Papst Leo will Veränderungen ohne Bruch – und das ist möglich
20. Mai 2025

So geht Papst
Nachdem die Amtseinführung von Papst Leo glücklich hinter uns liegt – sie ist ohne größere liturgische oder andere Unfälle abgelaufen – und für die aktuelle Woche nur noch wenige zeremonielle Termine auf dem Programm stehen, richten sich nun alle Augen auf die ersten vom neuen Papst zu erwarteten oder erhofften Regierungshandlungen. Wir wollen uns dabei hinsichtlich von Zukunftserwartungen zurückhalten und eher auf das schauen, was tatsächlich geschieht. Papst Leo hat sich den auf den hl. Augustinus zurückgehenden Wappenspruch „In Illo Uno Unum“ – in dem Einen sind wir eins – gegeben und versteht diesen ausweislich seiner ersten Predigten im Sinne von drei konzentrischen Kreisen: Er will die Einheit der Kirche, die unter seinem Vorgänger vielfachen Belastungen ausgesetzt war, stärken; er will die Gemeinsamkeit der christlichen Kirchen und Gemeinschaften fördern; und schließlich das in seinen Kräften – und die sind in dieser Hinsicht sehr begrenzt – Stehende tun, um die von Kriegen und zunehmenden Spannungen zerrissene Menschengemeinschaft zusammenzuführen oder wenigstens vor der gegenseitigen Vernichtung zu bewahren.
Einige Begleiterscheinungen der Feier seiner Amtseinführung, wo sich Staatsgäste vormittags im immer noch sichtbaren Glanz des Papsttums sonnten und nachmittags über Waffenlieferungen und Wirtschaftskrieg berieten, lassen die Dimension dieses Vorhabens erahnen und wecken zugleich Zweifel daran, ob es wirklich klug wäre, sich auf diesen Weg locken zu lassen.
Unterdessen hat Papst Leo bereits in seiner ersten Amtswoche einige Zeichen gesetzt und Entscheidungen getroffen, die erkennen lassen, wie er sein eigentliches Amt, die Nachfolge Petri als oberster Hirte der Kirche, angehen will. In den Zeichen knüpft er in fast allem an dem an, was bis zur Amtsübernahme seine unmittelbaren Vorgängers Franziskus zu den Kennzeichen des Papsttums gezählt wurde: von der vielbeachteten roten Mozetta über die Gestaltung der Liturgien und die eindeutige Bevorzugung der lateinischen Sprache und der Gregorianik bis zur Körpersprache sowohl in der Liturgie als auch in der Begegnung mit anderen Menschen. Gleichzeitig versäumte er keine Gelegenheit , sich in seinen Worten positiv auf diese Amtsvorgänger zu beziehen: Er will vieles anders machen, aber er will – anders als dieser – keinen Bruch, auch nicht als Risiko.
Das ist ein Kunststück, dessen Gelingen große Klugheit erfordert, denn die Brüche, die Franziskus selbstgefällig zelebriert hat, lassen sich nicht dadurch heilen, daß erneut demonstrative Brüche gesetzt werden. Die Kirche kann und darf sich nicht daran gewöhnen, daß ein Papst aufhebt und widerruft, was sein direkter oder auch ein früherer Vorgänger angeordnet oder verkündet hat. Das wäre die Aufhebung des Papsttums insgesamt, und wo Korrekturen erforderlich sind – und bei Franziskus ist eine Menge zu korrigieren – müssen subtilere Mittel angewandt werden. Die Berufung auf die apostolische Tradition, auf das, was „immer und von allen“ geglaubt und für richtig gehalten worden ist, bietet dazu Mittel und Maßstäbe. Es besteht Grund zu der Hoffnung, daß Papst Leo XIV die Kraft – und die nötigen Mitarbeiter und Berater – findet, auf diesem Weg voranzugehen.
Leicht wird das nicht, denn die Einflüsterer und Wasserträger der im vorhergehenden Pontifikat angedeuteten oder eingeleiteten Traditionsbrüche beginnen bereits sich von ihrer Lähmung durch den Ausgang des Konklaves zu erholen und den neuen Papst auf die Weiterführung der zweifelhaftesten Maßnahmen seines Vorgängers festzulegen. Besonders hervor getan haben sich dabei Kardinal Hollerich und die deutschen Synodaloberen (etwa im Episkopat oder im Zentralkomitee) – da steht noch einiges zu erwarten.
Mit Entscheidungen hat sich Leo XIV bisher verständlicherweise zurückgehalten. Einige hat er bereits getroffen und dafür entsprechend Aufmerksamkeit gefunden: Durch die Ernennung des jedenfalls nicht als Progressisten hervorgetretenen Kardinals Reina zum Großkanzler des von Franziskus entkernten „Johannes Paul II – Instituts“ für Ehe und Familie hat er dessen allen theologischen Modeerscheinungen zugetanen Leiter Erzbischof Paglia deutlich geschwächt – ohne ihn direkt zu entlassen. Ähnlich indirekt verfuhr er wohl bei der amtlich noch nicht bestätigten Ernennung von Kardinal Sarah als eine Art „Sonderbeauftragten für die Kirchen des globalen Südens“. Wie es heißt, will der Papst den ausgewiesenen Konservativen als Verbindungsmann zu den in der großen Mehrheit ebenfalls konservativen Bischöfen insbesondere Afrikas nutzen, um deren in Rom oft überhörte Stimme besser wahrnehmbar zu machen. Derzeit nur als Gerücht gehandelt wird eine interessante Entwicklung um den Mißbrauchstäter Rupnik. Unter dem Schutz und Schirm von Franziskus konnte sich der als Maler des Konzilsgeistes jahrzehntelang hoch geschätzte Künstler nach seiner internationalen Diskreditierung in Rom eine neue Stellung aufbauen – nun soll er ohne Rückflugkarte nach Brasilien abgereist sein. Vielleicht hat ihm ja jemand zu verstehen gegeben, daß der Wind sich gedreht hat.
Wir werden sehen.
Von konservativen und der Tradition verpflichteten Autoren werden derzeit mehrfach Listen mit durchgreifenden Maßnahmen verbreitet, die sie vom neuen Mann im Vatikan erwarten. Bevorzugte Punkte auf dieser Liste sind die Aufhebung von Traditionis Custodes , die Neufassung zumindest einzelner Punkte in Amoris Laetitia, der Ausschluß der in Fiducia Supplicans eröffneten Möglichkeit zur kirchlichen Segnung von Paaren in irregulären Verbindungen und ähnliche Korrekturen des von Franziskus beanspruchten „Lehramtes“.
Solche spektakulären Schritte, und dann auch noch als Schnellschuß, erscheinen uns nach dem, was wir bisher gesehen haben, sehr unwahrscheinlich, vielleicht auch gar nicht wünschenswert. Die Schäden, die Franziskus dem Papstamt zugefügt hat, lassen sich nicht durch weitere Beschädigung eines Papstes wieder gutmachen. Hier müssen andere Mittel gefunden werden – das erfordert Zeit und Geduld.
Vielleicht mehr Zeit und Geduld, als viele haben oder aufbringen wollen.
Möglicherweise lassen sich einige der wichtigsten Korrekturen dadurch auf den Weg bringen, daß der neue Oberhirte durch weniger eingreifende Maßnahmen auf konkreter Ebene signalisiert, daß die Perspektiven sich verschoben haben. Viele bischöfliche oder kuriale Modernisten sind ja keine in der Wolle gefärbten Hardliner, sondern schlichte Opportunisten mit einem hochentwickelten Gespür für Veränderungen in der Windrichtung – wir haben es nach dem Amtsverzicht von Papst Benedikt an vielen häßlichen Beispielen besichtigen können.
Ohne, daß wir jetzt gleich eine weitere Liste von Handlungsaufforderungen an Papst Leo aufstellen wollten, fallen uns da doch gleich ein paar „niederschwellige“ Maßnahmen ein, die ihren Einfluß auf die wetterfühligen Angehörigen des Weltepiskopats nicht verfehlen dürften.
Die Gegner der überlieferten Liturgie in der Glaubenskongregation und im französischen Episkopat haben die in wenigen Wochen stattfindende Wallfahrt der Tradition von Paris stark einschränkenden Bedingungen unterworfen. Wäre es völlig undenkbar, daß Vertreter der Tradition sich mit einer entsprechenden Petition an Papst Leo wendeten – und dieser dafür sorgen würde, diese Einschränkungen abzumildern?
Die von Franziskus quasi als eine seiner letzten Amtshandlungen vorgenommene Einsetzung einer Laiin als Präfektin des Ordensdikasteriums gefährdet nicht nur nach Ansicht des Kirchenrechtlers Martin Grichting die auf dem 2. Vatikanum bekräftigte sakramentale Struktur der Kirche. Wäre es so unmöglich, für die Dame eine Position zu finden, die einerseits durchaus hochrangig angesiedelt wäre wie bei Sr. Petrini als Gobernatora des Vatikanstaates – andererseits aber die sakramentale Leitungsstruktur nicht beschädigte? Oder geht es den „Frauenrechtlern“ gerade darum?
Daß Bischof Strickland - möglicherweise sogar unter Mitwirkung des damaligen Bischofs-Präfekten Prevost – durch seine Absetzung schweres Unrecht zugefügt wurde, ist kaum zu bezweifeln. Nun kann man ihn nicht wieder in seine alte Stellung als Bischof von Tyler einsetzen – der Stuhl ist inzwischen anderweitig besetzt. Aber man braucht nicht viel Phantasie, um andere Möglichkeiten einer Rehabilitierung ausfindig zu machen. Und Robert Prevost/Leo XIV. macht durchaus den Eindruck, eigene Fehler nicht nur einzusehen, sondern auch berichtigen zu können.
Die Welt der kontemplativen und damit zumeist auch konservativeren Orden ist durch Maßnahmen der Ordenskongregation unter Franziskus schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Teils durch offene Verfolgung einzelner Gemeinschaften wie bei den Franziskanern der Immakulata, teils durch generelle Diskriminierung kontemplativer Frauenorden mit der Instruktion „Cor orans“. Aktuell erregt wieder ein Fall Aufsehen, bei dem ein zahlenmäßig nur noch kleiner Konvent mit großem Grundbesitz unter Berufung auf Cor orans im Bestand bedroht wird. In vielen solchen Fällen wird den Angehörigen disziplinierter Gemeinschaften ausdrücklich die kirchliche Erlaubnis versagt, ihren Orden zu verlassen oder gar eine neue Gemeinschaft zu gründen. Es bedürfte keinerlei Änderung von Cor Orans oder anderer bestehender Vorschriften, um diese oft großes menschliches Leid verursachende Praxis zu beenden. Auch auffallende Personalveränderungen auf Spitzenpositionen wären zunächst nicht erforderlich – eine schlichte Anweisung des Papstes an die zuständigen Dikasterien wäre ausreichend.
In allen genannten Fällen – und vermutlich noch einem guten Dutzend anderer – wäre eine zumindest teilweise Überwindung oder Wiedergutmachung von im vorhergehenden Pontifikat verfügten Unrecht möglich, ohne offizielle Dokumente zu verändern oder aufzuheben. Nichts würde einen offenen Bruch mit Franziskus verkünden – aber alles würde signalisieren, daß die neuerdings von Vielen ja auch offen so bezeichnete Epoche von Willkür und Rechtlosigkeit ein Ende hat.
Nicht nur beim erfreulichen Anblick eines Papstes, der weiß wie man „papstet“, sondern auch im Erleben einer Kirche, die Schluß damit macht, sich im Kampf gegen die eigene Herkunft und Geschichte selbst zu zerfleischen.
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