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Zwischen Kreuzestod und Auferstehung:
Christi Höllenfahrt

30. März 2024

2 - Überlieferung

Die vollplasisch ausgeführten Figuren zeigen die Szene, wie Christus die STammeltern dem Drachenmaul der Hölle entreißt, während Satan vergeblich protestiert.

Christus befreit die Stammeltern aus dem Höllenschlund.

Zu den großen Geheimnissen des Pascha-Mysteriums – hier erscheint dieser modische Ausdruck ausnahms­weise einmal angebracht – gehört die Frage: Was geschah mit Christus in der Zeit nach dem „Es ist vollbracht“ (Joh. 19,30) am Kreuz von Golgatha und vor der Begegnung des Auferstandenen „am dritten Tag“ (Mk 15, 42 ff) mit den Frauen am leeren Grab? Das neue Testament ist sehr sparsam mit Auskünftigen zu dieser Zeit; der Brief an die Epheser (4,9) und der 1. Petrusbrief (3, 19) machen Andeutungen, die aber alles andere als klar sind. Auch die Kirchenväter bleiben eher vage, und so erscheint es eher überraschend, wenn gegen Ende des 4. Jahrhunderts das „descendit ad Inferos“ ganz umstandslos im Apostolischen Glaubensbekenntnis auftaucht. Offenbar gehört der Abstieg in die Unterwelt zu dem, was schon immer „von allen und überall geglaubt“ worden war, auch wenn es in keiner kanonischen Schrift ausdrücklich überliefert ist.

Hauptquelle für die Überlieferung von – so der dramatischere Ausdruck „Christi Höllenfahrt“ sind bis in das zweite Jahrhundert zurückreichende Teile der apokryphen „Pilatusakten“, die bei aller späteren romanhaften Ausschmückung wertvolle Informa­tionen zu den allerfrühesten Überlieferungen enthalten und als solche auch von den Kirchenvätern anerkannt und genutzt wurden. Die Pilatusakten“ bzw. deren spätere (aus dem frühen 4. Jahrhundert stammende erweiterte) Version, das „Nikodemus-Evange­lium“, bieten von dieser Höllenfahrt einen über 350 Zeilen langen hochdramatischen Bericht (hier in Griechisch mit deutscher Übersetzung im Netz), in dessen Zentrum der Dialog zwischen Satan, dem „Erben der Finsternis“, und seinem unterirdischen Statthalter Hades steht. Man sieht – die alte Götterwelt war noch nicht ganz untergegangen, aber doch recht harmonisch in den Christenglauben integriert.

Ausgangspunkt des hier stark gekürzt wiedergegebenen Berichtes ist das Erdbeben, das den Tod Jesu am Kreuz begleitet und auch in der Unterwelt vernommen worden ist. Hades zeigt sich erschüttert und fürchtet um den Bestand seiner (geliehenen) Macht. Satan, der offenbar eine Ausbildung in antiker Rhetorik genossen hat, macht ihm Mut:

Es begint ein Zitat

Allesverschlingender und unersättlicher Hades, du bist in solche Angst geraten, da du von unserem gemeinsamen Feind hörtest? Ich hatte keine Angst vor ihm, sondern wirkte auf die Juden ein, und diese kreuzigten Ihn und gaben ihm zu trinken Galle mit Essig. Sei also bereit, nun, wenn er kommt, dich sicher seiner zu bemächtigen.“

Doch das kann den Hades, dem erst kurz zuvor auf unerhörte Weise ein gewisser Lazarus entrissen worden war - das dünkt ihm ein übles Vorzeichen - nicht überzeugen. So streiten und beratschlagen sie lange hin und her. Doch dann ertönt von draußen der Ruf:

Es begint ein Zitat

Öffnet, ihr Herrscher, eure Tore, gehet auf ewige Pforten! Einziehen wird der König der Herrlichkeit.“ (In Ps 23,7 mit Blick auf die Tore des Tempels gesprochen)

