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Das Regime der Neuerung und die Sünden der Zeit: Weshalb der Novus Ordo seinem Inhalt nach durch und durch modern ist. Teil II

03. Oktober 2024

1 - Liturgie

Paul VI. im kllassischen Papstornat auf dem Thron in der Peterskirche

Paul VI. - im Konflikt zwischen Tradition und Moderne gescheitert

Hier der zweite Teil unseres Referats des Vortrages, den Peter Kwasniewski im Sommer auf dem Roman Forum in Gardone gehalten hat. Den ersten Teil haben wir vor eine Woche gebracht. Wir empfehlen dringend, ihn – falls nicht schon geschehen – vor dem zweiten Teil zu lesen.

Der 4. und letzte Teil der Ausführungen Kwasniewskis wird von ihm selbst als Ver­such einer Zusammenfassung und der Formu­lie­rung eines Fazits angesprochen. Dabei formuliert der Autor einige sehr bedenkenswerte Gedanken, begibt sich andererseits mit seiner These von der „Illegitimität“ des Missales von Paul VI. auch auf ein Gebiet, auf dem er Widerspruch ernten wird.

Kwasniewski beginnt den Teil mit einigen sprachkritischen Aufräumarbeiten: Er wendet sich gegen die offizielle Darstellung, der Novus Ordo sei eine, ja die einzig zulässige Form des römischen Ritus und stellt dem gegenüber fest, daß als „Römischer Ritus“ nur die in Trient festgestellte Liturgie mit bereits damals anderthalbtausend-jähriger ungebroche­ner Tradition gelten könne. Er schreibt: „Eine Kirche, die an der tatsächlichen Schöp­fungs­ordnung als der Grundlage allen menschlichen Wissens und Wollens festhält, eine Kirche, die auf dem geschichtlichen Einbrechen der göttlichen Offenbarung in diese Welt beruht und das als diese Gemeinschaft begründende Ordnung beibehält und fortsetzt, eine Kirche, die die Fleischwerdung des Wortes als den absoluten Skandal des Besonderen anerkennt und dieses Besondere in der christlichen Tradition ausgedrückt sieht – eine solche Kirche kann den (modernen) Positivismus und Nominalismus nicht hinnehmen, ohne in einen selbstmörderischen Widerspruch zu verfallen, der all ihren Ansprüchen die Basis entzieht.“

Von daher bestreitet Kwasniewski auch die Verwendbarkeit des Begriffs „Liturgie­re­form“: Eine „Reform“ bedeutet seiner Ansicht nach immer die treuere Rückkehr zu einer bereits vorher gültigen Form und nicht die Erfindung neuer Regeln, Gesetze und Ämter, die in ihrer Gesamtheit – selbst wenn isolierte Elemente des Alten erhalten bleiben – auf dem Prinzip Neuerung beruht und eine Revolution darstellt. Wörtlich: „Die Liturgierevolution beruht auf einem Irrtum in ihren gedanklichen Grundlagen, einem Irrtum, der die Haltbarkeit all dessen untergräbt, was auf diesen Grundlagen errichtet wird. Sie war und sie ist ein Akt beispielloser Anmaßung, ein unheilbarer Bruch, eine Sünde der Untreue gegen die Göttliche Vorsehung und eine Unrecht gegen die Seelen, die mit dem Kostbaren Blut Jesu Christi erkauft worden sind.“

In dieser Sicht, so schließt er an, ist es auch gar nicht möglich, den Novus Ordo auf gute Weise zu feiern, wenn mit diesem „gut“ die Kontinuität mit dem Katholischen gemeint ist. In einem variierten Zitat von Andrew Thompson-Briggs: Wir können die Tradition nicht empfangen, wenn wir uns außerhalb der Tradition stellen und Dinge nach eigenem Belieben an uns nehmen. So verfahren Touristen bei einer Museumstour. Doch das ist ein nicht-organischer und ein postmoderner Ansatz, der auf keinen Fall gelingen kann. Statt uns selbst auf einen altehrwürdigen Baum aufzupfropfen, bekommen wir nur ein Bündel Stöcke zu fassen.

In einem zweiten Gedankengang führt Kwasniewski diesen Vorwurf dann noch auf eine weitere Ebene, wenn er feststellt, daß es Paul VI. und seinen Nachfolgern „unter Einsatz eines enormen Volumens von ultramontanem Kapital“ (damit meint er wohl das, was wir gelegentlich als tief in der katholischen DNA verankerte Rom- und Papsttreue bezeich­nen) gelungen sei, aus dem Kunstprodukt der neuen Liturgie eine „Pseudo-Tradition“ zu machen, die emotional und sozial normative Kraft entfaltete – selbst wenn es ihr an allen dazu erforderlichen metaphysischen, epistemologischen und moralischen Voraus­setzun­gen fehle. In den Worten des von ihm zitierten französischen Traditionalisten Jean Madiran:

Es begint ein Zitat

In der katholischen Kirche gibt es nun zwei Traditionen, zwei Bewerber um den Namen „katholisch“, die aber nicht die gleichen Anspruchsrechte, die gleichen Werte und die gleiche Authentizität haben. Die eine bezieht ihre Legitimität aus dem System der Werte, die von der zeitgenössischen Welt anerkannt sind, die andere aus dem Zeugnis der Kirche (bis Pius XII)… Die Revolution wurde zur Tradition, die Revolution erzeugte ihre eigene Tradition – und das nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb der Kirche.

