DIE AUFNAHME MARIAS IN DEN HIMMEL

Englischer Originaltext von Denis Vincent Wiseman O. P., 19. Juli 2002

Das Ende des Marienlebens ist geheimnisvoll. Einige der frühesten Hinweise, die sich auf Marias Tod beziehen, stammen vom heiligen Epiphanius (gest. 402), dem Bischof von Salamis, der gleichzeitig den Sitz des Metropoliten von Zypern innehat. In seinem drei bändigen Werk, dem Panarion (Arzneikästchen gegen die Häresien), der zwischen 374 und 376 geschrieben wurde, beschreibt er 80 Sekten oder falsche Glaubenslehren, die seit dem Anfang der Welt existierten. Indem er ausführlich die Irrtümer der Antidikomarianitai, der Widersacher Marias beschreibt, die die fortwährende Jungfräulichkeit leugneten, bezeugt er das Nichtvorhandensein an Sicherheit über die letzten Tage Marias. Er schreibt:

Aber wenn einige meinen, dass wir uns irren, dann lasst sie die Heilige Schrift durchsuchen. Sie werden nichts darüber finden, ob sie starb oder nicht starb; sie werden nichts finden, ob sie beerdigt wurde oder nicht beerdigt wurde. Mehr als dies: Johannes reiste nach Asien, jedoch nirgendwo können wir lesen, dass er die heilige Jungfrau mit sich nahm. Vielmehr bewahrt die Schrift absolutes Stillschweigen, um das Gemüt der Menschen nicht zu schockieren wegen der außergewöhnlichen Natur der Wunder. Was mich angeht, ich wage mich nicht, zu sprechen; statt dessen bewahre ich meine eigenen Gedanken, und übe mich in Stillschweigen. Denn es kann sein, dass man irgendwo Hinweise gefunden hat, die es unmöglich machen, den Tod der heiligen Gesegneten zu ergründen. Wie wir wissen sagt einerseits Simeon zu ihr: „Und deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen, dass die Gedanken vieler Herzen geoffenbart werden mögen“ (Lk 2,35). Andererseits lesen wir in der Apokalypse des Johannes: „Und der Drache verfolgte sie, die den Sohn geboren hatte, und es wurden ihr Adlerflügel gegeben, und sie wurde in die Wüste hinaus geführt, dass der Drache sie nicht ergreifen könnte“ (Offb 12, 13-14). Jedoch bestehe ich nicht absolut darauf und ich sage nicht, dass sie unsterblich blieb; ebenso wenig können wir beweisen, dass sie starb. Die Tatsache ist, dass die Bibel den menschlichen Geist übertroffen hat und uns über (diese Sache ) im Unklaren ließ, wegen jenes hoch geschätzten Gefäßes ohnegleichen, um zu vermeiden dass irgendjemand sinnlichen Gedanken nachgeht. Ist sie gestorben? Wir wissen es nicht. Falls sie beerdigt wurde, hatte sie auf keinen Fall Geschlechtsverkehr gehabt.1

In seinem Bericht über die Collyridian Sekte bestätigt Epiphanius, dass Maria in deren Kult eine Rolle spielte und vielleicht sogar die Hauptrolle einnahm: „Was geschieht ist, dass bestimmte Frauen einen Stuhl oder einen viereckigen Hocker schmücken, auf ihm ein Tischtuch ausbreiten und an einem bestimmten Tag des Jahres Brot bereitstellen und es im Namen Marias opfern. Alle Frauen essen von dem Brot... Die ganze Sache ist lächerlich: Unabhängig davon, ob diese müßigen Frauen den kleinen Laib für ihrer Verehrung opfern, oder ob sie dieses wertlose Opfer ihretwegen vollziehen.“2 In seinem Kommentar über die Irrlehren der Collyridianer spricht er auch das Ende Marias an: „Entweder starb die heilige Jungfrau und wurde beerdigt, dann war ihr Entschlafen in Ehren, ihr Tod keusch, ihre Krone die der Jungfräulichkeit. Oder sie wurde getötet, wie es geschrieben steht: ‚Und deine eigene Seele wird ein Schwert durchbohren,‘ dann ist ihre Herrlichkeit unter den Märtyrern und ihr heiliger Leib inmitten der Gnaden, durch die das Licht über der Welt aufging. Oder sie blieb am Leben, denn bei Gott ist nichts unmöglich, und er kann tun, was immer er will, denn ihr Ende kennt niemand.“3

Augustinus (gest. 430) vermutet, dass Maria starb. Er schreibt in De catechizandis rudibus: „Durch seine Geburt von einer Mutter, die zwar ohne Berührung eines Mannes empfing und allezeit unberührt war, d.h. sie blieb Jungfrau bei der Empfängnis, Jungfrau bei der Geburt, Jungfrau bis zum Tod...“4 In seinen Ausführungen über das Buch der Psalmen stellt er fest: „Um in wenigen Worten zu sprechen, Maria, die von Adam stammte, starb wegen der Sünde; Adam starb wegen der Sünde, und der Leib des Herrn, der von Maria stammte, starb, um unsere Sünden hinweg zu nehmen.“5 In seinen Traktaten über das Johannesevangelium schreibt Augustinus: „Er empfiehlt seine Mutter der Obhut des Jüngers an; er empfiehlt seine Mutter, da er vor ihr sterben und vor ihrem Tod wieder auferstehen wird.“6

Bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts waren apokryphische Erzählungen im Umlauf, die das Ende Marias genau beschrieben. Die frühesten Formen dieser Legenden können nicht sicher datiert werden, obwohl die syrischen Fragmente, die in der British Library aufbewahrt werden, als die ältesten noch Vorhandenen angesehen werden; man nimmt an, dass sie in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts verfasst worden sind. Eine Textstelle aus diesem Werk erzählt uns: „Und der Herr sagte zu Michael: ‚Lasst sie den Leib von Maria in die Wolken hineinbringen.‘ Und als der Leib Marias in die Wolken hineingebracht worden war, sagte unser Herr zu den Aposteln, dass sie näher zu den Wolken herankommen sollten. Und als sie näher zu den Wolken herankamen, sangen sie mit Engelsstimmen. Und unser Herr beauftragte die Wolken, sich zum Tor des Paradieses zu bewegen. Und als sie das Paradies betreten hatten, ging der Leib Marias zum Baum des Lebens; und sie brachten ihre Seele und veranlassten sie, in ihren Körper einzutreten.“7 Diese apokryphischen Geschichten, die Legenden und Wundertaten über das Ende Marias erzählen, waren im sechsten Jahrhundert weit verbreitet. Es gibt zwanzig existierende Versionen dieser Geschichten in Griechisch, Syrisch, Koptisch, Äthiopisch, Armenisch, Arabisch und Latein. Brian Daley S.J. fasste diese griechischen Berichte wie folgt zusammen:

Die frühesten griechischen Berichte - und die erste bekannte vollständige Erzählung über den Tod Marias - sind die wohl bekannten Transitus Mariae, die dem Evangelisten Johannes zugeschrieben werden. Diese beiden Fassungen der Geschichte, die meist dem späten fünften oder frühen sechsten Jahrhundert zugeschrieben werden, bieten eine sehr erweiterte Fassung der syrischen Erzählung. Hier wird Maria, die in oder in der Nähe Jerusalems wohnt, von einem Engel benachrichtigt, dass ihr Tod nahe ist. Die zwölf Apostel, die auf wunderbare Weise an den Enden der Erde davon erfuhren, haben sich dann um sie geschart. Nach einer Anzahl von Reden von ihr und ihren Gefährten empfiehlt sie ihre Seele in die Hände Jesu und stirbt. Als sich die Apostel daranmachen, ihren Leib in einem neuen Grab in der Nähe von Gethsemane zu begraben, versucht ein Jude namens Jephoniah den Zug zu hindern und wird für einige Zeit des Gebrauchs seiner Hände beraubt. Die Apostel halten an ihrem Grab drei Tage lang Wache und dann merken sie, dass ihr Leib ebenso wie ihre Seele von Engeln ins Paradies getragen worden ist. In dem von Wenger herausgegebenen Text trifft Jesus sogar mit den Aposteln an ihrem Grab zusammen, und zusammen mit ihnen begleitet er die englische Eskorte, die ihren Leib ins Paradies trägt, wo sie mit ihrer Seele wiedervereint wird.8

