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Liturgie: Meßerklärung von Pius Parsch

Bild: Andachtsbild aus dem Kühlen-Verlag M. GladbachDie Vorstellung der Messerklärung von Pius Parsch muß darauf eingehen, daß der Klosterneuburger Chorherr einer der prominentesten Vertreter der liturgischen Bewegung war – und daß diese Bewegung heute manchmal dafür verantwortlich gemacht wird, daß das liturgische Leben der Kirche fast vollständig zusammengebrochen ist. Dieser Vorwurf ist so nicht berechtigt, und gerade Parsch bietet ein Beispiel dafür, daß die liturgische Praxis des beginnenden 20. Jahrhunderts sehr wohl schwerwiegende Mißstände aufwies, und daß man diese Mißstände kritisieren und auch zurückdrängen konnte, ohne den Geist der Liturgie und die Lehre der Kirche im geringsten zu beeinträchtigen – ganz im Gegenteil. Was die Nachfolger Bugninis nur behaupten, aber nirgendwo einlösen können, ist bei Parsch und vielen seiner Mitstreiter beispielhaft angelegt: Die Liturgie „in neuem Glanz erstrahlen“ zu lassen und „den Menschen der Gegenwart zugänglich“ zu machen. Wenn das in der Praxis der Gemeinschaften, die die überlieferte Liturgie pflegen, weitgehend gelungen ist, ist da nicht zuletzt auch ein Verdienst von Pius Parsch und seinen Mitstreitern in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg.

In Parschs Ausführungen zum geschichtlichen Werden der Liturgie ist nichts von dem beliebten Verfahren der Liturgierevolutionäre zu finden, die das traditionelle Missale zu einem Produkt des mit Mißtrauen betrachteten Konzils von Trient erklärten und bereits mit der konstantinischen Wende des 4. Jahrhunderts einen Niedergang einsetzen lassen, der erst mit der Revolution der 60er Jahre überwunden werden konnte. Statt dessen schreibt Parsch, was auch seitdem durch seriöse liturgiehistorische Forschung immer wieder bestätigt worden ist:

„Wir können also sagen, zu Beginn des 3. Jahrhunderte ist die römische Messe schon so weit ausgebildet und festgelegt, daß sie im Wesen und Gang der heutigen Meßfeier sehr ähnlich sieht.“ (47)

Mit Papst Gregor erreichte diese Ausbildung im 6. Jahrhundert einen weitgehenden Abschluß – danach hat sich am Herzstück der Messe, dem Canon Romanus, für anderthalb Jahrtausende praktisch nichts mehr geändert, auch der Aufbau der den Kanon umgebenden Teile blieb gleich. Wo es einen Wandel gab – beim Opfergang, bei den Prozessionen, beim Kommunionempfang – folgten diese dem Gesetz der organischen Entwicklung. Diesen Ausdruck selbst kennt Parsch nicht - das dahinter stehende Prinzip dagegen sehr wohl.

Am Opfercharakter der hl. Messe läßt Parsch nicht den geringsten Zweifel: In seinen Ausführungen zur Grundstruktur unterscheidet er ganz traditionell Vormesse und Opfermesse und schreibt:

„Die Opfermesse bildet das Heiligtum, hier wird das „Wort“ Fleisch, hier wird das Wort zur Tat; ihr Ziel ist das hl. Opfer Jesu Christi, das die Kirche durch die Hände des Priesters dem himmlischen Vater darbringt und an dem die gläubige Gemeinde durch Opfergang und Opfermahl tätigen Anteil nimmt.“ (49)

Eine feinere Untergliederung ergibt dann eine Gliederung unter 5 Stichworten:

  • „Menschenwort“ in den vorbereitenden Riten und Gebeten bis zur Oratio
  • „Gotteswort“ in den Lesungen und deren Auslegung in der Predigt,
  • „Menschenbrot“, das im Opfergang herbeigebracht und mit der Selbstaufopferung der Gläubigen Gott geweiht wird
  • „Gotteslamm“ als Stichwort für Wandlung und Opferung der Gaben, die dann als wesensverwandeltes
  • „Gottesbrot“ den Teilnehmern des Opfermahls zurückgegeben werden.

Von dieser grundsätzlichen Zuweisung ist auch die gesamte Beschreibung der Einzelelemente geprägt. Nicht alles davon mag dem heutigen Forschungsstand exakt entsprechen, der uns insbesondere hinsichtlich von Aussagen über die frühe Zeit oft etwas zurückhaltender sein läßt, aber die Tendenz ist klar. Und als Einführung in das Wesen und den geistigen Inhalt der hl. Messe sind die entsprechenden Ausführungen Parschs auch heute noch voll zutreffend – auch und gerade für den übelieferten Ritus.

