Novus-Un-Ordo I:
Der Unterschied von Theorie und Praxis
06. Oktober 2025

Clownsmesse 2008 in Sarratoga
Oberflächlich betrachtet, kann man die Messe nach dem Missale von Bugnini und Paul VI. so feiern, daß die Mitfeiernden in den Kirchenbänken (sofern die Kirche noch Bänke hat und nicht bereits auf Stuhlkreise umgerüstet worden ist) kaum einen Unterschied zur überlieferten Form wahrnehmen. Erste Voraussetzung dafür wäre, auf einige mehr oder weniger willkürliche Neuerungen zu verzichten, die zwar weder in der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concililum noch im schließlich von Paul VI. promulgierten neuen Missale vorgeschrieben sind, inzwischen aber fast überall praktiziert werden und für viele Gottesdienstbesucher zu den Kennzeichen der Liturgiereform überhaupt geworden sind:
- Die durchgängige Verwendung der Volkssprache statt des Lateinischen;
- Die Positionierung des Priesters „ad Populum“ an einem Volksaltar mit assymetrisch aufgestellten Stumpenkerzen samt Ikebana-Schale statt wie nicht nur im Christentum traditionell „ad Deum“ &ndash mit der Gemeinde dorthin, wo die Transzendenz sich öffnet;
- „Gotische“ Paramente aus flatterndem Polyester (im Unterschied zur oft schwer bestickten „Bassgeige“);
- Joviale Alltäglichkeit in Bewegung und Körpersprache (im Gegensatz zum eher feierlich gemessene Gestus des Zelebranten im Vetus Ordo);
- „Female Altarboys“, wie die Amerikaner so schön sagen, sowie Einsatz von Lektor*innen und Kommunionhelfer*innen
- Spendung der hl. Kommunion an stehende Empfänger „auf die Hand“ – statt an kniende Kommunikanten und auf die Zunge
Sollte ein Gastpriester in einer ganz gewöhnlichen deutschen Gemeinde es wagen, all diese Markenzeichen der Liturgiereform wegzulassen und sich alleine nach dem Ordo von 1969 zu richten – wir halten jede Wette, daß in der folgenden Woche beim Pfarrer oder direkt beim Bischof mehrere Beschwerdebriefe einlaufen: da habe einer die Messe im verbotenen vorkonziliaren Ritus gefeiert.
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Nichts von dem, was in der obigen Liste enthalten ist, wurde von der Liturgiereform vorgeschrieben. Einiges widerspricht ihren Dokumenten direkt, anderes wurde später als Sondergenehmigung zugestanden, aber nicht allgemein angeordnet. Das gilt auch für den Gebrauch der Volkssprache, die nach SC zwar in einigem Umfang verwandt werden, aber keinesfalls die Liturgiesprache Latein verdrängen sollte.
Wie konnte es zu einer so frappierenden Differenz zwischen der Papierform und der allgemeinen Praxis der Eucharistiefeier kommen, daß die vom Konzil in SC beauftragte und von Papst Paul promulgierte Form der Liturgie heute von den wenigen noch verbliebenen Messbesuchern vielfach als unerträglich empfunden wird, während die abweichende allgemeine Praxis als „Liturgie des Konzils“ hochgepriesen und gegen die dort konzipierte Form (und deren Vorgängerform!) in Stellung gebracht wird?
Einige der Hauptgründe sind schnell benannt: Das Konzilsdokument Sacrosanctum Concilium teilt die Schwäche der meisten Dokumente des zweiten Vatikanums, daß es in vielen Passagen so unklar bis widersprüchlich abgefasst ist, daß man herausinterpretieren kann, was immer man will. Viele dieser Widersprüchlichkeiten wurden absichtlich eingebaut – das sind die berüchtigten Liturgical Timebombs, die Michael Davies in seinen Veröffentlichungen der 70er Jahre zwar ausgegraben hat, aber nach Lage der Dinge nicht entschärfen konnte. Daß diese Vieldeutigkeiten eingebaut wurden, hat seinen Ursache darin, daß die Kirche seit den 30er/40er Jahren im Zuge der rasanten Modernisierung aller Lebensbereiche ihren Kompass verlor bzw. nicht mehr plausibel machen konnte und sich nicht mehr zutraute, klare, auf das Evangelium und die Tradition gestützte Weisung zu geben.
In der Spät- und Verfallsphase der liturgischen Bewegung entstand eine Fülle letztlich glaubensfeindlicher Theorien, die den bis dahin unbestrittenen Charakter der hl. Messe als sakramentale Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers Christi für „dem modernen Menschen so nicht mehr vermittelbar“ erklärte und eine große Anzahl von Modellen entwickelte, die ein neues Verständnis vermitteln sollten. Übereinstimmendes Kennzeichen dieser Modelle war die Reduzierung der metaphysischen Substanz, die Horizontalisierung und Säkularisierung der Liturgie und eine Tendenz zur Anpassung an protestantische Ideen, die auf diesem Weg bereits seit Jahrzehnten vorangeschritten war.
