Was haben wir von Papst Leo für den alten Ritus zu erwarten - und wann?
07. Juli 2025
Andrea Gagliarducci
Die Diskussion über Grundlagen und Anwendung von Traditionis Custodes, die in der Vergangenen Woche durch die Veröffentlichung von Diana Montagne ausgelöst wurde, hat seitdem an an Tiefe und Breite ganz enorm zugenommen. Dem jeden Montag erscheinenden Überblick zur Woche im Vatikan des Vaticanista Andrea Gagliarducci von heute entnehmen wir einige Passagen über seine Einschätzung der weiteren Entwicklung, die wir teilweise durch eigene Anmerkungen ergänzen.
Leo XIV. ist ein Papst einer neuen Generation. Er hat stets im Novus Ordo zelebriert. Sein Eintritt in die Ausbildung beim Augustinerorden, seine Weihe, seine ersten Aufgaben und seine weiterführenden Studien fielen ungefähr mit der Kontroverse um die Priesterbruderschaft St. Pius zusammen. Erst unter Papst Benedikt XVI. wurden die Exkommunikationen der überlebenden Bischöfe aufgehoben – nicht ohne ernsthafte Kontroversen und schlechtes Kommunikationsmanagement –, und die Priesterbruderschaft St. Pius XIV. befindet sich weiterhin in einem „kanonisch irregulären“ Zustand innerhalb der Kirche.
Benedikt XVI. hatte die Heilung des Schismas an eine doktrinäre Präambel geknüpft, die die Lefebvrianer im Zusammenhang mit dem zweiten Vatikanischen Konzils akzeptieren sollten – sie haben sich nie dazu bereit gefunden. Das machte deutlich, daß die liturgische Frage nur Teil eines komplexeren Problems war.
Dieser Exkurs über die Priesterbruderschaft erscheint zunächst als eine unnötige Störung des Zusammenhangs, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als unbedingt erforderlich – selbst wenn Gagliarducci diese u.E. unentbehrliche Betrachtung hier nicht anstellt.
Die hier angesprochene Bedingung Benedikts wird im allgemeinen Sprachgebrauch oft als Forderung nach „Anerkennung des Konzils“ verstanden und mit dem Vorwurf an die Anhänger der überlieferten Liturgie (und das nicht nur innerhalb der FSSPX) verbunden, sie lehnten „DAS KONZIL®“ ab – und hätten somit kein Recht auf die Anerkennung der vollen Gemeinschaft mit der Kirche.
Das ist insoweit ein unredlicher Trick, als die so angesprochenen „Konzilsgegner“, darunter eben auch die Piusbruderschaft, in ihrer übergroßen Mehrheit nicht „das Konzil ablehnen“ sondern zu einigen wenigen Passagen einzelner Dokumente ernste Rückfragen haben. Diese Rückfragen betreffen Punkte, die nachweisbarer weise schon in den Diskussionen des Konzils und später in der weitgehend als maßgeblich empfundenen Interpretation der Schule von Bologna oder der Arbeit des Consilium zur Liturgiereform in einer mit der Tradition unvereinbaren Form interpretiert wurden – bestes aktuelles Beispiel die traditionsfeindliche Lesart bei Andrea Grillo.
Anfragen an die Päpste, solche Punkte verbindlich zu interpretieren, wurden bisher nur in wenigen Fällen beantwortet. Auch bei einer von der Piusbruderschaft an Papst Benedikt gerichteten Anfrage zur „Präambel“ nicht. Es bleiben also diverse Punkte offen – aber wie soll man sich zur Anerkennung von Sätzen bereit erklären, wenn deren Bedeutung anscheinend absichtlich offen gehalten wird?
Das Thema wäre einen eigenen Beitrag oder besser noch eine Dissertation an einer theologischen Fakultät wert...
Papst Franziskus verfolgte eine zweideutigere Linie. Er berief einerseits Lefebvrianer zu Mitgliedern von Tribunalen, erweiterte die Gültigkeit ihrer Beichten und Ehen auf sie und erkannte ihre Beichten anlässlich des Außerordentlichen Jahres der Barmherzigkeit sogar an. Andererseits bekämpfte er jedoch den alten Ritus, zeigte mit dem Finger auf diejenigen, die er als „Abtrünnige“ bezeichnete, und erschwerte die Feier nach dem alten Ritus erheblich. Kurz gesagt: Papst Franziskus kehrte zum vorkonziliaren Modell zurück. Anstatt die Krise harmonisch zu lösen, traf er Entscheidungen, die in gewisser Weise spaltend wirkten. Obwohl er in der Konstitution Praedicate Evangelium auch den Primat des Zweiten Vatikanischen Konzils in Bezug auf die Liturgie betonte, handelte Papst Franziskus hier wie ein vorkonziliarer Papst, und jedenfalls nicht im Sinne einer synodalen und mehr an der Kollegialität orientierten Regierungsweise.
Die traditionelle Liturgie ist nur ein Beispiel für sein Vorgehen bei vielen Entscheidungen seines Pontifikats. Generell entschied sich Papst Franziskus nicht für den Dialog, sondern für den Einsatz von Macht.
