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Liturgische Übersetzung und die verlorene Dimension der Moderne

10. Februar 2025

4 - Gemeinden und Gemeinschaften

Der Mensch blickt schon immer über die Enge der materiellen Welt hinaus. Doch in der Moderne sieht er oft nur ein Räderwerk, wo frühere Generationen den Schöpfer sahen.

Über die Grenzen der materiellen Welt hinaus

Der dem heiligen Ambrosius zugeschriebene Hymnus „Iam lucis orto sidere“ (hier deutsch und lateinisch ) hat seit ältester Zeit seinen Platz im Morgengebet der Kirche, teils in der Prim vom Sonntag, teils in den Laudes an Werktagen. Ursprünglich hatte der Hymnus wohl nur vier Strophen, die dann für den litur­gischen Gebrauch durch eine obligatorische Doxologie auf fünf ergänzt wurden. Im übrigen scheint die lateinische Fassung über 1500 Jahre sehr stabil geblieben zu sein. Die Umdichtung der Hymnen in klassisches Latein unter Papst Urban VIII. hat er so weit wir sehen unbeschadet überstanden, und er findet sich in dieser quasi „kanonischen“ Form auch noch in der reformierten „Liturgia Horarum“. Dort allerdings nur noch an wenigen Tagen, z.B. am Donnerstag der 2. Woche des 4-Wochen-Zyklus. Aber das dem zu Grunde liegende „Streben nach Abwechslung“ und „Vermeiden von Wiederholungen“ ist ein Thema für sich.

Hier geht es darum, daß die deutsche Version der Liturgia Horarum, das (nur noch dreibändige) „Stundenbuch“, als deutsche Übersetzung einen Text anbietet, der sich inhaltlich in ganz wesentlicher Hinsicht von dem seit Ambrosius auf uns gekommenen lateinischen Original unterscheidet.

Adalbert Schulte übersetzt in seinem Buch „Die Hymnen des Breviers“ (1898) u.E. völlig zutreffend:

Es begint ein Zitat

Rein möge das Innere des Herzens sein / fern bleibe auch der Unverstand / den Übermut des Fleisches / möge zügeln die Mäßigkeit in Speis und Trank.

Die deutsche Fassung des Stundebuches von 1968 und alle davon abhängigen mehr oder weniger offiziellen Wiedergaben des Textes (auch wir haben uns davon in unserem Artikel zum orthodoxen Weihnachten irreleiten lassen) übersetzt demgegenüber:

Es begint ein Zitat

Rein sei das Herz und unversehrt / und allem Guten /zugekehrt. / Und gib uns jeden Tag das Brot / für unsre und der Brüder Not.

Die ersten beiden Zeilen sind kaum zu beanstanden – wenn man beim Übersetzen einen Reim beibehalten will, sind gewisse Freiheiten zulässig. Aber dann folgt ein Perspektiv­wechsel mit inhaltlichen Auswirkungen. Im Original bildet der „Übermut des Fleisches“ den Ausgangspunkt und betont somit die angeborene Sündhaftigkeit des Menschen. Von daher wird der Mensch – insbesondere der zum Stundengebet verpflichtete Kleriker und Mönche – aufgefordert, sich der Tugend der Mäßigung zu befleißigen.

Die Übersetzung macht diesen Gedanken fast völlig unkenntlich. Hier bildet die „Not“, also die körperliche Bedürftigkeit des Menschen, den Ausgangspunkt für eine die Vaterunser-Bitte aufgreifende Bitte um die tägliche Nahrung, den Lebensunterhalt. Der Gedanke der Mäßigung taucht – wenn überhaupt – nur noch im Begriff der „Not“ auf. Nicht mehr die metaphysische Conditio (Bedingtheit) des Menschseins steht im Vorder­grund, sondern die ganz und gar physische Notwendigkeit seiner Ernährung.

Die Auswirkungen dieses Perspektivwechsel zeigen sich dann in der folgenden (und ursprünglich abschließenden) Strophe auf geradezu dramatische Weise.

Schulte übersetzt völlig korrekt:

Es begint ein Zitat

Damit, wenn der (Lebens)tag abgelaufen ist / und das Schicksal die Nacht herbeigeführt hat / wir rein infolge der Enthaltsamkeit / Ihm Ruhm singen können.

Die ergänzende Übersetzung von „dies“ als (Lebens)tag ist dadurch gerechtfertigt, daß in der folgenden Zeile vom Schicksal, vom Los des Menschen die Rede ist – das zielt nicht nur einfach auf den Wechsel von Tag und Nacht, sondern, nimmt darüber hinaus den ganzen Lebenslauf in den Blick. Dieser Lebenslauf steht für den Christen unter dem Ziel, durch gottgefälliges Leben – hier wird wieder die Tugend der Mäßigung aus der vorher­gehenden Strophe aufgegriffen - der ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden – und die Mäßigung ist pars pro toto dann eine der Tugenden, die ein Leben ermöglichen, nach dessen Ende man dem Herrn auf Ewigkeit lobsingen kann.

Und genau dieses entscheidende Ziel gerät bei der modernen – hier muß man wohl sagen „modernistischen“ – Übersetzung völlig aus dem Blickfeld:

Es begint ein Zitat

Senkt sich hernieder dann die Nacht / und ist das Tagewerk vollbracht, / sei dir all unser Tun geweiht /zum Lobe deiner Herrlichkeit.

Offensichtlich ist hier ganz konkret vom Tagesablauf von Mönchen und Chorherren die Rede, die in ihrem Tun – man denke an den Choralgesang, die Gestaltung handgeschrie­bener Bücher, aber auch an die Pflege des Gartens und die Gewinnung von Brot und Wein – den Herrn verherrlichen. Das ist durchaus ein schöner Gedanke – aber er greift, wenn man so sagen darf, mindestens eine Etage zu tief gegenüber dem, was der Origi­naltext aussagt. Die metaphysische Eben, das Heilsgeschehen, bleibt ausgeblendet.

An diesen wenigen Zeilen des Hymnus wird wie unter einem Mikroskop sicht- und erkennbar, wie sehr viele „Fabrikanten“ der reformierten Liturgie die Übernatur aus dem Blick verloren haben und sich mit der irdischen Dimension der Dinge bescheiden. Sehr zum Nachteil aller, die an dieser abgemagerten Liturgie teilnehmen.

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