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‚De Sacerdotio‛ - eine sichere Grundlage für die Lehre vom Priestertum

Carthusianus-Verlag 2013Den Knaller, wenn man das so sagen darf, hat sich Michael Fiedrowicz ganz für den Schluss seiner hundertseitigen Einführung in das große Werk des Johannes Chrysostomus über das Priestertum aufgehoben: Als 1978 eine Neuedition von ‚De Sacerdotio‛ für die ‚Sources Chrétiennes‛ vorbereitet wurde, hatten die Herausgeber Henri de Lubac gebeten, die Einleitung zu verfassen. Doch da de Lubac in dieser Einführung nachwies, daß bereits im 4. Jahrhundert die vom Modernismus als mittelalterliche (Fehl-)Entwicklung dargestellte sakramentale Natur des Priesteramtes fester und zentraler Bestandteil der kirchlichen Lehre war, verhinderte die Mafia der Konzilsgeister die Aufnahme seiner Einführung in die renommierte Edition. „De sacerdotio“ erschien ohne Einführung, und de Lubac musste für seinen Text auf die Veröffentlichung in einer Zeitschrift ausweichen.

Man sieht: Bloß weil ein Buch über eineinhalb tausend Jahre alt ist, fehlt es ihm noch lange nicht an Aussagekraft und Brisanz hinsichtlich aktueller Fragen der Gegenwart im allgemeinen und nachkonziliarer Zeiten insbesondere. Was natürlich ein ganz wesentlicher Grund dafür ist, daß der Trierer Theologieprofessor Fiedrowicz dieses Buch von Ingo Schaaf und Claudia Barthold neu übersetzen ließ und samt griechischem Original und der von ihm verfassten Einleitung neu herausgebracht hat. Gerade in Zeiten, in denen viele der Versuchung erliegen, sich ihren Glauben ständig neu zu erfinden, oder in denen – wie übrigens zu Chrysostomus Zeiten auch – Beliebigkeiten und sogar Irrlehren weit in die Kirche eingedrungen sind, bietet der Rückgriff auf die Väter ein sicheres Fundament.

Mühelos erschließt sich dieser Rückgriff freilich nicht, und das nicht nur wegen der Sprachbarriere. Auch in Übersetzung liest sich ein Werk wie De Sacerdotio (Peri Hierosynes) nicht leicht, wenn man ohne kompetente Führung ans Werk geht. Nicht nur  wegen des anspruchsvollen Inhalts, sondern auch wegen der literarischen Form, die dem heutigen Verständnis nicht gerade entgegen kommt: Ganz in antiker Tradition stehend hat Johannes Chrysostomus  keine säuberlich nach Erstens, Zweitens und Drittens gegliederte Abhandlung verfasst, sondern entwickelt seine Gedanken in Form eines rhetorisch durchgeformten und mit dramaturgischen Elementen angereicherten Dialogs. In diesem Dialog überschneiden sich verschiedene Zeitebenen, es treten unterschiedliche Personen auf, die den Gegenstand in wohlgesetzten Worten von allen Seiten betrachten um ihn so allmählich deutlicher hervortreten zu lassen. Von daher äußern sich die „Sechs Bücher“ auch zu vielen Themen, die weit über das Priestertum im engeren Sinne hinausgehen und erörtern viele Aspekte der christlichen Lebensgestaltung und sogar der Zivilverwaltung – die schließlich vielerorts in die Hände der Priester und Bischöfe übergegangen war.

So umfassend und nach heutigen Verständnis wohl auch umständlich waren es die Leser der Antike und Spätantike gewohnt – die übrigens meistens keine einfachen Leser waren, sondern den Text in Gemeinschaft als Vorlesung hörten. Die Grenzen zur Unterhaltung waren, wie wir von den Auftritten der Rhetoren wissen, bei solchen Darbietungen nicht immer klar gezogen – manches war Edutainment lange vor Fernsehen und Internet. Selbst wer alleine war, las laut und hörte mehr seiner Stimme zu, als im heutigen Sinne zu lesen.