Die Schilderungen der Begrüßung Marias durch Jesus sind sehr liebevoll. „Und indem er seine unbefleckten Hände ausstreckte, empfing der Herr ihre heilige makellose Seele. Und beim Hinscheiden ihrer makellosen Seele war der Ort mit einem süßen Duft und einem unbeschreiblichen Licht erfüllt. Und siehe, es wurde eine Stimme vom Himmel gehört, die sagte: ‚Gesegnet bist du unter den Frauen.‘ Und Petrus rannte und ich, Johannes, und Paulus und Thomas umarmten ihre kostbaren Füße, um Heiligung zu empfangen; und die zwölf Apostel legten ihren ehrenwerten und heiligen Leib auf eine Bahre und trugen ihn heraus.“9

Es mag ein Unterschied zwischen dem Paradies und dem Himmel geben, denn diese früheste griechische Form des Erzählens gibt an, dass in einigen Berichten der Leib Marias zu einem anderen Ort als ihre Seele gebracht wird: „(Christus sagt:) ‚Von jetzt an wird dein ehrwürdiger Leib ins Paradies versetzt sein, aber deine heilige Seele wird im Himmel, in den Schatzkammern meines Vaters, in vortrefflichem Glanz sein...‘“10

Diese apokryphischen Schilderungen werden vielfach als Transitus Mariae Literatur bezeichnet. Der lateinische Bericht wurde den apokryphischen Schriften häretischem Ursprungs beigefügt, die durch das Decretum Gelasianum als unkanonisch zurückgewiesen wurden. Es handelt sich hierbei um eine offizielle Aufstellung, die von einem Geistlichen entweder aus dem südlichen Gallien oder aus Norditalien irgendwann während oder kurz nach dem Pontifikat des Papstes Gelasius I (492-496) zusammengestellt wurde.

Ein bekanntes Martyrologium, das vom neunten Jahrhundert bis zur Reform des Römischen Martyrologiums durch Baronius im Jahre 1548 verwendet wurde, wurde von Usuard, einem Mönch in St. Germain des Pres in Paris verfasst. Es sagt ganz offen in seiner Ankündigung des Festes: „Das Entschlafen Marias, der heiligen Mutter Gottes: Obwohl ihr heiligster Leib nicht auf Erden gefunden wird, feiert dennoch die Heilige Mutter Kirche ihr ehrwürdiges Gedächtnis ohne Zweifel daran, dass sie dieses Leben verlassen hat. Aber im Hinblick dessen, wo der ehrwürdige Tempel des Heiligen Geistes von der göttlichen Vorsehung verborgen worden ist, zieht die Schlichtheit der Kirche fromme Unwissenheit jeglicher leichtfertiger oder apokryphischer Meinung vor.“11 Als Papst Pius XII die Aufnahme der heiligen Jungfrau in den Himmel definierte, bezog er sich nicht auf diese Berichte.

Walter Burghardt kommentiert den Nutzen dieser Dokumente wie folgt:

Geschichtlich sind die Transitus Berichte zwiespältig. Von einem gewissen Standpunkt aus sind sie wertlos: sie stellen keinen glaubwürdigen Beweis zur Verfügung, den der Historiker, der seine Tätigkeit sachgerecht ausübt, verwenden kann, um festzustellen, ob Unsere Liebe Frau gestorben ist. Und dennoch dürfen diese Legenden nicht zur Seite geschoben werden. Sie bezeugen eine historische Tatsache, die Anlass für zwei Sachverhalte von authentischen Interesse für den Theologen geben. Von der geschichtlichen Tatsache, dass die Mutter Gottes gestorben ist, sind die Christen überzeugt. Diese Überzeugung ist in Ost und West durch einige Jahrhunderte hindurch weit verbreitet; sie beeinflusste die homiletische Literatur, die frühe Kunst und die Liturgie; es gibt keine im Widerspruch stehende Tradition, die dagegen spricht.12

Jacques Hervieux setzt diese Literatur der jüdischen Literaturform der Haggadah Midrash gleich, die Sammlungen von Legenden über subjektive Meinungen zu Information in der Heiligen Schrift darstellen. Hervaux stellt auch die Unterschiede zwischen den Transitus Mariae Geschichten und den Evangelien fest:

Diese Art des Schreibens ist die gleiche wie die des Protoevangeliums des Jakobus und des Pseudo-Matthäus über das Leben Marias; es ist ein Haggadah Midrash. Aber der Haggadah hat sich hier viel mehr Freiheiten mit der Geschichte genommen, weil ihm die Evangelien überhaupt keine Anhaltspunkte gaben. Viele Einzelheiten, die darin enthalten sind, sind völlig überflüssig... Das Buch des Hinscheidens von Maria ist eine erbauliche Erzählung, die ihre Ursprünge in einem biblischen Vorbild hat: es ist ein Midrash. Um gültig über die Verdienste und Fehler eines Werkes dieser Art zu urteilen, müssen wir den literarischen Charakter des Werkes betrachten. Auf rein historischer Ebene muss seine Echtheit als sehr zweifelhaft angesehen werden. Als das Evangelium vom Pascha Jesu gesprochen hat, das heißt seinem ‚Übergang‘ aus dieser Welt zum Vater, hat es ernst gemeinte Beweise geboten, und zur gleichen Zeit betrachtete es ihn als ein ‚Geheimnis.‘ Die Evangelisten weigerten sich, geheimnisvolle Ereignisse, die alles in allem für sie unfassbar waren, zu beschreiben. Sie boten bestimmte Einzelheiten als Beweis an: die Leinenbinden und das Schweißtuch, die im leeren Grab (Joh 20,6) gefunden wurden und die mannigfaltigen Erscheinungen des auferstandenen Christus (Mt 28, 16-20). Der apokryphische Verfasser hat keine Bedenken das Hinübergehen Mariens selbst bis zu äußerst unglaubwürdigen Einzelheiten zu beschreiben. Betrachten wir zum Beispiel die Szene, wo Christus, nachdem er vom Himmel herabgestiegen war, in Gegenwart der Apostel die Vereinigung des toten Leibes von Maria mit ihrer lebendigen Seele vollzieht. Solche Szenen gehören eher der Welt der Fantasie als der der Wirklichkeit an. Aber eine Erzählung wird nicht völlig wegen ihrer historischen Ungenauigkeit verworfen; sonst wären alle Erzählungen von einer erbaulichen Art und Weise nutzlos. Da das ‚ Hinübergehen Marias‘ eine Beschreibung ihres letzten Endes nach Art der Beschreibung des Evangeliums des Hinübergehens von Jesu von der Erde zum Himmel ist, müssen wir unter der Symbolik nach einer Idee Ausschau halten, die diese fromme Betrügerei bestimmt. Und die Idee ist diese: Maria wurde bei ihrem Tod mit der Herrlichkeit ihres Sohnes vereint. Wie er befindet sie sich mit Leib und Seele im Himmel. Die Erzählung hat für diese leibliche Verherrlichung Marias ganz bestimmte Gründe. Maria ist Jesus vollkommen ähnlich und durch ihre Jungfräulichkeit, die unverletzt bis zum Tod bewahrt wurde, war sie wie er ohne Sünde. Wie konnte sich dann ihr Ende von seinem unterscheiden? Als Sieger über den Tod war ihr Sohn mit dem verherrlichten Leib seiner Auferstehung in den Himmel aufgefahren. Sollte Maria, die mit ihm das Privileg teilte, sündenfrei zu sein, die Verderblichkeit ihres makellosen Leibes im Grab erfahren? Nach der Logik wäre zu erwarten, dass sie wie Christus dem Schrecken des Todes, der Folge unseres sündhaften Zustandes, entkommen sollte. Aus diesem Grund hat der Verfasser des ‚Hinübergehens von Maria‘ als ein Echo des Glaubens seiner Zeit mit dieser legendären Form eine vernünftige Doktrin vorgelegt. Während es aus offensichtlichen Gründen nicht als eine ‚Seite des Evangeliums‘ gelten kann, ist diese Erzählung im Gedankengang dennoch untadelig und passt sich exakt der katholischen Lehre über die Aufnahme Marias in den Himmel an.13

 

 

Eine der frühesten homiletischen Hinweise finden wir bei Theodosius, des jakobitischen Patriarchen von Alexandria (gest. 567 oder 568):

O meine herrliche Mutter, als Adam gegen mein Gebot verstieß, fällte ich über ihn ein Urteil, welches besagte: „Adam, du bist Erde und zur Erde sollst du wieder zurückkehren.“ Denn auch ich, das Leben aller Menschen, kostete den Tod im Leib, den ich von dir im Fleische Adams, deines Vorfahren, angenommen habe. Aber weil meine Gottheit mit mir vereint wurde, erhob ich ihn von den Toten. Ich würde es vorziehen, dass du nicht den Tod kosten musst, sondern dich wie Enoch und Elias in die Himmel entrückst. Aber selbst diese mussten schließlich den Tod kosten. Aber wenn dies dir geschah, dann würden gottlose Menschen in Bezug auf dich meinen, dass du eine Kraft bist, die vom Himmel herab gekommen ist, und dass diese Gabe nur eine Erscheinung war.14

Ein früher westlicher Hinweis, der den Einfluss einer apokryphischen Erzählung zeigt, kann beim heiligen Gregor von Tours (gest. 594) gefunden werden.