Das Fazit, das Kwasniewski daraus zieht, enthält Sprengkraft: Dank der hypnotischen Kraft des Hyperpapalismus erscheinen heute die Traditionalisten als Revolutionäre, als Menschen, die die Verfassung stürzen wollen Aber warum sollten wir eine willkürliche Verfassung respektieren, die von einer Gruppe theologischer Jakobiner entworfen wurde? Obwohl es doch schon eine Verfassung gab – eine, die aus der ganzen Geschichte der Kirche Christi hervorgegangen ist, von der Zeit der Väter, von den Aposteln, vom Herzen Christi selbst.

Es begint ein Zitat

Doch aus der falschen Tradition kann auch unter Einsatz aller hyperpapa­li­stischen Kräfte keine richtige werden. Auch in 500 Jahren bleibt der Novus Ordo das aus dem Ärmel geschüttelte Erzeugnis unerleuchteter Gehirne eines Arbeitskreises im 20. Jahrhundert, dessen Arbeit auf falschen Voraus­setzun­gen und verqueren Prinzipien beruhte. Die Position des Zelebranten „ad populum“ bleibt falsch, so lange sie auch falscher Weise praktiziert wird.

Und damit kommt Kwasniewski zum eigentlichen Sprengstoff seiner Argumentation: mit der er dem Novus Ordo schlichtweg die Legitimität bestreitet. Nicht die Gültigkeit, wie er in einer ausführlichen Anmerkung darlegt, aber die Legitimität. Keinem Consi­li­um, keinem Konzil und auch keinem Papst steht es zu, die gewachsene Form des öffent­lichen Gottesdienstes der Kirche so aus ihren historischen Zusammenhängen und ihrer Verortung in der geistigen Lebenswelt der Menschen heraus zu reißen, wie das unter Paul VI. unternommen worden ist. Kwasniewski wörtlich:

Es begint ein Zitat

Kein Papst hat die Autorität, das zu tun, was Paul VI. getan hat, und kein Ergebnis eines solchen Mißbrauchs der Autorität kann Recht setzen oder rechtliche Bindewirkung haben. Kein Papst hat das Recht, sich selbst zum Richter über die gesamte kirchliche Tradition aufzuschwingen. Daher ist die Schaffung eines neuen Ritus nicht rechtmäßig (illicit). Ein derart zusammen­ge­bastelter (fabricated) Ritus kann nicht im Gewissen bindend sein, weil es schon falsch war, ihn überhaupt herzustellen.

Daraus folgt – so Kwasniewski weiter wörtlich – daß es von keinem Priester verlangt werden kann, die Bücher Pauls VI. zu verwenden – und wenn er das Wesen der Liturgie versteht, wird er sie auch nicht verwenden, sondern sich verpflichtet sehen, einem der überlieferten Riten der Kirche zu folgen – sei es der römische, der dominikanische, Sarum, ambrosianisch oder eine der östlichen Liturgien. (…) Viele Laien sehen das ganz ähnlich – was auch Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Teilnahme am Gottesdienst hat, denn niemand kann dazu verpflichtet werden, an etwas mitzuwirken, das illegitim ist.“

Mit diesen in sehr entschiedenem Ton geäußerten Ansichten werden wir uns demnächst in einem oder mehreren eigenen Beiträgen – es geht schließlich um ein Zentralthema nicht nur für „Tradis“, sondern für das „Kirche-Sein“ insgesamt – näher beschäftigen. Hier geht es zunächst einmal darum, den von Peter Kwasniewski selbst als einen seiner wichtigsten Texte bezeichneten Vortrag leichter zugänglich zu machen.

Eine zweite Argumentationslinie des Schlußkapitels befaßt sich über die Frage nach der Legitimität hinaus mit dem Problem, inwieweit die Liturgie des hochgelehrten Consi­li­ums überhaupt geeignet und brauchbar ist, der Aufgabe gerecht zu werden, die jeder Liturgie der Kirche gestellt ist. Diese Aufgabe ist auch vom 2. Vatikanischen Konzil, von der Konstitution Sacrosanctum Concilium und allen Liturgikern immer wieder bekräf­tigt worden: Die Gläubigen in das nicht nur den Kirchenraum, sondern den ganzen Kosmos durchwaltende Heilsgeschehen mit einzubeziehen, in ihnen die Sehnsucht nach dem Übernatürlichen zu wecken und zu mehren und gleichzeitig ihnen Gnadengaben zu vermitteln, dieser Sehnsucht nachzukommen.

