Summorum Pontificum.de

Aus der Ansprache von Papst Paul VI.
zum Abschluß des II. Vatikanums
am 7. Dezember 1965

08. Dezember 2025

6 - Liturgie

Der Papst sitzt während einer liturgischen Feier auf dem vor dem Petrus-Altar stehendene Thron, links Kardinal Ottaviani, rechts im Vorbeigehen leicht verwischt der Chefzeremoniar Enrico Danta, dazu weitere Angehörige des Hofstaates. Auf dem Altar zwischen den Kerzenleuchtern die silberfarbige Tiara Pauls VI.

Papst Paul VI. während des Vatikanischen Konzils

Vor 60 Jahren, am 7. Dezember 1965, fand das II. Vatikanische Konzil mit einer An­sprache von Papst Paul VI. in der Konzilsaula seinen feierlichen Abschluß. Seitdem fristen die viele Hundert Seiten umfassenden Dokumente des Konzils – von ein par oft mißverständlich oder ganz entstellt zitierten Abschnitten aus den Dogmatischen Konstitutionen abgesehen – eine weitgehend ungelesene Existenz im Verbor­ge­nen, während der „Geist des Konzils“ in seiner jeweils bevorzugten Ausprägung in den Hallen der Kurie und an den theologischen Fakultäten seine munteren Spiele treibt: Erlaubt ist, was gefällt.

Zu den ungelesenen Texten des Konzils gehört wohl auch die Ansprache, mit der Papst Paul den letztmals in der Konzilsaula versammelten Prälaten, Experten und Gästen sein Resumee der vergangenen drei Jahre vortrug. Der Text ist wohl nie vollständig ins Deut­sche übersetzt worden und – falls doch – jedenfalls im Internet nicht verfügbar. Wir haben uns die englische Version angeschaut und die wichtigsten Passagen (etwa ein Drittel des Gesamtumfangs) ausgewählt und mit Hilfe von Google Translate übersetzt. Dabei ist uns aufgefallen, daß die Ansprache – von einigen wenigen heute recht über­schwänglich erscheinenden Passagen abgesehen – weitgehend frei von den trium­pha­listischen Tönen ist, in denen die Kinder des Konzilsgeistes die von ihnen so empfundene „Zeitenwende“ von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu feiern pflegen Und an manchen Stellen scheint es, daß der Papst schon das Rumoren im Untergrund und die Einsturzgeräusche verlassener Kirchen und Konvente verspürte, die seitdem die Kirche zu einem Schatten ihrer selbst werden ließen.

Und damit zur Ansprache, mit der Papst Paul die Konzilsteilnehmer wieder in die Welt entließ:

Es beginnt ein Zitat Das Konzil hat sein großes Ziel nun erreicht. Um es richtig zu würdigen, muss man sich die Zeit vergegenwärtigen, in der es stattgefunden hat: eine Zeit, die, wie allgemein anerkannt wird, eher auf die Eroberung des irdischen als des himmlischen Reiches ausgerichtet ist. Eine Zeit, in der das Vergessen Gottes zur Gewohnheit geworden ist und fälschlicherweise durch den Fortschritt der Wissenschaft begünstigt zu sein scheint; eine Zeit, in der der Mensch, nun bewusster seiner selbst und seiner Freiheit, im Grunde seine absolute Autonomie und die Befreiung von jedem transzendenten Gesetz betont; eine Zeit, in der der Säkularismus als legitime Konsequenz modernen Denkens und höchste Weisheit in der weltlichen Ordnung der Gesellschaft erscheint; eine Zeit, in der die menschliche Seele zudem in die Tiefen von Irrationalität und Trostlosigkeit abgedriftet ist; eine Zeit letztlich, die von Umbrüchen und einem bis dato unbekannten Niedergang selbst der großen Weltreligionen geprägt ist.

