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Der Aufstieg des Hyperpapalismus

20. April 2024

Von Fr. Jeffrey Kirby

Kommentar und Kategorisierung

Die in immer kürzeren Abständen aufeinander folgenden Katastrophen des Pontifikats der Selbstherrlichkeit haben den Ton in der Kirche schrill werden lassen. Da ist es durchaus wohltuend, zum Problem dieses Pontifikats einen Beitrag wie den folgenden zu lesen, der einfach sagt, was ist – und es so vermeidet, den Schaden, den der aktuelle Inhaber des Petrusamtes selbst diesem zufügt, im Versuch der Abwehr noch zu vergrößern.

Autor Jeffrey Kirby hat seinem auf TheCatholicThing erschienen Artikel den Titel „The Rise of the Ultramontanists“ gegeben und verwendet durchgängig diesen Ausdruck – der im deutschen jedoch konkrete historische Assoziationen hervorruft, die so im Amerikanischen nicht gemeint sind. Das im Deutschen Gemeinte wäre eher mit „Hyperpapalisten“ wiederzugeben – und so haben wir es durchgängig übersetzt. Doch jetzt zum Artikel Kirbys:

Das Gemälde von Francesco Trevisani zeigt den vor Petrus niederknienden Soldaten Cornelius beim Empfang der Taufe.

Petrus tauft den Centurio Cornelius

In diesem bemerkenswerten Abschnitt in der Geschichte der Kirche beobachten wir einen Aufstieg des Hyper­papalismus. Vernünftige Theologie hat diese Irrlehre schon mehrfach zu Grabe getragen – und doch steht sie immer wieder auf. Bedauerlicherweise wird es auch immer wieder Päpste geben, die den Hyperpapalismus und die damit einhergehende bedingungslose Loyalität begrüßen – so wie es auch immer jene Seelen geben wird, die sich gar nicht genug darin tun können, vor dem Mann, der gerade Papst ist, auf die Knie zu sinken.

Hyperpapalismus ist der falsche Glaube, daß alles, was ein Papst von sich gibt, ohne Irrtum sei. Alles, was der Papst entscheidet, wäre demnach richtig. Alles, was ein Papst sagt oder tut, wäre über jeden Zweifel erhaben und könnte nicht in Frage gestellt werden. In Slogans wie: „Wenn ihr nicht alles glaubt, was der Papst lehrt, dann seid ihr nicht katholisch.“ findet der Hyperpapalismus seinen erschreckenden Ausdruck. Hyperpapalismus begleitet die Kirche seit ihren Anfängen. Der erste Hyperpapalist war der Ketechumene Cornelius. Der hl. Petrus, unser erster Papst, war nach Caesarea gekommen, und von seiner Ankunft heißt es: Als Petrus das Haus betrat, ging Cornelius ihm entgegen und fiel ihm ehrfurchtsvoll zu Füßen. Aber Petrus hieß ihn aufstehen und sagte: Steh auf. Ich bin doch nur ein Mensch. (Apg 10; 25)

Das Verhalten von Cornelius ging über die kindliche Verehrung der Gläubigen (s. Apg 5; 15) hinaus, die den Obersten der Apostel als einen Widerschein von Gottes Gegenwart betrachteten und die göttliche Kraft durch ihn wirken sahen. Cornelius ließ Gott außer acht und betrachtete den hl. Petrus selbst als eine Art Halbgott. Der Apostel erkannte das Fehlverhalten und tadelte Cornelius zu Recht. Als tugendhafter Mann wollte der hl. Petrus dem Hyperpapalismus keinerlei Spielraum gewähren.

Für den Fall des Cornelius können wir leicht Verständnis aufbringen, denn er war noch ein Heide und noch nicht in die Lehre des Herrn Jesus Christus eingeführt. Seit der Frühzeit der Kirche sind wir jedoch vielen Leuten begegnet, die diese Entschuldigung nicht für sich geltend machen können: Hyperpapalistische Katholiken, die es besser wissen müßten.

Die Väter des ersten Vatikanischen Konzils standen vor der Aufgabe, die Hyperpapalisten des 19. Jahrhunderts auf ihren Platz zu verweisen. Entgegen geläufiger Ansicht hat Pastor Aeternus, das Dekret über die päpstliche Unfehlbarkeit, die Macht des Papsttums nicht ausgeweitet, sondern tatsächlich gemäßigt und begrenzt.

