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Zur Stillen Woche (2):
Auch Deine Seele wird ein Schwert durchdringen

26. März 2024

2 - Theologie und Bibel

Die Prophezeiung des greisen Simeon

Die Evangelien berichten, daß von all den spä­te­ren Aposteln und Jüngern nur Johannes es fertig brachte, bei dem Kreuz des sterbenden Erlösers zu stehen, dazu die treuesten Frauen aus seiner Gefolgschaft, und vor allem seine Mutter. Wie kann eine Mutter das auf sich nehmen und aushalten? Franz Michel Willam hat in seinem Buch „Das Leben Marias der Mutter Jesu“ eine Antwort versucht. Wir zitieren leicht gekürzt aus dem Kapitel „Marias Bereitschaft für das Leiden und Sterben Jesu.“

Während die Apostel ihrem Meister durch die Voraussage seines Todes entfremdet wurden, hatten dieselben Worte bei Maria zur Folge, daß sie sich bereit machte, die jetzt kommenden Stunden des Leidens und Sterbens in unerschütterlichem Glauben mit ihm zu teilen. Auf diese Zeit war sie unter Gottes Führung durch ihr ganzes bisheriges Leben vorbereitet worden.

Gott war es, der ihr bald nach der Geburt Jesu durch den greisen Simeon hatte ankündigen lassen, daß sie um ihres Kindes willen schwersten zu leiden haben werde: „Auch deine Seele wird ein Schwert durchbohren!“ Diese Worte hatten ihr Herz mit einer Grundstimmung erfüllt, die nie mehr von ihr wich. Zum zweiten Mal hatte sie dann eine Botschaft des Vaters im Himmel getroffen, als Jesus im Tempel zurückblieb und beim Wiedersehen sagte: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?“ und so sich vor der Mutter auf den Willen des Vaters berief. Dieser Verlust Jesu im Tempel war für Maria mit der ersten Wetterwolke zu vergleichen, die am frühen Morgen aufsteigt.Noch kann es eine geraume Weile dauern, aber man weiß: das Ungewitter wird zu seiner Zeit losbrechen.

Die Weissagung Simeons und der Verlust Jesu zu Jerusalem wirkten in der Seele Marias während der stillen und äußerst friedsamen Jahre zu Nazareth weiter. Sie blieben in ihr so lebendig, daß sie nach dreißig Jahren, als Jesus öffentlich als der Messias auftrat, sich auch sogleich anschickte, an seine Seite zu treten, um mit ihm auf das zu harren, was Simeon angekündigt hatte. Da aber sagte Jesus zu ihr: Meine Stunde ist noch nicht gekommen! Er belehrte sie darüber, daß sie noch weiterhin zu warten habe. Die gleichen Worte schlossen aber auch wieder die feierliche Ankündigung ein, daß die Stunde einmal kommen werde, wo Mutter und Sohn im Leiden vereint sein würden.

Als der Haß gegen Jesus bei den Pharisäern und der Widerstand gegen ihn auch im Volke wuchs, da konnte Maria immer klarer erkennen, daß die Zeit des entscheidenden Kampfes nicht mehr ferne war. Die wiederholten Weissagungen Jesu auf seinem Gange nach Jerusalem brachten ihr darüber die unbedingte Gewißheit, daß nun „die Stunde“ kam. Mit der wachsenden Einsicht in die Leiden, die dem Sohn bevorstanden, und mit der wachsenden Erkenntnis, daß sie schon bald über ihn kommen würden, war in Maria auch die Liebe zu Jesus gewachsen. Das ist ja das Wunderbare an der edlen Mutterliebe: Jede Not des Kindes weckt in ihr einen neuen Quell der Liebe, und jede wachsende Drangsal läßt den Quell der Liebe mitwachsen, Diese Liebe steigerte ihrerseits auch wiederum den Kummer und den Schmerz im Herzen der Mutter.Sie wurde unermeßlich groß, die liebende Sorge der Mutter des Erlösers.

Das Verhalten Jesu und seine Worte brachten ihr aber auch Kraft und Trost. Aus ihnen konnte sie erkennen, daß gerade das Leiden und Sterben der Höhepunkt des Lebens Jesu werden sollte. Zu derselben Zeit, wo sich in Galiläa der Widerstand gegen ihn erhob, hatte er begonnen, von seinem Leiden als von seinem kostbaren Geheimnis und als von seiner Aufgabe zu sprechen, die „ihm bestimmt war“. Feierlich hatte er dann beim letzten Laubhüttenfest vor dem Leiden erklärt: Ich bin der gute Hirte! Ich kenne meine Schafe, und die Meinen kennen mich, so wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne! Und ich gebe mein Leben hin für meine Schafe!. Ich habe aber auch noch andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind. Mir ist auferlegt, auch jene herzuführen.Und sie werden auf meine Stimme hören, und es wird zusammen eine Herde sein und ein Hirte. Mein Vater liebt mich deshalb, weil ich mein Leben hingebe, auf daß ich es dann wieder an mich nehme. Niemand nimmt es von mir, nein, ich selber gebe es freiwillig hin.Ich habe die Macht, es hinzugeben, und ich habe die Macht, es wieder an mich zu nehmen. Darin besteht eben der Auftrag, den ich von meinem Vater empfangen habe. (Joh. 10, 14 – 18)