 

 

 

Danach pilgerten die Apostel in verschiedene Länder, um das Wort Gottes zu predigen. Später beendete die heilige Maria den Lauf dieses Lebens und wurde aus der Welt abberufen und alle Apostel hatten sich aus allen Himmelsrichtungen in ihrem Haus zusammen eingefunden. Als sie hörten, dass sie von der Welt genommen werden sollte, hielten sie Wache bei ihr. Auf einmal kam ihr Herr mit den Engeln, nahm ihre Seele, übergab sie an Michael, den Erzengel, und verschwand. Jedoch bei Tagesanbruch hoben die Apostel den Leib zusammen mit dem Sterbebett empor, stellten es in ein Grab und hielten Wache darüber in Bereitschaft für das Kommen des Herrn. Und wiederum stand auf einmal der Herr bei ihnen und ordnete an, dass der heilige Leib aufgenommen und auf einer Wolke zum Paradies geführt wird. Wiedervereint mit der Seele freut er sich dort mit seinen Auserwählten und findet Gefallen an den Gnaden der Ewigkeit, die niemals aufhören werden.15

Das Fest der Entschlafung begann im Osten im sechsten Jahrhundert. Die älteste existierende Homilie scheint die des Johannes von Thessaloniki (gest. 630) zu sein, als er das Fest in seiner Diözese einführte. Interessanterweise bezeugt Johannes den weit verbreiteten Glauben an die Aufnahme in den Himmel sowie seinen Glauben an die Authentizität der Transitus Mariae Geschichten, aber auch die Tatsache, dass diese Erzählungen angefochten wurden.

Einige Personen verpflichteten sich zur Niederschrift der wunderbaren Dinge, die zu dieser Zeit nach deren Überzeugung geschahen. Praktisch feiert jeder Ort unter der Sonne mit Ausnahme von ein paar wenigen, darunter auch das Gebiet um diese von Gott geschützte Stadt Thessaloniki, jedes Jahr das Gedächtnis, des sich zur Ruhebegebens Mariens. Warum ist dies so? Sollen wir den Leichtsinn oder die Trägheit jener anklagen, die vor uns gegangen sind? Gewiss dürfen wir nicht etwas derartiges sagen oder sogar denken, weil sie und sonst niemand uns dieses ausgezeichnete Prinzip als eine Art Gesetz für unser Heimatland zurück ließen: dass wir nicht nur das Gedächtnis unserer heimatlichen Heiligen feiern, sondern von allen, die für Christus überall auf der Welt gekämpft haben, so dass wir bei diesen fürbittenden Zusammenkünften näher zu Gott wachsen können. Dann waren unsere Vorfahren weder achtlos noch träge; obwohl doch jene, die damals beim Tode Marias gegenwärtig waren, ihr Ende wahrheitsgemäß beschrieben haben, haben wir erfahren, dass böswillige Häretiker später ihre Berichte verdorben haben, indem sie eigene Texte hinzugefügt haben; aus diesem Grund distanzierten sich unsere Vorfahren von diesen Erzählungen, da sie nicht im Einklang mit der katholischen Kirche standen. Aus diesem Grund geriet das Fest (ihrer Entschlafung) unter ihnen in Vergessenheit... Wir haben selbst keine geringe Anstrengung gescheut, um eure frommen Ohren - um eure Seelen zu erwecken und aufzubauen; nicht alles, was wir schriftlich auf verschiedene Weise und in verschiedenen Büchern über dieses Ereignis gefunden haben, sondern nur, was wirklich geschah, woran man sich erinnert, dass es stattgefunden hat, und das bis heute durch die Existenz von aktuellen Stätten bezeugt ist.16

Im Jahre 1955 wurde im Katharinenkloster auf Berg Sinai ein schwer beschädigtes Manuskript einer Homilie von Bischof Theoteknos aus Livas in Palästina, entdeckt. Diese Homilie aus der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts bezeugt die Kenntnis einer palästinischen Kirche über das Ende Marias: „Die Aufnahme des Leibes der Heiligen und ihr Aufstieg in den Himmel fand am 15. August statt, welches der 6. Tag des Monates Mesore ist. Und es herrschte Freude im Himmel und auf Erden, als die Engel den Lobgesang anstimmten, indes die Menschen die Mutter des Königs des Himmels verherrlichten, die Mutter Gottes, die selbst das Menschengeschlecht verherrlicht hatte...“ 17

Theoteknos besteht darauf: „Dies ist die Frucht, die unsere Erde hervorgebracht hat: die immer-währende Jungfrau, die Mutter Gottes. Während sie auf Erden lebte, behütete sie uns alle und hegte eine Art universeller Fürsorge für ihre Untergebenen. Nun, da sie in den Himmel aufgenommen worden ist, ist sie eine unangreifbare Feste für das Menschengeschlecht und sie hält Fürsprache für uns bei Gott, dem Sohn.“18

In den Homilien der östlichen Väter können wir eine theologische Würdigung des Geheimnisses feststellen. So verbindet der heilige Germanus, der Patriarch von Konstantinopel (gest. ca. 733), die Aufnahme Marias in den Himmel mit der Menschwerdung Christi:

Du hattest einen Leib genau wie einer von uns, und deshalb konntest du nicht dem Geschehen des Todes entkommen, welches das gemeinsame Schicksal aller Menschen ist. Auf die gleiche Weise hat selbst dein Sohn den Tod erlitten (Hebräer 2,9), obgleich er Gott ist. Gewiss hat er Wunder sowohl in seinem eigenen lebenspendenden Grab als auch in der lebenspendenden Grabkammer, wo du zur Ruhe gelegt worden bist, gewirkt: beide Gräber nahmen wahrhaftig Leiber auf, doch keiner von ihnen war eine Stätte der Verwesung. Denn es war ausgeschlossen, dass du, das Gefäß, das Gott geboren hat, in den Staub des Todes aufgelöst und verwest sein solltest. Weil er, der sich in dich ergoss, Gott und ewiges Leben von Anfang an war, musste die Mutter des Lebens seine Gefährtin werden und musste den Tod bloß als ein Einschlafen erfahren; du hast deinen Übergang von dieser Welt als ein Erwachen zu deiner eigenen Wirklichkeit erleben müssen, du Urheber des Lebens.

So wie ein Kind nach seiner eigenen Mutter sucht und sich nach ihr sehnt, und genauso wie es die Mutter gern hat, mit ihrem Kind zu leben, ist es richtig, dass du in deiner mütterlichen Zärtlichkeit für deinen Sohn und Gott zu ihm gehen solltest; und es war sicherlich richtig, dass Gott an seiner kindlichen Liebe zu dir festhielt. Er wollte seine Vertrautheit mit dir, seiner Mutter bestärken, indem er dir einen Anteil an seinem Leben schenkt... Denn du bist seine ewige Ruhestätte. Er hat dich zu sich in seine Unverderblichkeit genommen und will dich, wie man sagen könnte, in der Nähe seiner Worte und seines Herzens haben.19