Vor diesem Dekret war es nie ganz klar, welcher Rang Gedanken oder Lehren eines Papstes hinsichtlich seiner Autorität zukam. Als Papst Gregor XVI. erstmals eine Dampfeisenbahn sah, verfluchte er sie und nannte sie „Straße zur Hölle“ – ein Wortspiel mit dem französischen „chemins de fer“. Damals fragten sich manche, was nach der katholischen Lehre von der Eisenbahn zu halten sei. Mit dem I. Vatikanum lag dann eine klar verständliche Aussage vor, die es den Gläubigen erlaubte, zu sehen, wann der Papst sich unfehlbar äußerte und wann nicht.

Der Hyperpapalismus, besonders seine aktuelle Neuauflage, verwischt die Ebenen der Autorität und schreibt allem, was ein Papst von sich gibt, höchsten Rang zu. Er übertreibt die Autorität und die Macht des Papsttums derart, daß seine Vertreter in Irrtum hinsichtlich des mystischen Leibes Christi verfallen – selbst wenn sie doch darin leben und wirken. Sie werden zu Papstgläubigen, die für sich eine besonders verdienstvolle Loyalität gegenüber dem Papst in Anspruch nehmen, selbst auf die Gefahr hin, den Menschen, der das Papstamt innehat, in eine Art Allmachtswesen (Kirby verwendet hier den Ausdruck „Leviathan“) verwandeln – über jeder göttlichen Offenbarung und jeder geheiligten Tradition.

Hyperpapalisten behaupten, nur ihre Ehrfurcht für den Mann im Papstamt auszudrücken. Aber sie weigern sich, die Ärmel aufzukrempeln und sich hinab in die Gräben der tatsächlichen theologischen Reflektion und Arbeit zu begeben.

Die Hyperpapalisten scharen sich – fast wie bei einer politischen Partei – um eine Person und tun so, als ob alles, was diese sagt, richtig, und alles, was sie irgendwann von sich gibt, die reine Wahrheit wäre. Leider machen sie sich so zum Dienst- und Wachpersonal eines einzigen Menschen, die seine Verlautbarungen redigieren, seine Übertreibungen abmildern, seine Fehler weg-erklären und sich in Beschuldigungen und Beschimpfungen all der treuen Söhne und Töchter der Kirche ergehen, die Fragen stellen, Probleme benennen und auf mögliche Fehler und Irrtümer hinweisen.

In der Dogmatischen Konstitution des II. Vatikanums über die göttliche Offenbarung (Dei Verbum) haben sich die Konzilsväter ganz klar ausgedrückt:

Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird. Das Lehramt ist nicht über dem Wort Gottes, sondern dient ihm, indem es nichts lehrt, als was überliefert ist, weil es das Wort Gottes aus göttlichem Auftrag und mit dem Beistand des Heiligen Geistes voll Ehrfurcht hört, heilig bewahrt und treu auslegt und weil es alles, was es als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt, aus diesem einen Schatz des Glaubens schöpft. (Abschnitt 10, amtliche deutsche Version https://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651118_dei-verbum_ge.html)

Der Papst ist ein Diener des Wortes Gottes. Er ist der Dolmetscher des Glaubensgutes und amtiert gleichzeitig als dessen Hüter und Verwalter. Die göttliche Offenbarung setzt dem Lehramt seine Grenzen in dem, was es interpretiert und lehrt.

Wenn also ein Papst die Fähigkeit der Kirche beeinträchtigt, in Fragen der Moral die Wahrheit zu lehren und zu unterweisen, wenn er die Geschlossenheit der Lehre gefährdet und versucht, das Gewissen der Gläubigen auch in Dingen zu binden, die wie Klimawandel oder Erfahrungswissenschaften außerhalb seiner Kompetenz liegen; wenn er die Segnung von Paaren erlaubt, die im Zustand der Sünde leben, oder wenn er ein heidnisches Götzenbild während des Gottesdienstes an einen christlichen Altar bringt, dann klagt ihn die göttliche Offenbarung an lange, bevor es einer der Gläubigen tut.

Im Unterschied zu den Hyperpapalisten werden Gläubige, die das Papsttum wirklich lieben – den Menschen ebenso wie das Amt – zum Einhalt und zur Besserung mahnen. Sie werden für einen Sinneswandel beten und versuchen, den ehrfurchtgebietenden Worten des hl. Petrus gerecht zu werden:

Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt. Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk. Jedes trägt mit der Kraft, die ihm zugemessen ist. So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut. (Eph 4; 15 f. EÜ 1980)

Der Hyperpapalismus verleiht der Kirche keine Kraft und Stärke. Er ähnelt der Schmeichelei , die nichts Gutes hervorbringt und großen Schaden verursacht. Die Kirche wird stets gestärkt durch Aufrichtigkeit und moralische Stärke. Sie wird immer wieder durch die Heiligkeit erneuert, die mit Gottes Gnade durch den Gehorsam im Glauben nach dem Evangelium erreicht wird.

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