„Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.“
Papst Benedikt XVI. 2007 zu Summorum Pontificum.

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Die Gebote des sozialen Lebens

Bild: Schnorr von Carolsfeld in 'Katholische Bilderbibel', eigener ScanAm Mittwoch unterbricht die Liturgie die Reihe der Lesungen von Propheten, die auf die eine oder andere Weise als Vorschau auf Christi Erlösungswerk zu lesen sind, und wendet sich einem höchst grundsätzlichen Thema zu. Die Tageslesung ist aus dem 20. Kapitel des Buches Exodus entnommen, in dem über die Verkündung der Hauptgebote aus Gottes Gesetz an Moses auf dem Sinai berichtete wird (Exodus 20, 3 - 17 . Merkwürdigereise beginnt die Perikope nicht mit dem ersten Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, sondern mit der Nr. 5: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf daß du lange lebst im Lande, das dir der Herr dein Gott gegeben hat.“

Während die ersten vier Gebote vom rechten Verhalten des Menschen zu Gott handeln, beginnt mit dem 5. die Reihe der Vorschriften, die das soziale Leben der Menschen untereinander zum Gegenstand haben. Ein innerer Grund dafür, daß die ersten vier Gebote an dieser Stelle ausgelassen werden, ist nicht offensichtlich – eine äußerer besteht wohl einfach darin, daß im folgenden Text des Evangeliums der Lehrvortrag Jesu über die rechte Beachtung des Gesetzes mit einem Bezug auf das 5. Gebot beginnt. Witrklich überzeugend erscheint diese äußere Erklärung jedoch nicht, da nach der Aufzählung der Gebote 5 – 10 noch der ganze Rest von Kapitel 20 geboten wird. Das sind insgesamt 7 weitere Verse, die gerade die Furcht Gottes und den rechten Gottesdienst zum Gegenstand haben. Tatsächlich ist Vers 23 „Ihr sollt euch neben mir keine Götter aus Silber machen, auch Götter aus Gold sollt ihr euch nicht machen“ wenig mehr als eine Paraphrase des am Anfang mit Vers 4 ausgelassenen 2. Gebotes. „Logisch“ nach unseren Maßstäben erscheint das nicht. Doch nicht alles, was die „organische“ Entwicklung der Liturgie über anderthalb Jahrtausende hinweg uns hinterlassen hat, ist nach der Logik und dem Gesetz des Zollstockes gewachsen. Manches ist einfach so, wie es ist – und verlangt als solches Respekt und Achtung.

Hier geht es weiterUnd vielleicht ist es ja doch nicht willkürlich. Die anscheinend unmotiviert in die Perikope aufgenommenen Verse aus dem 21. Kapitel enthalten nämlich zwei Aussagen, die zumindest aus heutiger Perspektive – das muß nicht die der Ersteller des Missale gewesen sein – durchaus beachtenswert sind. Vers 24 stellt zum einen das Gebot auf, den Altar für die dem Herrn geschuldeten Opfer „aus Erde“ (`adamah) zu machen – also aus dem gleichen Stoff, aus dem der Schöpfer den Menschen machte. Das läßt den Blick weit voraus wandern zum Erlöser, der Mensch und Gott, Opfergabe und Opferaltar in einem war. Außerdem wirft es ein aufschlußreiches Licht auf die in der Lesung vom Montag vorgetragene Bitte des Syrers Naaman, Erde aus Israel mit in sein Land nehmen zu dürfen, um daraus einen Altar für das „rechte Opfer“ bauen zu können. Und Kaiserin Helena ließ, als sie einen Teil der Reliqien des wiedergefundenen Kreuzes nach Rom bringen ließ, auch einige Schiffsladungen Erde aus Jerusalem herbeischaffen, um sie auf dem Boden des großen Saals im Sessorianischen Palast zu verteilen und so „Sta Croce in Gerusalemme“ daraus zu machen

Die zweite Merkwürdigkeit ist die im gleichen Vers vorgetragene Anordnung, solche Altäre „an jedem Ort“ zu errichten, an dem der Herr „Seinem Namen ein Gedächtnis stiften“ werde. Tatsächlich ist die Beschränkung des Opferdienstes auf den Tempel in Jerusalem eine vergleichsweise späte Erscheinung, die mit den Reformen von König Josiah im 7. Jh. vor Christus durchgesetzt wurde. Nicht mehr in der Perikope enthalten ist der folgende Vers 25, der auch die Erlaubnis zum Bau von Altären aus Stein gibt – aber nur aus unbehauenen, weil der Gebrauch von Werkzeugen den Stein profanieren ('halal' machen) würde. Diese Vorschrift ist zumindest teilweise auch für den christlichen Altar übernommen wurde, insoweit dieser bis zu den nachkonziliaren Reformen vorzugsweise aus Stein zu errichten war – allerdings ohne die Vorgabe „unbehauen“ und mit einer großzügigen Ausnahmeregelung für das marmorarme und dafür waldreiche Germanien.

Die Reformliturgie Pauls VI. hat (zumindest in der deutschen Version des Schott-Online) alle Unebenheiten, die an der überlieferten Perikope auffallen mögen, dadurch beseitigt, daß sie mit Deuteronominum 4, 1.5-9 einen gänzlich anderen Text präsentiert: Eine allgemeine Ermahnung Moses an das Volk Israel, das Gesetz zu achten und nach seinen Vorgaben zu leben. Dieser Text passt einerseits durchaus in den Gesamtzusammenhang der alttestamentlichen Lesungen dieser Woche, vermeidet andererseits aber nicht nur die Unebenheiten, sondern im Verzicht auf jede Anführung einzelner Gebote auch alle Ärgerlichkeiten, die der herkömmliche Dekalog für den gewöhnlichen Sünder bereithält: Hier braucht keiner ein schlechtes Gewissen zu bekomen.

Außerdem zeigt die Auswahl, betont durch die Verbindung mit dem stark gekürzten Antwortpsalm 147 „An keinem andern Volk hat er so gehandelt, keinem sonst seine Rechte verkündet“ eine gewisse Tendenz, das Gesetz als ein besonderes Gesetz für Israel zu historisieren, das den heutigen Westlern nicht mehr besonders viel zu sagen hätte. Dem kann allerdings das Evangelium entgegen wirken, das anstelle des langen Lehrvortrages in der überlieferten Liturgie (Matth. 15, 1 – 20) von dem gleichen Evangelisten die Ansage zitiert: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ (Matth. 5, 17-19)

Auch in der Reformliturgie des 20. Jh. wird oft genug enttäuscht, wer Ausschau nach der Geradlinigkeit und Logik hält, die Bugbnini&Co seinerzeit versprochen hatten.

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