periode gewünscht hätte. Ein derartiges Verfahren könnte, nebenbei bemerkt, durchaus als Vorbild dafür dienen, wie man generell für notwendig gehaltene liturgische Veränderungen anregen kann, ohne all die unschönen und kirchenschädlichen Begleiterscheinungen zu provozieren, die insbesondere die mitteleuropäische Kirche seit der Liturgiereform heimsuchen.
Im konkreten Fall Ernakulam hat diese Kompromissbereitschaft bis jetzt allerdings noch keine Wirkung gezeigt. Nach allem, was hier zu erfahren ist und was der eingangs angeführte Artikel aus dem National Catholic Reporter beschreeibt, gehen die Auseinandersetzungen unvermindert weiter und steuern immer mehr auf ein tatsächliches Schisma hin.
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