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Rupert von Deutz zum Advent

04. Dezember 2023

3 - Tradition, Kirchenjahr"

Die Zeichnung aus einer mittelalterlichen Handschrift zeigt den Heiligen beim Anspitzen einer Schreibfeder

Rupert als Schreiber

Aus dem Dritten Buch des großen Werkes von Rupert von Deutz übder den Gottesdienst im Lauf des Kirchenjahres:.

Es begint ein Zitat Die Zeit, die der Gedächtnisfeier der Geburt des Herrn vorangeht, wird deshalb Advent genannt, weil ihre kirchliche Ordnung ganz auf die Betrachtung der Ankunft des Herrn hin eingerichtet worden ist.

Wiewohl der Herr überall ist mit der unsichtbaren Gegenwart seiner Majestät, wird aber zu Recht gesagt, daß er ankommt, da er durch die Annahme dessen, was sichtbar ist an uns, sich den Augen des Fleisches als Sichtbarer gezeigt hat. Dies ist damals geschehen, als das Wort, durch das alles geworden ist, – er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt hat ihn nicht erkannt –, Fleisch geworden ist, so daß er sichtbar unter uns gewohnt hat. Und das wird auf gleiche Weise in der Zukunft geschehen, wenn der, der jetzt zur Rechten Gottes sitzt und weit entfernt ist von uns, wiewohl er bei uns ist bis zur Vollendung der Welt, sich wiederum in leiblicher Gegenwart zeigen wird am Ende der Welt, wobei er nicht eine andere Gestalt annehmen, sondern uns die darbieten wird, die er ein für alle mal angenommen hat, wie er auch selbst gesagt hat: Wir werden den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen mit großer Macht und Herrlichkeit.

Jene Zeit, die der Gedächtnisfeier der Geburt des Herrn vorangeht, wird also deswegen Advent genannt, weil das Gesagte teils als Vergangenes, teils als in jeder Hinsicht Zukünftiges vergegenwärtigt wird. Denn am ersten Sonntag wird die bereits vergangene erste Ankunft gleichsam als zukünftige im Hinblick auf die alte Kirche vergegenwärtigt. Am zweiten und dritten Sonntag kündigen die Posaunender Propheten und der Apostel den Erwartenden und sich Sehnenden die zweite Ankunft als bereits nahe bevorstehend an, nun wird die zweite Ankunft gerade deswegen an zwei Sonntagen laut ausgerufen, weil allein die Kirche, die der Menschwerdung des Herrn vorausgegangen ist, die erste Antwort als verheißene erwartet hat, die zweite Ankunft aber sowohl die vorausgehende wie auch die nachfolgende Kirche vernommen hat, – jene nur durch prophetische, diese aber aber zugleich durch prophetische und durch apostolische Ankündigungen gründlich belehrt.

Darum ertönt am zweiten von diesen Sonntagen das prophetische Offizium „Volk von Zion“ (Jes. 30), am dritten aber das des Apostels: „Freuet euch allezeit im Herrn!“.

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Soweit Rupert von Deutz im Dritten Buch seines großen Werkes über den Gottesdienst der Kirche – hier zitiert in der sehr empfehlenswerten Übersetzung der zweisprachigen Ausgabe der Fontes Christiani aus dem Herder Verlag. Auf den ersten Blick enthält dieses über 900 Jahre alte Erklärstück nichts, was den heutigen Katholiken – soweit sie nicht völlig aus der Tradition herausgefallen oder herausgezogen worden wären – fremd und unbekannt wäre. Auf den zweiten Blick wird ein bemerkenswerter und aus heutiger Perspektive durchaus befremdlich anmutender Wortgebrauch von „Ecclesia – Kirche“ erkennbar: Rupert spricht von der „Kirche, die der Menschwerdung des Herrn vorausgegangen ist“ und dann noch einmal von der „vorausgehenden Kirche“, die „durch prophetische Ankündigung genährt“ wurde, und im gleichen Atemzug von der „nachfolgenden“ Kirche, die zusätzlich von der Verkündigung der Apostel belehrt wurde.

Für Rupert sind die Synagoge – soweit sie der Lehre der Propheten treu war, und schließlich auch über Bethlehem und Golgatha hinaus treu blieb – und Ecclesia die eine Kirche, die eine Gemeinde der Gläubigen Gottes in der Welt. Diese Gemeinschaft sieht er in einer so starken Kontinuität, daß er den in der Realität mit Kreuzigung und Auferstehung markierten Neuanfang an dieser Stelle gar nicht für der erwähnung wert hält. Im Unterschied etwa zu Thomas von Aquin, der diesen Angelpunkt der Heilsgeschichte mit seinem „et antiquum documentum novo cedat ritui“ (und der alte Vertrag weicht dem neuen Bund) doch deutlicher als Bruchpunkt hervorhebt.

Alleine steht Rupert von Deutz mit seiner Kontinuitätsvorstellung aber nicht, wenn man an das im 4. Jahrhundert entstandene „Te Deum“ denkt, das in seiner Aufzählung der Heiligen vor dem Thron Gottes den „ruhmreichen Chor der Apostel“ mit der „preiswürdigen Zahl der Propheten“ ganz ähnlich gleichsetzt, wie das hier bei Rupert von Deutz vorkommt. Einen eindeutigen „Bruch“ postuliert auch Thomas nicht – das Verhältnis von Bruch und Kontinuität war schon immer schwierig zu erfassen.

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