Der Erzbischof von Kreta Andreas (gest. 740), sieht Maria als ein Vorbild unserer Neuwerdung:
Die Natur selbst ist aus der Verdammung der Verderbnis geweckt worden, hat einen neuen Zustand angenommen, der in Unverderblichkeit verwurzelt ist. Was für eine Umwandlung! Welche Neuheit! Welch göttlicher Tausch! Die Natur brachte einen Weinstock hervor, der Dornen brachte (Jes 5, 1-7), aber sie hat im Gegensatz einen hervorgebracht, der den Willen seines Vaters erfüllte. Die Natur brachte qualvoll den Tod hervor, den wir freiwillig in unserem Ungehorsam auswählten; aber sie brachte statt dessen den einen hervor, der den Tod durch seinen Gehorsam vernichtete. Sie, sie ganz allein, ist für die Neuwerdung unserer Natur jenseits ihrer Kräfte auserwählt worden; allein sie hat sich vollkommen dem einen unterworfen, der alles aus nichts erschaffen hat.20
Johannes von Damaskus (gest. ca 750) verbindet die Aufnahme Marias mit ihrer Rolle in der Menschwerdung:
Heute wird die lebende Stadt Gottes aus dem irdischen Jerusalem in ‚das Jerusalem, das in der Höhe ist,‘ (Heb12,22) entrückt; sie, die als ihren eigenen Erstgeborenen, den ‚Erstgeborenen der ganzen Schöpfung‘ (Kol 1,15), den einzig Gezeugten des Vaters (vgl. Jo 1,14) zur Welt brachte, wohnt nun in ‚Versammlung der Erstgeborenen‘ (Hebräer 12,23). Die lebendige, geistige Bundeslade des Herrn ist ‚zur Ruhestätte ihres Sohnes aufgefahren‘ (Ps 131, 8; LXX). Die Tore des Paradieses sind geöffnet und heißen den Leib willkommen, der Gott geboren hat, wo der Baum des ewigen Lebens gewachsen ist, um dem Ungehorsam Evas und dem Tod, der über Adam verhängt wurde, ein Ende zu setzen. Dieser Christus, die Ursache des Lebens aller Menschen, begrüßt die Höhle, die nicht ausgehöhlt worden ist. Das Brautgemach der heiligen Menschwerdung des Wortes ist gekommen, um in ihrem glorreichen Grab wie in ihrem Schloss zu ruhen; als sie zum Heiligtum ihrer himmlischen Hochzeit aufstieg, um in öffentlicher Herrlichkeit mit ihrem Sohn und ihrem Gott zu herrschen, ließ sie das Grab als Brautgemach für jene zurück, die auf Erden leben.21

Es gab verschiedene Meinungen bezüglich dessen, ob Maria starb oder nicht; eine Minderheit glaubte, dass sie nicht gestorben ist. Bis zum fünften Jahrhundert nach dem Konzil von Ephesus gab keine Erwähnung einer Begräbnisstätte. Kaiser Mauritius (um 600) restaurierte die Kirche auf Gethsemane, die einhundert Jahre vorher auf der Stelle, wo der Sarg der Jungfrau stand, gebaut wurde. Burghardt argumentiert gegen Ephesus als der Stätte des Begräbnisses von Maria: „Der Beweis für Ephesus ist dürftig, unbestimmt, nicht eindeutig. Er rechtfertigt nicht eine sichere Zustimmung, obwohl er eine vorübergehende Vermutung zulassen kann, dass vor 432 eine Tradition existierte, die das Grab Unserer Lieben Frau in Ephesus lokalisierte.“22 Der Glaube an die Entschlafung Marias bzw. an ihre Aufnahme in den Himmel kann durch die Verbreitung des Festes bekräftigt werden. Erst nach 200 wurden die Märtyrer am dies natalis geehrt. Im fünften Jahrhundert wurde das Fest des Gedächtnisses der heiligen Maria gefeiert, aber nicht in der gallikanischen Kirche, die jedoch anfing, die Aufnahme in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts zu feiern.

Das Fest der Entschlafung begann im Osten in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in der syrisch jakobitischen Kirche. Der koptisch monophysitische Patriarch Theodosius änderte das Fest des Gedächtnisses an Maria in ein Fest zu ihrem Tod (16. Januar) und ihrer leiblichen Auferstehung und Aufnahme (9. August) um. Um 600 setzte Kaiser Mauritius den 15. August als Fest der Entschlafung Marias fest.

Im Westen wurde das Fest in Rom durch Papst Theodor (642-649) eingeführt. Es wurde das wichtigste Marienfest, weil es des Tages ihres Todes ähnlich den Festen der Märtyrer und Heiligen gedachte. Am Anfang wurde das Fest die dormitio genannt, aber schließlich wurde der Titel assumptio der anerkannte Name. Sergius I (687-701) ordnete die Prozession zum Fest der Entschlafung an.

Ein Gebet, das mit dem Wort Veneranda beginnt, scheint in die Liturgie zu dieser Zeit eingefügt worden sein.

O Herr, dieser Festtag, an dem die heilige Mutter Gottes sich dem weltlichen Tod unterwarf, aber trotzdem nicht durch die Fesseln des Todes niedergedrückt werden konnte - sie, die deinem Sohn, unserem Herrn dem Fleische nach, aus sich selbst das Leben schenkte, ist in deinen Augen ehrwürdig. O Herr, lass das Gebet der Mutter Gottes unserem Volk zu Hilfe kommen; obwohl wir wissen, dass sie aus diesem Leben gemäß ihrer körperlichen Verfassung geschieden ist, können wir ihre Fürsprache in der Herrlichkeit des Himmels für uns erfahren.23

Dieses Veneranda Gebet und die Subveniat Gebete für das Fest der Aufnahme stammen aus dem römischen oder dem gregorianischen Missale, von dem Adrian in einem Brief an Karl den Großen im Jahre 785–786 zitierte. Das Veneranda - Gebet wurde im Ritus der Dominikanern beibehalten. In der Präfation einer gothischen (gallikanischen) Messe aus dem siebten Jahrhundert können wir ein Zeugnis des Glaubens an die Aufnahme Mariens in den Himmel erkennen:

Es ist würdig und recht, allmächtiger Gott, dass wir dir großen Dank an diesem Tag sagen, der mehr als andere ehrenvoll ist, als das getreue Israel aus Ägypten zog und die Jungfrau Mutter Gottes von der Erde zu Christus dahin ging. Sie erbte keinen Anflug von Verderbnis und spürte nicht ihre Auswirkungen in ihrem Grab. Sie war frei von allem Makel, glorreich bei ihrer Empfängnis, in Sicherheit gebracht bei ihrer Aufnahme in den Himmel und zu ihrer Belohnung im Paradies gekrönt. Sie hat keinen Verlust der Jungfräulichkeit in der Ehe erlitten, dennoch hatte sie Verlangen nach der Frucht in ihrem Leib. Sie erlitt keine Schmerzen bei ihren Wehen und auch nicht Ermüdung bei ihrem Übergang in den Himmel. Im Leben war sie unbefleckt durch ihre Taten und im Tod nicht aufgelöst durch die Kräfte der Natur.24

Der heilige Papst Leo IV (gest. 855) hielt eine Vigil und eine Festoktav für das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Der heilige Papst Nikolaus (gest. 867) weist auf das Fasten zur Vigil als einem der wichtigsten Fasten hin „das die heilige römische Kirche für eine lange Zeit wahrgenommen hat und immer noch wahrnimmt.“25

Während das Fest im Osten akzeptiert wurde, gab es im Westen manchen Widerstand. Der heilige Adamnan von Iona (gest. 704) und Beda der Ehrwürdige (gest. 735) äußerten ihre Bedenken. Pascasius Radbertus (gest. ca 865) verfasste das Werk Cogitis me, von dem angenommen wurde, dass es von Hieronymus als Erwiderung auf die Frage seiner Freunde Paula und Eustochium über die Frage der Annahme Mariens in den Himmel geschrieben wurde. Deshalb ist es als Pseudo-Hieronymus bekannt. Das Werk spricht von einem leeres Grab, aber es antwortet, dass niemand das Ende Marias wirklich kennt. Weil dieses Werk Hieronymus zugeschrieben wurde, verursachte es Unschlüssigkeit darüber, ob das Fest gefeiert werden soll und ob das Verständnis der Lehre weiter entwickelt werden muss. Wegen der Schönheit der Schrift wurden einige Passagen mit Bezug auf Maria als Lesungen im Brevier verwendet.