Gerade in dieser Zeit wurde unser Konzil zur Ehre Gottes im Namen Christi und unter dem Wirken des Heiligen Geistes abgehalten, der „alles erforscht“, „uns die Gaben Gottes an uns erkennen lässt“ (vgl. 1 Kor 2,10–12) und der jetzt die Kirche belebt und ihr eine zugleich tiefgründige und allumfassende Vision des Weltlebens schenkt. Das theozen­trische und theologische Verständnis von Mensch und Universum hat, fast trotz des Vor­wurfs der Anachronie und Irrelevanz, durch das Konzil neue Bedeutung erlangt, durch Aussagen, die die Welt zunächst für töricht halten mag, die sie aber, so hoffen wir, später als wahrhaft menschlich, weise und heilsam erkennen wird. (…)

Doch ein wichtiger Aspekt darf bei unserer Analyse der religiösen Bedeutung des Konzils nicht außer Acht gelassen werden: Es hat sich intensiv mit der modernen Welt auseinan­der­ge­setzt. Nie zuvor vielleicht so sehr wie bei dieser Gelegenheit hat die Kirche das Be­dürfnis verspürt, die Gesellschaft, in der sie lebt, kennenzulernen, ihr nahezukommen, sie zu verstehen, sie zu durchdringen, ihr zu dienen und sie zu evangelisieren; und sich ihr in ihrem rasanten und ständigen Wandel zu stellen, ihr beinahe hinterherzurennen. Diese Haltung, eine Antwort auf die Distanzen und Spaltungen, die wir in den letzten Jahr­hun­derten, insbesondere im vergangenen und in unserem eigenen, zwischen Kirche und sä­kularer Gesellschaft erlebt haben, war im Konzil stark und unaufhörlich wirksam; so sehr, dass manche geneigt waren zu vermuten, eine allzu sorglose und übermäßige Anlehnung an die Außenwelt, an vorübergehende Ereignisse, kulturelle Moden, kurz­fristige Bedürf­nis­se, eine fremde Denkweise … könnte Personen und Handlungen der Ökumenischen Synode beeinflusst haben, auf Kosten der Treue zur Tradition und damit zum Nachteil der religiösen Ausrichtung des Konzils selbst. (…) Niemand sollte eine solch grundlegende Ausrichtung als mangelnde Religiosität oder Untreue gegenüber dem Evangelium rügen, denn wir erinnern uns daran, dass Christus selbst uns gelehrt hat, dass die Liebe zu un­se­ren Brüdern das Kennzeichen seiner Jünger ist (…)

Ja, die Kirche des Konzils hat sich nicht nur mit sich selbst und ihrer Einheit mit Gott befasst, sondern mit dem Menschen – dem Menschen, wie er heute wirklich ist: dem lebendigen Menschen, dem in sich selbst versunkenen Menschen, der sich nicht nur zum Mittelpunkt all seiner Interessen macht, sondern es wagt zu behaupten, er sei Prinzip und Erklärung aller Wirklichkeit. Jedes wahrnehmbare Element des Menschen, jede der unzähligen Erscheinungsformen, in denen er auftritt, wurde gewissermaßen den Kon­zils­vätern vor Augen geführt, die ihrerseits nur Menschen sind, und doch sind sie alle Hirten und Brüder, deren Stellung sie mit Fürsorge und Liebe erfüllt. (…)

