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Liturgie: Begleiter der ersten Schritte

Bild: Andachtsbild aus dem Kühlen-Verlag M. GladbachViele Menschen heute – und in Deutschland gilt das ganz besonders – tun sich mit der Wahrnehmung von Riten und Ritualen sehr schwer. Für die Liturgie der Kirche scheint das ganz besonders zu gelten. Schaut man genauer hin, ergibt sich allerdings ein in mehrfacher Hinsicht irritierender Befund. Nicht alle Rituale sind abgeschafft oder unter Verdacht gestellt wie früher übliche Ordensverleihungen oder Rekrutenvereidigungen. Moderne Rituale leben auf dem Fußballplatz ebenso wie als Betroffenheitsbekundung bei Unglücken oder beim Tod einer landesweit geliebten Prinzessin, ersatzweise eines knuddeligen Eisbären – all das ist ohne rituelles Kerzen- und Blumenmeer auf einem geeigneten öffentlichen Platz schwer vorstellbar. Selbst kirchliche Rituale werden goutiert, sofern sie im Rahmen eines das Gefühl ansprechenden Anlasses und auf geziemend ökumenische Weise (also möglichst mit Rabbi und Imam) zelebriert werden. Nur im eigentlichen Gottesdienst gelten sie als hoch problematisch, da unverständlich und aus einer anderen Zeit und „Lebenswirklichkeit“ herrührend.

Schaut man noch genauer hin, nimmt die Irritation weiter zu: Nicht-Katholiken oder sogar Nicht-Christen, die es in ein Hochamt im überlieferten Ritus verschlagen hat, zeigen sich oft von der feierlichen Atmosphäre beeindruckt und berichten von ihrem Eindruck, „etwas wichtigem“ beigewohnt zu haben. Moderne Katholiken, auch durchaus glaubenstreue, geben demgegenüber oft Fremdheitserfahrungen zu Protokoll: Damit könnten sie nun überhaupt nichts anfangen – zumindest beim ersten Mal nicht.

Hier soll jetzt nur mit einem Satz auf die spannenden Frage eingegangen werden, woher diese Fremdheitserfahrung gerade bei Katholiken kommt: Natürlich hat auch der Novus Ordo seine ritualisierte Zeichen-, Gesten- und Körpersprache, und gerade wer diese wegen seiner Konzentration auf den Inhalt nicht bewußt wahrnimmt, reagiert irritiert, wenn er plötzlich in der überlieferten Liturgie ünübersehbar einer Ausruckswelt begegnet, die ganz und gar anders aussieht als der gewohnte Zeichensatz.

Damit interessierte Katholiken, die an einer hl. Messe im überlieferten Ritus teilnehmen, verstehen, was sie da erleben, ist also eine Übersetzungsleistung zu erbringen – und genau das ist eine wesentliche Absicht der Broschüre „Zum Altare Gottes will ich treten“ von P. Martin Ramm von der Petrusbruderschaft. Sein Buch im Umfang eines kleinen Taschenbuchs von 180 Seiten beginnt folgerichtig mit einer leichtverständlichen Einführung in die Sprache der Liturgie und den Sinn heiliger Riten, einige davon werden dann ausführlicher erklärt: Die Ausrichtung von Priester und Gemeinde nach Osten, die Verwendung des Lateinischen als Kultsprache und die pristerlichen Gewänder. Unterstützt werden die Erklärungen durch Illustrationen, die überwiegend glücklich und einleuchtend ausgewählt sind.

Als eigentlicher Hauptteil folgt dann die Erklärung des Ablaufs der Messfeier anhand des Ordo Missae. Jedes Gebet, jeder Gestus wird der Reihe nach kurz vorgestellt und womöglich durch Photos veranschaulicht. Die meisten davon dem in den 50er erschienenen Bildband das heilige Messopfer von Heinrich Kunkel entnommen und in ihrer stilisierten Schlichtheit gut geeignet, den Blick auf das Wesentliche zu lenken – und den Gedanken an „mittelalterliches Gepränge“ gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Vorstellung und Erklärung der einzelnen Schritte stehen ganz klar im Vordergrund – auf historische Entwicklungen und theologische Implikationen geht Ramm nur in Ausnahmefällen ein. Das verleiht dem Büchlein seine handliche Kürze, läßt andererseits aber auch Wünsche offen wie z.B. bei der von der Reformbewegung hochgespielten Problematik der „zweifachen Opferung“ im kleinen und im großen Kanon. Wobei man zugestehen muß: Für eine inhaltliche Problematisierung dieses komplexen Gegenstandes wäre eine solche Einführung sicher nicht der rechte Ort.

Insgesamt folgen die Darlegungen Ramms ganz dem Vorgehen und dem Hauptinhalt der klassischen Messerklärungen von Gihr, Thalhofer oder Eisenhofer vom Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Eine inhaltliche Auseinandersetzungen mit modernistischen Positionen und deren Niederschlag in der aktuellen gottesdienstlichen Praxis findet nicht statt; sie würde wohl auch dem Interesse und der Aufnahmefähigkeit der ins Auge gefassten Zielgruppe nicht entsprechen.

Im letzten Punkt stimmt Martin Ramm weitgehend überein mit P. Mathias Gaudron von der Piusbruderschaft, der im Vorwort zu seinem „Die Messe aller Zeiten – Ritus und Theologie des Meßopfers“ feststellt: Es gehört nicht zur Zielsetzung dieses Buches, den neuen Meßritus einer ausführlichen Kritik zu unterzeiehen. Darüber gibt es bereits zahlreiche Arbeiten...“ um dann doch fortzufahren „...wo es sich jedoch geradezu aufdrängte, habe ich darauf hingewiesen, wie sehr sich der neue Meßritus von der katholischen Tradition entfernt hat und welche Gefahren für den Glauben in ihm enthalten sind.“

Schon diese Ausführungen zeigen, daß Gaudron sich an eine andere Art von „Anfängern“ richtet als Ramm: Seine Zielgruppe sind Katholiken mit einem grundlegenden theologischen Verständnis, die die überlieferte Liturgie bereits kennengelernt haben, wohl auch ein starkes Unbehagen an der aktuellen Form der Liturgie empfinden, und nun näheres darüber wissen wollen, was es mit der Liturgie der Kirche und ihren Veränderungen im letzten halben Jahrhundert auf sich hat. Sein Buch ist eine Einführung auf höherem Niveau.

Gaudron verzichtet daher auf allgemeine Ausführungen zur Sprache und zum Wesen von Liturgie und beginnt unmittelbar mit einer ausführlichen Kommentierung des Ordo Missae, die den ersten und größten Teil des Buches ausmacht. Dabei sind alle Gebete des Ordinariums in deutscher und lateinischer Sprache enthalten. Er gibt relativ ausführliche Erklärungen zur historischen Herkunft und Entwicklung einzelner Riten und Gebet und erwähnt auch unterschiedliche Verfahrensweisen in stiller Messe oder feierlichem Hochamt. Teilweise sind diese Ausführungen so detailliert, daß sie wohl auch zur Begleitung des Selbststudiums von Priestern dienen können. Hier und da wirft Gaudron auch einen Seitenblick auf die sehr ähnliche oder unter Umständen auch abweichende Praxis in anderen Riten und läßt dadurch zumindest ansatzweise die ganze Fülle des von der Kirche entwickelten liturgischen Reichtums erahnen.

Inhaltlich orientiert sich Gaudron bei seinen Aussagen zu Gestalt und Herkunft und Geschichte einzelner Rituselemente im wesentlichen an Missarum Sollemnia von Josef Jungmann, zu dem er im Vorwort anmerkt: „P. Jungmann hat zwar später die Liturgiereform mitgetragen, in dem genannten Werk findet man aber noch keine modernistischen Tendenzen, wenigstens nicht in der 2. Auflage, die mir zur Verfügung stand“. Das mag man hier und da auch kritischer sehen, für Gaudrons Nutzung der von Jungmann verfügbar gemachten enormen Faktenbasis ist das jedoch irrelevant.

Dem knapp 200 Druckseiten umfassenden Kommentar zum Ordo Missae folgt ein noch einmal 70 Seiten umfassender zweiter Teil zum Thema: Die Theologie des Messopfers. Er bietet – soweit das in diesem beschränkten Rahmen möglich ist – Begriffserklärungen zum Gegenstand des Opfers allgemein, zum Verständnis des Opfers im alten und im neuen Testament und vom Verhältnis des einmaligen Opfers am Kreuz auf Golgotha und dessen immerwährender Vergegenwärtigung am Opferaltar der hl. Messe. In diesem Zusammenhang geht Gaudron auch in gebotener Knappheit auf historische und aktuelle Fehlkonzeptionen ein, wobei er sich im wesentlichen an thomistischen Ansätzen orientiert. Ob diese notwendigerweise sehr knapp gehaltenen Ausführungen in jedem Fall ihrem Gegenstand gerecht werden, sei hier einmal dahingestellt. Sie geben auf jeden Fall einen Eindruck von den Verständnisschwierigkeiten, mit denen das moderne Denken dem Mysterium des Kreuzesopfers seit der Reformationszeit begegnet, und sie geben Hinweise auf die Richtung, aus der sich diese Schwierigkeiten überwinden lassen und in der rechtgläubigen Theologie seit Ende des 19. Jahrhunderts auch tatsächlich überwunden worden sind. Im Modernismus dauern sie freilich fort und nehmen von Jahr zu Jahr verhängnisvollere Dimension an.

Dieser zweite Teil macht vollends deutlich, daß Gaudron sich mit seinem Buch nicht oder zumindest nicht in der Hauptsache an Katholiken wendet, die eine „Gebrauchsanweisung“ für eine erstes Verständnis der überlieferten Liturgie suchen. Er zielt auf theologisch interessierte Laien, auf Theologiestudenten, vielleicht auch auch auf Priester, die Zweifel haben, ob die mit der Reform eingeführte Form der Messfeier tatsächlich den Inhalten entspricht, die nach offizieller Erklärung mit der „erneuerten“ Form lediglich besser, verständlicher und eben zeitgemäßer „transportiert“ werden sollen. Er erklärt die Riten in ihrem Zusammenhang aus der Tradition, und er macht im Ansatz verständlich, wo die verschiedenen modernen Theorien, wie sie auch in die Reform eingeflossen sind, diesen Zusammenhang aufgeben. Auflösen kann er diese Probleme nicht – aber er präsentiert Materialien und Thesen auf, die hilfreich sind, um ihnen weiter nachzugehen.

Die Einführung Zum Altare Gottes will ich treten von P. Martin Ramm ist im vollen Umfang auf der Website www.alte-messe.de zugänglich. Dort sind auch Anschriften für den kostenlosen Bezug einer gedruckten Version angegeben.

Das Buch Die Messe aller Zeiten - Ritus und Theologie des Messopfers von P. Matthias Gaudron ist beim Sarto-Verlag erschienen und kann dort bestellt werden.

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