Ein frühes Werk des zwölften Jahrhunderts, das möglicherweise von einem Schüler des heiligen Anselm stammt, schenkte der Lehre, besonders weil sie dem heiligen Augustinus zugeschrieben wurde, Glauben. Der unbekannte Autor des Liber de Assumptione, wird als Pseudo-Augustinus bezeichnet. Er bejaht den physischen Tod Marias: „Eingedenk der Tatsache, dass Maria Mensch war, haben wir keine Angst, zu sagen, dass sie einen zeitlichen Tod erfuhr, diesen Tod, den auch ihr Sohn, der sowohl Gott als auch Mensch ist, wegen des Gesetzes erlitt, das für das Menschengeschlecht erlassen wurde: und dies, weil er als Mensch in ihrem Leib empfangen und aus ihm geboren wurde.“26

Pseudo-Augustinus argumentiert, dass die Jungfräulichkeit Marias und ihre Gottesmutterschaft auf die Aufnahme Mariens in den Himmel hinweisen:

Wäre es deshalb nicht richtig, (d.h., stimmt es nicht mit der Analogie unseres Glaubens überein?) wenn wir wegen eines solchen Unterschiedes (da Maria so sehr alle anderen Menschen übertrifft, insofern sie Jungfrau und Mutter ist, insofern sie ohne Geburtswehen geboren hat und insofern sie unangetastet in ihrer Jungfräulichkeit blieb) sagen, dass sie, durch welche Gott geboren werden wollte, um an der Substanz des Fleisches teilzuhaben, wahrlich den Tod des Menschengeschlechtes erfuhr, aber nicht von den Fesseln des Todes unterdrückt wurde?27

Der Einfluss des Pseudo-Augustinus kann in der Summa Theologiae gesehen werden, worin sich der heilige Thomas auf diese Aussage stützt, um zu veranschaulichen, dass nicht alle Lehren der Kirche in der Heiligen Schrift gefunden werden können: „Aber wie Augustinus in seinem Traktat über die Aufnahme der Jungfrau mit Recht geltend macht, obwohl ihr Leib in den Himmel aufgenommen wurde, berichtet dies dennoch die Heilige Schrift nicht...“28

Theologische Entwicklung

Die Doktrin der Aufnahme Mariens in den Himmel wirft die Frage der theologischen Entwicklung der Lehre auf. Auf welcher Basis fordert uns die Kirche auf, diese Lehre zu glauben? Luigi Gambero stellt fest, dass dieser Glaube auf unserem Glauben an Jesus beruht:

Er bezeugt etwas, was die christliche Überlieferung schon immer hervorgehoben hat: nämlich die enge Verbindung zwischen dem Geheimnis Christi und dem Geheimnis seiner Mutter. Die leibliche Verherrlichung Marias im ewigen Leben bringt den Glauben der Kirche an die endgültige Verherrlichung des Menschen zum Ausdruck, der von Christus in der Gesamtheit seiner Person erlöst wurde. Im Fleische Christi und dem Marias, die beide in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen wurden, ist die eschatologische Menschlichkeit der Erlösten bereits gegenwärtig.29

Die Dogmatische Konstitution des 2. Vatikanischen Konzils Dei Verbum über die göttliche Offenbarung erklärt in Artikel 30:

Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil. Demselben göttlichen Quell entspringend, fließen beide gewissermaßen in eins zusammen und streben dem gleichen Ziel zu. So ergibt sich, dass die Kirche ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein schöpft. Daher sollen beide mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden. Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden den einen der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes.

Die Überlieferung kann als universales Übereinkommen verstanden werden, wenn eine Wahrheit durch die Bischöfe der Welt, die Kirchenväter, die fortwährende Lehre der Theologen, die Liturgie und auch den Glauben und die Andacht der Gläubigen geoffenbart worden ist. Einige Wahrheiten werden indirekt in anderen Lehren geoffenbart, wie zum Beispiel die Aufnahme Marias die Auferstehung Jesu und die Wahrheit über die Auferstehung des Leibes widerspiegelt.

Das 2. Vatikanischen Konzil erklärte, dass nicht alle Wahrheiten zentral sind: „Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangordnung oder "Hierarchie" der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens.“30 Es gab außerdem ein Einverständnis darüber, dass die Kirche zu einer wachsenden Würdigung der Wahrheit durch die Reflektion im Leben der Kirche kommt:

Diese apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt: es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen (vgl. Lk 2,19.51), ...; denn die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen.31

Der Hl. Vincent von Lerins (gest. vor 450) hat über die Entwicklung der Doktrin in der Kirche folgendes geschrieben:

Sollte es keine Entwicklung des Glaubens in der Kirche Christi geben? Gewiss muss es eine Entwicklung geben und auf höchster Stufe ... Aber sie muss wahrlich eine Entwicklung des Glaubens sein und nicht eine Veränderung des Glaubens. Entwicklung bedeutet, dass jedes Ding sich erweitert, um selbst zu sein, während Veränderung bedeutet, dass ein Ding von einem Ding in ein anderes umgewandelt wird. Das Verständnis, das Wissen und die Weisheit von allen miteinander, der Einzelnen sowie der ganzen Kirche sollten dann großen und starken Fortschritt im Ablauf der Jahre und Jahrhunderte machen, aber nur nach ihrem eigenen Grundsatz, das heißt mit der gleichen Doktrin, dem gleichen Gehalt und der gleichen Bedeutung. Der Glaube der Seele sollte dem Gesetz der Entwicklung des Körpers folgen. Obwohl die Körper ihre Bestandteile mit fortschreitendem Alter entwickeln und entfalten, bleiben sie immer das, was sie waren. Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Blüte der Kindheit und der Reife des Alters, aber jene, die alt werden sind genau die gleichen Menschen, die einmal jung waren. Obwohl die Verfassung und die Erscheinung der ein und derselben Person sich ändern können, ist es das ein und dieselbe Wesen, die ein und dieselbe Person.32

Die Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium versichert die Befähigung der Kirche, die Wahrheit der Lehre mit voller Zuversicht aus zu sagen:

Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben, (vgl. Johannes 2, 20 und 27) kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn (sensus fidei) des ganzen Volkes dann kund, wenn sie „von den Bischöfen bis zum letzten gläubigen Laien“ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und gewährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramts, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt, den einmal den Heiligen übergebenen Glauben unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an.33

Yves Congar O.P. bemerkt: „Was der Leib der Kirche zusammen mit ihren Priestern bezüglich des Glaubens bekennen, ist Teil der Offenbarung; da die Kirche vom Heiligen Geist erfüllt ist und ihr von ihm geholfen wird, kann sie nicht in Glaubenssachen irre gehen. Dies ist schon immer die Überzeugung der katholischen Kirche sowohl im Osten als auch im Westen gewesen.“34

Bernard Lonergan S.J. stellt fest: „Eine solch praktisch universale Übereinstimmung und Vereinbarung versorgt den Theologen sowohl im Laufe der Zeit als auch überall in der Kirche mit genügend Gründen, um zu bekräftigen, dass die Aufnahme Mariens in den Himmel definiert werden kann. Wenn die Aufnahme nicht Wahrheit sondern ein Irrtum wäre, dann müsste man nämlich zulassen, was kein Katholik zulassen kann: Gott hat nicht die Bewahrung vor dem Irrtum der Kirche zugesagt.“35

Lonergan stellt außerdem fest:

Die Aufnahme Unserer Lieben Frau in den Himmel könnte als ein Dogma des göttlichen und des katholischen Glaubens definiert werden. Obwohl nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift geoffenbart, auch nicht durch irgendwelche klare, mündliche, apostolische Überlieferung, soweit wir mit Sicherheit wissen, ist sie dennoch implizit geoffenbart worden. Diese Implikation wird als menschliches Verständnis begriffen, das durch den Glauben erleuchtet und durch die Hilfe der Gnade die Ökonomie des Sündenfalls des Menschen und der Erlösung durchdringt und dabei die Position Mariens begreift. Diese Implikation kann wegen der lang anhaltenden und weit verbreiteten Übereinstimmung, die in der Kirche existiert, als sicher anerkannt werden.36

Bevor Pius XII das Dogma der Aufnahme Mariens in den Himmel definierte, bemühte er sich darum, zu erfahren, ob diese Lehre dem universal geltenden Glauben der Kirche entspricht. Am 1. Mai 1946 sandte Pius an alle Bischöfe einen Brief, in dem er sie bat, zu einer möglichen Dogmatisierung der Aufnahme Mariens in den Himmel Stellung zu nehmen. Bis zum August 1950 antworteten 1169 von 1181 Diözesanbischöfe positiv, sechs waren sich nicht sicher über die offenbarte Natur der Aufnahme Mariens in den Himmel, die anderen hatten Bedenken daran, ob der Zeitpunkt günstig wäre.