Der säkulare Humanismus, der sich in seiner erschreckenden antiklerikalen Realität of­fen­bart, hat das Konzil in gewisser Weise herausgefordert. Die Religion des Gottes, der Mensch wurde, traf auf die Religion (denn das ist sie) des Menschen, der sich selbst zu Gott macht. Und was geschah? Gab es einen Zusammenstoß, einen Kampf, eine Verur­teilung? Es hätte so sein können, aber es geschah nichts. Die alte Geschichte vom Sama­riter war das Vorbild für die Spiritualität des Konzils. Ein Gefühl grenzenloser Anteil­nah­me durchdrang alles. Die Aufmerksamkeit unseres Rates galt der Erforschung mensch­li­cher Bedürfnisse (und diese Bedürfnisse wachsen im Verhältnis zu der Größe, die der Sohn der Erde für sich beansprucht). (…. Das konzil) befasste sich auch mit der stets zwei­fachen Seite der Menschheit, nämlich dem Elend und der Größe des Menschen, seiner tiefen Schwäche – die unbestreitbar ist und sich nicht selbst heilen kann – und dem Gu­ten, das in ihm fortbesteht und stets von einer verborgenen Schönheit und einer unbe­zwing­baren Gelassenheit geprägt ist. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass dieser Rat, der sich dem menschlichen Urteil aussetzte, viel mehr auf diese angenehme Seite des Menschen bestand als auf seine unangenehme. Seine Haltung war ausgesprochen und bewusst optimistisch. Eine Welle der Zuneigung und Bewunderung ergoss sich vom Konzil über die moderne Menschheit. Irrtümer wurden zwar verurteilt, denn die Näch­sten­liebe forderte dies ebenso wie die Wahrheit, doch den Menschen selbst galten nur Warnung, Respekt und Liebe. Statt deprimierender Diagnosen gab es ermutigende Rat­schläge; statt düsterer Prognosen ergingen Botschaften des Vertrauens vom Konzil an die heutige Welt. Die Werte der modernen Welt wurden nicht nur geachtet, sondern geehrt, ihre Bemühungen anerkannt, ihre Bestrebungen geläutert und gesegnet.

Ein sichtbares Beispiel dafür ist (die Liturgiereform), mit der die unzähligen verschie­denen Sprachen der heute existierenden Völker für den liturgischen Ausdruck der Kommunikation der Menschen mit Gott und Gottes mit den Menschen zugelassen wurden: Dem Menschen als solchem ​​wurde sein grundlegendes Recht auf die volle Ausübung seiner Rechte und seiner transzendentalen Bestimmung anerkannt. Seine höchsten Bestrebungen nach Leben, nach persönlicher Würde, nach gerechter Freiheit, nach Bildung, nach Erneuerung der Gesellschaftsordnung, nach Gerechtigkeit und Frieden wurden geläutert und gefördert. Und an alle Menschen richtete sich die pa­storale und missionarische Einladung zum Licht des Evangeliums. (…)

Eines muss hier jedoch festgehalten werden: Die Lehrgewalt der Kirche hat, obwohl sie keine außerordentlichen dogmatischen Aussagen treffen wollte, ihre autoritative Lehre zu einer Reihe von Fragen, die heute das Gewissen und Handeln des Menschen bewegen, umfassend dargelegt. Sie ist sozusagen in einen Dialog mit ihm getreten, hat aber stets ihre Autorität und Kraft bewahrt. Sie hat mit der zugänglichen und freundlichen Stimme pastoraler Nächstenliebe gesprochen. Ihr Wunsch war es, von allen gehört und ver­stan­den zu werden. Ein weiterer Punkt, den wir hervorheben müssen, ist folgender: All diese reiche Lehre ist auf ein Ziel ausgerichtet: den Dienst an der Menschheit, in jeder Lage, in jeder Schwäche und Not. Die Kirche hat sich sozusagen zur Dienerin der Menschheit er­klärt, gerade in einer Zeit, in der ihre Lehrfunktion und ihre Seelsorge aufgrund der Fei­er­lichkeit des Konzils an Glanz und Kraft gewonnen haben: Der Gedanke des Dienens stand im Mittelpunkt. (...)

Daraus erwächst unsere Hoffnung am Ende dieses Zweiten Vatikanischen Konzils und zu Beginn der menschlichen und religiösen Erneuerung, die das Konzil zu studieren und zu fördern vorsah; dies ist unsere Hoffnung für Sie, Brüder und Väter des Konzils; dies ist unsere Hoffnung für die ganze Menschheit, die wir hier mehr lieben und ihr besser die­nen gelernt haben. Ende des Zitats

*