An dieser Stelle sind einige Ausführungen zur kritischen Herangehensweise des Liturgiereformers Parsch angebracht. Ausgangspunkt seiner Kritik ist die zweifellos für viele Orte zutreffende Feststellung, daß die Messfeier zur reinen Priesterliturgie geworden sei, der das Volk beiwohnte wie anderen Andachtsübungen auch. Dem stellt er die Forderung nach Vertiefung der „aktiven Teilnahme der Gläubigen“ entgegen. Er teilt die damals vorherrschende Ansicht, daß die ausschließliche Verwendung der lateinischen Liturgiesprache mitverantwortlich für diese Entwicklung gewesen sei und bittet dringend darum, den Gebrauch der Landessprache zu ermöglichen - für die Lesungen. Weitergehende Änderungen scheint er nicht auszuschließen, wenn er z.B. den spätestens im 6. Jahrhundert in Rom erfolgten Übergang vom Griechischen zum Latein als Sprache der Liturgie als Beleg dafür anführt, daß die Sprache der Liturgie wandelbar sei (s. 62) – wobei er freilich auf S. 68 dem Irrtum verfällt, dieses Latein für die „Sprache des Volkes“ zu halten. In Wirklichkeit war es eine klassische-hieratische Form des Latein, die dem einfachen Volk dieser Zeit nicht verständlicher war als das Kirchenslavische einem modernen Russen oder Bulgaren.

In der Voranstellung von Psalms Judica und Konfiteor vor den Introitus sieht Parsch durchaus zutreffend eine historisch entstanden Verdoppelung des Eingangsritus und meint: „Wir können vom Standpunkte des Inhalts und der Dramatik der Messfeier nicht behaupten, daß dieser Zustand ein idealer wäre.“ (76, 99) Als praktische Lösung empfiehlt er aber nicht, den Psalm abzuschaffen, sondern beim Hochamt mit Choralschola diese den Introitus bereits während des Einzugs singen zu lassen. Lebhaft begrüßt er das (von den späteren Reformen gestrichene) doppelte Konfiteor als Ritual der Gemeinschaft, in der sich Priester und Gemeinde gegenseitig die Sünden bekennen und Gottes Vergebung erflehen. (79)

Im Abschnitt über das Tagesgebet (Collecta) bietet Parsch eine ausführliche Erklärung des mehrmaligen Grußwechsels „Dominus vobiscum – et cum spiritu tuo“ Das „Dominus vobiscum“ führt er bis ins Alte Testament zurück, und die von modernen Theologen nicht geliebte und in Übersetzungen nach Möglichkeit eliminierten Formel: „Und mit Deinem Geiste“ interpretiert er so: „Es ist (zwar) eigentlich der Gegengruß: der Herr sei auch mit dir! Jedoch die Liturgie hat in dieses Wort‘deinem Geiste‘ noch eine besondere Bedeutung hineingelegt, sie versteht darunter die Weihegewalt, die dem Liturgen durch den heiligen Geist zuteil geworden ist, also: mit deinem Pneuma. Daß dem wirklich so ist, kann bewiesen werden aus dem Umstand, daß dieser Gruß nur dem geweihten Diakon und dem Priester zusteht. Der Kleriker eines niederen Weihegrades und ein Laie darf das Dominus vobiscum nicht sagen, weil man ihm eben nicht antworten kann: Mit deinem Pneuma. (…) Das Dominus vobiscum ist also der feierliche Gruß des Diakons und des Priesters an das Volki und zugleich die ehrende Anerkennung der Gemeinde von der Weihegewalt ihrer Liturgen. (114/5)

Später greift er den Grußwechsel dann noch einmal als Moment der tätigen Teilnahme auf: „Das Dominus vobiscum könnte man prosaisch so übersetzen: ‚Ihr Christen, jetzt gebt acht, das folgende geht euch besonders an‘ Und nach einem kurzen Durchgang der acht Vorkommen dieses Grußes schließt er (…) es ist also eine Einladung zur aktiven Teilnahme an der Meßfeier. Das Dominus vobiscum ist also für die Liturgiefreunde ein tröstlicher Beweis, daß die Kirche die aktive Teilnahme des Volkes an der Liturgie wünscht. Und wenn die Meßfeier durch die Ungunst der Zeit zu einer bloßen Priesterhandlung geworden ist, so wird das Dominus vobiscum ein unvergänglicher mahnender Zeuge bleiben, daß die aktive Teilnahme des Volkes ein integrierendes Moment der Liturgie ist. (117)

Im Hinblick auf den tatsächlichen Verlauf der liturgischen Revolution von 1970 nur erwähnt sein soll hier Parschs Verteidigung und Begründung der überlieferten Perikopenordnung (138).

