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Neuer Zugang zur Tradition des Glaubens

In einer Zeit, in der von der Spitze der Kirche größte Verwirrung ausgeht, wird Zeugnis und Lehre der Kirchenväter immer wichtiger: Sie geben zuverlässig Auskunft darüber, was in der Kirche „allenorts, immer und von allen“ (Vinzenz v. Lerins) geglaubt worden ist und daher auch heute als Richtschnur zu betrachten ist. Allerdings ist der Umgang mit den Schriften der Kirchenväter nicht gerade einfach – und das nicht nur wegen des schieren Umfangs dieses Werkes – die deutschen Übersetzungen in den Reihen der Bibliothek der Kirchenväter füllen an die 200 Bände und sind immer noch nicht vollständig. Dieses gewaltige corpus wird auch nicht dadurch handlicher, daß es seit wenigen Jahren zu großen Teilen im Internet erreichbar ist.

Schon früh entstand daher das Bedürfnis, längere Auszüge oder zumindest Zitate aus der Hinterlassenschaft der Kirchenväter nach inhaltlichen Gesichtspunkten zusammenzustellen. Eine der bekanntesten derartigen Sammlungen ist die Catena Aurea, die Mitte des 13. Jahrhunderts nach Auftrag von Papst Urban IV. unter Leitung von Thomas v. Aquin zusammengestellt worden ist. Sie hat die Form eines laufenden Kommentars zu den vier Evangelien. D.h, sie bringt die Erklärungen der Kirchenväter zu den jeweiligen Schriftstellen in einer Form, die nahezu eine zusammenhängende Schrifterklärung abgibt. Es gibt dieses weit über 1000 Seiten umfassende Werk in mehreren 3 oder 4-bändigen Ausgaben aus dem 19. Jahrhundert, die im Antiquariatshandel günstig zu bekommen sind. Die Originalausgaben sind natürlich nur in Latein abgefasst, es gibt aber, ebenfalls aus dem 19. Jh., auch deutsche Übersetzungen – eine davon ist 2014 in überarbeiteter Form beim Sarto-Verlag neu herausgekommen, derzeit aber anscheinend nicht lieferbar.

Die Form des Evangelienkommentars macht es besonders leicht, die in den unterschiedlichsten Zusammenhängen getroffenen Aussagen der Kirchenväter zu bestimmten Bibelstellen aufzufinden – die Catena wurde daher von Anfang an gerne für die Vorbereitung von Predigten genutzt, um die Auslegung des Evangeliums auf eine sichere Grundlage zu stellen. Mit dieser Zielsetzung wird die Catena in deutscher Sprache auch heute noch als „Kommentare der Kirchenväter zu den Evangelien“ von einem Team um die Wiener Theologin Marianne Schlosser gepflegt und publiziert – auch hier gibt es eine Zugriffsmöglichkeit über das Internet. Allerdings folgt diese Edition der in vielerlei Hinsicht zweifelhaften reformierten Leseordnung von 1970 und ist daher für die Liturgie im überlieferten Ritus nur begrenzt verwendbar.

Wer trotzdem in deutscher Sprache auf die Catena des hl. Thomas zurückgreifen will, findet eine Teilübersetzung in dem 1937 erschienenen Band „Die Kirchenväter und das Evangelium – Erläuterungen der Heiligen Väter zu den Sonn- und Festtagsevanglien ausgewählt und übertragen aus der Catena Aurea des Hl. Thomas von Aquin“ von Josef Hosse. Das Buch mit einem Umfang von 240 Seiten ist im Antiquariatshandel günstig zu bekommen.

Nun war schon das Werk des hl. Thomas trotz seines beträchtlichen Umfangs alles andere als vollständig – einige Väter insbesondere aus dem Osten sind gar nicht vertreten, andere Texte nicht mehr dem heutigen Kenntnisstand entsprechend zugeordnet oder in der Textform zweifelhaft. Außerdem beschränken sich die Catena Thomas' und die in ihrer Nachfolge entstanden Sammlungen auf die 4 Evangelien. Damit ist zwar ein wesentlicher Teil möglicher Predigtthemen abgedeckt, der große Bogen des Zusammenhangs zwischen den Worten der hl. Schrift und der Erklärung der Lehre durch die Kirchenlehrer wird jedoch nur im Ansatz ausgefüllt.

An dieser Stelle setzt ein amerikanisches Projekt ein, das von Patristikern mehrerer christlicher Konfessionen, darunter auch mehreren katholischen getragen wird: Der Ancient Christian Commentary on Scripture (ACCS), der in den letzten 20 Jahren erarbeitet worden ist und in 29 Bänden die Bücher des alten und des neuen Testaments abdeckt. Dabei wurde der Bereich der erfassten klassischen Autoren gegenüber der Catena-Tradition erheblich ausgeweitet. Wo möglich, wurden neueste Editionen und Übersetzungen (natürlich ins Englische) ausgewertet. Soweit Texte in digitaler Form vorliegen, wurden auch computergestützte Verfahren zur Inhaltserfassung eingesetzt.
Damit wird praktisch die gesamte Literatur der Kirchenväter von der Ordnung und den Themen der hl. Schrift her erschlossen. Und das ganze in einer Edition, die sich ihrer Anlage nach nicht an den patristischen Fachtheologen, sondern an die interessierten Laien oder Wissenschaftler anderer Richtungen insgesamt richtet. Damit wird ein Zugang zu den traditionellen Grundlagen des Glaubens eröffnet, wie er in dieser Breite vielleicht noch nie möglich war.

Das Projekt wird ganz oder teilweise auch in andere Sprachen übersetzt, darunter das Italienische ebenso wie das Chinesische. Eine deutsche Übersetzung scheint derzeit nicht geplant zu sein.

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