Diese Ideen fanden seit den 30er Jahren auch im Pfarrklerus immer weitere Verbreitung, und wurden in den 50er Jahren geradezu dominant, so daß es schließlich – zumindest in Mitteleuropa – fast zwangsläufig dazu kam, daß die Liturgiereform (und die Rezeption des Konzils überhaupt) an der Basis in der stärkst denkbaren säkularistischen und modernistischen Form umgesetzt wurde. Mit den bekannten Folgen: Glaubensverlust, Abwanderung Priestermangel…, so daß die verbliebenen Restbestände in Episkopat, Klerus und Laienschaft in weiten Teilen zu einer neuen Säkularreligion überlief – ohne auf den Anspruch der Katholizität und der Einheit mit Rom zu verzichten. Diese Säkularreligion hat neben katholisch-traditionellen Versatzstücken ihre eigene „Lex credendi“ und der in modernistischen Pfarreien gefeierte Novus Ordo ist deren authentischer Ausdruck.
Ein gutes Beispiel dafür, wie diese Entwicklung sich in der Praxis abgespielt hat, ist die Abstoßung des überlieferten Canon-Romanus in der Liturgie der Nicht-Mehr-Katholiken z.B. der deutschen Nationalkirche. Der schon in der Zeit Gregors des Großen als „aus unvordenklicher Zeit überliefert“ geltende römische Kanon ist konzentrierter Ausdruck der „Opfertheologie“, die der Messfeier erst ihren Sinn und ihren eigentlichen Inhalt verleiht. Dabei wird er in manchmal erklärungsbedürftiger Weise unterstützt durch die traditionellen Offertoriumsgebete, deren Überlieferung bis ins „Sakramentarium Gregorianum“ aus dem 7. Jahrhundert zurückreicht. Seit Luther ist es das Streben aller Feinde des authentischen Christusglaubens, diese Opfertheologie zu bekämpfen – und dementsprechend haben sich bereits auf dem II. vatikanischen Konzil und offener noch bei den späteren Beratungen des Consiliums zur Liturgiereform die Feinde des Glaubens in der Kirche mächtig dafür eingesetzt, diesen „dem heutigen Menschen unvermittelbaren Rest mittelaltrlicher Vorstellungen“ auszumerzen. Tatsächlich bedurfte es eines besonderen Eingrieifens von Paul VI., um die von Bugnini und Consorten bereits vorgesehene Abschaffung des Canon Romanus abzuwehren.
Zur Verteidigung der Offertoriumsgebete hat aber der Elan des Papstes nicht mehr gereicht – in der gegenüber dem Modernismus nachgerade grenzenlos erscheinenden Kompromissbereitschaft hat er sich mit deren Ersatz durch „opferfreie“ „Gebete zur Gabenbereitung“ bereitgefunden, die von Dankgebeten aus der jüdischen Tradition des 3. nachchristlichen Jahrhunderts inspiriert sind.
In seiner Promulgationserklärung für den Novus Ordo hat Papst Paul dann noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seine Reformliturgie an der vom Konzil von Trient dogmatisierten Opfertheologie festhalte und betont, daß es in der „Lex credendi“ zwischen alt und neu keinen Unterschied gebe. In der Praxisform des Novus Ordo, wie sie z.B. im Gotteslob der deutschkatholischen Kirche erscheint, ist davon nicht mehr die Rede: Die deuschen Schismatiker bringen im Standard-Gebetbuch „Gotteslob“ nur noch das sog. II. Hochgebet, das die zentralen Inhalte das christlichen Erlösungsglaubens wenn überhaupt nur noch in einer Schwundform widerspiegelt. Und Papst Franziskus gibt es uns schließlich schriftlich, daß die neue Liturgie auch eiunen neuen Glauben verkünden will.
Die Messe nach dem Novus Ordo ist dank der enormen Dehnbarkeit und Unverbindlichkeit ihrer kaum noch als solche zu bezeichnenden „Ordnung“ in der Lage, die hier entstandenen Widersprüche und Gegensätzlichkeiten zwischen authentischem Glauben und modernistischem Unglauben zumindest partiell zu überdecken – in der Optik allemal. Heilen, kann sie sie nicht, wie am besten am Beispiel der Anglikaner zu erkennen ist, die bei teilweise erstaunlicher Übereinstimmung der in nicht wenigen Pfarreien bewahrten „hochkirchlichen“ Liturgie mit der Tradition durch die immer weiter Platz greifende Häresie der „Frauenordination“ Gefahr laufen – oder dieser Gefahr bereits erlegen sind – die Sakramente zu verlieren, die nur von Priestern „nach der Ordnung des Melchisedech“ gespendet werden können.
Die authentische und apostolische Lehre der Kirche ist seit ihrer Unterwerfung unter den „Un-Geist des Konzils“ anscheinend unaufhaltsam auf dem Rückzug. Schon Papst Paul VI. – dessen Lehrschreiben und das „Credo des Gottesvolkes“ noch weitestgehend dem überlieferten Glauben entsprechen – und danach jeweils im Rahmen ihrer Möglichkeiten Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt versuchten, dem entgegenzuwirken – und scheiterten.
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