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Advent, Katechon und Antichrist

02. Dezember 2023

" - Theologie"

Ausschnitt aus dem Gemälde Signorellis über den lehrenden Antichrist

Unter den Einflüsterungen der alten Schlange

Die frohe Erwartung des Festes, an dem wir die vor zweitausend Jahren stattgefundene Ankunft des Erlösers unter den Menschen feiern, bildet ja nur einen Teil der Festgedanken dieser vier Wochen vor Weihnachten, die stets in der Gefahr stehen, in eine sentimentales „wir warten auf das Christkind“ abzugleiten. Den anderen Teil – daran lassen die Schriftlesungen des letzten Sonntags im Kirchenjahr (Matth. 24) und des ersten Adventssonntages (Lukas 21) selbst keinen Zweifel – bildet die bange Erwartung des Tages der Wiederkunft Christi als Weltenrichter. Die Jünger Christi rechneten mit diesem Tag zunächst noch für die Zeit ihres irdischen Lebens. Schon früh haben sie jedoch erkannt, daß die mit der Geburt in Bethlehem begonnenen „letzten Tage“ ein ganzes Zeitalter uns unbekannter Dauer umfassen. Von der Wiederkunft christi wissen wir nur, daß sie sich nicht wie einst in Bethlehem unbeachtet in einem bescheidenen Stall vollziehen wird, sondern „wie der Blitz, der aufleuchtet im Sonnenaufgang und die Welt erhellt bis zum Untergang“ (Matthäus 24, 27) die ganze Schöpfung in ihren Bann ziehen wird, die Lebenden ebenso wie die Toten.

Von daher war die Adventszeit seit den frühen Tagen der Kirche nicht nur frohe Erwartung, sondern auch Zeit des Schuldbekenntnisses und der Buße zur Vorbereitung auf das „letzte Gericht“.

Der Wiederkunft Christi – das wird beim Evangelisten Johannes deutlich ausgesprochen, aber auch in anderen Schriften des neuen Bundes angedeutet – wird eine Epoche des „Antichristen“ vorausgehen (1. Joh. 2,18; 4,2) , der genau das ist, was der Name sagt: Eine Erscheinung, Ding oder Unding, die viele Menschen davon überzeugen wird, daß sie der eigentliche und wahre Erlöser der Menschheit sei – und die in allem das Gegenteil dessen ist, was Christus, das lebendige Wort Gottes, in seinem Wesen war und gelehrt hat.

Vielfach hat man sich diesen „Antichristen“ als Person vorgestellt – und nichts spricht dagegen, daß eine solche Person in der allerletzten Zeit auftreten wird um all das in sich zu vereinen, was dem wahren Messias und Erlöser entgegengesetzt ist. Einzelne Züge dieser Gestalt sind aber auch in der Gegenwart schon deutlich erkennbar, deutlicher vielleicht als jemals in der Vergangenheit: Lehren und Lehrer, die einzelnen Gruppen der doch alle von Gott nach seinem Bild und Gleichnis erschaffenen Menschheit das Menschsein absprechen, die den Menschen selbst als Störfaktor in einer vergöttlichen Natur eliminieren wollen, die den auf den Schöpfer hin ausgerichteten geistigen Teil seiner Natur leugnen oder die seine natürliche Körperlichkeit bis zur Verneinung hin bestreiten – sei es durch die Erfindung immer neuer herbeiphantasierter „Geschlechter“ oder durch aggressive Wahnvorstellung von einem Übergang der geschaffenen Menschheit zu einer menschengemachten kybernetischen Transhumanität.

Die Mittel zur Umsetzung solcher menschenfeindlicher Ideen mögen heute weiter entwickelt sein als in früheren Epochen – gegeben hat es es diese Feindschaft gegen Gott und seine Schöpfung aber schon immer, und quasi im Gegenzug taucht unter den Christen schon früh der Gedanke auf, daß einzelne Menschen über die besondere Gnade und Fähigkeit verfügen, diesen Kräften des Bösen entgegen zu wirken. Am deutlichsten ausgesprochen wird das im 2. Brief an die Thessalonicher. Dieser kurze Brief macht die Endzeit und das Gottesgericht zu seinem Thema und gehört nach Klaus Berger zu den ältesten Schriften des Neuen Testaments überhaupt – geschrieben um das Jahr 50. Der Apostel konstatiert dort zunächst, daß „die geheime Macht der Bosheit (mysterium inequitatis) schon am Werk“ sei, um dann anzudeuten, daß es jemanden (oder etwas) gibt, das diese deutlich mit den Zügen des Antichristen beschriebene Macht „noch zurückhält“ (katechôn, 2. Thess. 2; 6-7)

Wie die des Antichristen wird auch die Gestalt dieses Katechon, dieses „Zurückhalters“, nur in Umrissen angesprochen; ob es eine Person oder mehrere, ein Ergebnis menschlicher Anstrengung oder göttlichen Eingriffs ist, bleibt unausgeführt. In der Kirchengeschichte haben beide Gestalten unterschiedliche Deutungen erfahren, die zumindest auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen – etwa wenn einige Erklärer in der dem Antichristen entsprechenden Figur des „Untieres aus dem Meer“, aus der Johannes-Apokalypse (Offb 13,1) eine Anspielung auf das römische Weltreich erblicken, während andere Erklärer (z.B. der hl. Hieronymus) in der Ordnungsmacht des römischen Weltreichs eher eine Agentur des Katechon sehen. Wiederum andere sehen den/das Katechon im Wirken der Kirche verwirklicht – es ist Christus selbst, der dem Antichristen entgegen wirkt. Es gibt aber noch mehr Verwirrendes. Während bei Paulus der Katechon offenbar als eine positive Kraft gegenüber dem Walten der Bosheit gesehen wird, verweisen andere Erklärer darauf, daß dieser durch seinen Widerstand gegen den (doch nur zeitweiligen) Triumph der Bosheit die Wiederkunft Christi hinauszögert und somit eine durchaus zwiespältige Gestalt darstelle…

Viel Stoff zum Nachdenken über die letzten Dinge und die Wiederkunft des Herrn jedenfalls. Und Grund zur Vorsicht beim Versuch, bestimmte Figuren aus Geschichte oder Gegenwart mit dem Katechon oder gar dem Antichristen zu identifizieren. Wenn der italienische Philosoph Giorgio Agamben im Pontifikat von Papst Benedikt das Wirken des „Aufhalters“ sieht, mag es dafür gute Argumente geben.

Wenn – in der Hauptsache einige protestantische Sekten, aber nicht nur solche – Papst Franziskus als „Antichrist“ sehen, folgen sie damit nur einem seit Reformationszeiten gängigen Stereotyp. Aber von allem anderen abgesehen: Dafür fehlt es Franziskus nicht nur an Klarheit, sondern auch schlicht und ergreifend an Format. Als Teil des Archon wird ihn freilich auch niemand ansehen wollen.

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