Daraufhin läßt Hades die Pforten der Hölle für den erwarteten Sturm befestigen. Aber die von ihm gefangen gehaltenen Vorväter halten ihm die Schrift vor, in der dazu seit David und Jesaia vorhergesagt ist:

Es begint ein Zitat

Die Toten werden auferstehen, und die in den Gräbern werden auferweckt werden, freuen werden sich die unter der Erde (Ps 26,19). Tod, wo ist dein Stachel, Wo ist, Hades, dein Sieg?“

So fragt schließlich Hades: Wer ist dieser, der König der Herrlichkeit? Und der Einlass verlangende Engel des Herrn vor dem Tor erwidert:

Es begint ein Zitat

Der Herr, gewaltig und mächtig, der Herr, mächtig im Krieg! (Ps 24).Und zugleich mit diesem Bescheid wurden die ehernen Tore zerschlagen und die eisernen Querbalken zerbrochen und die gefesselten Toten alle von ihren Banden gelöst... Und es kam herein der König der Herrlichkeit wie ein Mensch, und alle dunklen Winkel des Hades wurden licht.“

Der Sieger von Golgatha läßt sich dann nicht in lange Dialoge verwickeln, sondern packt alsgleich den Satan am Hals und läßt ihn von seinen Engeln mit Eisenketten an Händen und Füßen fesseln. Darauf kommt es zu einer uns Heutigen eher unerwarteten, in der Antike aber unmittelbar einleuchtenden Wendung:

Es begint ein Zitat

Dann übergab er ihn Hades und sprach: Nimm Ihn und halte Ihn fest bis zu meiner zweiten Ankunft! Und Hades nahm Satan in Gewahrsam und sprach zu ihm: Beelzebul, Erbe des Feuers und der Pein, Feind der Heiligen, was zwang dich, den Kreuzestod des Königs der Herrlichkeit ins Werk zu setzen, so daß er hierhin kam und uns entmachtete? Wende dich um und schaue, daß kein Toter bei mir zurückgeblieben ist und daß du alles, was du durch das Holz der Erkenntnis gewonnen, durch das Holz des Kreuzes verloren hast!“

Christus aber nimmt den Urvater Adam bei der Hand und führt ihn zusammen mit den anderen Vorvätern, Propheten, Märtyrern und Urmüttern aus der Hölle hinaus zum Paradies. Dabei singen die Erlösten Psalm 118: Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn, Alleluja. Ihm gebührt die Herrlichkeit von allen Heiligen.

Soweit der Bericht über die „Höllenfahrt“ den wir zunächst noch durch den Hinweis ergänzen wollen, daß man sich den Weg vom Kreuz auf Golgatha zum Kerker der Vorväter gar nicht lange vorstellen muß: Aus anderen Apokryphen ist zu erfahren, daß der aus dem Paradies vertriebene Adam seinerzeit eben unter diesem Hügel, der die Mitte der Welt und die Achse des Universums darestellt, begraben wurde – daher auf vielen Abbildungen der Kreuzigungsszene das Symbol des Totenkopfs unter dem Kreuz.

Psalm 67 enthält in Vers 19 den Satz: „Du zogst hinauf zur Höhe, und führtest Gefan­gene mit“, der bei den Juden auf David, bei den Christen jedoch auf Christus bezogen wird und in dieser Perspektive geade den Zug des Auferstehenden mit den befreiten Vorvätern zum Paradies bezeichnet. Auch hier weiß das apokryphe Nikodemus-Evangelium wieder Wunderbares zu berichten, das viele Fragen beantwortet, die im kanonischen Teil der Überlieferung unbeantwortet geblieben sind:

Als sie nun durch das Tor des Paradieses einzogen, kamen ihnen zwei Greise entgegen. Die heiligen Väter fragten sie: Wer seid ihr, daß ihr den Tod nicht gesehen habt und in den Hades nicht hinabgestiegen seid, sondern mit Leib und Seele im Paradiese wohnet?

