Wie Christus zur Vorhölle hinabgestiegen ist
19. April 2025

Christus sprengt die Tore der Vorhölle
Die Geheimnisse des Tages zwischen der Beisetzung Christi am späten Freitag und der Auferstehung beim Sonnenaufgang des Ostersonntags haben die Neugier – und die Phantasie – der Christusgläubigen seit den frühesten Zeiten beschäftigt und zur Entstehung einer ganzen Reihe von apokryphen Berichten geführt. Martin von Cochem hatte von daher viel Stoff für seine Darstellung dieses Tages, und es ist ihm gelungen, dieses sehr heterogene Material auch ohne größere Widersprüche zusammenzufügen. Soweit dieses Material auf das sog. Nikodemus-Evangelium zurückgeht, haben wir bereits 2019 und 2021 die wichtigsten Episoden zu Christi Höllenfahrt in Artikeln zu Ostern bzw. zum Feiertag des guten Schächers mitgeteilt. Im Folgenden beschränken wir uns daher auf einige Passagen und theologischen Gedanken, die Pater Martin offenbar anderen Quellen entnommen hat.
Es waren die lieben Altväter, nämlich die Seelen der heiligen Patriarchen, der Propheten, der Könige und aller frommen Menschen des Alten Testaments, schon etliche tausend Jahre in der Vorhölle gewesen und hatten mit herzlichem Seufzen nach der glückseligen Stunde verlangt, wo sie endlich erlöst würden. Diese Vorhölle war ein dunkler, finsterer Ort, gleich wie ein düsterer Kerker,wo alle frommen Seelen, die vor der Zeit des Lebens Christi gestorben waren, aufbehalten wurden.Sie hatten keine andere Oein, als allein die, daß sie der Anschauung Gottes beraubt waren. Was sie zwar geduldig litten, obwohl es ihnen gewiß sehr schwer viel, daß sie so lange Zeit des Himmels beraubt in diesem elenden Kerker eingeschlossen sein mußten.
Du magst dir daher wohl denken, wie herzlich sie nach ihrer Erlösung geseuftzt und wie inbrünstig sie den lieben Gott darum angefleht haben. O wer kann sich vorstellen, mit was für Gedanken sie die lange Zeit zugebracht und was für ein Trauern und Klagen sie geführet haben. (…)
Endlich, nach so viel tausend Jahren, kam nun der heißersehnte Tag heran, wo ihr Verlangen gestillt, ihre Erlösung bewirkt werden sollt. Denn am heiligen Karfreitag Nachmittag drei Uhr, als Christus am Kreuze seinen Geist aufgab, fuhr seine heilige Seele, mit der Gottheit vereinigt, in Begleitung vieler tausend Engel in die Vorhölle hinab. Bei seiner Ankunft zersprangen also gleich die Ketten und Bande, Riegel und Schlösser, Türen und Pforten, worauf der eingeborene Sohn Gottes in höchster Klarheit hineintrat und den finsteren Ort erleuchtete mit himmlischem Lichtglanz. Da fingen die Engel an, mit himmlischer Musik den ganzen Ort zu erfüllen.
Hier ist unmöglich auszusprechen, was für überschwengliche Freude die gefangenen Seelen empfsanden, als sie sahen, wie dieser Ort so unversehens mit himmlischem Glanz erfüllt wurde und wie ihr so lang ersehnter Erlösemit so großer Macht und Herrlichkeit zu ihnen eintrat. O der unaussprechlichen Freude, des unbegreiflichen Frohlocklens. Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was für ein Jubel, was für eine Freude damals in dieser glückseligen Vorhölle war. Die lieben Väter wußten nicht, was sie vor Freuden anfangen sollten, und wie sie den ankommenden Heiland würdig genug empfangen könnten. Sie fielen alle auf ihr Angesicht nieder und beteten ihren Gott und Herrn in tiefer Demut an. Da wurden sie von dem mildesten Herrn ganz freundlich begrüßt und angeredet: Seid gegrüßt und freuet euch von Herzen, ihr meine lieben Freunde. Denn seht, die Zeit eurer Erlösung ist nun gekommen, und euer Heiland, nach dem ihr so lange verlangt habt, ist nun da. Er sprach auch zu ihnen, wie der Prophet Isajas schon längst vorher geweissagt hatte: Getrost, getrost mein Volk, Steh auf, steh auf o Jerusalem, leg ab die Bande von deinem Halse, du gefangene Tochter Sion. Denn nunmehr ist die Zeit deines Elends erfüllt, deine Missetaten sind dir nachgelassen, und du hast von der Hand des Herrn doppelt empfangen (Is 40, 1 ff ).
