Weihbischöfe bei der Piusbruderschaft
10. OKTOBER 2024

Kann die traditionelle episkopale Ordnung der Kirche wieder hergestellt werden?
Im offizielleren Sprachgebrauch der SSPX werden die Bischöfe der Bruderschaft oft als „Weihbischöfe“ angesprochen. Das ist nicht nur eine stilistische Variation, sondern eine Unterscheidung beträchtlicher kirchenrechtlicher und kirchenpolitischer Bedeutung.
Das Bischofsamt hat seit alters her zwei Seiten, die vom Wesen her untrennbar miteinander verbunden sind: Die der sakramentalen Vollmacht in der vollen Stufe des Priestertums, und die der Jurisdiktion, der Gesetzgebung und Rechtsaufsicht für die Gläubigen (und Priester!) in einem mehr oder weniger fest umrissenen Gebiet. Die Abgrenzung zwischen beiden Seiten ist nicht immer eindeutig, wurde auch in der Geschichte unterschiedlich verstanden. Das Grundverständnis im heutigen Sinne ist jedoch leicht fassbar: Durch den Vollbesitz der sakramentalen Befugnisse ist jeder Bischof im Stande, alle Sakramente der Kirche zu spenden, auch das der Firmung, auch das der obersten Stufe des Priestertums: Die Bischofsweihe. Ob und in welchem Rahmen er diese Fähigkeit auch ausüben darf, wird durch die ihm verliehene Jurisdiktion bestimmt: In der Regel ist er dabei auf ein bestimmtes Gebiet und die darin lebenden Gläubigen begrenzt.
Um die Arbeitsbelastung der Bischöfe mit Jurisdiktion zu begrenzen – oder um wenig arbeitswilligen Angehörigen des Hochadels die Übernahme von Bischofspositionen zu ermöglichen – wurde eine Einrichtung erfunden, mit der die theologisch an sich untrennbare Verbindung der sakramentalen und der jurisdiktionalen Seite des Amtes de facto aufgebrochen werden konnte: Die Weihbischöfe. Sie erhielten nach der Weihe die Jurisdiktion über ein Territorium „in partibus infidelium“ – zumeist eine unter mohammedanische Herrschaft geratene Diözese Kleinasiens oder Nordafrikas, wo es weder Priester noch Gläubige gab. Theoretisch hatten sie dort volle Jurisdiktion – praktisch waren sie jedoch andernorts eingesetzt, wo ein anderer Bischof die Jurisdiktion ausübte. Ihm waren sie dann quasi als Untergebene und Weisungsempfänger zugeordnet.
Die Grenze zwischen Gebrauch und Mißbrauch dieses Verfahrens war (und ist) nicht immer leicht zu ziehen; in der Gegenwart dürfte der sinnvolle Gebrauch überwiegen. Wobei selbst der Fragen aufwirft: Warum gibt es dann z.B. in Deutschland Diözesen mit oft über einer Million Gläubigen und z.B. in Münster fünf Weihbischöfen, statt wie z.B. in den USA heute oder in Italien im Mittelalter die Größe vieler Diözesen so einzurichten, daß sie von einem Bischof (und ohne mehrere Hundertschaften von Ordinariatsbeamten) betreut werden können?
Aber das sind nicht die Fragen, die sich für die Piusbruderschaft stellen. Bei ihr hat die Bestellung von Weihbischöfen den Grund in kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Überlegungen. Nach dem gegenwärtigen Kirchenrecht ist die Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag bzw. Zustimmung rechtswidrig – aber dennoch gültig. Die Bruderschaft beruft sich für ihre bisher einmalig (1988) erfolgten Bischofsweihen mit nachvollziehbaren Argumenten auf die gegenwärtige Notsituation der Kirche, die dazu geführt hat, daß in weiten Gebieten der Glaube unter tatkräftiger Mithilfe von Priestern und Bischöfen zur Unkenntlichkeit entstellt und zerstört wird. Andererseits wird Gemeinschaften, die sich die Wahrung des überlieferten Glaubensgutes zum Ziel gesetzt haben, seit Paul VI. konsequent die Bestellung „eigener“ Bischöfe verweigert. Damit sind sie sowohl in der allgemeinen Seelsorge (Spendung des Sakramentes der Firmung!) behindert und längerfristig in ihrem Bestand bedroht, wenn wie z.B. in der Diözese Frejus Toulon einem per se „gutwilligen“ Bischof die Weihe „politisch unzuverlässiger“ Priesteramtskandidaten verwehr wird.
In dieser Situation ist der Verzicht auf jeden Anspruch, den ohne römische Genehmigung geweihten Bischöfen eine besondere Jurisdiktion zuzuweisen, eine Art Kompromißangebot, ein Versuch, dem aus der Notsituation geborenen rechtswidrigen Bischofsweihen einen Teil ihrer Schärfe zu nehmen. Im Prinzip ist sogar vorgesehen, daß ein solcher Weihbischof nicht als Generaloberer der Bruderschaft amtiert – also einem „gewöhnlichen“ Priester untergeordnet ist. Mit dieser Statuszuweisung als „Weihbischöfe“ bekundet die Bruderschaft ihren Willen, in der gesamtkichlichen Ordnung zu verbleiben. Rom hat das bisher auch insoweit honoriert, als – von einigen Scharfmachern abgesehen – die Piusbruderschaft nicht pauschal als „schismatisch“ bezeichnet wird, sondern man Sprachregelungen wie „in unvollkommener Gemeinschaft stehend“ verwendet und tatsächlich wie z.B. im Fall der Gewährung einer (administrativen) Erlaubnis zum Beichthören durch Papst Franziskus 2015 seinerseits Jurisdiktion über die Bruderschaft beansprucht und ausübt.
Mit dem Tod von Weihbischof Tissier de Mallerais, nach dem der Bruderschaft nur noch zwei Bischöfe fortgeschrittenen Alters und angeschlagener Gesundheit verbleiben, rückt nun die Frage erneuter (und wiederum rechtswidriger) Bischofsweihen für die Bruderschaft auf der Tagesordnung ein gutes Stück weiter nach oben. Irgendeine Form der Lösung ist unausbleiblich. Wird es gelingen, den prekären Schwebezustand von „nicht drinnen und nicht draußen“ aufrecht zu erhalten? Wird es zu einer vertieften Spaltung und einem weiteren Schritt in Richtung auf ein vollendetes Schisma kommen? Oder gelingt vielleicht ein Befreiungsschlag im Sinne der so oft mißbrauchten „versöhnten Verschiedenheit“? Man wagt es angesichts der hier zu versöhnenden Verschiedenheiten kaum zu hoffen.
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