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Syro-malabarische Liturgie: Die Auseinandersetzung geht weiter

27. Januar 2024

6 - Allg. Krise

Priesterversammlung zelebriert ad Populum

Hochgebet ‚ad Populum‘ bei einer Priesterversammlung

Wir haben bereits mehrfach über den Liturgiestreit in der in Einheit mit Rom stehenden Syro-Malabarischen Kirche Indiens berichtet – Links am Schluss des Artikels. Ende letzten Jahres sah es so aus, als ob eine Einigung bevorstehe: Rom hatte alle Gemeinden aufgefordert, ab den Feiertagen dem Jahreswechsel den von der syro-malabarischen Bischofskonferenz verabschiedeten Kompromiss eines „uniform rite“ zu übernehmen und hatte dieser Aufforderung durch zwei Maßnahmen Nachdruck verliehen: Zunächst wurde ein Schreiben des Papstes veröffentlicht, in dem er die Dissidenten, deren Zentrum das Bistum Ernakulam-Angamaly ist, dringend aufforderte, den „uniform rite“ zu übernehmen. Außerdem wurde inzwischen das bisherige Haupt der Teilkirche abgelöst und durch einen neuen Mann ersetzt, Während der Papst in seinem Schreiben nicht ausgeführt hatte, wie Rom auf eine Nichtbeachtung reagieren würde, machte ein päpstlicher Abgesandter dann klar, daß Priester und Gemeinden, die weiterhin den Gehorsam verweigerten, mit der Aufkündigung der Gemeinschaft mit Rom und Ausrufung eines formalen Schismas rechnen müßten.

Am 25. Dezember hielten dann fast alle der 328 Pfarreien von Ermakulam-Angamaly „aus Respekt vor dem Papst“ eine Messe in dem angeordneten Ritus – um anschließend zu ihrer gewohnten Form der Liturgie zurückzukehren. Und nun herrscht auf beiden Seiten schweigende Ratlosigkeit. Worum es bei alledem geht, ist von hier aus schwer zu erkennen. Offiziell geht es um die Zelebrationsrichtung: Ursprünglich zelebrierten die Syro-Malaberer wie alle Kirchen des Ostens „ad Dominum“. Nach der römischen Liturgiereform von 1969 drehten jedoch die meisten Gemeinde ihre Altäre nach westlichem Vorbild um – ob sie dabei der „Neuen Theologie“ der Lateiner folgten oder lediglich dem Vorbild des damals noch unangefochten bewunderten Westens folgen wollten, steht dahin. Seit ungefähr der Jahrtausendwende hat dann in vielen orientalischen Kirchen eine Rückwendung zur eigenen Tradition stattgefunden, und damit wurde die Zelebrationsrichtung zur Streitfrage. Eine Synode beschloss dann 2021 einen vermeintlich salomonischen Kompromiss: Verkündigungsgottesdienst und Schlussgebete der Messfeier sollten dem Volk zugewandt stattfinden, während der Teil der Messe, der dem Kanon des westlichen Ritus entspricht, „ad Dominum“, also zum liturgischen Osten, gefeiert werden sollte.

Theoretisch hatte dieser Kompromiss viel für sich. Auch in den meisten östlichen Traditionen werden die dem Wortgottesdienst zuzurechnenden Elemente vor der Ikonostase und zum Volk hin durchgeführt, und auch der lateinische Ritus in seiner überlieferten Form hat beispielsweise beim bischöflichen Pontifikalamt eine Erinnerung an diesen uralten Brauch bewahrt: Erst zur eigentlichen „Opfermesse“ begibt sich der zelebrierende Bischof von seinem Thron zum Altar. Trotz dieses unleugbaren Traditionsbezuges wurde dieser Kompromiss in vielen Gemeinden mit Schwerpunkt Ernakulam-Angamaly nicht akzeptiert. Über die Gründe dieser Verweigerung ist in den hier zugänglichen Informationen so gut wie nichts zu erfahren. Gelegentlich ist davon die Rede, die Vertreter der durchgängigen Zelebration „Ad Populum“ wollten die darin zum Ausdruck gebrachte Einheit mit der Weltkirche nicht verteidigen – doch es ist schwer vorstellbar, daß sie dann unter dem Vorwand, diese Einheit zu verteidigen, eben diese Einheit mit Rom aufs Spiel setzen.