Da fingen nun diese lieben Seelen mit einhelliger Stimme an, den gütigsten Herrn zu loben und mit himmlischer Musik folgenden Gesang zu singen, den man in der Osternacht, wenn man vor der Mette um die Kirche ging und endlich nach eröffneten Pforten in das Gotteshaus eintrat, mit Freuden zu singen pflegte, nämlich:
So bist du denn gekommen, du langersehnter Heiland,
Auf den wir geharrt haben in der Finsternis,
Damit du uns herausführst, die wir vom Tod gefangen waren.
Dir haben gerufen unsere Seufzer,
Dich haben gesucht unsere vielen Klagen,
Du bist unsere einzige Hoffnung gewesen und unser einziger Trost in den Peinen.
O du allmächtiger Gottessohn,
Der du uns von dem hoffärtigen Feinde hast erlöst,
Indem du ausgelöscht unserer ersten Eltern Schuld,
Dir sei ewig Lob und Dank und Ehre, Benedeiung und Herrlichkeit, Alleluja.
Alsdann trat einer nach dem anderen zu Christus hin, erzeigte dem Herrn alle mögliche Ehrerbietung und hieß ihn aufs freundlichste willkommen. Zuerst kamen die Stammeltern Adam und Eva, fielen vor ihm auf die Knie nieder und sprachen mit herzlicher Liebe und Andacht: O du unser getreuer Heiland, wie sollen wir die genugsam danken, daß du in eigener Person unsere Schuld abgebüßt hast? Wir haben die ganze Welt ins tiefste Elend gestürzt, du aber hast sie wieder erlöst. Wir haben alle unsewre Kinder unter das Joch Satans gebracht, du aber hast uns von diesem schweren Joche erledigt. Wir sind der Anfang gewesen des Verderbens, du aber bist der Anfang unseres Heils. Darum sagen wir dir von Herzen Dank und wollen dich mit allen unsern Kindern benedeien in Ewigkeit. — (Nachdem noch weitere Stammväter vorgetreten und ihren Dank abgestattet haben und ihnen Christus in einer Ansprache sein Leiden vor Augen gestellt hat, singen alle gemeinsam den Hymnus:)
Heilig, heilig, heilig bist du; Herr, allmächtiger Gott.
Würdig ist das Lamm, das getötet worden,
zu
empfangen Macht und Gottheit und Weisheit
und Stärke und Ehre und Lob und Preis.
Du bist getötet
worden und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut.