In mehreren Fällen fügt Parsch den Abschnitten seiner historisch/ascetischen Liturgieerklärung eine „praktische Bemerkung“ an. Darin spricht er tatsächliche oder empfundene Schwachstellen der seinerzeitigen Praxis an und macht teilweise Vorschläge zur Verbesserung oder eröffnet Perspektiven, in denen solche Schwächen produktiv nutzbar gemacht werden können. Der Abschnitt über die Opferung gibt reichlich Gelegenheit, die früher dort stattfindende Beteiligung der Gemeinde zu beschreiben und zu würdigen – trotzdem bleibt Parsch fest sowohl beim Bestand der Opferungsgebete als auch der ihnen der Tradition nach beigelegten Bedeutung.
Die Entstehungsgeschichte des römischen Kanons, wie Parsch sie nach den Kenntnissen seiner Zeit referiert, wird heute in Einzelheiten etwas anders gesehen – in inhaltlicher Hinsicht ändert das praktisch nichts. Tatsächlich gehört seine Beschreibung und Erklärung des römischen Kanons zu den eindrucksvollsten in der Meßerklärungsliteratur. Sie spricht von einer tiefen Liebe des Verfasers zu diesem Gebet – undenkbar, daß er (gest. 1954) der auf völlige Abschaffung gerichteten Zurückdrängung des Hochgebets durch die Bugnini-Reform zugestimmt hätte.

Die Kanonstille wird von ihm an keiner Stelle in Frage gestellt – er vergleicht sie mit dem Eintritt des alttestamentarischen Priesters in die Wolkenhülle zur Zwiesprache mit Gott (259). Eine besondere Akklamation des Volkes zur Wandlung verlangt er nicht – ihm genügt das auf älteste Tradition zurückgehende Amen zum Abschluß des Kanons, der in seiner Gesamtheit die Konsekration bewirkt hat. Die Ausführungen zum Kanon haben bleibenden Wert, und ihre Lektüre kann auch heute noch jedem empfohlen werden.

Die Besprechung der Kommunion, des Opfermahles, steht bei Parsch ganz stark unter dem Eindruck des zu seiner Zeit herrschenden Mißbrauchs oder zumindest Mißverständnisses, die Kommunion aus dem Zusammenhang der Messe herauszulösen (268). Das führte vielfach dazu, daß die Gläubigen – wenn sie denn überhaupt kommunizierten – die Kommunion unmittelbar vor der Messe empfingen, um dann ihre Andacht während der folgenden Messfeier als Danksagung zu strukturieren, ohne dem konkreten Ablauf der Messe im Einzelnen zu folgen. Von daher widmet er der Kommunion als Bestandteil der heiligen Messe und eben als Opfermahl besondere Aufmerksamkeit (267, 317) Diese Erklärung enthält u.a. auch eine wertvolle Erläuterung des zum Beginn dieses Teils gesprochenen Vaterunsers. Neben „Opfermahl“ spricht Parsch hier auch des öfteren vom „Gemeinschaftsmahl“. Darunter versteht er jedoch keinesfalls eine von der Gemeinde und ihrer Gemeinsamkeit ausgehende Aktion, sondern die Einbeziehung der Gläubigen in die vom Opferaltar ausgehende Gemeinschaft aller, die an diesem Opfer teilnehmen – letztlich also der ganzen Kirche.

Bei einer kritischen Lektüre würde man in Parschs Einführung sicher an mehreren Stellen Gedanken vorfinden, die möglicherweise den später in die Liturgiereform eingeflossenen Vergröberungen und Mißverständnissen Vorschub geleistet haben. Gerecht würde man ihm dadurch jedoch nicht. Sein Ziel ist ganz eindeutig nicht, die Liturgie so zu verändern, daß sie den Bedürfnissen der Menschen entspricht, sondern die Menschen in den Stand zu versetzen, der Liturgie zu folgen und sie zu verstehen. Parschs Verständnis für die Liturgie als organisch aus dem Leben der Kirche gewachsene Gestalt unterschiedlicher Zeiten und „Lebenswelten“ setzt ihn dazu in Stand, auch die Elemente des Ritus zu akzeptieren und mit Hochachtung und Liebe zu erklären, die aus historischen und heute vielleicht nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbaren Denkwelten stammen. Dementsprechend ist seine Kritik an einzelnen tatsächlichen oder vermeintlichen Mißständen sehr zurückhaltend und von tiefer Ehrfurcht gegenüber der gewachsenen Form der Liturgie bestimmt.

Auch wenn einzelne Aussagen Parschs zur Liturgiegeschichte heute als überholt gelten müssen, so ist seine Messerklärung auch heute noch zur frommen Bildung und zur Einführung in den Geist des Messopfers durchaus empfehlenswert. Nichts in diesem Buch rechtfertigt die bis zur Feindseligkeit reichende Abneigung, die einige seiner Nachfolger in Klosterneuburg gegenüber dem überlieferten Missale zur Schau tragen.

Pius Parsch: Messerklärung im Geist der liturgischen Erneuerung. Außer einer teuren Studienausgabe ist die Messerklärung seit vielen Jahren nicht mehr neu aufgelegt worden. Die Originalausgaben des Verlags Volksliturgisches Apotolat aus den 30er Jahren sind jedoch im Antiquariatshandel leicht und preiswert zu bekommen.

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