Wer mit dieser Art von Präsentation und Rezeption lehrhafter Texte der Antike nicht vertraut ist, tut gut daran, sich bei der Befassung mit „De sacerdotio“  der Führung der Einleitung  anzuvertrauen. Dabei geht diese Einleitung weit darüber hinaus, Grundinformationen zum historischen Kontext bereitzustellen oder die Kernaussagen des Dialoges inhaltlich zu erschließen. Nach unseren heutigen Erwartungen an eine theologische Abhandlung lassen diese Aussagen manches unausgesprochen, was uns unerläßlich zum Verständnis scheint. Hier leistet Fiedrowicz mit seinem gewohnt hilfreich aufgebauten Anmerkungsapparat wertvolle Hilfestellung. Ein „innerer Kreis“ von Anmerkungen stellt Zusammenhänge her zu passenden Stellen in anderen Werken (erhalten sind ca 700 Predigten)  des Chrysostomus oder anderer Kirchenväter, die näheren Aufschluß darüber geben, wie  Aussagen sich in das Verständnis des Chrysostomus vom Priestertum einordnen. Ein „äußerer Kreis“ von Verweisen stellt die Verbindung zu Interpretation und Verständnis von „de sacerdotio“ in der theologischen Wissenschaft her und bietet  Anschlußstellen zur allgemeinen theologischen Diskussion über Wesen und Funktion des Priesteramtes.

Diese Diskussion ist bekanntlich insbesondere in Europa von der Tendenz geprägt, den sakramentalen Charakter von Priesteramt und Messopfer herabzuspielen und deren gemeindliche Aspekte zu verabsolutieren – gerade so, wie die Protestanten es seit  Jahrhunderten vormachen. Ihren bisherigen Tiefpunkt erreichte diese Tendenz in dem von den niederländischen Dominikanern 2007 veröffentlichten Papier „Kerk & Ambt“ (Kirche und Amt), das in seinen Schlußforderungen das bisherige Verständnis der Kirche vom Priestertum rundweg für obsolet erklärt:

Mit Nachdruck plädieren wir dafür, dass unsere kirchlichen Gemeinden, vor allem die Pfarreien, in der heutigen vom Mangel an zölibatären Priestern gezeichneten Notsituation in kreativer Weise ihre theologisch verantwortete Freiheit ergreifen und erlangen, indem sie aus ihrer Mitte ihre eigenen Gemeindeleiter/innen bzw. ein Team von Gemeindeleiter/innen wählen.

Auf Grund der vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich festgestellten Vorrangsposition des „Volkes Gottes“ vor der Hierarchie ist von den Diözesanbischöfen zu erwarten, dass sie in gutem Einvernehmen diese Wahl durch ihre Handauflegung bestätigen.

Sollte ein Bischof diese Weihe oder Ordination mit Argumenten verweigern, die mit dem Wesen der Eucharistie nichts zu tun haben, dann dürfen die Pfarreien darauf vertrauen, dass sie dennoch echt und wahrhaftig Eucharistie feiern, wenn sie unter Gebet Brot und Wein teilen.

Bevor wir von dieser Karikatur des von Christus eingesetzten Priesteramtes wieder zu dessen Beschreibung bei Chrysostomus zurückkehren, ein Hinweis aus aktuellem Anlass: Selbstverständlich hat es gegen die Verfasser von „Kerk & Ambt“ keine Sanktionen gegeben, und es wurde auch kein päpstlicher Kommissar zur Disziplinierung des weltweiten Dominikanerordens oder zumindest dessen niederländischer Provinz eingesetzt. Solche einschneidenden Maßnahmen werden in der nachkonziliaren Liebeskirche ausschließlich gegenüber Gemeinschaften wie z.B. den Franziskanern der Immakulata ergriffen, die in ihrem halsstarrigen Bestehen auf dem, was immer und überall gegolten hat, sich wieder der Liturgie des hl. Gregor zuwenden, die mehr als 1500 Jahre lang Gesicht und Geist der Kirche des Westens geprägt hat.

Papst Gregor selbst, so vermutet Fiedrowicz (S. 108) mit guten Gründen, kannte die Schriften des Chrysostomus und nutzte sie für seine Werke.

Eher jedenfalls als die niederländischen Dominikaner müsste heute Chrysostomus wegen seiner Lehre vom Priesteramt mit Sanktionen seitens der in Hochschulen und Kurien herrschenden Kräfte rechnen. Überraschen würde das den 407 in der Verbannung gestorbenen Kirchenlehrer kaum: Für die im Kreise der Reformtheologie beliebte These, wonach die Priester ursprünglich in erster Linie Lehrer der Gemeinde und die Messe primär Gemeindefeier am Mahltisch gewesen sei, alles andere seien mittelalterliche Zutaten und Zerfallserscheinungen, gibt „de sascerdotio“ nichts her. Ein Versuch des Heidelberger Theologen Adolf M. Ritter, ausgerechnet Chrysostomus für die Behauptung in Anspruch zu nehmen, daß priesterliches Handeln keiner besonderen Weihe bedürfe, ist nach Fiedrowicz (S. 57) ganz klar gescheitert.

