Theophilus der Bußfertige - aus der Zeit, als Tarsus, Antakya und Adana noch christlich waren.
29. November 2025
Theophilus nimmt die Strafe auf sich
Die Papstreise in die Türkei war für unser Hymnarium Anlaß, eine Hymne auf den Hl. Theophil von Adana zu veröffentlichen. Adana ist heute eine Stadt mit über eininhalb Millionen Einwohnern und Hauptort der türkischen Provinz Adana, des historischen Kilikien. Die Geschichte der Stadt reicht weit in die hethitische Urzeit zurück, später gehörte sie zu den Nachfolgestaaten des Weltreichs von Alexander dem Großen, noch später wurde Kilikien römische Provinz. In dieser Zeit war das zwischen Tarsus und dem früheren Mopsuestia unweit von Antiochien gelegene Adana ein wichtiger Ort des frühen Christentums – heute gehören alle drei Orte zusammen mit dem hundert km südöstliche gelegenen ehemaligen Antiochien zur Türkei. Wenn der Papst aus der Türkei in den Libanon fliegt, wird er genau dieses Gebiet von Kilikien überfliegen. Grund dafür, dort einen Zwischenstopp einzulegen, gibt es kaum: Die christlichen Spuren sind lange schon aus dem Stadtbild und dem Bewußtsein der Bewohner gelöscht.
Als Repräsentant des frühchristlichen Kilikiens wäre vielleicht der hundert Jahre vor Theophilus ( † um 538) wirkende Kirchenvater Theodor von Mopsuestia (352 – 428) geeigneter, aber über Theodor gibt es zumindest in der lateinischen Tradition soweit wir wissen keine Hymnen – was seiner Behandlung im Hymnarium doch einigermaßen entgegensteht. Außerdem hat die lateinische Tradition den Theodor von Mopsuestia viele Jahrhunderte lang mit spitzen Fingern angefaßt, weil Theodors Nachfolger Theoret von Kyrrhos seinerseits einen gewissen Nestorius (381 - 453) als Schüler gehabt hatte — was Theodor selbst während des ganzen frühen Mittelalters den nie belegten Verdacht eintrug, er sei an allem schuld gewesen.
Merkwürdigerweise hat sich diese Berührungsangst nie auf Theophil übertragen, der ausweislich seiner stark von legendenhaften Episoden geprägten Lebensbeschreibung in der Legenda Aurea des Jacopo de Voragine in seiner Biographie einen weitaus dunkleren Punkt aufzuweisen hat als der vermeintliche Lehrvater eines Häretikers Theodor von Mopsuestia. Theophilus amtierte seinerzeit im Bistum Adana offenbar äußerst erfolgreich als „Generalvikar“. Als sein Bischof starb und Klerus und Volk ihm die Nachfolge antrugen, lehnte Theophil aus Demut ab – doch als dann der neuernannte Bischof ihn seine Amtes enthob, brannten bei ihm sämtliche Sicherungen durch: Mit Hilfe eines jüdischen Zauberers beschwor er den Teufel und schloß mit diesem einen Pakt zur Rückerlangung seines Amtes. Tatsächlich verschaffte der Teufel ihm auch die Erfüllung seines Wunsches – doch dann packte Theophil die Reue, und mit Hilfe der von ihm flehentlich angerufenen Gottesmutter entwand er dem Teufel die unterschriebene und gesiegelte Urkunde des Paktes, gestand dem Bischof seine Verfehlung und nahm die ihm auferlegte Strafe – sie bestand nach Jacopo in einer öffentlichen Auspeitschung – geduldig auf sich. Von daher wird er auch als Theophilus der Bußfertige bezeichnet; sein weiterees Leben widmete er frommen Werken und dem Almosengeben.
Bei der Übertragung dieser frommen Geschichte ins Lateinische kam es zu einem folgenschweren Irrtum: Jacopo oder vielleicht schon eine seiner Quellen verlegte den Ort der Handlung vom fernen und unbekannten Kilikien nach Sizilien – von dem die meisten zumindest schon einmal etwas gehört hatten. Und dazu hat die Geschichte, wie leicht zu erkennen, alles was es brauchte, um den Stoff für einen mittelalterlichen Erfolgsroman abzugeben: Den in der Versuchung schwach gewordenen Frommen, den tiefen Fall in den Teufelspakt, die noch tiefere Reue, die erflehte und erhaltene Hilfe der Gottesmutter und schließlich die Bekehrung zum Guten. So wurde der Stoff während des ganzen Mittelalters in vielerlei Form aufgeschrieben, weitererzählt, besungen und in frommen Fastenspielen auf die Bühne gebracht: so wurde Theophilus der Bußfertige zu einer der populärsten Gestalten von Volksglauben und Brauchtum in ganz Mitteleuropa. Insbesondere im französischen Sprachraum wurden Ausschnitte seiner Legende auch immer wieder im plastischen Kirchenschmuck oder als Motive von Glasbildern wiedergegeben. Literaturwissenschaftler sehen in ihm den Haupt-Motivgeber für das Volksbuch von Dr. Faustus, aus dem schließlich der aufgeklärte Geheimrat Goethe Motive für sein großes Drama gewann.
Auch der zurückgezogen in einem kleinen Ort in der Eifel lebende und in lateinischer Sprache dichtende Latinist Hansjörg Bertram (hier findet man neben anderen Informationen sein Preislied auf den 85. Geburtstag von Papst Benedikt, weitere Hymnen auf dem Hymnarium) ist in den Bannkreis des bußfertigen Mannes aus Kilikien geraten und hat ihm einen Hymnus gewidmet, der in poetischer Verdichtung und lateinischer Kürze den Weg des Theophilus von seinem Sündenfall zur Buße nachzeichnet. Womit der Mann aus Adana denn endgültig zum Thema für unsere Sammlung lateinischer Hymnen geworden ist. Zumal René Strasser, der die meisten der in das Hymnarium aufgenommenen Dichtungen zusammengetragen und kommentiert hat, auf seinen Reisen durch Burgund und andere Regionen Frankreichs zahlreichen Glasfenstern mit Darstellungen aus der Theophilus-Geschichte begegnet ist – die eindrucksvollsten davon hat er photographiert und präsentiert sie in einem besonderen Bilderteil zur Hymne.
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