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Zur Stillen Woche (1): Oratio Rhytmica

25. März 2024

Kommentar und Kategorisierung

Der Ausschnitt aus dem Tafelbild vom Isenheimar Altar zeigt die angenagelten Füße des Gekreuzigten und eine Darstellung des geopferten Lammes.

Ausschnitt von der Kreuzigungstafel des
Isenheimer Altars

Aus dem hohen Mittelalter stammt der dem Arnulph van Leuven († 1150) zuge­schrie­bene vielteilige Hymnus „Oratio Rhythmica", der in mystischer Tonart die Wunden des gekreu­zig­ten Erlösers betrachtet. Der letzte Abschnitt dieses mehrteiligen Hymnus auf die Wunden Christi bildete die Vorlage für Paul Gerhardts bekanntes Lied „O Haupt voll Blut und Wunden", das bis auf den heutigen Tag in den Gesangbü­chern beider großer Konfessionen enthalten ist und seinerseits ins Englische und andere Sprachen übertragen wurde.

Der Hymnenzyklus „Oratio Rhythmica" war im späten Mittelalter und bis in die begin­nende Neuzeit überaus populär. Das ließ zahlreiche Varianten entstehen, deren Bearbeiter sich offenbar frei fühlten, die Vorlage ihren persönlichen Vorlieben oder den Gegebenheiten eines konkreten Vortrags anzupassen. So hat es auch Dietrich Buxtehude gehalten, dem für seinen heute noch gerne aufgeführten und in zahlreichen Platten­aufnahmen vorliegenden Kantatenzyklus „Membra Jesu nostri" eine Fassung mit sieben Strophen zur Vorlage diente, wobei er innerhalb der Strophen beträchtliche Kürzungen vornahm – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern zugunsten der Aufführungspraxis. Auf Youtube sind zahlreiche Aufnahmen dieses Werkes abrufbar. Das Hymnarium bringt den Text vollständig auf Latein und Deutsch.

Wie bei vielen Hymnen und Kantaten des Mittelalters – insbesondere bei solchen, die ihre Entstehung weniger in der Liturgie als in der Volksfrömmigkeit zu haben scheinen – gibt es bis auf den heutigen Tag keine einwandfrei festgestellte „Urfassung" der Oratio Rhythmica gibt. Die Unsicherheiten beginnen bereits bei der Autorschaft, die jahrhundertelang Bernard von Clairvaux zugeschrieben wurde. Gegenwärtig wird der etwa 100 Jahre später lebende Arnulph von Löwen als Verfasser angesehen. Beide waren hervorragende Äbte des Zisterzienserordens und glühende Vertreterder Christusmystik, die in der Oaratio Rhytmica ihren hervorragendsten Ausdruck gefunden hat.

Der Umfang des Textes, Zahl und Reihenfolge der Strophen sowie der Wortlaut einzelner Zeilen weisen bei den verschiedenen Varianten die größten Unterschiede auf. Das Hymnarium hat bereits 2012 Text und Übersetzung der wohl populärsten Fassung in sieben Teilen in Latin und Deutsch veröffentlich. Wir übernehmen daraus hier zur Eröffnung der "Stillen Woche" den ersten Teil und geben zum Schluss eine Liste auf die Links insgesamt.

Pars I: Ad pedes

Sei gegrüßt, du Heil der Welt
Sei gegrüßt, mein lieber Jesus,
mach mich Deines Kreuzes würdig,
du weißt, daß ich das wirklich will,
gib mir von Deinem Überfluss.
Als ob du gegenwärtig wärest, trete ich heran
mit Gewissheit glaube ich, daß Du da bist,
O, wie schutzlos erblicke ich dich hier.
Sieh, ich werf‛ mich vor Dir nieder
sei geneigt mir zur Vergebung.

Die Nägel der Füße, die schlimmen Wunden,
die so tief hineingetrieben sind,
umfasse ich in Liebe
und bei Deinem Anblick
gedenke ich zitternd meiner Verwundungen.
Nur dank dieser großen Liebe
können wir Verwundeten bestehen.
O Du lieber Freund der Sünder,
du Heiler der Gebrochenen,
du liebster Vater von uns Armen.

Was an mir zerbrochen ist,
verzerrt oder zerrissen,
mache du, liebster Jesus, alles heil,
stelle es ganz und gar wieder her,
durch ein so gesegnetes Heilmittel.
Ich bitte Dich an Deinem Kreuz,
so aufrichtig ich irgend kann,
daß du mich hier heilst, wie ich erhoffe:
heile mich, und ich werde erlöst sein,
rein gewaschen in deinem Blut.

Deine rotgefärbten Wunden
und die tiefen Nagellöcher
laß in mein Herz eingeschrieben sein,
daß ich ganz zu dem Deinen werde
und Dich in jeder Weise liebe.
Liebster Jesus, guter Gott
zu Dir flehe ich wie ein Angeklagter:
zeige dich mir in Deiner Güte
und weise mich Unwürdigen nicht zurück
von Deinen heiligen Füßen

Ich werfe mich vor dem Kreuz nieder
und umarme diese Füße.
Guter Jesus, stoße mich nicht zurück,
sondern gewähre mir von dem heiligen Kreuz aus
die Gnade des Mitleids.
Nun stehe ich genau vor diesem Kreuz,
sieh mich an, du mein Geliebter,
wende Dich ganz zu mir hin,
und sage ohne Vorbehalt : Sei geheilt!
Ich erlasse Dir alles.

*

Links zu den Teilen der „Oratio Rhytmica“ auf dem Hymnarium: