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Liturgie: Geist und Form

Bild: http://michaelhesemann.info/12_4.htmlZum 10. Jahrestag des Inkrafttretens von Summorum-Pontificum heute der Klassiker von Josef Kardinal Ratzinger, der der Kirche als Benedikt XVI. die überlieferte Liturgie wieder gegeben hat. Der Geist der Liturgie – Eine Einführung, erstmals erschienen 2000.

Der Titel dieses Buches ist nicht nur einfach eine Anspielung auf „Vom Geist der Liturgie“ von Romano Guardini, das im kommenden Jahr übrigens hundert Jahre alt wird. Guardinis schmale Bändchen erschien seinerzeit als erster Band der in Maria Laach herausgegebenen Reihe „Ecclesia Orans“, die ihrerseits unter dem programmatischen Titel „Zur Einführung in den Geist der Liturgie“ stand und in ihren Erscheinungsjahren 1918 – 1939 Herz und Rückgrat der liturgischen Bewegung nicht nur in Deutschland bildete. Das also ist die Traditionslinie, in die sich Joseph Ratzinger mit seiner Einführung in den Geist der Liturgie einordnet.

Joseph Ratzingers Einführung hat in gar keiner Weise die überlieferte Form der Liturgie zum Gegenstand, sondern behandelt das liturgische Leben der Kirche insgesamt und nimmt darüber hinaus „das Liturgische“ allgemein in den Blick. Von daher ist es in vielfacher Hinsicht geeignet, den Blick von gelegentlich allzu sehr auf Details der Messfeier gerichteten Traditionsanhängern etwas zu weiten. Die Liturgiereform selbst, deren Ergebnis er anderswo als „das platte Produkt des Augenblicks“ bezeichnet hatte, stellt er hier nirgendwo explizit in Frage. Er beschränkt sich darauf, die liturgischen Erscheinungen in seine theologische Gesamtschau einzuordnen, zu der auch das Bestreben gehört, selbst da Brücken zu bauen, wo diejenigen, die diese Brücken benutzen müssten, keine Möglichkeit zum Ausgleich erkennen können.

Das soll uns aber nicht daran hindern, das Buch aus der Perspektive derer zu betrachten, die an der von einer zweitausendjährigen Tradition geprägten Form der Liturgie festhalten wollen und die Neue Ordnung als einen Bruch mit dieser Tradition betrachten – zumal viele Vertreter der Neuerungen auch immer wieder betonen, wie fundamental und unwiderruflich dieser. Bruch sei. Ratzinger selbst hat dieser Sicht immer widersprochen und der „Hermeneutik des Bruches“ eine von ihm so bezeichnete „Hermeneutik der Kontinuität und der Reform“ gegenübergestellt. Als Forderung ist das einleuchtend – als Tatsachenbeschreibung weniger.

Die darin liegende Widersprüchlichkeit prägt auch große Teile des Buches. In seinem Vorwort vergleicht Ratzinger die Liturgie zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einem Fresco, „das zwar unversehrt bewahrt, aber von einer späteren Übertünchung fast verdeckt war“. Durch das II. Vatikanische Konzil „wurde das Fresco freigelegt, und einen Augenblick waren wir fasziniert von der Schönheit seiner Farben und Figuren. Aber inzwischen ist es durch klimatische Bedingungenwie auch durch mancherlei Restaurationenoder Rekonstruktionen gefährdet und droht, zerstört zu werden...“ Also: Gut gemeint – aber schlecht gemacht.

Das ist ja wohl auch der Grundgedanke der 2008 von Papst Benedikt erhobenen Forderung nach einer „Reform der Reform“ - die inzwischen allerdings von seinem Nachfolger unter Inanspruchnahme der höchsten Lehrautorität für unzulässig erklärt worden ist.

Doch zurück zu dem nach dem Konzil in altursprünglicher Farbenschönheit erstrahlenden Fresco der Liturgie. Seine von Joseph Ratzinger mehrfach betonte Hochschätzung der Sicht des Konzils auf die Liturgie ist das eine. Doch praktisch überall da, wo die Abhandlung Gegenstände berührt, die sich im liturgischen Verständnis der Überlieferung und dem der Reformer der 60er Jahre unterschiedlich oder sogar gegensätzlich darstellen, nimmt der damalige Präfekt der Glaubenskongregation eine Position ein, die der Tradition nahesteht oder sie sogar ganz teilt. Und dazu führt er historische und theologische Argumente an, die geeignet erscheinen, das ganze Theorieengebäude der Liturgiereform Bugninis und Pauls VI. In Frage zu stellen.

Der betont horizontalen Orientierung der neuen Liturgie setzt er eine ebenso klare Betonung der kosmischen Dimension entgegen, die er als eine allen Religionen der Welt gemeinsame Sichtweise bezeichnet. Die Probleme der neuen Theologie mit dem Begriff des Opfers und die übermächtige Tendenz des „Pascha-Mysteriums“ den Kreuzestod hinter der Auferstehung verschwinden zu lassen, wischt er fast mit einer Handbewegung beiseite, wenn er schreibt: an die Stelle des zerstörten Tempels von Jerusalem sei der

universale Tempel des auferstandenen Christus getreten, dessen im Kreuz ausgestreckte Arme auf die Welt hin ausgespannt sind, um alle in die Umarmung der ewigen Liebe hineinzuziehen. Den neuen Tempel gibt es bereits und so auch das neue, endgültige Opfer: Die in Kreuz und Auferstehung offen gewordene Menschheit Christi, das Gebet des Menschen Jesus ist nun verschmolzen mit dem innertrinitarischen Dialog der ewigen Liebe. In dieses Gebet zieht Jesus die Menschen durch die Eucharistie hinein, die so das immer offenstehende der Anbetung und das wahre Opfer, das Opfer des neuen Bundes , der ‚logosgemäße Gottesdienst‘ ist.“ (S. 41)

Noch deutlicher als in solchen tiefgründigen theologischen Überlegungen wird die Affinität des Razingerschen „Geistes der Liturgie“ zum Geist der „alten Messe“ überall da, wo konkretere Gegenstände es erleichtern, den Sinn dieses Geistes zu erfassen und in vielen Fällen dann auch zu erkennen, wie weit die moderne Praxis diesen Geist verfehlt. Das läßt sich mehr oder weniger stark ausgeprägt an allen von ihm behandelten Einzelthemen feststellen.

Hinsichtlich des Ortes der Liturgie besteht er gegenüber der von den Reformern vertretenen Forderung nach einem streng funktionalen Versammlungsraum auf dem sakralen Charakter des Kirchenraumes, den er letztlich auf den Tempel des Alten Bundes zurückführt. Zur Gebetsrichtung widerspricht er allen theoretischen Ansätzen, die Priester und Gemeinde in einem Kreis der Gemeinsamkeit um den Altar aufstellen wollen und betont, daß es eben nicht um diese Gemeinsamkeit der Versammlung in sich selbst, sondern um die gemeinsame Ausrichtung auf den Herrn hin geht. Nur aus praktischen Gründen und um nicht wieder zerstörerische Unruhe in die Kirche zu tragen findet er sich bereit, auch die aktuelle Anordnung „ad Populum“ hinzunehemen – wenn sichergestellt ist, daß Priester und Gläubige sich gemeinsam auf das unübersehbar im Zentrum stehende Kreuz hin orientieren.

Mit Entschiedenheit wendet er sich gegen jeden Versuch, die eucharistische Verehrung mit platten Formeln wie „Eucharistie gehört zum Essen und nicht zum Anschauen“ klein zu machen, und von daher verlangt er, dem Tabernakel auch in der Architektur des Kirchenbaus den gebührenden Platz zu geben.
Ähnliche Gegenüberstellungen lassen sich hinsichtlich der Ordnung des Kirchenjahres und des Festkalenders, der Bedeutung einer den Alltag übersteigenden künstlerischen und musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes und nicht zuletzt zur Verwendung von Gesten und Sprache in der Liturgie vornehmen. Mit kaum verholenem Abscheu spricht er von den vielerlei Versuchen, moderne Tänze und Ballet in die Liturgie einzuführen:

Nichts davon entspricht der inneren Richtung der Liturgie“. Und dann noch stärker: „Wo immer Beifall für menschliches Machen in der Liturgie aufbricht, ist dies ein sicheres Zeichen dafür, daß man das Wesen der Liturgie gänzlich verloren und sie durch eine Art religiös gemeinter Unterhaltung ersetzt hat“ (170).

Die Aufzählung solcher Beispiele ließe sich noch um viele Punkte verlängern. Überall findet Ratzinger die angemessene Vorgehensweise und die dem „Geist der Liturgie“ entsprechende Form da, wo sie sich aus der überlieferten Liturgie quasi von selbst ergibt oder mit deren Mitteln leicht realisiert werden kann. In der vielerorts heute praktizierten Form der Liturgie und in dem, was die Theologen zu deren Begründung vorbringen, muß er demgegenüber immer wieder den Widerspruch zum wahren Geist der Liturgie feststellen oder zumindest das Unvermögen konstatieren, dessen Maßstäben wirklich gerecht zu werden.

Die Stärke dieses Buches besteht darin, daß sie Form und Geist der Liturgie nicht allein aus dem begründet, was die Tradition an liturgischen Formen und Theorien hervorgebracht hat, sondern daß sie diesen Geist auf durchaus der Gegenwar entsprechende Weise in einem rationalen theologischen Gedankengebäude aus den Grundwahrheiten des Glaubens herleitet und darstellt. Das veranlaßt Leser, deren theologisches Bewußtsein nicht nur dem Inhalt, sondern auch dem Ausdruck nach sehr stark von traditionellen Formen geprägt ist, sich mit den von Joseph Ratzinger eingebrachten und oft dem allgemeinen Verständnis der Gegenwart leichter zugänglichen theologischen Denken vertraut zu machen. Das kostet Anstrengung, aber es lohnt sich, wenn man vom Beharren auf Formeln zu einem wahrhaften theologischen Verständnis vordringen will.

Als Schwäche erscheint demgegenüber, daß der damalige Präfekt der Glaubenskongregation an keiner Stelle Folgerungen daraus zieht oder auch nur andeutet, daß man Geist, Gestus und Formensprache der „erneuerten“ Liturgie stets mühsam gegen den Strich bürsten muß, um den von ihm dargelegten Maßstäben einer Theologie der Liturgie gerecht zu werden. Vielleicht war das im Jahr 2000 gerade einmal 30 Jahre nach Durchsetzung der Reform Bugninis durch Paul VI. noch nicht so deutlich erkennbar. Heute und unter einem Pontifikat, in dem alle festen Maßstäbe in Frage gestellt werden, erscheint es unabdingbar.

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Die Illustration zum Beitrag zeigt Papst Benedikt 2006 bei seinem Besuch im spanischen Valencia, wo er ebenso wie sein Vorgänger Johannes Paul II. zur Zelebration einen dort in der Kathedrale aufbewahrten ganz besonderen Kelch benutzte. Dieser Kelch besteht aus zwei aus Onyx geschnittenen antiken Trinkschalen, die mit einer Metallfassung zusammenmontiert sind. Der Überlieferung nach handelt es sich bei der oberen nun als Cuppa dienenden Schale um eben den Kelch, den der Heiland bei seinem letzten Abendmahl verwandt hat: Den Heiligen Gral des Mittelalters.

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Der Geist der Liturgie von Joseph Ratzinger, Freiburg 2000, ist als Einzelausgabe im Buchhandel und über das Internet zu beziehen. Der Text ist außerdem enthalten in Band 11 der von Kardinal Gerhard Müller betreuten Werkausgabe, die ebenfalls bei Herder erschienen ist.

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