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Was ist die „Messe des Konzils“?

02. Oktober 2025

1 - Liturgie

Beginn eines Pontifikalamtes mit Leviten und Ehrendiakonen in traditionellen römischen Messgewändern

Beginn eines Pontifikalamt in Heiligenkreuz

In seinem Interview mit Elise Ann Allen vom Webmagazin „Crux“ verwendet Papst Leo viermal den Aus­druck „Messe“ (bzw. „Litur­gie“) „des II. Vati­kanischen Konzils“, um die im römischen Meß­buch Pauls VI. niedergelegte Form der Meß­feier zu bezeichnen. Er folgt damit einem insbeson­de­re in Papst Franziskus’ „Be­gleit­brief“ zu Traditio­nis Custodes vorgebildeten inoffi­ziel­len Wortgebrauch, der eine (von uner­laubten Eigenmächtigkeiten abgesehene) völlige Über­einstimmung der offiziellen Liturgie der Kirche („Novus Ordo“) im Jahr 2025 mit dem Willen des Konzils und der von ihm angestoßenen „Liturgiereform“ behauptet.

Dieser Wortgebrauch ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Einige der damit berühr­ten Problemfelder sollen hier zumindest in Umrissen angeführt werden, die ggf. in spä­te­ren Darstellungen detailliert ausgefüllt werden können. Um zunächst auf einen eher äußerlichen Umstand einzugehen: Der Novus Ordo ist jedenfalls nicht in dem Sinne die „Liturgie des Konzils“, daß diese Liturgie in irgend einer Weise auf dem Konzil selbst gefeiert oder beschlossen worden wäre. Die über 2800 Bischöfe, Hunderte priesterliche „Experten“ und mehrere tausend priesterlichen „Delegationsmitglieder“ feierten – soweit sie nicht einer östlichen Rituskirche angehörten – an den insgesamt 169 Verhandlungs­tagen der römischen Großveranstaltung ausnahmslos die Liturgie nach dem Missale Romanum in der Tradition von Trient. Aber selbst da ist keine Einheitlichkeit vorauszu­setzen, da zahlreiche Priester in den liturgischen Sonderformen ihrer jeweiligen Orden zelebrierten bzw. die Rubrikenreform Johannes’ XXIII. (Rubricarum instructum vom 25. Juli 1960) noch nicht in den Reisemissalen aller Teilenehmer „angekommen“ gewesen sein dürfte. Die von Papst Johannes XXIII. verfügte Aufnahme des hl. Joseph in den rö­mi­schen Canon trat erst am 8. Dezember 1962 in Kraft – zwei Monate nach der offi­ziel­len Eröffnung (11. Oktober) des Konzils.

Wenn man unter der Liturgie des zweiten Vatikanums also den von seinen Teilnehmern verwandten und als verbindlich anerkannten Ritus verstehen will – und das ist nicht nur ein zeitlicher Zusammenfall, sondern hat durchaus auch theologische Bedeutung – , ist diese Liturgie des Konzils ganz eindeutig der tridentinische Ritus in all den mit ihm verbundenen Sonderformen und Ausprägungen.

Noch mehr in die Tiefe reicht ein zweiter Komplex von Bedenken. Das II. Vatikanum begann mit einem spektakulären Umsturz, der die von der Kurie Johannes XXIII. vorbe­reiteten Dokumente von der Tagesordnung nahm. In der Folge entgleiste die erste Sit­zungsperiode (11. Oktober bis 8. Dezember 1962) buchstäblich und verlief weitgehend ergebnislos. Um wenigstens die zweite Sitzungsperiode überhaupt mit einem greifbaren Resultat beenden zu können, entschloss man sich, die ursprünglich für später vorge­se­hene Beratung des von vielen als wenig problematisch angesehenen Entwurf eines Dokuments zu einer Liturgiereform vorzuziehen und dann schließlich am letzten Tag der 2. Sitzungsperiode am 4. Dezember 1963 zu verabschieden. Der modifizierte Entwurf fand zwar eine beeindruckende Mehrheit (2147 Ja- gegen 4 Nein-Stimmen), aber um diese überwältigende Mehrheit zu ermöglichen, wurden in das Dokument zahlreiche Phrasen und Formelkompromisse aufgenommen. Sie sind dem Inhalt und seiner Wir­kung nicht gut bekommen. Es enthält viele innere Widersprüche und Gegensätzlich­keiten, die es praktisch unmöglich machen, darin einen klaren Willensausdruck „des Konzils“ für die anstehende Reform zu sehen. Wie unter einer Lupe macht der 23. (und in der späteren Reformarbeit am meisten mißachtete) Abschnitt das Problem sichtbar:

Es begint ein Zitat

Damit die gesunde Überlieferung gewahrt bleibe und dennoch einem berech­tigten Fortschritt die Tür aufgetan werde, sollen jeweils gründliche theolo­gische, historische und pastorale Untersuchungen vorausgehen, wenn die einzelnen Teile der Liturgie revidiert werden. Darüber hinaus sind sowohl die allgemeinen Gestalt- und Sinngesetze der Liturgie zu beachten als auch die Erfahrungen, die aus der jüngsten Liturgiereform und den weithin schon gewährten Indulten gewonnen wurden. Schließlich sollen keine Neuerungen eingeführt werden, es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nut­zen der Kirche verlange es. Dabei ist Sorge zu tragen, daß die neuen Formen aus den schon bestehenden gewissermaßen organisch herauswachsen. Auch soll nach Möglichkeit verhütet werden, daß sich zwischen den Riten benach­barter Gebiete auffallend starke Unterschiede ergeben.

Wollte man in diesem Abschnitt als Ausdruck des „Willens des Konzils“ ernst nehmen, hätten über die Hälfte der später vom Bugnini-Consilium vorgenommenen und dann von Paul VI. promulgierten Änderungen nie erfolgen dürfen und wären heute drei Viertel oder mehr davon umgehend zurückzunehmen: Erwiesenermaßen nutzlos und oft sogar direkt schädlich. Aus der Ablehnung großer Teile der mißlungenen Reform Pauls VI. einen Widerspruch oder gar eine Feinschaft zum 2. Vatikanum generell zu konstru­ieren, hat zwar in der Polemik der Konzilsgeister eine lange Tradition – ist aber von der Sache her in keiner Weise begründbar. Es ist die Achtung vor dem Konzil und nicht dessen unterstellte Verachtung, die den Widerspruch antreibt.

Es bleibt aber nicht bei den bis zum offenen Gegensatz reichenden Unstimmigkeiten zwischen dem, was die Konzilsväter (ausweislich Abschnitt 23) wirklich wollten und dem, was bei der ganzen Unternehmung als Novus Ordo schließlich herausgekommen ist. Die auf dem Konzil nicht zum Zuge gekommenen und später auch bei der Arbeit des Konsi­liums zumindest teilweise am Widerspruch Paul VI. gescheiterten Radikalreformer haben es in zäher Arbeit fertiggebracht, auch den Novus Ordo, also das sogenannte Missale Pauls VI. noch über die Möglichkeiten seiner Architekten und die Absichten Pauls VI. hinaus zu entstellen.

So, wie er im von Paul VI. promulgierten Missale von 1969 vorgeschrieben war, enthält der Novus Ordo nur wenig von dem, was seinen heutigen Propagandisten besonders lieb und teuer ist. Es fehlen: Die vollständige Ersetzung des Lateinischen durch mehr oder weniger freizügige („für viele“ – „für alle“) Übersetzungen in die Volkssprachen, die Zelebrationsrichtung „ad Populum“, die Öffnung des Allerheiligsten für Laien und Lai*innen, das deutschkirchliche „Liegekreuz“ zur Ermöglichung der freien Sicht auf den Versammlungsleiter ...