Beim Definieren der Aufnahme Mariens in den Himmel fragt Pius XII nicht danach, ob die Doktrin aus der Heiligen Schrift oder durch die Überlieferung begründet wird, sondern er blickt auf das kirchliche Lehramt und den Glauben der Glieder der Kirche: „der Heilige Geist ist den Nachfolgern Petri nicht versprochen, damit sie auf seine Offenbarung hin eine neue Lehre verkünden, sondern damit sie unter seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung, d.h. den Glaubensinhalt, gewissenhaft bewahren und treu auslegen.“37

Der Papst berief sich auf die ordentliche Lehre der Kirche: „Daher kann der allgemeinen Übereinstimmung des ordentlichen kirchlichen Lehramtes ein sicherer und unanfechtbarer Beweis entnommen werden, dass die leibliche Aufnahme der Allerseligsten Jungfrau Maria in den Himmel eine von Gott geoffenbarte Wahrheit ist ... Darum ist sie von allen Kindern der Kirche fest und treu zu glauben.“38

Der Papst berief sich auch auf das Vorhandensein des Festes in der Liturgie:

Ist doch die heilige Liturgie auch ein dem kirchlichen Lehramt unterstelltes Bekenntnis der übernatürlichen Wahrheiten und kann daher Beweise und Zeugnisse liefern, die von nicht geringem Wert sind, wenn es sich darum handelt, über einen bestimmten Punkt der kirchlichen Lehre zu urteilen.39

Der Titel Munificentissimus Deus des Dokumentes verweist auf den „Gütigsten Gott;“ mit anderen Worten, das Dokument beginnt mit der Güte der göttlichen Vorsehung. Der Papst betont, dass das Dogma nicht durch den menschlichen Verstand, sondern durch die Offenbarung gefunden wird:

Daher kann der allgemeinen Übereinstimmung des ordentlichen kirchlichen Lehramtes ein sicherer und unanfechtbarer Beweis entnommen werden, dass die leibliche Aufnahme der Allerseligsten Jungfrau Maria in den Himmel eine von Gott geoffenbarte Wahrheit ist. Sie ist nämlich, soweit es sich um die himmlische Verherrlichung des jungfräulichen Leibes der erhabenen Gottesmutter handelt, von der Art, dass kein menschlicher Geist mit rein natürlichen Kräften sie erkennen konnte. Darum ist sie von allen Kindern der Kirche fest und treu zu glauben. Denn, wie das gleiche Vatikanische Konzil sagt: «Mit göttlichem und katholischem Glauben ist all das anzunehmen, was im geschriebenen oder mündlich überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch eine feierliche Erklärung, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt

Die gesamte Kirche, in der der Geist der Wahrheit wirkt, um sie unfehlbar zur vollen Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheiten zu führen, hat im Laufe der Jahrhunderte in vielfacher Weise ihren Glauben zu erkennen gegeben. Die Bischöfe des ganzen Erdkreises haben in fast vollständiger Einmütigkeit die Bitte gestellt, die Wahrheit von der leiblichen Aufnahme der Allerseligsten Jungfrau Maria in den Himmel möge feierlich als Dogma des göttlichen und katholischen Glaubens definiert werden, - eine Wahrheit, die sich auf die Heilige Schrift stützt, die tief im Herzen der Gläubigen wurzelt, die mit den übrigen Offenbarungswahrheiten in vollstem Einklang steht, die durch das Studium, die Wissenschaft und Weisheit der Theologen eine lichtvolle Erklärung und Darstellung gefunden hat. Aus diesen Gründen glauben Wir, dass der durch den Ratschluss der göttlichen Vorsehung bestimmte Zeitpunkt nunmehr gekommen ist, um diesen einzigartigen Gnadenvorzug Marias feierlich zu verkünden.

Nachdem Wir nun lange und inständig zu Gott gefleht und den Geist der Wahrheit angerufen haben, verkündigen, erklären und definieren Wir zur Verherrlichung des Allmächtigen Gottes, dessen ganz besonderes Wohlwollen über der Jungfrau Maria gewaltet hat, zur Ehre seines Sohnes, des unsterblichen Königs der Ewigkeit, des Siegers über Sünde und Tod, zur Mehrung der Herrlichkeit der erhabenen Gottesmutter, zur Freude und zum Jubel der ganzen Kirche, kraft der Vollmacht Unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Unserer eigenen Vollmacht:

Die unbefleckte, immerwährend jungfräuliche Gottesmutter Maria ist, nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte, mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden.40

Das Dogma sagt nicht aus, dass Maria starb, dass sie beerdigt wurde und auferstanden ist, sondern vielmehr, dass sie „nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte, mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen“ wurde.41 Dabei sollte beachtet werden, dass Christus durch seine eigene Kraft in den Himmel aufstieg, Maria aber in den Himmel aufgenommen wurde.

Der Papst verbindet ihre Aufnahme in den Himmel mit der Unbefleckten Empfängnis:

Sie hat ja durch ein besonderes Gnadenprivileg, durch ihre Unbefleckte Empfängnis, die Sünde besiegt, war deshalb dem Gesetz der Verwesung des Grabes nicht unterworfen und brauchte auf die Erlösung ihres Leibes nicht bis zum Ende der Zeiten zu warten.42

Der Papst definierte jedoch nicht die Bedeutung von Unversehrtheit. Er bezieht das Dogma auf unsere eigene Auferstehung:

Sie [die Definition des Dogmas] begründet die Hoffnung, dass sich alle Gläubigen zu einer innigeren Andacht zur himmlischen Mutter angespornt fühlen werden; dass in allen, die sich des Namens Christi rühmen, das Verlangen lebendig werde, an der Einheit des Mystischen Leibes Jesu Christi teilzuhaben und ihre Liebe zu mehren zu der, die für alle Glieder dieses erhabenen Mystischen Leibes das Herz einer Mutter hat. Es ist auch zu hoffen, dass durch die Betrachtung des herrlichen Beispiels Marias mehr und mehr die Einsicht wächst, welch hohen Wert das menschliche Leben hat, wenn es vollkommen dafür eingesetzt wird, den Willen des himmlischen Vaters zu erfüllen und für das Wohl der Mitmenschen zu wirken. Und ferner lässt sich in einer Zeit, wo die Irrlehren des Materialismus und die daraus folgende Verderbnis der Sitten das Licht der Tugend zu ersticken und durch die Entfesselung von Kampf und Krieg so viele Menschenleben zu vernichten drohen, wohl erwarten, dass die Wahrheit von der Himmelfahrt Marias allen in klarem Lichte zeige, für welch erhabenes Ziel wir nach Leib und Seele bestimmt sind. Endlich wird der Glaube an die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel den Glauben auch an unsere Auferstehung stärken und wirksam beleben.43

Rahner bemerkt:

Wir können nun unsere Überlegungen über das „geboren aus Maria der Jungfrau“ wieder aufnehmen. Der darin ausgesprochenen Glaube über Maria, so sagen wir, blickt nicht nur darauf, dass Maria die Mutter des Herrn ist, insofern sie dem Sohn Gottes aus ihrem Fleisch sein irdisches Dasein geschenkt hat, sondern vor allem auch darauf, das sie diese Mutter wird, d.h. dass an ihr und durch sie, an ihrem Fleisch und durch ihren Glauben das eschatologische Heilsereignis, das alle weiteren mit innerer Konsequenz nach sich zieht, geschieht, und Maria so selbst als die vollendet Erlöste und die Repräsentation der vollkommenen Erlösung erscheint. ... Es ist schon gezeigt worden, dass das Ende der Zeiten schon begonnen hat, mögen auch noch Jahrhunderte durch dieses eine Ende Christi ziehen, dass das in der Auferstehung Christi schon Ereignis und Gegenwart gewordene Ende aller Geschichte des Heils auch die Auferstehung von Heiligen und nicht nur Christi allein einschließt, so wenig wie wir im allgemeinen sagen können, wer diese Erstlinge der vollen Erlösung sind. Daraus ergibt sich aber, dass die jetzt schon erlangte totale Erlösung nach Leib und Seele nicht ein willkürlich erfundenes oder bloß apriorisch postuliertes Merkmal einer vollkommenen Erlösung ist. Das heißt aber: wenn Maria wegen ihrer einzigartigen heilsgeschichtlichen Stellung die ideale Repräsentation der restlosen Erlösung ist, dann muss sie jetzt schon jene vollkommene Gottesgemeinschaft in der verklärten Ganzheit ihrer Wirklichkeit (mit Leib und Seele) erlangt haben, die es sicher jetzt schon gibt.44

Eine Person, die durch seine Reaktion auf die Verkündigung des Dogmas viel Aufsehens machte, war Carl Jung:

Die Veröffentlichung des neuen Dogmas der Jungfrau Maria könnte an sich ein ausreichender Grund gewesen sein, um den psychologischen Hintergrund genau zu betrachten. Es ist interessant festzustellen, dass unter den vielen Artikeln, die in der katholischen und protestantischen Presse über die Verkündigung des Dogmas veröffentlicht wurden, es keinen einzigen gab, der, soweit ich es übersehen konnte, etwas wie einen angemessenen Akzent darauf legte, was zweifellos das stärkste Motiv war: nämlich die volkstümliche Entwicklung und das psychologische Bedürfnis dahinter. Im Wesentlichen gaben sich die Schreiber der Artikel mit gelehrten dogmatischen und historischen Betrachtungen zufrieden, die keine Bedeutung auf den lebendigen religiösen Prozess haben. Aber jeder, der mit Aufmerksamkeit die Erscheinungen Marias verfolgt hat, die während der letzten beiden Jahrzehnte zahlenmäßig angewachsen sind, und ihre psychologische Bedeutung in Betracht gezogen hat, dürfte erkannt haben, dass sich etwas zusammenbraute. Besonders die Tatsache, dass es zum größten Teil Kinder waren, die die Erscheinungen hatten, müsste uns zu denken gegeben haben, denn in solchen Fällen ist das kollektive Unbewusstsein immer am Werk …. Man weiß seit langem, dass es ein tiefes Verlangen in der breiten Masse nach einer Fürsprecherin und Vermittlerin gibt, die schließlich ihren Platz an der Seite der Heiligen Dreifaltigkeit einnehmen und als die „Königin des Himmels und die Braut am himmlischen Hof“ empfangen werden würde. Seit mehr als tausend Jahren ist stillschweigend vorausgesetzt worden, dass die Mutter Gottes dort weilt.45

Ich sehe es als wichtigstes religiöses Ereignis seit der Reformation an. Es ist ein petra scandali für den unpsychologischen Geist: Wie kann solch eine unbegründete Behauptung wie die der leiblichen Aufnahme der Jungfrau in den Himmel als glaubwürdig vorgeschlagen werden? Aber die Methode, die der Papst verwendet, um die Wahrheit des Dogmas aufzuzeigen, ist für das psychologische Verständnis sinnvoll, denn sie beruht selbst an erster Stelle auf den wichtigen Urbildern und an zweiter Stelle auf der Überlieferung der religiösen Aussagen, die über mehr als tausend Jahre zurückreichen. Was den protestantischen Standpunkt besonders verletzt, ist die maßlose Annäherung der Deipara and die Gottheit und als Folge davon die gefährdete Vorherrschaft Christi, von der der Protestantismus nicht abrücken will. Indem er an diesem Punkt festhielt, hat er es offensichtlich versäumt in Betracht zu ziehen, dass seine Hymnologie voller Hinweise auf den „himmlischen Bräutigam“ ist, von dem jetzt plötzlich angenommen wird, nicht eine Braut mit gleichen Rechten zu haben. Oder ist der „Bräutigam“ auf echte psychologische Weise als eine bloße Metapher verstanden worden?46

Die Dogmatisierung der Aufnahme bedeutet jedoch nicht aus dogmatischer Sicht, dass Maria den Status einer Göttin erlangt hat, obwohl sie als Herrin des Himmels und als Mittlerin funktionsmäßig mit Christus, dem König und Mittler, ebenbürtig ist. Mit jedem Grad erfüllt ihre Position eine erneuerte Hoffnung der Erfüllung jener Sehnsucht nach Frieden, die sich zuinnerst in der Seele rührt, und nach einer Lösung der drohenden Spannung zwischen den Gegensätzen. Jedermann hat an dieser Spannung Anteil und jedermann erfährt sie in seiner persönlichen Form der Unruhe, je größer sie ist, umso weniger sieht er irgendeine Möglichkeit von ihr durch rationale Mittel los zu kommen. Es ist deshalb kein Wunder, dass die Hoffnung, ja sogar die Erwartung eines göttlichen Eingreifens im kollektiven Unbewusstsein und zur gleichen Zeit in der breiten Masse anwächst. Die päpstliche Deklaration hat dieser Sehnsucht einen trostreichen Ausdruck verliehen. Wie konnte bloß der Protestantismus diesen Zeitpunkt vollkommen verpassen?47

Edward Shillebeeckx bietet ein paar theologische Überlegungen über die Aufnahme Mariens in den Himmel:

Maria ist der Urtyp der pilgernden Kirche auf Erden. Sie ist als Assumpta ebenso das Urbild der fortdauernden Kirche, die im Himmel errichtet wurde.48

Der Tod Marias ... ihre dormitio oder ihr „Einschlafen in Liebe“ kann somit als das höchste Vorbild eines jeden christlichen Todes angesehen werden und beinhaltet die Verheißung der direkten Auferstehung. Dies fand unmittelbar im Falle Marias statt. Ihre Aufnahme in den Himmel nach ihrem Tod wurde eine direkte Realität.49

Der wesentliche Augenblick im Erlösungsgeschehen Christi wird nicht auf seinen Opfertod begrenzt. Die göttliche Annahme des Opfers ergänzt dieses Opfer und ist ihm wesensgleich. Die Annahme durch Gott ist in der Tat die Auferstehung Jesu. Das absolute Sühneopfer, wodurch das Menschengeschlecht mit Gott in Liebe wiedervereint wurde, hat sich in der Passion Christi - seinem Übergang vom Tod zum Leben - ereignet. Sowohl der Tod Christi als auch seine Auferstehung stellen deshalb zwei Geheimnisse der Erlösung dar und diese bilden ein einziges unzertrennbares Ganzes. Die Auferstehung ist das Opfer Christi, das von Gott angenommen wurde und nur durch die Auferstehung wurde dieses Opfer voll wirksam. In diesem Augenblick wurde die „objektive Erlösung“ eine vollkommene Realität. Wenn wir einen Schritt weitergehen, können wir in Analogie zur Auferstehung Christi aus der Tatsache der Auferstehung Marias folgern, dass auch ihr Opferleben vollkommen von Gott angenommen wurde. Ihre Aufnahme in den Himmel war kein ein Privileg, das ihr etwa ohne Beziehung zum Rest ihres Lebens verliehen wurde. Es bildete den Höhepunkt ihrer erhabenen Erlösung. Im Grunde genommen umschließt die Erlösung das ganze menschliche Wesen, nicht nur seine Seele sondern auch seinen Leib. Das permanente geistige und physische Zusammensein des menschlichen Wesens mit dem verherrlichten Christus und in Christus mit der Dreifaltigkeit bildet die endgültige und unaufhörliche Phase des Erlösungsprozesses. Mit dieser Phase wird die Erlösung vollendet. Das Dogma teilt uns mit, dass Maria nicht wie wir bis an das Ende der Zeiten für eine leibliche Erlösung warten muss. Dies ist ein deutliches Anzeichen der einzigartigen Qualität ihres erhabenen Zustandes ihrer Erlösung.50

Da die Erlösung stets die Annahme und Mitwirkung seitens des Menschen gewährt und im Hinblick auf die Tatsache, dass Maria auf die innigste Weise am Werk ihrer eigenen Erlösung mitwirkte, ist sie deshalb in dieser Hinsicht das Urbild all jener, die die Erlösung empfangen, somit von allen, die erlöst werden. Auf diese Weise besitzt sie eine universale Bedeutung im Heilsplan für uns alle. Sie ist das Urbild des erlösten Lebens. Maria, die Assumpta, steht vor uns als die Erstlingsfrucht der Erlösung, und sie umfasst die vollkommenen Eigenschaften von allem, das in uns und in der ganzen Kirche verwirklicht wird.51

Das vor kurzem definierte Dogma der Aufnahme ist andererseits nie der Gegenstand einer nennenswerten Kontroverse gewesen. Es ist wahr, dass sich einige Stimmen im frühen Mittelalter dagegen erhoben, aber sie erlangten kaum die Ebene der naturwissenschaftlichen Theologie.52

Das objektive Geschenk ihrer unbefleckten Empfängnis und die subjektive Heiligkeit, die das Gegenstück zu ihrer unbefleckten Empfängnis ist - ihr jungfräulicher Zustand der Aufgeschlossenheit - waren beides göttliche Gaben und machten den Weg frei für das zentrale, erhabene Ereignis der Verkündigung innerhalb des Vorhabens der allmählichen Entfaltung des Geheimnisses der Erlösung in der Geschichte. Dieses Ereignis war in der Geschichte die wahrhafte Gabe des Erlösers und der freiwilligen Akzeptanz dieses Erlösers von Maria und somit der Erlösung, da die Errettung oder die Erlösung die eigentliche Person des menschgewordenen Gottes ist.53

Dass Maria als Strafe gestorben sein soll, kommt natürlich nicht Frage. Aber dies bedeutet nicht, dass sie nicht sterben musste. Der göttliche Plan der subjektiven Erlösung, der die freiwillige Zustimmung des Menschen zur Erlösung Christi durch seinen Tod am Kreuz umfasst, schließt scheinbar auch Maria mit ein und die Folge ist hierbei, dass auch sie als eine, die durch den Tod Christi erlöst wurde (durch Befreiung), Anteil am speziellen christlichen Tod hatte.54

Maria als der mütterliche Partner bei der Erlösungshandlung Christi hat Anteil an seiner Macht als Herr kraft ihrer Aufnahme in den Himmel. Ihre Auferstehung ist die „Konstituierung ihrer Mutterschaft mit Macht“ im Hinblick auf alle Menschen. Ihre Fürbitte um unsertwegen kann man sich nicht als eine blasse Spiegelung ihrer Teilnahme an der Erlösung hier auf Erden vorstellen.55

Endnoten

1. Epiphanius, Panarion, haer. 78, 23, in The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death, Walter Burghardt, S.J., (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 5-6.