In „De sacerdotio“ lässt Chrysostomus jedenfalls keinen Zweifel daran, daß er dem Priestertum höchste Bedeutung zumisst, und zwar nicht aus irgendwelchen weltlichen Überlegungen, wie sie beim damals gerade mit Macht aufkommenden Staatskirchentum durchaus nahelagen, sondern mit einer glasklaren theologischen Begründung, die auch heute noch Bestand hat. Priester und Bischöfe (Chrysostomus sieht da nur eine funktionale Unterscheidung, meistens benutzt er für beide den gleichen Begriff) sind durch die Einsetzung ihres Amtes durch Christus und die Handauflegung der Apostel und ihrer Nachfolger in einzigartiger Weise hervorgehoben. Nur sie können das wahre Opfer Christi vergegenwärtigen, nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern indem sie sich ganz für Christus als den eigentlich Handelnden öffnen und sich ihm angleichen. Metaphysik pur: „Das Priestertum nämlich wird zwar auf Erden ausgeübt, besitzt aber den Rang himmlischer Dinge. Und das ganz mit Recht. Denn kein Mensch, kein Engel oder Erzengel, keine sonstige geschaffene Macht, sondern der Paraklet selbst hat diesen Stand eingerichtet und solche, die sich noch im Fleisch aufhalten, dazu gebracht, den Dienst der Engel sichtbar zu machen. Deshalb muß der zum Priester Geweihte so rein sein, wie wenn er im Himmel inmitten jener Mächte stünde“ (sac.3,4).

Dementsprechend ist es bei Chrysostomus mit der Communio-Theologie nicht so weit her, und ob er es unterschreiben würde, daß die Hirten „den Geruch der Schafe annehmen“ sollten, steht dahin. Zwischen Hirten und ihren „vernunftbegabten Schafen“ sieht der Kirchenlehrer tiefe wahrhaft existentielle Unterschiede –  was denen, die zu „Aufsehern" bestimmt sind, freilich keine besonderen Vorrechte einbringt, sondern nur ein höheres Maß an Verantwortung. Es ist geradezu furchterregend höher, denn: „selbst wenn der Priester (bzw. Bischof) eine gute Lebensführung aufweist, aber nicht mit Sorge über sich selbst und alle ihm Anvertrauten wacht, wird er mit den Bösen der Hölle verfallen.“ So Chrysostomus freilich nicht in „de sacerdotio", sondern mehrfach in  Predigten. Vermutlich war diese Haltung der Ursprung dafür, ihm die Urheberschaft der im Mittelalter populären Sentenz: „Der Weg zur Hölle ist mit den Schädeln von Bischöfen gepflastert“ zuzuschreiben.

Die Theologie des Priestertums, die Chrysostomus in seinem Dialog kunstvoll arrangiert und literarisch durchformt darbietet, hat Fiedrowicz für die ungeduldigen Leser des 21. Jahrhunderts nach dem uns geläufigen Erstens, Zweitens und Drittens aufbereitet. Dabei ergibt sich folgendes Bild:

Die große Pflicht des Priesters ist es, die ihm Anvertrauten zu heiligen, also ihnen die Sakramente zu spenden und sie quasi „opere operandi“ auf dem Weg zur himmlischen Lebensweise voran zu bringen. Dabei hat die Feier der Eucharistie ganz besonderen und einzigartigen Rang, denn aus ihr und dem ihr zugrunde liegenden Kreuzesopfer entspringen alle anderen Sakramente (deren Zahl und Charakter übrigens im 5. Jahrhundert noch nicht so genau festgestellt war wie später). Die Darbringung des Opfers „in persona Christi“  ist daher nach Chrysostomus die erste Aufgabe des Priesters. Dabei weist er jede Vorstellung einer menschlichen Leistung beim Zustandekommen der Wandlung zurück. Die gesprochenen Wandlungsworte sind zwar das unentbehrliche Zeichen für den Vollzug des Sakraments, aber die Wirkung kommt dadurch zustande, daß der in der Epiklese angerufene heilige Geist herabkommt und die Gaben ergreift und verwandelt. (S. 59)

Großes Gewicht legt Chrysostomus darauf, das Meßopfer in sein Bezugsfeld einzuordnen, das vom unvollkommenen Opfer des alten Bundes reicht, im Kreuzesopfer erstmals die Erde berührt und wieder im himmlischen Jerusalem seine Erfüllung findet.