Der Niedergang der Religion und Verfall der Kirche in den westlichen Industriestaaten ist zweifellos ein Zeichen dafür, daß die vielfachen Reformen der letzten Jahre hier wenig gebracht haben – sofern sie nicht sogar die Menschen zusätzlich verunsichern und ent­fremden. Kwasniewski findet hier harte Worte, denen aber kaum zu widersprechen ist: Die Verbindung von liturgischem Authentizitätsmangel, vielerlei Ungeeignetheiten, Rechtlosigkeit und Sakrileg bietet mehr zur Erklärung des miserablen Zustandes der Kirche im Westen als jeder andere Erklärungsansatz.

Aber da ist noch mehr.

Es begint ein Zitat

„Das Geheimnisvolle an dieser Krise ist bisher kaum genügend hervorgeho­ben worden“ befindet Kwasniewski. „Es ist ja nicht so, daß die Kirche es mit Gegnern zu tun hätte, die ein vielleicht verqueres, aber doch tatsächliches spirituelles Angebot zu machen hätten oder die eine kraftvolle Botschaft verkünden – wie das bei den frühen Protestanten der Fall war, oder bei den Aufklärern, die von den brillantesten Geistern ihrer Zeit unterstützt wurden, oder auch bei einem Feind mit Parolen und Zielen, die viele ernsthafte und opferbereite Menschen anziehen – etwa die französische Revolution mit ihrem „liberté, égalité, fraternité“.

Die Kirche von heute unterliegt einem sakularistischen Hedonismus, dessen Ziele und Parolen kunsumistische Gier, Abtreibung. Empfängnisverhütung, Unzucht, Euthanasie, Legitimierung und Verherrlichung jeglicher sexueller Perversion, Atheismus und die Zurückweisung jeglichen Unterschieds zwi­schen Mann, Frau und Tier sind. Das sind nichts als Krankheiten der mensch­lichen Gesellschaft, noch nicht einmal fehlgeleitete Formen legitimer Bestre­bungen wie Gerechtigkeit oder Wissen, wie sie in in solchen anti-katholischen Bewegungen wie der französischen Revolution oder dem Kommunismus zu beobachten waren und die diesen Bewegungen ihre Stärke verliehen. (…) Daß solche Krankheiten und Schwachheiten rundum über die Kirche trium­phieren konnten, ist schon höchst merkwürdig. Derart schwache, verdorbene und dekadente Gemeinde sollten für die Kirche keine ernsthafte Gefahr bedeuten.

Die Tatsache, daß der Novus Ordo illegitim ist, kann einen großen Teil dieses Triumphs erklären. Wenn die von Gott vorgegebene Form des Gottesdienstes im bei weitem größten Teil der katholischen Kirche „abgeschafft“ worden ist, bedeutet das, daß die Pflicht zur Verehrung Gottes in diesem Teil der Kirche nicht erfüllt wird. Im Ergebnis sind der Kirche die Früchte, die aus der Verehrung Gottes hervorgehen, großenteils verloren gegangen; ihre Glieder werden nicht mehr geheiligt durch die Teilnahme an einem Gott wohlgefälligen Gottesdienst, und die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn, mit deren Gewährung Gott auf diese Verehrung antwortet, gehen verloren.

Die Konsequenzen, die jeder einzelne Gläubige aus einer solchen Entwicklung zu ziehen hat, liegen für Kwasniewski auf der Hand:

Es begint ein Zitat

Deshalb dürfen wir keine Kompromisse eingehen und die Halbwahrheiten schlucken, die vor Fallen strotzenden Bedingungen hinnehmen, die uns von den Kerkermeistern des Verrats (custodes traditionis) angeboten werden, und auch nur einen Millimeter vom Programm der Wiederherstellung abweichen. So lange die Tradition unter dem Angriff der Wölfe steht,, die sie in Stücke reißen wollen, müssen wir wachsam sein und uns mit ganzer Kraft einsetzen, bereit, Leiden auf uns zu nehmen und sogar zu sterben für „die schönste Sache auf dieser Seite des Himmels“, die aus dem Lobpreis für den „schönsten aller Menschensöhne (Ps 44;3 [45;2] hervorgeht und ihn gleichzeitig bewirkt: für Jesus Christus, den König der Könige und Herrn der Herren.

Mit diesen hier weitgehend wörtlich wiedergegebenen Abschnitten schließt der Vortrag Kwasniewskis, um das wir hier in deutscher Sprache und um etwa zwei Drittel geraffft wiedergegeben haben. Wir verstehen das als Aufforderung, die dort getroffenen Aussagen weiter einzuordnen, zu analysieren und erforderlichenfalls auch zu kritisieren. Dazu haben wir bereits einen weiteren Beitrag in Vorbereitung, dessen Veröffentlichung für die kommende Woche geplant ist. ­

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