Geradezu lächerlich ist die vom Duo Franziskus/Fernandez eingeführte Behauptung, der Novus Ordo sei die „eine und einzige“ Form der Lex Orandi der Kirche Christi, wenn man bedenkt, daß es unzählige und frappierend unterschiedliche Formen gibt, die Messe nach dem (inzwischen mehrfach revidierten) Missale Pauls VI. zu „gestalten“, wie es in verräterischer Sprache gerne gesagt wird. Wer am einen Sonntag ein feierliches Hochamt im Stift Heiligenkreuz oder dem London Oratory und am nächsten eines in der Pfarrer-Meurer-Gemeinde in Köln besucht, muß unweigerlich denken, dem Kult von zwei ver­schie­dener Religionen beizuwohnen – und wahrscheinlich hat er damit auch gar nicht so unrecht. Die deutschsprachige Kirche geht in der Demonstration der Uneinheitlichkeit des Novus-Ordo besonders weit: Während der offizielle römische Ritus inzwischen bei einer „Editio typica tertia“ (2002) seines Missales angekommen ist, die einige bedenk­liche Erscheinungen früherer Ausgaben zumindest geglättet hat, verharren die deutschen Proto-Schismatiker bei ihrer Übersetzung auf der Basis der zweiten Fassung von 1975. Mit diesem Jahr endet offenbar ihr angeblich so fortschrittsorientierter Horizont. In über 20 Jahren haben sie es nicht geschafft, die volle Einheit in der Lex orandi herzustellen, die aus Rom vorgegeben wird. Zumindest öffentlich hörbare Kritik daran scheint es nicht gegeben zu haben.

Und noch schlimmer: Die Mehrheit der deutschen Theologenzunft und der aus ihnen hervor­gegangenen Bischöfe lehnt den Canon Romanus, der in seiner Repräsentation des Wesensgehaltes des hl. Messopfers seit zwei Jahrtausenden wahrer Ausdruck der Lex credendi der Kirche ist, aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Diese dem Schisma zunei­gende Mehrheit hat es unternommen, im Volksgebetbuch „Gotteslob“ den Canon Romanus zu streichen und durch das nicht mehr die Fülle der Lehre ausdrückende 2. Hochgebet zu ersetzen – ein soweit wir sehen weltweit einzig dastehender Vorgang. Dennoch lohnt sich, hier festzuhalten: Während das Missale Pauls VI. dieses zentrale Gebet der Messfeier offenbar noch als Ausdruck der Lex credendi der römischen Kirche anerkennt; hat sich der Deutschkatholizismus davon bereits befreit und propagiert zu­mindest für die Praxis die These von der Unvereinbarkeit von Tradition und modernem Glauben. Noch mehr Uneinheitlichkeit, als sie hier in der angeblich „einen und einzigen“ Form geboten wird, ist schwer vorstellbar.

Nur am Rande sei hier angemerkt, daß diese deutsche Entwicklung möglicherweise bloß einen besonders hervorstechenden Fall in einem breiteren Spektrum von Uneinheitlich­keiten darstellt: Manches, was z.B. aus Lateinamerika unter dem Deckmantel der „Inkul­turation“ zu vernehmen ist, scheint durchaus mit dem deutschen Sonderweg vergleichbar – nur daß die Propagisten dort nicht auf lutherische, sondern auf animistische oder sonst wie heidnische Irrtümer zurückgreifen.

Bei alledem müssen wir noch nicht einmal von den offensichtlichen und die Gültigkeit bzw. Wirksamkeit der Sakramente in Frage stellenden liturgischen Mißbräuchen sprechen, die nach wie vor vielerorts durch die gotteslästerliche Überheblichkeit von Zelebranten oder Liturgieausschüssen in den Gottesdienst eingeführt werden und ihn damit zu einem reinen Menschendienst herabwürdigen.

Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Die Widersprüche im Novus Ordo schon in der Papierform und erst recht in der Praxis zu den Beratungen und Dokumenten des Konzils machen diese Liturgie in der Regel weder ungültig noch illegitim Papst Paul VI. und seine Nachfolger waren und sind in der Entscheidung frei, solange es um Ermessensfragen geht. Allerdings sind sie in ihrem Ermessen auch nicht vor Irrtum und vor daran geübter Kritik geschützt und müssen mit der Verantwortung leben, die ihnen doch nur verlie­hene Autorität ihres Amtes durch Mißgriffe nachhaltig zu schädigen. Aber tatsächlich falsch und illegitim ist die Berufung auf den Novus Ordo als „Messe des Konzils“ – das ist er eben nicht.

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