2. Epiphanius, Panarion, 79.1., 79.9.3, in The Panarion of St. Epiphanius, Bishop of Salamis: Selected Passages, trans. Philip R. Amidon, S.J., (Oxford: Oxford University Press, 1990), 353, 354.

3. Epiphanius, Panarion, haer. 78, 23 , quoted by Walter Burghardt, S. J., In The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 6.

4. Augustinus, "On the Catechising of tlie Uninstructed," 22. 40, in Nicene and Post-Nicene Father, III, ed. Philip Schaff (Grand Rapids: Eerdmans Puhl. Co, 1980), 307; PL 40, 339.

5. Augustinus, Expositions on the Book of Psalms, XXXV, 14, in Nicene and Post-Nicene Fathers, VIII, ed. Philip Schaff (Grand Rapids: Win. B. Eerdmans Publ. Co, 1983), 83; "Etenim ut celerius dicani, Maria ex Adam mortua propter peccatum, Adam motuus propter peccatum et caro Domini ex Maria mortua est propter delenda peccata" PL 36, 335.

6. Augustinus, Tractates on the Gospel According to St. John, VIII, 9, in Nicene and Post-Nicene Fathers, VII, ed. Philip Schaff (Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Puhl. Co. 1983), 61; "Commendat matrem discipulo; commendat matrem prior matre moriturus, et ante matris mortem resurrecturus..." (PL 35, 1456).

7. The Obsequies of the Holy Virgin, in Walter Burghardt, S. J., The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 15.

8. Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood, NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 7-8.

9. Greek apocryphon of Pseudo-John tlie Evangelist, On the Dormition of the Holy Mother of God, Liber de dormitione sanctae deiparae 39, quoted by Walter Burgliardt, S. J., in The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster. MD: Newman Press, 1957), 14.

10. Greek apocryphon of Pseudo-John tlie Evangelist. On the Dormition of the Holy Mother of God, Liber de dormitione sanctae deiparae, 39, quoted by Walter Burgliardt, S. J., in The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 14.

11. The Roman Martyrology, quoted by Paul E. Duggan, The Assumption Dogma: Some Reactions and Ecumenical Implications in the Thought of English-Speaking Theologians (Cleveland: Merson Press, 1989), 18.

12. Walter Burgliardt, S. J., In The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 7.

13. Jacques Hervieux. The New Testament Apocrypha, trans. Dom Wulstan Hibberd (New York, NY: Hawthorne Books, 1960) 90-92.

14. Theodosius. De dorrmitione Mariae 5. On the Falling Asleep of Mary, quoted by Walter Burgliardt, S. J., in The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 15.

15. Gregory of Tours, Lib. 1 miraculorum: In gloria artyrum 4, quoted by Walter Burgliardt, S. J., In The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 31-32; PL 71, 708.

16. John of Thessalonica, "The Dormition of Our Lady, the Mother of God and Ever-Virgin Mary," in Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood, NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 47-49.

17. Theoteknos, "On the Dormition," in Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood, NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 74.

18. Theoteknos, 80.

19. Germanus of Constantinople, "On the Most Venerable Dormition of the Holy Mother of God," Homily 1, in Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood, NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 158-159.

20. Andrew of Crete, "On the Dormition of our Most Holy Lady, the Mother of God" Homily III, in Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood, NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 140.

21. John of Damascus: On the Dormition of Our Lady, Homily III, see Brian Daley, S. J., On the Dormition of Mary: Early Patristic Homilies (Crestwood. NY: St. Vladimir's Seminary Press, 1998), 232-233.

22. Walter Burghardt, S. J., In The Testimony of the Patristic Age Concerning Mary's Death (Westminster, MD: Newman Press, 1957), 39.

23. Walter Burghardt, 21.

24. Präfation einer Gotischen Messe zitiert nach Paul E. Duggan, The Assumption Dogma: Some Reactions and Ecumenical Implications in the Thought of English-Speaking Theologians (Cleveland: Emerson Press, 1989). 24.

25. St. Nikolaus I, zitiert nach Paul E. Duggan, The Assumption Dogma: Some Reactions and Ecumenical Implications in the Thought of English-Speaking Theologians (Cleveland: Emerson press, 1989), 23.

26. Pseudo-Augustinus, Liber de Assumptione, quoted by A. Janssens, in The Assumption of Our Lady (Fresno, California: Academy Library Guild, 1954), 6; PL XL, 1143.

27. Pseudo-Augustinus, 7; PL XL 1145.

28. Thomas Aquinas, Summa Theologiae, III, 27, 1.

29. Luigi Gambero, Mary and the Fathers, of the Church, trans. Thomas Buffer (San Francisco, Ignatius Press, 1999), 354.

30. 2. Vatikanisches Konzil. Dekret überdDen Ökumenismus Unitatis Redintegratio, 11.

31. 2. Vatikanisches Konzil. Dogmatische Konstitution über die Göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8.

32. St. Vincent of Lerins, "The First Instruction," quoted in the Liturgy of The Hours (New York: Catholic Book Publishing, 1975), 363-364; PL 50, 667-668.

33. Vatican Council II, Lumen Gentium, 12, in Vatican Council II: The Conciliar and Post Concilar Documents, ed. Austin Flannery, O.P. (Northport, NY: Costello, 1975), 363.

34. Yves Cougar, O.P., Tradition and Traditions (1966), 203.

35. Bernard Lonergan, S. J., "The Assumption and Theology," Collection: Papers by Bernard Lonergan, S.J., ed. F. E. Crowe, S.J., (New York: Herder and Herder, 1967), 69.

36. Bernard Lonergan, 82-83.

37. Vatican Council I, Pastor Aeternus, c.4, quoted by Pius XII, Munificentissimus Dens, in A. Janssens, in The Assumption of Our Lady (Fresno, California: Academy Library Guild, 1954), 174.

38. Pius XII, Munificentissimus Deus, in A. Janssens, in The Assumption of Our Lady (Fresno, California: Academy Library Guild, 1954), 174.

39. Munificentissimus Deus, 176

40. Munificentissimus Deus 12, 41, 44.

41. Munificentissimus Deus, 44.

42. Munificentissimus Deus, 5.

43. Munificentissimus Deus 42.

44. Karl Rahner, S. J., Schriften zurTheologie. Band I. Benziger Verlag. Einsiedeln, Zürich, Köln 1961, 249f.

45. Carl G. Jung, "Answer to Job" in Psychology and Religion: West and East, trans. by R.F.C. Hull (New York: Pantheon Books, 1958), 461-462.

46. Carl G. Jung, "Answer to Job" in Psychology and Religion: West and East, trans. by R.F.C. Hull (New York: Pantheon Books, 1958), 464.

47. Carl G. Jung, "Answer to Job" 461-462.

48. Edward Schilleheeckx, O.P., Mary, Mother of the Redemption (New York: Sheed & Ward, 1964, 22.

49. Edward Schillebeeckx, O.P., 72.

50. Edward Schillebeeckx, O.P., 76

51. Edward Scliillebeeckx, O.P., 77.

52. Edward 0'Connor, C.S.C., The Dogma of the Immaculate Conception: History and Significance (South Bend: University of Notre Dame Press, 1958), v.

53. Edward Schillebeeckx, O.P., 71.

54.Edward Schillebeeckx, O.P., 74.

55. Edward Schillebeeckx, O.P., 90. The Sacramentary (New York: Catholic Book Publishing Co., 1974), 489.


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