Eindrücke und Überlegungen zu den ersten Tagen des neuen Pontifikats
13. Mai 2025

Leo XIV stimmt das „Regina Cæli“ an
Die letzten Tage brachten Bilder aus Rom, wie wir sie lange entbehren mußten: So sieht „katholisch“ aus, so geht Papst. Unglaublich, wie schnell Robert Prevost, den wir – wenn überhaupt – eher als schüchtern zurückhaltenden Partner von Interviews oder Sprecher bei Presseterminen kannten (Beispiele hier und hier), mit der korrekten Gewandung des Papstes auch dessen Habitus angelegt hat.
Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt stimmte der Papst selbst den Gesang zum sonntäglichen Regina Cæli an – diesmal ganz in Weiß, das war ebenso korrekt wie zwei Tage zuvor die rote Mozetta, denn der Anlaß war pastoral und nicht hochoffiziell wie nach der Wahl. Und warum auf der Loggia, und nicht wie vorher üblich, vom Fenster der Wohnung im apostolischen Palast aus? Nun, Papst Leo hat zwar verlauten lassen, daß er die offizielle Papstwohnung demnächst wieder selbst beziehen will – aber vermutlich sind dort gerade die Handwerker heftig zugange, um alles vorzubereiten. Wie es heißt, besteht bei der zuletzt vor dem Einzug Benedikts vor ziemlich genau 20 Jahren renovierten Wohnung, deren Versiegelung am 10. Mai wieder aufgehoben worden ist, einiger Erneuerungsbedarf. Über deren zu erwartenden Umfang kursieren unterschiedliche Informationen. An einigen Stellen soll es vom Dach her mehrfach heftig herein geregnet haben, was beim prekären Bauzustand des kurz nach der Entdeckung Amerikas errichteten Gebäudes durchaus glaubhaft klingt.
Bis die Handwerker alles erledigt haben, wohnt Leo XIV weiterhin in seiner Wohnung im Palazzo del Sant'Uffizio, die er vor fast drei Jahren bei seinem Wechsel nach Rom bezogen hat. Entfernung zum vatikanischen Staatsgebiet: 30m. Arbeiten wird er vermutlich bis auf weiteres in dem im Lauf der Jahre auf eine ganze Etage ausgewucherten „Wohnbüro“ seines Vorgängers im etwa 150 m weit entfernten Haus S. Marta. Später soll Santa Marta dann wieder voll als Gästehaus hergerichtet werden. Die von Franziskus belegte Zimmer waren in der glücklicherweise nur kurzen Zeit des Konklave schmerzlich vermisst worden.
Viel Schreibtischarbeit wird der neue Papst aber zumindest in den beiden kommenden Wochen kaum erledigen können: Wie schon in den wenigen Tagen nach seiner Wahl ist der Terminplan gespickt voll mit zeremoniellen Besitzergreifungen und Antrittsbesuchen der verschiedensten Art – von der offiziellen Inauguration in der ersten großen Papstmesse auf dem Petersplatz am kommenden Sonntag ganz zu schweigen.
Bei seinem ersten Besuch außerhalb des Vatikans, der Papst Leo in das ihm in vielerlei Weise verbundene Marienheiligtum von Genazzano an der Stadtgrenze Roms geführt hatte, und bei der Ausfahrt nach Santa Maria Maggiore zum Besuch am Grab seines Vorgängers hatte der Papst übrigens nicht dessen weißen Fiat benutzt, sondern ein seinem Rang als Kirchen- und Staatsoberhaupt eher entsprechendes Gefährt aus dem vatikanischen Fuhrpark – entsprechende sichtbare Sicherheitsbegleitung inklusive.
Schon vor dieser „Auslandsreise“ zum Besuch am Grab des unmittelbaren Vorgängers hatte Leo XIV am Sonntag die Gräber entfernterer Vorgänger in den Grotten unterhalb der Peterskirche besucht – im Video zu sehen waren Stationen am Grab von Pius XII, Paul VI, Johannes Paul II und Benedikt XVI. Am Altar mit den Reliquien des hl. Petrus feierte er im Kreis einiger Kardinäle die Sonntagsmesse.
Am Montag begrüßte Papst Leo dann in der bis auf die letzten Reihen besetzten großen Audienzhalle die Vertreter der Medien aus aller Welt, die sich aus Anlaß der Beisetzung von Franziskus, der Neuwahl des Nachfolgers und dessen Amtseinführung in Rom versammelt haben. Seine Rede war eine Mischung von anerkennenden Worten und Ermahnungen, noch mehr für eine die Menschen nicht trennende, sondern verbindende Kommunikation und Information zu tun. Papst Leo las seine knapp 10 minütige Ansprache in italienischer Sprache anscheinend wortgetreu vom Blatt ab – es scheint, er kennt seine Pappenheimer und will nicht erst in der Zeitung lesen, was er angeblich gesagt hat. Anders als sein Vorgänger erteilte er ohne Furcht vor den Reaktionen empfindsamer Seelen unter den vermutlich reichlich anwesenden Atheisten ihnen allen und ohne Diskriminierung in lateinischer Sprache den päpstlichen Segen.