Lob und Ehre und Preis und Macht sei dir in alle
Ewigkeit Amen. (Offb. 5, 12)
Nun ist zu wissen, daß die Seele Christi nicht allein in die Vorhölle, sondern auch in das Fegfeuer gekommen sei, gleichwie er durch Sirach versprochen hat, da die göttliche Weisheit also redet: Ich will alle Tiefen der Erde durchdringen und alle Schlafenden heimsuchen und alle erleuchten, die auf den Herrn hoffen (Sir. 24, 45). Daher schließen die Gottesgelehrten, daß Christus am heiligen Karfreitag durch die überfließenden Verdienste seines bittern Leidens sehr viele oder gar alle Seelen, die damals im Fegfeuer waren, erlöst habe. So ging nun die Menge der himmlischen Heerscharen voran und ihnen folgte Christus mit der Siegesfahne in göttlicher Klarheit, ihm folgten alle Seelen der lieben Altväter, und so zogen sie in feierlichem Zug hinab bis an die Pforten des Fegfeuers. — (Es folgt der Bericht in Anlehnung an das Nikodemus-Evangelium.) (…)
Weiter sagen auch einige Gottesgelehrte, daß Christus nicht allein die Seelen aus dem Fegfeuer erlöst habe, sondern auch zum größten Schrecken der Verdammten sogar in die unterste Hölle hinabgestiegen sei. Als nun die leidigen Teufel samt allen verdammten Seelen seine Gegenwart merkten, da ist nicht auszusprechen, was für Furcht und Schrecken sie ergriff. Die höllischen Geister liefen voll Angst und Schrecken hin und her und wollten sich vor dem Angesicht ihres Richters verbergen. Die verdammten Seelen heulten und wehklagten so schrecklich, daß die ganze Hölle erbebte. Der glorreiche Heiland stieg dann mit seiner Siegesfahne die eisernen Pforten der Hölle auf und zeigte den Verdammten die Gestalt seines menschlichen Antlitzes, die ihnen so schrecklich vorkam, daß sie lieber bis an den jüngsten Tag in der Hölle brennen als es noch einmal ansehn wollten.
Er verbarg ihnen aber seine Gottheit, die sie zu sehen nicht würdig waren. Da zwang er durch seine göttliche Macht aslle leidigen Teufel der Hölle samt allen verdammten Seerlen, daß sie seine göttliche Majestät anbeten mußten. O was war das für ein Herzeleid für die Todfeinde Christi, daß sie ihn, der sie in die Hölle gestürzt und ewig peinigt, gezwungener Weise mußten anbeten. O wie tat es ihnen in ihren giftigen Herzen so weh, daß sie vor der allerheiligsten Seele Christi, der sie sich nach ihrer Erschaffung nicht hatten unterwerfen wollen, jetzt ihre Huldigung darbringen mußten. Wie wurden sie vor Zorn gleichsam rasend und wütend. Ebenso war es auch den verdammten Seelen eine unerträgliche Qual, und lieber hätten sie Christum verspeien, als vor ihm niederfallen wollen. Aber dennoch mußten sie, durch göttliche Kraft gezwungen, es tun, und durch diese Huldigung Christum für ihren Gott und Erschaffer bekennen. — (Es folgt eine Art Gericht, in dem den Teufeln und Verdammten ihre Sünden vorgehalten und ihre Oberen für tausend Jahre „an die Kette“ gelegt werden.)
Schließlich strafte Christus auch die anderen Teufel wegen ihrer großen Tyrannei, durch die sie fast die ganze Welt unter ihre Gewalt gebracht hatten. Diese Gewalt benahm er ihnen und verbot ihnen, daß sie hinfür keinem mehr schaden dürfen als nur dem, der sich mutwilligerweise ihnen nahte. Daher sagt der heilige Augustinus: Der Teufel ist jetzt wie ein Hund, der an der Kette liegt. Er kann zwar bellen, aber nicht beißen, es sei denn, daß einer mutwilligerweise sich ihm nahte. Nachdem all dies geschehen war, stieg Christus mit seiner heiligen Gesellschaft wieder hinauf in die Vorhölle und blieb allda mit den erlösten Seelen bius zur heiligen Osternacht. Was er aber diese Zeit über allhier getan, das haben die lieben Seelen mit höchsten Freuden erfahren. Da wurde die Schrift erfüllt, die da spricht: Gott der Herr wird abwischen die Tränen von ihren Augen, der Tod wird nicht mehr sein. Noch Trauer und Klage, noch Schmerz wird mehr sein, denn das alles ist nun vorüber (Offb. 21, 4)
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