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Liturgie der Syro-malabarischen Traditionen

31. Januar 2024

1 - Orientalische Liturgie

Zelebration an einem kleinen Altar im syro-malabarischen Stil 'ad Orientem'

Zelebration ‚ad Orientem‘

Die Auseinandersetzungen in der Syro-malabarischen Kirche Indiens finden auch im Westen relativ große Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil sie in ungewöhnlich heftiger Form ausgetragen werden: Blockierung der Kirchen der Gegenseite und Verbrennung von Puppen mit den Gesichtszügen von deren Würdenträgern inklusive. Die Motive für diesen Streit und seine Zuspitzung sind von hier aus kaum zu erkennen. Ob sie wirklich nur in der (freilich kolonialgeschichtlich aufgeladenen) Frage der Gebetsrichtung liegen oder auf tiefer liegenden gesellschaftlichen oder theologischen Differenzen beruhen, ist schwer zu sagen.

Ein denkbarer Streitpunkt, der allerdings in allen hier bekannt gewordenen Berichten nicht erwähnt wird, wäre die in der Theologie nach wie vor heftig umstrittene Frage der Gültigkeit oder Zulässigkeit des von den Syro-Malabaren und anderen „Assyrern“ verwandten eucharistischen Hochgebets, der Qurbana von Addai und Mari. Dieses Hochgebet – eine deutsche Übersetzung, deren Korrektheit wir freilich nicht überprüfen können, findet sich in einem recht solide erscheinenden Artikel von Wikipedia – hat die Besonderheit, daß es in seiner traditionellen Form keine wörtliche Wiedergabe des den Evangelien entnommenen „Einsetzungsberichtes“ enthält. Dieser Bericht mit den Worten „Dies ist mein Leib…“, „Dies ist der Kelch meines Blutes...“ wird sonst in allen Hochgebeten des Westens und des Ostens gesprochen und galt seit dem Konzil von Ferrara (Mitte 15. Jh.) und gilt bei den Orthodoxen auch heute noch als die eigentliche und unentbehrliche „forma“ des eucharistischen Sakraments. Mängel dieser „forma“ lassen die Spendung des Sakramentes bzw. die Konsekration der Opfergaben nicht zustande kommen.

Das änderte sich katholischerseits erst 2001 mit einer von den Kardinälen Kasper und Ratzinger unterzeichneten und von Papst Johannes Paul II. genehmigten Erklärung des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, die in ihrem dritten Abschnitt die Gültigkeit dieses Hochgebetes anerkannte. Sie führte dazu drei Gründe an: Erstens das hohe Alter der Qurbana, die auf Schüler des Apostels Thomas zurückgeführt wird und wohl tatsächlich bis ins 3. oder 2. Jahrhundert zurückreicht. Zweitens die Tatsache, daß die „Assyrer“ die Apostolische Sukzession und die ursprüngliche Lehre der Kirche von den Sakramenten bewahrt hätten und drittens, daß die Worte und der Sinn des Einsetzungsberichtes in der Qurbana enthalten wären – wenn auch nicht in wörtlicher Wiedergabe.

Besonders dieser letzte Punkt wird von den Kritikern der Entscheidung, die der korrekten „forma“ große Bedeutung zumessen, mit nicht leicht abweisbaren Argumenten in Frage gestellt. Inhaltlich kann unsereins dazu wenig sagen. Einige Argumente der Kritiker sind in einer Webpublikation der Piusbruderschaft nachzulesen. Eine ausführliche Pro-Argumentation von P. Martin Lugmaier (Petrusbruderschaft) bringt Prof. Spindelböck auf seiner überaus informativen Website St.Josef.at.

Diese theologisch sehr tiefgehende Meinungsverschiedenheit wurde in der Praxis der „Thomaschristen“ – soweit das von hier aus zu erkennen ist – dadurch überbrückt, daß die in Gemeinschaft mit Rom stehenden „Syro-Malabarer“ das Zitat der Einsetzungsworte in die Qurbana einfügten, während die nicht mit Rom verbundenen weiterhin ohne deren wörtliche Wiedergabe zelebrieren. Beide Zweige – und darin liegt wohl die eigentliche Bedeutung der römischen Anerkennung - erlauben jedoch die gegenseitige Sakramentengemeinschaft. Das ist wohl vor allem in der (nordamerikanischen) Diaspora wichtig, weil die kleinen und verstreuten Gemeinden der in Amerika lebenden Thomaschristen nur über relativ wenige Priester verfügen und daher des öfteren gemeinsam Gottesdienst feiern.

Was in Nordamerika unter den Bedingungen der Diaspora möglich ist, kann allerdings in der Rückwirkung auf den indischen Heimatkontinent, wo die verschiedenen Zweige der Assyrer/Thomaschristen in größeren Gruppen aufeinander treffen, durchaus zu Schwierigkeiten führen. Etwa in der Weise, daß die mit Rom verbundenen ein Bedürfnis zur demonstrativen Abgrenzung entwickeln und neben der „ergänzten“ Qurbana auch die römische Zelebrationsrichtung bevorzugen würden. Ob das tatsächlich der Fall ist, ist von hier aus nicht zu ekennen – aber ähnliche Erscheinungen und Konflikte sind auch aus Gebieten Mittel-Osteuropas bekannt, wo „Orthodoxe“ und „Unierte“ aufeinander treffen und z.B. innerhalb der mit Rom verbundenen „Byzantiner“ heftig darüber gestritten wird, ob man das von einigen aus dem Westen übernommene Rosenkranzgebet als Bereicherung oder Verfälschung der angestammten Spiritualität betrachten soll.

Von Außenstehenden ist dazu wenig zu sagen – und daß man in solchen Fällen selbst mit „Machtworten“ nicht weiter kommt, ist derzeit in Indien ja zu besichtigen. Wo Liturgie wirklich in das Leben der Menschen integriert ist, historisch gewachsen ist und sich organisch weiterentwickeln will, sind Eingriffe schwierig und Besserwisserei Gift. Diese „Rahmenbedingungen“ – die in Wirklichkeit an den Kern der Sache rühren – hochmütig missachtet zu haben, ist der vielleicht verhängnisvollste Geburtsfehler der Liturgierefom nach dem Konzil von 1965.

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Links zu Videos mit Beispielen:
In der jetzt vorgeschriebenen „Uniform Liturgy“ in einer nordamerikanischen Gemeinde und in englischer Sprache.
In der von den Syro-Malabaren in Ermakulam verteidigten Form „ad Populum“ im Tagungshaus Moriah bei Koblenz ebenfalls in Englisch.
In der älteren Form (ad Dominum) mit Gesang in chinesischer Sprache im syriakischen St. Isaacs-Kloster in Modesto, Kalifornien. Das Messbuch ist syriakisch, der chinesische Gesang versucht eine Rekonstruktion des Brauchs des 8. Jahrhunderts, in dem die Thomaschristen in China eine gewisse Verbreitung erreichten, bevor sie durch Christenverfolgung vernichtet wurden.

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