Gleichrangig zur Seite steht dem „Amt der Heiligung“ das „Amt der Verkündigung". Dabei legt Chrysostomus ebenso großen Wert auf die Prinzipienfestigkeit in der Lehre wie auf die – modern gesprochen – Achtung der Entscheidungsfreiheit derer, denen er die Lehre verkündet: „Wir sind nicht verpflichtet, die Leute zu bekehren, sondern nur, sie zur Bekehrung zu ermahnen.“ (S. 71) In der Verkündigung setzt Chrysostomus zwei Hauptakzente: Den „Kampf für die Wahrheit“ - das ist die Auseinandersetzung mit denen, die die wahre Lehre entstellen oder ableugnen und damit den Weg zum Heil unkenntlich machen. Nicht die dialogisierende, sondern die für die Wahrheit in Christus streitende Kirche ist das Bild, das Chrysostomus zeichnet und das fast zweitausend Jahre lang das Selbstbild der Kirche bestimmte. Der zweite Akzent liegt auf der Belehrung und Anleitung der Gläubigen, bei der es auch notwendig sein kann, sich an der Fassungskraft der Zuhörerschaft zu orientieren. Die Predigt nach Innen und der Streit nach Außen bilden so eine Einheit. In beidem ist es wichtig, daß der Verkünder nicht nur Worte macht, sondern auch durch sein heiligmäßiges Leben Vorbild ist.

An dritter Stelle kommt dann das Leitungs- und Hirtenamt, dessen Wahrnehmung freilich nicht aus weltlichen Motiven erfolgen darf, sondern sich allein von der von Gott in Berufung und Weihe übertragenen Vollmacht ableitet. Frauen sind von diesem Amt, wie von den beiden anderen auch, ausdrücklich ausgeschlossen. Seine Ergänzung findet das Leitungs- und Hirtenamt in der diakonia, in den Diensten, die Priester und Bischof für die Gemeinde leisten. Bei diesen Diensten ist freilich weniger an ein direktes Dienen im ganz konkreten Sinne zu denken – es ist nicht die Aufgabe der Aufseher, der Episkopoi, alle Dienste selbst zu leisten, sondern dafür zu sorgen, daß die Gemeinde als Gemeinde im Geist Christi leben kann.

Diese Besprechung würde sich überfordern, wollte sie versuchen, die komprimierte Darstellung, die der Verfasser in seiner Einleitung von Johannes Chrysostomus‛ Begriff und Beschreibung des Priestertums gibt, hier noch einmal auf eine Kurzfassung einzudampfen. Als allgemeine Zusammenfassung soll genügen, daß alle, die ihren Begriff vom Priestertum an der traditionellen Lehre der Kirche, insbesondere an den Darlegungen und Beschlüssen des Konzils von Trient und den darauf beruhenden Katechismen bis ins 20. Jahrhundert geschult haben, im hl. Johannes Chrysostomus (und den von Fiedrowicz beigezogenen Zeitgenossen) unschwer einen frühen Zeugen für diese Lehre erkennen können. Spätere Versuche einer „zeitgemäßen Weiterentwicklung“ – und das schließt auch den Versuch des zweiten Vatikanums ein, eine nachgerade wesensmäßige Unterscheidung zwischen den Ämtern des Priesters und denen des Bischofs einzuführen – können sich dagegen nicht auf diesen Lehrer der Kirche berufen. Und modernistische Entstellungen, wie sie von den niederländischen Dominikanern in „Ambt & Kerk“ am prominentesten proklamiert, aber auch an vielen theologischen Fakultäten als Lehrstoff vorgetragen werden, um dem Priestertum seine herausgehobene Funktionen und Aufgabe zu bestreiten, stehen im offenen Widerspruch zu dem, was Chrysostomus bereits im 4. Jahrhundert, gestützt auf die Überlieferung der Apostel und ihrer Schüler, als zentrales Glaubensgut der Kirche beschrieben und überliefert hat.

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