Es begint ein Zitat

Einer von ihnen antwortete: Ich bin Enoch, der Gottes Wohlgefallen erwarb und von ihm hierhin entrückt wurde. Und dieser ist der Thesbiter Elias. Wir sollen leben bis zur Vollendung der Welt. Dann aber sollen wir von Gott entsandt werden, damit wir dem Antichrist entgegentreten und von ihm getötet werden. Und nach drei Tagen sollen wir wieder auferstehen und auf Wolken dem Herrn entgegen entrafft werden. Während sie so miteinander sprachen, kam ein anderer, ein unscheinbarer Mensch, der auf seiner Schulter auch ein Kreuz trug.

Ihn fragten die heiligen Väter: Wer bist du, der du das Aussehen eines Räubers hast, und was ist das für ein Kreuz, das du auf der Schulter trägst?

Er antwortete: Ich war, wie ihr sagt, ein Räuber und Dieb in der Welt, und deshalb ergriffen mich die Juden und überlieferten mich dem Kreuzestode zugleich mit unserem Herrn Jesus Christus. Als er nun am Kreuz hing, schaute ich die Zeichen, die geschahen, und glaubte so an ihn. Und ich rief ihn an und sprach: „Herr, wenn du herrschen wirst, dann vergiß mich nicht!“ Und sogleich sprach er zu mir: „Wahrlich, wahrlich, heute, sage ich dir, wirst du mit mir im Paradiese sein (Lk 23,43).“

Mein Kreuz tragend, kam ich also zum Paradiese, fand den Erzengel Michael und sagte zu ihm: Unser Herr Jesus, der Gekreuzigte, hat mich hergeschickt. Führe mich also zum Tor des Gartens Eden! Und da das flammende Schwert das Zeichen des Kreuzes sah, öffnete er mir, und ich ging hinein. Dann sprach der Erzengel zu mir: Warte ein Weilchen! Denn da kommt auch der Urvater des Menschengeschlechts Adam mit den Gerechten, damit auch sie hier eintreten. Und da ich euch jetzt sah, ging ich euch entgegen. Als die Heiligen das hörten, riefen sie alle mit lauter Stimme: Groß ist unser Herr, und groß ist seine Kraft!“

Damit endet im wesentlichen der apokryphe Bericht von Christi Höllenfahrt und seinem ersten Aufstieg zum Paradies. Vom siegreichen Christus selbst ist übrigens seit dem Errei­chen des Paradiesestores nicht mehr die Rede – die Stunde für den endgültigen Einzug in seine Herrlichkeit war noch nicht gekommen. Statt dessen wendet sich die Erzählung ganz kurz den beiden Berichterstattern zu, die Kunde von all diesen unerhör­ten Ereignissen geben sollen: Zwei bereits vor einigr Zeit verstorbenen Brüdern, die mit zu den vielen Heiligen gehören, deren Gräber sich nach dem Zeugnis des Evangelisten Matthäus (27, 52+53) beim Erdbeben zu Christi Todesstunde öffneten und die dann in der Heiligen Stadt vielen erschienen waren. Sie werden – so ein anderer apokrypher Bericht – wie all diese anderen Auferstandenen in Jerusalem verweilen, bis sie von Christus bei dessen zweitem und endgültigem Aufstieg in den Himmel mit ihm ins himmlische Jerusalem des Paradieses entrückt werden.

Und wir am Ende unserer und aller Zeiten so es Gott gefällt auch.

*

Über den historischen Wert dieser und ähnlicher Erzählungen gibt es nichts zu sagen. Auch theologisch ist manches problematisch: Christus ist am Kreuz tatsächlich gestorben und erst am dritten Tage wieder auferstanden, und mehr, als das Glaubensbekentnis dazu aussagt, können wir über ein „Dazwischen“ nicht wissen. Viel wäre dagegen zu sagen über den „pastoralen“ Wert solcher Erzählungen – besonders wenn sie als vorösterliches Spiel in dramatisierter Form aufgeführt wurden. Die Menschen bestehen aus Körper und Geist, haben Rationalität und Emotionalität, und wohin eine Pastoral führt, die das nicht richtig auf die Reihe bekommt, ist derzeit in aller Häßlichkeit zu besichtigen.