Das war alles so, wie es nach der geltenden Ordnung vorgesehen und von einem nicht ideologisch verbogenen Menschenverstand zu erwarten und zu begrüßen ist. Und bei all diesen Anlässen zeigte der neue Papst, der schließlich zu Beginn der Woche noch nicht wissen konnte, welche Last da auf ihn zukäme, bemerkenswertes Standvermögen, große Souveränität und geradezu Professionalität. In den äußeren Formen, so steht zu erwarten, wird sich die Kirche in seinem Pontifikat wieder mehr dem Bild annähern, das der Tradition entspricht. Sie protzt nicht mit säkularem Reichtum, aber sie versteckt auch nicht ihre Würde.
Papst Leo XIV hat in diesen ersten Tagen seines Pontifikats zum Ausdruck gebracht, daß er keinen Bruch mit Geschichte und Tradition der Kirche will. Aber wird sich die von ihm signalisierte Kontinuität in den Formen auch in den Inhalten durchhalten lassen, nachdem sein Vorgänger Franziskus immer wieder zu verstehen gegeben hat, daß er auch Inhalte verändern will und selbst nicht davor zurückgeschreckt ist, den Katechismus nach seiner Privattheologie umzuschreiben? Reicht das Anknüpfen an traditionelle Formen aus, um die von Peter Kwasniewski formulierten Bedenken zu beschwichtigen, Leo XIV sei womöglich nur ein umgänglicherer Bergoglianer, der die Reformagenda der Modernisten nur in einer gefälligeren Verpackung anbieten und durchsetzen wolle?
Neuen Auftrieb hat diese Befürchtung dadurch gewonnen, daß Papst Leo bei seiner Ansprache am 10. Mai vor dem Kardinalskollegium in starken Worten davon gesprochen hat, auf dem von der Kirche nach dem 2. Vatikanum eingeschlagenen Weg weiter gehen zu wollen und das mit Argumenten gestützt hat, die den von Franziskus zur Begründung seines verwirrenden „radikal-pastoralen“ Kurses gebrauchten zumindest auf den ersten Blick sehr ähnlich sehen. Wie passt das zur roten Amtsmozetta? Hat nicht sein „zeitgemäßer“ Vorgänger dieses verstaubte Überbleibsel der Vergangenheit entschieden abgelehnt, während der vermeintlich „reaktionäre“ Vorgänger Benedikt eben dieses Amtssymbol im Winter sogar mit Pelzbesatz zu tragen pflegte?
Möglicherweise ist diese Frage von Grund auf falsch gestellt. Tatsächlich ergibt sich nach der Wahl dieses neuen Papstes das unerwartete und ungewohnte Bild, daß sowohl Vertreter des progressistischen Flügels – nehmen wir als Beispiel die Kardinäle Grech oder Marx – aber auch ausgewiesene Vertreter der liturgischen bzw. lehrmäßigen Tradition wie die Kardinäle Burke oder Müller sich als sehr zufrieden mit dem Wahlergebnis gezeigt haben. Bedeutet diese plötzliche Harmonie wirklich, daß hier „die eine Seite die andere über den Tisch gezogen“ hätte und man nur noch nicht weiß oder sich zu sagen traut, „wer wen?“
Nach der in Gesellschaft und Politik herrschenden Denkweise, die weitgehend im Paradigma des „Nullsummenspiels“ befangen ist, kann der Gewinn der einen Seite nur auf dem Verlust oder der Niederlage der anderen beruhen. Aber vielleicht trifft diese Denkweise eben auf die Kirche doch nicht in dem Maße zu, wie man sich das in den vergangenen Jahrzehnten der Zuspitzung zu sehen angewöhnt hat. Vielleicht kann die Kirche da, wo wirklich Christus als der gemeinsame Ausgangs- und Bezugspunkt festgehalten und nicht nur vorgeschoben wird, den Käfig des Nullsummenspiels aufbrechen. Vielleicht ist das eine der Bedeutungen und Möglichkeiten ihres traditionellen Selbstverständnisses als „societas perfecta“, die Papst Leo XIII in seiner Enzyklika „Immortale Dei“ (1885) herauszuarbeiten versucht hat. (Sehr zum Mißvergnügen der seinerzeitigen Progressiven, nebenbei bemerkt)
Vielleicht ist jetzt nach dem Wechselbad der Pontifikate Benedikt/Franziskus tatsächlich der Zeitpunkt gekommen und die Möglichkeit eröffnet, die im Blick auf Christus unverfügbaren Elemente der Tradition und die neu dazu gekommenen Herausforderungen der Gegenwart aufeinander abzustimmen. Ohne den ersten dahingehenden Versuch auf dem 2. Vatikanum pauschal zu verwerfen, aber auch ohne sich durch seine überoptimistischen Tendenzen und nachfolgenden Fehlinterpretationen blenden und in die Irre leiten zu lassen. Wir können nur dafür beten, daß es Papst Leo XIV tatsächlich gelingt, zumindest erste Schritte auf diesem beschwerlichen Wege zu gehen. Darüber, wie solche ersten Schritte aussehen sollten, können wir gerne nachdenken und diskutieren. Aber sie dann auch auszuwählen und tatsächlich umzusetzen, müssen wir Leo XIV selbst überlassen.
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