Aber auch die Gründe für die römische Hartnäckigkeit sind nicht leicht nachzuvollziehen: Schließlich hat Rom unter Franziskus alle Versuche, von der vor 50 Jahren als revolutionäre Neuheit eingeführten Zelebration zum Volk hin abzurücken, erbittert bekämpft. Man denke nur an die scharfe Zurückweisung des Papstes für Kardinal Sarah, der in seiner Zeit als Liturgiepräfekt eine gemäßigte und optionale Revision dieses Schrittes ins Gespräch gebracht hatte. Wenn Rom weltweit auf der Zelebration ad populum besteht – warum soll diese dann ausgerechnet den Syro-Malaberern verwehrt bleiben? Selbst um den Preis einer Kirchenspaltung.

In dieser Situation liegt es nahe, nach tieferliegenden Motiven hinter den offiziell angeführten Gründen zu suchen. Für Rom bzw. das aktuelle Pontifikat drängt sich schnell der Verdacht auf: Ganz allgemein beurteilt Santa Marta das, was in anderen Bereichen der Weltkirche geschieht, vorwiegend nicht nach inhaltlichen, sondern nach machtpolitischen Kriterien. Alles, was nicht von Rom ausgeht, wird von vornherein mit Mißtrauen betrachtet und da, wo Rom sich stark fühlt, zentralistischer Gängelung unterworfen. Also verordnet man des Syro-Malabaren einen „uniform-rite“, während man auf der anderen Seite z.B. für Westeuropa schweigend hinnimmt, daß der angeblich eine und einzige Ritus Pauls VI. In hunderterlei abweichenden Formen verunstaltet wird, die sich zum Teil weitaus stärker voneinander unterscheiden als die beiden in Indien anzutreffenden Varianten.

Aber auch das Verhalten der Syro-Malabaren wird durch das, was an der Oberfläche sichtbar und von den Medien bis hierhin verbreitet wird, bei weitem nicht ausreichend erklärt. Wenn Hunderte von Gemeinden zum Erhalt einer Zelebrationsrichtung, die erst vor einigen Jahrzehnten eingeführt wurde, bis an den Rand der Kirchenspaltung gehen, darf man zu Recht auch noch weiter reichende Motive vermuten. In einem Land wie Indien, zu dessen wirkmächtigen Traditionen unter anderem starke sprachliche oder stammesmäßige Unterschiede gehören, gäbe es dazu mehr als Genug Stoff und Anlass. Von daher spricht vieles dafür, daß es bei der aktuellen Auseinandersetzung weniger um Fragen der Liturgie, sondern um einen Streit um ganz andere Dinge, etwa um Machtpositionen in Wirtschaft und Gesellschaft, geht.

Daß die Medien – auch die wenigen, die sich wie The Pillar überhaupt um eine angemessene Berichterstattung über diesen Gegenstand bemühen – das nicht aufklären und vermitteln können, ist ihnen kaum vorzuwerfen. Schwerer verständlich ist, daß in einem angeblich doch so auf die „Peripherie“ ausgerichteten Pontifikat wie dem gegenwärtigen anscheinend weder Sachkenntnis noch Bereitschaft vorhanden sind, den Dingen auf den Grund zu gehen und die Konfliktparteien dabei zu unterstützen, eine tragfähige Lösung zu erarbeiten. Nein, wie zu besten Kolonialzeiten glaubt man, auch in einer Frage, die doch keine zentralen Fragen von Lehre und Disziplin der Kirche berührt, von oben herab und in eigener Machtvollkommenheit entscheiden zu können. Was bei den anscheinend immer noch für „Exoten“ gehaltenen Eingeborenen irgendwo in Afrika oder Asien abgeht, interessiert aus europäischer Perspektive anscheinend niemanden wirklich. Nicht bei der kleinen Gruppe der syro-malabarischen Christen, und nicht bei einem ganzen Kontinent wie Afrika, über dessen soziale und religiöse Werte sich ein Dokument wie „Fiducia supplicans“ mit bemerkenswerter pastoraler Unbekümmertheit (um es vornehm auszudrücken) hinwegsetzt.

Links:

Was läuft da bei den Thomas-Christen?
Mit Feuer und Flamme für die Tradition?
Hoffnung auf Befriedung
Archeparchy’s fate uncertain as liturgy deadline passes

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