Der Tod Jesu war also vom Vater gewollt. Und Jesus fand keine Ruhe, bis er den Willen des Vaters erfüllt und sein Leben hingegeben hatte, um die Menschen vom Tode zu erretten und ihnen das Leben zu bringen. Maria folgte Jesus in unerschütterlichem Glauben als Magd des Herrn und auch auf dem Weg, dessen Ziel sie nicht mehr zu erkennen vermochte. Wie ihr Sohn, richtete sie ihren Sinn auf das Leiden und das Werk der Erlösung, das durch sein Leiden vollendet wurde.

Inwieweit Maria zu gleicher Zeit auch schon eine tiefe Einsicht in die Erde und Himmel umspannende Größe der Erlösungsaufgabe ihres Sohnes und ihrer Erfüllung im Leiden und Tod besaß, wissen wir nicht.In den Evangelien sind keine ausdrücklichen Zeugnisse hierfür überliefert. Die Heilige Schrift erzählt aber von andern Menschen, denen ein solches Wissen um das Wesen des Erlösungswerkes eigen war, daß sie uns in Erstaunen setzen. Ein ganzes Leben lang hatte Simeon sich nach dem Erlöser gesehnt und sich gerne zum Sterben hingelegt, nachdem er das Kind in seinen Armen gehalten. Dergleichen hatte Anna, die Witwe, durch sechzig Jahre einzig in Gebet und Sehnen auf den Trost Israels geharrt. Schon in Simeons Seele war auch die Erkenntnis lebendig gewesen, daß die Erlösung nicht in großartigen, die Menschen gleichsam bezaubernden Zeichen , sondern in Verfolgung und Leid vollendet werden sollte. Welch eine gewaltige Sehnsucht muß aber erst in Johannes gewirkt haben, daß er, einzig vom Gedanken an den kommenden Erlöser beseelt, ein ganzes Leben lang fastete und betete. Und wie tief muß er in die Aufgabe des Erlösers eingeweiht gewesen sein, daß er Buße und wieder Buße predigte und, auf den Erlöser weisend, die Worte sprach: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt!“

Maria, der Begnadeten, war eine Kenntnis der Sünde und ihrer Folgen eigen, die jene des Simeon und der Anna und auch jene des Johannes weit übertraf. Damit war auch eine Grundlage für ein noch tieferes Erfassen des Erlösungswerkes gegeben. Außerdem hatte Maria dreißig Jahre lang mit Jesus zusammen gelebt. Während dieses Zusammenlebens war die Gesinnung Jesu auf eine Weise und in einem Glauben auf sie übergegangen, daß all unsere Vorstellungen versagen. Diese Gesinnungsgemeinschaft mit Jesus und das Wissen um den Segen, den der Opfertod ihres Sohnes für die Menschen brachte, gaben Maria einen Halt, der sie unerschütterlich stark mache, als die Leiden des Sohnes mit erschreckender Deutlichkeit vor sie hintraten.

Maria erfaßte aber auch nicht bloß die Weissagungen Jesu über sein schmachvolles Leiden und Sterben mit einem glaubensstarken, opferbereiten Herzen. Ebenso fest war ihre Hoffnung begründet, daß sich auch die Ankündigungen Jesu erfüllen würden, die sich auf seine Verherrlichung und auf die siegreiche Ausbreitung seines Reiches über die ganze Welt bezogen. „Nach drei Tagen wird der Menschensohn von den Toten auferstehen!“ Die Apostel wurden von den entsetzlichen Sätzen über Spott und Hohn, Qual und Tod, die diesem letzten Worte Jesu vorangingen, gleichsam betäubt, also daß sie die Ankündigung des Sieges über den Tod nicht mehr hörten. Noch weniger hatten sie in ihrer Seele Platz für die Worte Jesu in Bethanien: „Wahrlich, ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt die Heilsbotschaft verkündet wird, wird man auch in Erinnerung an sie (Maria) erzählen, was sie getan hat. (…) Die Apostel vermochten da nicht mehr zu folgen. Maria allein war imstande, trotz all den furchtbaren Weissagungen von Leid und Tod und äußerem zusammenbrechen unerschütterlich an den Worten Jesu von Sieg, Auferstehung und Verherrlichung festzuhalten. Er wird auferstehn!. Darum schloß sie sich umso enger an Jesus an, je näher die große Stunde kam, die Jesus angekündigt hatte. Wie immer in ihrem Leben war sie auch jetzt bereit, nach Simeons Weissagung ihren Sohn als das Opferlamm für das Heil der Menschen hinzugeben.

(S. 432 - 437 der 1. Auflage von 1936. Auflagen der Nachkriegszeit sind teilweise stark gekürzt und modernisiert.)

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