Leo XIV. ist aufgerufen, sein eigenens Entscheidungsmodell zu finden. Die Messe im alten Ritus ist kein wirklich aktuelles Thema, da sie nur eine kleine Gruppe von Gläubigen betrifft und letztlich niemandem schadet. Es ist nicht unlogisch anzunehmen, daß Leo XIV., der auch eine Grußbotschaft an die traditionalistische Pilgerfahrt Paris-Chartres sandte, zu einem praktischen Liberalismus zurückkehrt, und das, ohne die Regeln zu ändern, sondern indem er die Ortsbischöfe auffordert, sie nicht zu verschärfen.
Hier sind doppelte oder dreifache Einwände angebracht. Zum ersten ist die Gruppe von Gläubigen, die dem überlieferten Ritus anhängen, zumindest in den USA, nicht so klein, wie gerne behauptet wird. Zweitens fügt die Nicht-Behandlung des Themas sehr wohl vielen Gläubigen Schaden zu: Sie beraubt nicht nur die bewußten Anhänger der überlieferten Liturgie ihres Erbes, sondern setzt in vielen Gemeinden auch treugläubige Messbesucher der Gefahr aus, mit einer verkürzten oder häretisch entstellten Liturgie- und Lehrpraxis konfrontiert zu werden oder den Glauben ganz zu verlieren. Zum Dritten schließlich wäre eine auf Dauer gestellte (im Übergang ließe sich das vielleicht rechtfertigen) Übung, die Regeln zwar für die Theorie beizubehalten, in der Praxis aber umzudeuten oder nicht anzuwenden, nur der Ersatz eines Übels durch ein anderes. Was wir übrigens in diesem Form von dem offenbar sehr rechtsbewußten Kirchenrechtler Leo auch kaum erwarten
Aus dieser Entscheidung können wir dann auch Schlüsse auf den Regierungsstil ziehen, für den sich Leo XIV. entscheiden wird. Bisher haben seine symbolischen Gesten die traditionelle Welt subtil angesprochen (wenn auch nie widergespiegelt), während seine politischen Entscheidungen eher auf die progressive Welt ausgerichtet waren (obwohl sie primär auf Entscheidungen des vorherigen Pontifikats zurückgehen).
Der englische Text Gagliarduccis verwendet hier das schöne Sprachspiel, Papst Leo habe mit der bisherigen Form seiner Liturgie den Traditionalisten zwar „zugeblinzelt“, aber keinesfalls „zugenickt“ – aber das stimmt nicht mir unserem Eindruck vom modus operandi des Kanonisten Robert Prevost überein. Wahrscheinlicher ist, daß er bei den liturgischen Formen an die Tradis gar nicht gedacht hat, sondern einfach darauf besteht, daß in allen Dingen die geltende Vorgaben eingehalten werden – unabhängig davon, wie sein direkter Vorgänger das gehalten hat.
Und auch zu seinen teilweise wenig zufriedenstellenden Personalentscheidungen haben wir bereits mehrfach angemerkt, daß es zumindest akzeptable Argumente dafür gibt, noch von seinem Vorgänger angestoßene oder unterschriftsreif gemachte Prozesse nicht neu aufzurollen. Das scheint Gagliarducci ja auch einzuräumen, wenn er fortfährt:
Diese Kategorien taugen jedoch nicht mehr zur praktischen Anwendung auf reale Probleme und sind daher keine Analyseinstrumente mehr. Leo XIV. ist vielmehr dazu berufen, die Harmonie wiederherzustellen, und dies kann er nicht durch unpopuläre Entscheidungen erreichen, ohne die Komplexität der vorliegenden Fragen zu berücksichtigen. Die interne Debatte in der Kirche hat eine Art Scheideweg erreicht, und die Regierung Leos XIV. kann anhand des von ihm gewählten Weges beurteilt werden.
Der Papst zeigt sich derzeit immun gegen Druck. Er wägt seine Entscheidungen ab, sucht nach einer persönlichen Regierungsform und hört möglichst vielen Menschen zu. Es ist schwer vorstellbar, daß die Frage der Messe im traditionellen Ritus ganz oben auf der Agenda des Papstes steht. Es ist nicht schwer vorstellbar, daß er früher oder später eine Entscheidung darüber treffen wird.
Aus unserer Sicht ist es sogar unvorstellbar, daß er dieser Entscheidung auf Dauer ausweichen will und kann. Er wird sich also selbst da, wo andere Aufgaben dringlicher erscheinen, diesem Problembereich widmen müssen, mit dem er in seinen bisherigen Tätigkeits- und Erfahrungsfeldern wenig konfrontiert war – und der dennoch mitten ins Zentrum der Kirche in der Krise der Gegenwart reicht.
Soweit unsere Auszüge und Kommentare zum Monday Vatican von Andrea Gagliarducci am 7. Juli – hier noch einmal das Link. Beten wir für Papst Leo, daß er die richtigen Berater findet und daß er offen ist für die Leitung des Heiligen Geistes, der die Kirche und ihre Liturgische Gestalt seit den ersten Anfängen begleitet und geführt hat.
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