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Gehorsam in der Krise

Bild: Eigene AufnahmeDas neueste Buch von Peter Kwasniewski, im Februar in den USA unter dem Titel „True Obedience in the Church“ bei Sophia Press erschienen, liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor: „Wahrer Gehorsam in der Kirche – Ein Leitfaden in schwerer Zeit“. Das Taschenbuch (116 Seiten, Preis 11,72 €) ist über die üblichen Bezugsquellen im Internet erhältlich. Und es bietet trotz des verhältnismäßig geringen Umfangs tatsächlich einen überaus hilfreichen Leitfaden zur Orientierung in der gegenwärtigen Kirchenkrise. Der Gebrauchswert des Buches wird noch einmal dadurch erhöht, daß die eigentliche Argumentation in einem Hauptteil von 64 Seiten leicht nachvollziehbar entwickelt wird, während Literaturhinweise und vertiefende Anmerkungen in einen 40-seitigen Anmerkungsteil am Schluß des Buches ausgelagert sind.

Unmittelbarer Anlaß zur Abfassung des Buches ist die Bedrohung, die von Traditionis Custodes für die Gemeinschaften und Gemeinden der überlieferten Liturgie ausgeht. Aber die allgemeine Kirchenkrise ist ja nicht allein eine Krise der Liturgie bzw. einer fehlgegangenen Liturgiereform. Sie ist eine Krise, die mit der modernistischen Umformung der Begriffe von Autorität und Gehorsam die gesamte Gestalt der Kirche, wie sie seit der Zeit der Apostel besteht, in Frage stellt. Dazu vorweg einige Überlegungen.

Der Gehorsam gegenüber Gott, dann aber auch gegenüber der von ihm eingesetzten Autorität, ist eine der großen Tugenden der Christen – solange die Autoritäten in Kirche und Gesellschaft sich dessen bewußt sind, daß sie nicht auf eigenem Recht und eigener Machtvollkommenheit beruhen, sondern diese Macht ihnen „von oben gegeben“ (Jesus vor Pilatus, Joh. 9,11) ist. Hier geht es weiter Ein Bewußtsein um diesen Zusammenhang von „oben“ und „unten“ bestimmte seit Urzeiten alle Gesellschaften und ihre Religionen – wenn auch oft in verzerrter oder sogar pervertierter Form. Erst die „Aufklärung“ und ihre Frucht in der Revolution von 1793 hat diesen zuvor zumindest deklamatorisch geachteten (Wir, König von Gottes Gnaden…) Zusammenhang aufgebrochen und geradezu delegitimiert. Zunächst für den gesellschaftlich-politischen Raum, dann aber zunehmend auch im Bereich der Religion – sofern man denn ein Denken, das sich von diesem Zusammenhang „emanzipiert“ hat, überhaupt noch dem Bereich der Religion zuordnen kann.

Diese Tendenz zur Aufhebung der Religion, diese Säkularisierung ist in der ganzen sogenannten westlichen Kultur dominierend und hat sich auch in der katholischen Kirche mächtig entfaltet – und damit ist die vom frommen Volk Gottes seit zweitausend Jahren eingeübte Tugend des Gehorsams zu einer überaus zweifelhaften Errungenschaft geworden. Was wir nicht nur in Deutschland beobachten, ist Folgendes: Die Kräfte der Säkularisierung innerhalb der Kirche – „progressive“ Theologieprofessoren, Bischöfe, Verbandsfunktionäre – haben den Ungehorsam gegenüber der überlieferten Lehre quasi zum Programm erhoben. Doch sie bleiben unbehelligt; ihr Kurs  wird von den übergeordneten Autoritäten teils geduldet, teils insbesondere im aktuellen Pontifikat, auch aktiv unterstützt. Die Schismatiker und Häretiker aller Ebenen verlangen gebieterisch den  Gehorsam der ihnen Anvertrauten, um alle, die sich ihrem Säkularisierungskurs widersetzen, einzuschüchtern und stumm zu machen. Die in der überlieferten Lehre begründete und bei den auf dieser Lehre bestehenden Christen tief verwurzelte Tugend des Gehorsams wird genutzt, um eben diese Lehre zu schwächen und letztlich abzuschaffen.

Die Funktion und Wirksamkeit dieses Mechanismus ist nirgendwo so eindrucksvoll zu beobachten wie beim Kampf – und es ist ein Kampf auf Leben und Tod – um den Erhalt der überlieferten Liturgie, die als konzentrierter Ausdruck der überlieferten Lehre den ganz besonderen Haß der Säkularisierer auf sich zieht. Seit Beginn des Versuches zur flächendeckenden (ja, der Ausdruck kommt ursprünglich aus dem Bombenkrieg) Durchsetzung der „Liturgiereform“ ab 1970 setzen die Gegner der überlieferten Lehre die „Gehorsamskeule“ ein, um mit den Anhängern der überlieferten Liturgie auch die überlieferte Lehre zu überwinden. Mit dem Appell an den Gehorsam bewegten sie 1988 einen Teil der Priester, die sich um Erzbischof Lefebvre gesammelt hatten, ihre „Treue zu Rom“ durch Verlassen der Piusbruderschaft zu bekunden, und mit dem Appell an den Gehorsam haben sie jetzt durch den Erlaß von Traditionis Custodes eben diese Priester (und die Gläubigen der von ihnen betreuten Gemeinden) in eine tiefe Krise gestürzt.

Denn man soll sich nicht täuschen: Das durch Dekret vom Februar der Petrusbruderschaft gewährte Indult, für den internen Gebrauch die alte Liturgie beibehalten zu dürfen, schränkt nicht nur die Aktionsmöglichkeiten ihrer Priester empfindlich ein, sondern kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt ebenso „par ordre du mufti“ aufgehoben werden, wie es erlassen wurde. Der von Papst Benedikt gewollte „Liturgische Frieden“ ist aufgekündigt. Die Priester der Tradition und die an der Überlieferung festhaltenden Gläubigen müssen erneut damit rechnen, mit der Gewissensfrage konfrontiert zu werden, ob und wie sie Gott mehr gehorchen können als den Menschen – auch wenn diese Menschen (nicht mehr) die Tiara des Papstes oder die Mitra des päpstlich eingesetzten Bischofs tragen, aber unfähig oder unwillig sind, die mit diesen Symbolen ausgedrückte Autorität im Sinne Christi auszuüben. Nach ihrer ganzen Denkweise sind auch und gerade die gutwilligsten Priester und Gläubigen am wenigsten darauf eingerichtet, mit dieser Frage umzugehen. Das zu erleichtern, ist das Ziel von Kwasniewskis „Leitfaden“.

In den ersten Abschnitten (S. 1 – 18) macht er dabei in aller Deutlichkeit klar, daß es ihm nicht darum geht, das Prinzip des christlichen Gehorsams im Sinne moderner Vorstellungen von Selbstermächtigung auszuhebeln. Aber er macht darauf aufmerksam, daß dieser christliche Gehorsam an Voraussetzungen gebunden ist, und daß diese Voraussetzungen nicht selbstverständlich gegeben sind. Eine Schlüsselrolle spielt für ihn dabei der Begriff des „Allgemeinwohls“, insbesondere natürlich des Allgemeinwohls der Kirche, den er dann im Rückgriff auf die Lehren des hl. Thomas von Aquin ausführlicher begründet. (S. 20 - 26) Die Liturgie als unter der Leitung des hl. Geistes gewachsener Ausdruck der lex orandi ist Ausdruck des Gemeinwohls der Kirche und ihres Strebens nach dem salus animarum – von daher ist sie willkürlicher Verfügbarkeit entzogen. (S. 27 – 31) Von daher kritisiert Kwasniewski sodann Denkvoraussetzungen und Ausmaß der Liturgiereform Pauls VI. Traditionis Custodes als Versuch, diese Liturgiereform endgültig und total durchzusetzen, gefährdet das salus animarum und kann von daher keinen Anspruch auf den der rechtmäßig handelnden Autorität geschuldeten Gehorsam erheben.

In weiteren Abschnitten unternimmt Kwasniewski dann eine Exegese der Bulle „Quo Primum“ Pius’ V. und identifiziert den in dessen Missale normierten römischen Ritus als Ausdruck und Bestandteil des vom Trienter Konzil verabschiedeten Glaubensbekenntnisses. (S. 36-42) Wenn der Novus Ordo, wie in TC behauptet, eine andere Lex orandi mit einer anderen Lex credendi repräsentiert, bedeutet das ein Abrücken vom Glauben des Konzils von Trient und nicht die „Reform“ des römischen, sondern die Schaffung eines neuen Ritus. Der Versuch, auf diese Weise eine neu „Lex credendi“ zu schaffen, kann keinen Katholiken im Gewissen binden. Nicht wer sich diesem Versuch widersetzt, verstößt gegen den der wahren Autorität der Kirche geschuldeten Gehorsam, sondern derjenige, der sich gegen die Autorität der apostolischen Tradition auflehnt. Ungehorsam gegen diesen Aufstand ist Pflicht, die von den Machtwaltern der Neuerung verfügten Straf- und Disziplinarmaßnahmen sind rechtswidrig und unwirksam. (S. 53 – 57, 63 und 96).

Sollte es zu einer weiteren Zuspitzung im Kampf um die Bewahrung der überlieferten Lehre und Liturgie kommen – dieses Buch bietet Priestern und Laien Materialien zur Gewissensbildung, auf deren Grundlage sie eine informatierte und verantwortliche Entscheidung treffen können.

Nachtrag: Zum Zeitpunkt der Onlinestellung dieser Besprechung wird der „Wahre Gehorsam“ bei Amazon Deutschland bereits als „Bestseller“ angezeigt.

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